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Das Recht und die WirklichkeitIst Deutschland ein gerechtes Land? Kommt darauf an. Zumindest ein rechtsstaatliches? Weitgehend. Wie es aber im politischen und juristischen Alltag um Recht und Gesetz bestellt ist und wie die Justiz in Deutschland funktioniert, darüber klärt Thomas Fischer auf. Der Bundesrichter mischt sich ein in die aktuellen Debatten: Sind wir wirklich im Krieg gegen den Terror? Wie soll Deutschland mit den Flüchtlingsströmen umgehen? Und was sagen eigentlich unsere Gesetze zum Thema Sterbehilfe?Thomas Fischer bezieht klar Stellung, nicht selten auch entgegen der landläu...
Das Recht und die Wirklichkeit
Ist Deutschland ein gerechtes Land? Kommt darauf an. Zumindest ein rechtsstaatliches? Weitgehend. Wie es aber im politischen und juristischen Alltag um Recht und Gesetz bestellt ist und wie die Justiz in Deutschland funktioniert, darüber klärt Thomas Fischer auf. Der Bundesrichter mischt sich ein in die aktuellen Debatten: Sind wir wirklich im Krieg gegen den Terror? Wie soll Deutschland mit den Flüchtlingsströmen umgehen? Und was sagen eigentlich unsere Gesetze zum Thema Sterbehilfe?
Thomas Fischer bezieht klar Stellung, nicht selten auch entgegen der landläufigen Mehrheitsmeinung. In seiner ZEIT-Online-Kolumne "Fischer im Recht" zeigt er, wie der Rechtstaat heute im Innersten funktioniert und wo er an seine Grenzen stößt. En passant gelingt ihm eine hochspannende und brillante Rechtsphilosophie.
Ist Deutschland ein gerechtes Land? Kommt darauf an. Zumindest ein rechtsstaatliches? Weitgehend. Wie es aber im politischen und juristischen Alltag um Recht und Gesetz bestellt ist und wie die Justiz in Deutschland funktioniert, darüber klärt Thomas Fischer auf. Der Bundesrichter mischt sich ein in die aktuellen Debatten: Sind wir wirklich im Krieg gegen den Terror? Wie soll Deutschland mit den Flüchtlingsströmen umgehen? Und was sagen eigentlich unsere Gesetze zum Thema Sterbehilfe?
Thomas Fischer bezieht klar Stellung, nicht selten auch entgegen der landläufigen Mehrheitsmeinung. In seiner ZEIT-Online-Kolumne "Fischer im Recht" zeigt er, wie der Rechtstaat heute im Innersten funktioniert und wo er an seine Grenzen stößt. En passant gelingt ihm eine hochspannende und brillante Rechtsphilosophie.
Thomas Fischer, Jahrgang 1953, war bis April 2017 Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Sein jährlicher Kommentar zum Strafgesetzbuch, die Beck¿schen Kurzkommentare, gilt als die Bibel des Strafrechts. Mit seinen Kolumnen für ZEIT-ONLINE und den SPIEGEL wurde er einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, zudem ist er Teil des SWR 2 -Podcasts "Sprechen wir über Mord?!". Bei Droemer erschienen bisher seine Bücher Über das Strafen, Sex and Crime und Im Recht.
Produktdetails
- Verlag: Droemer/Knaur
- Artikelnr. des Verlages: 3007840
- 3. Aufl.
- Seitenzahl: 336
- Erscheinungstermin: 1. März 2016
- Deutsch
- Abmessung: 209mm x 134mm x 30mm
- Gewicht: 424g
- ISBN-13: 9783426276853
- ISBN-10: 3426276852
- Artikelnr.: 44028789
Herstellerkennzeichnung
Droemer HC
Maria-Luiko-Straße 54
80636 München
produktsicherheit@droemer-knaur.de
Wer nicht klar schreibt, der denkt auch nicht klar
Meinungen eines Juristen von sehr erheblichem Verstand: Thomas Fischer behauptet, stets im Recht zu sein
Der Autor bearbeitet den in Deutschland meistverbreiteten Kommentar zum Strafgesetzbuch, den "Fischer"; jährlich erscheint eine Neuauflage dieses Meisterwerks an Klarheit und höchster Verdichtung. Übrigens vertreibt der Verlag das weit über zweieinhalbtausend kleinbedruckte Seiten umfassende Werk als Kurzkommentar - "kurz" ist auf den verschlungenen Wegen des Strafrechts eben etwas anderes als auf denjenigen einer Kurzgeschichte. Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, ist auch über seinen Kommentar hinaus wissenschaftlich präsent und hat zudem seit
Meinungen eines Juristen von sehr erheblichem Verstand: Thomas Fischer behauptet, stets im Recht zu sein
Der Autor bearbeitet den in Deutschland meistverbreiteten Kommentar zum Strafgesetzbuch, den "Fischer"; jährlich erscheint eine Neuauflage dieses Meisterwerks an Klarheit und höchster Verdichtung. Übrigens vertreibt der Verlag das weit über zweieinhalbtausend kleinbedruckte Seiten umfassende Werk als Kurzkommentar - "kurz" ist auf den verschlungenen Wegen des Strafrechts eben etwas anderes als auf denjenigen einer Kurzgeschichte. Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, ist auch über seinen Kommentar hinaus wissenschaftlich präsent und hat zudem seit
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Anfang des Jahres 2015 noch die Zeit gefunden, wöchentlich bei "zeit-online.de" eine Kolumne zu verfassen; einige dieser "Einlassungen" hat er in dem vorliegenden Band zusammengestellt.
Insbesondere bei den seiner Kommentierung nahestehenden Themen sind Fischer wahre Kabinettstücke gelungen, so etwa zum Thema "Über die Schwierigkeit, einen Raub zu begehen". Konkret geht es um das Problem, "Waffen", "gefährliche Werkzeuge" und "andere Mittel oder Werkzeuge" bei den Erschwerungen des Raubs, des Diebstahls und der Körperverletzung sinnvoll zu ordnen. Der Gesetzgeber, die Senate des Bundesgerichtshofs und auch dessen Großer Senat sind an dieser Aufgabe gescheitert. Genauer, wer eine Schreckschusspistole einer verletzungsgeeigneten Waffe gleichstellt, sollte wissen, dass er den Begriff der Waffe aufhebt oder, wenn man auf das Bedrohungspotential abstellt, doch spaltet und damit verwässert. Fischer: "sprachlogischer Super-GAU".
Zum Thema "NS-Verbrecher und die Beihilfe" findet Fischer einen schlecht verkappten Unwillen zur Vergangenheitsbewältigung, und zwar wegen der Anwendung der sogenannten subjektiven Tätertheorie, wonach Täter einer Tat derjenige ist, der den maßgeblichen Willen zu ihrem Zustandekommen aufbringt. Nicht was jemand tut steht im Vordergrund, sondern welche Haltung der Beteiligte zur Tat aufweist. Das ermöglicht es denjenigen Personen, von denen die Opfer des Nationalsozialismus eigenhändig erschlagen, erschossen, vergast oder sonst umgebracht wurden, sich hinter der Haltung ihrer Vorgesetzten zu verstecken und mangels eines Täterwillens zu Randfiguren zu regredieren. Die subjektive Tätertheorie, die allerdings bereits aus dem späten neunzehnten Jahrhundert stammt, wurde so zum Vehikel, mit dessen Hilfe sich Verantwortung weichzeichnen ließ.
Die meisten der "Einlassungen" werden von einem rechtspolitischen Impetus geprägt, sei es als Aufforderung zur Mäßigung beim Umgang mit Terroristen oder zur weiteren Perhorreszierung der Todesstrafe. Im Bereich der Strafbarkeit sexuell motivierter Taten plädiert Fischer gegen die Einführung eines allgemeinen Missbrauchstatbestands; der Beitrag wurde allerdings lange vor der Kölner Silvesternacht verfasst. Sehr engagiert fällt seine Stellungnahme zur Sterbehilfe aus, "Im Zweifel gegen die Freiheit?". Fischer: "Warum eigentlich soll Sterbehilfe erst dann in den Bereich des menschlich Verständlichen oder weithin Tolerierten rücken, wenn die betroffene Person bereits die Kraft und Gelegenheit verloren hat, den eigenen Tod selbst herbeizuführen, um den Sterbeprozess abzukürzen?" Von Ärzten, zumal Krankenhausärzten, fühlt Fischer sich nicht gut vertreten ("40-jährige Schnösel mit ... 0,7er Abitur und panischer Angst vor der Nähe zu Menschen").
Die Ansicht, es lasse sich in Einzelfällen, zumal solchen der indirekten Euthanasie (Schmerzlinderung auch auf die Gefahr hin, dadurch das Leben zu verkürzen), eine Lösung nach dem Ermessen des behandelnden Arztes finden, hält er für skandalös; denn "wenn die Vereinigungen der Atomkraft-Ingenieure oder der Piloten oder der Richter mit solch frommen Sprüchen kämen, um uns zum Wegsehen zu bewegen, würden wir ihnen den Vogel zeigen."
Auch von Professoren der Rechtswissenschaft hält Fischer nicht viel, da sie zu theorieverliebt seien (was ihn allerdings nicht hindert, deren Produkte in seinem Kommentar geschickt anzuführen). Schlimmeres soll hinzukommen: "Kein einziger Ordentlicher Professor des Rechts hat jemals eine Ausbildung in Didaktik, Pädagogik, Menschenführung absolviert." Dieses Manko teilen die Heutigen allerdings mit Feuerbach, Savigny und vielen anderen, deren Werke Jahrhunderte überdauert haben. Den Grund für diesen Erfolg trotz des Mankos an Didaktik deutet Fischer selbst an: "Wer Jurist werden will, muss lesen und sprechen lernen, falls er es nicht schon kann. Das einzige Hilfsmittel der Jurisprudenz ist die Sprache . . . Wer nicht klar schreiben kann, der kann auch nicht klar denken."
Das lässt sich dergestalt weiterspinnen, dass mit klaren Gedanken schon fast alles gewonnen ist; die Didaktik stellt sich dann von selbst ein. Was der Autor von der Juristenausbildung hält, wird sich jeder nach dem vorangegangenen Urteil über die akademische Lehre selbst ausmalen können. Nicht juristisches Denken wird gelehrt und in den Examina geprüft, sondern ein Jonglieren mit Meinungen.
Diese Kritik ist nicht völlig zu verwerfen, wenn auch dagegen spricht, dass die Universitäten immerhin zuverlässig die Nachwuchselite der Rechtsberufe produzieren, aber doch zu relativieren: Das Studium des Rechts erfolgt eben sehr oft aus einer Verlegenheit heraus, zumal wenn die Abiturnote für ein Fach mit numerus clausus nicht "reicht". Bei dieser Lage wäre es illusionär, Zustände zu erwarten, wie sie bei der Mathematik als Hauptfach gang und gäbe sein mögen. Man begegnet mancher Aussage von verblüffender Deutlichkeit, so etwa bei der Schilderung der seltsamen Wandlung eines RAF-Rechtsanwalts namens Schily zum Bundesinnenminister, die insbesondere deshalb bemerkenswert sein dürfte, weil eben dieser Anwalt den Antrag gestellt hatte, die Terroristen als Kriegsgefangene zu behandeln.
Auch erfährt man, dass die ersten sechs Generalbundesanwälte sämtlich ehemals Mitglieder der NSDAP waren (teils allerdings in relativer Jugendzeit), und was Buback betrifft, wird die Nummer seines Mitgliedsausweises sogleich mitgeliefert. Auch ein Hinweis auf die braune Vergangenheit des seinerzeit für das Strafrecht zuständigen Unterabteilungsleiters im Bundesjustizministerium, Dreher (der Begründer des von Fischer bearbeiteten Kommentars), fehlt nicht, noch weniger eine Schilderung der von ihm 1968 verschuldeten "Panne" bei einer Gesetzesänderung, die zur Verjährung von Mordbeihilfe aus nationalsozialistischer Zeit führte.
Zwei etwas beckmesserische Feststellungen seien erlaubt. Erstens: Das Reichsgericht hat die Teilnahme an der Tötung eines unehelichen Kindes durch die Mutter in oder gleich nach der Geburt entgegen Fischer nicht nach dem seinerzeit privilegierenden Tatbestand beurteilt, sondern als Teilnahme an einem Mord oder einem Totschlag (für Kenner: RGSt 74, S. 84, 86). Zweitens: Unterlassene Hilfeleistung kann mit höchstens einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet werden; fünf Jahre gibt's dafür nicht. Und schließlich: Fischer schreibt, viele Terroristen seien nicht feige; dem mag man zustimmen. Dann folgt: "Feige ist vielleicht, wer den Führerbunker rechtzeitig vor der Explosion der Aktentasche verlässt." Der Autor hat nicht selten betont eigene Ansichten.
GÜNTHER JAKOBS
Thomas Fischer: "Im Recht". Einlassungen von Deutschlands bekanntestem Strafrichter.
Droemer Verlag, München 2016. 336 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Insbesondere bei den seiner Kommentierung nahestehenden Themen sind Fischer wahre Kabinettstücke gelungen, so etwa zum Thema "Über die Schwierigkeit, einen Raub zu begehen". Konkret geht es um das Problem, "Waffen", "gefährliche Werkzeuge" und "andere Mittel oder Werkzeuge" bei den Erschwerungen des Raubs, des Diebstahls und der Körperverletzung sinnvoll zu ordnen. Der Gesetzgeber, die Senate des Bundesgerichtshofs und auch dessen Großer Senat sind an dieser Aufgabe gescheitert. Genauer, wer eine Schreckschusspistole einer verletzungsgeeigneten Waffe gleichstellt, sollte wissen, dass er den Begriff der Waffe aufhebt oder, wenn man auf das Bedrohungspotential abstellt, doch spaltet und damit verwässert. Fischer: "sprachlogischer Super-GAU".
Zum Thema "NS-Verbrecher und die Beihilfe" findet Fischer einen schlecht verkappten Unwillen zur Vergangenheitsbewältigung, und zwar wegen der Anwendung der sogenannten subjektiven Tätertheorie, wonach Täter einer Tat derjenige ist, der den maßgeblichen Willen zu ihrem Zustandekommen aufbringt. Nicht was jemand tut steht im Vordergrund, sondern welche Haltung der Beteiligte zur Tat aufweist. Das ermöglicht es denjenigen Personen, von denen die Opfer des Nationalsozialismus eigenhändig erschlagen, erschossen, vergast oder sonst umgebracht wurden, sich hinter der Haltung ihrer Vorgesetzten zu verstecken und mangels eines Täterwillens zu Randfiguren zu regredieren. Die subjektive Tätertheorie, die allerdings bereits aus dem späten neunzehnten Jahrhundert stammt, wurde so zum Vehikel, mit dessen Hilfe sich Verantwortung weichzeichnen ließ.
Die meisten der "Einlassungen" werden von einem rechtspolitischen Impetus geprägt, sei es als Aufforderung zur Mäßigung beim Umgang mit Terroristen oder zur weiteren Perhorreszierung der Todesstrafe. Im Bereich der Strafbarkeit sexuell motivierter Taten plädiert Fischer gegen die Einführung eines allgemeinen Missbrauchstatbestands; der Beitrag wurde allerdings lange vor der Kölner Silvesternacht verfasst. Sehr engagiert fällt seine Stellungnahme zur Sterbehilfe aus, "Im Zweifel gegen die Freiheit?". Fischer: "Warum eigentlich soll Sterbehilfe erst dann in den Bereich des menschlich Verständlichen oder weithin Tolerierten rücken, wenn die betroffene Person bereits die Kraft und Gelegenheit verloren hat, den eigenen Tod selbst herbeizuführen, um den Sterbeprozess abzukürzen?" Von Ärzten, zumal Krankenhausärzten, fühlt Fischer sich nicht gut vertreten ("40-jährige Schnösel mit ... 0,7er Abitur und panischer Angst vor der Nähe zu Menschen").
Die Ansicht, es lasse sich in Einzelfällen, zumal solchen der indirekten Euthanasie (Schmerzlinderung auch auf die Gefahr hin, dadurch das Leben zu verkürzen), eine Lösung nach dem Ermessen des behandelnden Arztes finden, hält er für skandalös; denn "wenn die Vereinigungen der Atomkraft-Ingenieure oder der Piloten oder der Richter mit solch frommen Sprüchen kämen, um uns zum Wegsehen zu bewegen, würden wir ihnen den Vogel zeigen."
Auch von Professoren der Rechtswissenschaft hält Fischer nicht viel, da sie zu theorieverliebt seien (was ihn allerdings nicht hindert, deren Produkte in seinem Kommentar geschickt anzuführen). Schlimmeres soll hinzukommen: "Kein einziger Ordentlicher Professor des Rechts hat jemals eine Ausbildung in Didaktik, Pädagogik, Menschenführung absolviert." Dieses Manko teilen die Heutigen allerdings mit Feuerbach, Savigny und vielen anderen, deren Werke Jahrhunderte überdauert haben. Den Grund für diesen Erfolg trotz des Mankos an Didaktik deutet Fischer selbst an: "Wer Jurist werden will, muss lesen und sprechen lernen, falls er es nicht schon kann. Das einzige Hilfsmittel der Jurisprudenz ist die Sprache . . . Wer nicht klar schreiben kann, der kann auch nicht klar denken."
Das lässt sich dergestalt weiterspinnen, dass mit klaren Gedanken schon fast alles gewonnen ist; die Didaktik stellt sich dann von selbst ein. Was der Autor von der Juristenausbildung hält, wird sich jeder nach dem vorangegangenen Urteil über die akademische Lehre selbst ausmalen können. Nicht juristisches Denken wird gelehrt und in den Examina geprüft, sondern ein Jonglieren mit Meinungen.
Diese Kritik ist nicht völlig zu verwerfen, wenn auch dagegen spricht, dass die Universitäten immerhin zuverlässig die Nachwuchselite der Rechtsberufe produzieren, aber doch zu relativieren: Das Studium des Rechts erfolgt eben sehr oft aus einer Verlegenheit heraus, zumal wenn die Abiturnote für ein Fach mit numerus clausus nicht "reicht". Bei dieser Lage wäre es illusionär, Zustände zu erwarten, wie sie bei der Mathematik als Hauptfach gang und gäbe sein mögen. Man begegnet mancher Aussage von verblüffender Deutlichkeit, so etwa bei der Schilderung der seltsamen Wandlung eines RAF-Rechtsanwalts namens Schily zum Bundesinnenminister, die insbesondere deshalb bemerkenswert sein dürfte, weil eben dieser Anwalt den Antrag gestellt hatte, die Terroristen als Kriegsgefangene zu behandeln.
Auch erfährt man, dass die ersten sechs Generalbundesanwälte sämtlich ehemals Mitglieder der NSDAP waren (teils allerdings in relativer Jugendzeit), und was Buback betrifft, wird die Nummer seines Mitgliedsausweises sogleich mitgeliefert. Auch ein Hinweis auf die braune Vergangenheit des seinerzeit für das Strafrecht zuständigen Unterabteilungsleiters im Bundesjustizministerium, Dreher (der Begründer des von Fischer bearbeiteten Kommentars), fehlt nicht, noch weniger eine Schilderung der von ihm 1968 verschuldeten "Panne" bei einer Gesetzesänderung, die zur Verjährung von Mordbeihilfe aus nationalsozialistischer Zeit führte.
Zwei etwas beckmesserische Feststellungen seien erlaubt. Erstens: Das Reichsgericht hat die Teilnahme an der Tötung eines unehelichen Kindes durch die Mutter in oder gleich nach der Geburt entgegen Fischer nicht nach dem seinerzeit privilegierenden Tatbestand beurteilt, sondern als Teilnahme an einem Mord oder einem Totschlag (für Kenner: RGSt 74, S. 84, 86). Zweitens: Unterlassene Hilfeleistung kann mit höchstens einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet werden; fünf Jahre gibt's dafür nicht. Und schließlich: Fischer schreibt, viele Terroristen seien nicht feige; dem mag man zustimmen. Dann folgt: "Feige ist vielleicht, wer den Führerbunker rechtzeitig vor der Explosion der Aktentasche verlässt." Der Autor hat nicht selten betont eigene Ansichten.
GÜNTHER JAKOBS
Thomas Fischer: "Im Recht". Einlassungen von Deutschlands bekanntestem Strafrichter.
Droemer Verlag, München 2016. 336 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Auf betont eigene Ansichten in Sachen Recht trifft Günther Jakobs in den gesammelten, vormals bei Zeit Online zu lesenden Einlassungen des Strafgesetz-Fachmannes Thomas Fischer. Ob der Autor über Sprachlogik unter Juristen philosophiert oder über die Schwierigkeit, einen Raub zu begehen, nachdenkt - stets spürt der Rezensent einen rechtspolitischen Impetus, so in der Frage der Sterbehilfe oder der Todesstrafe, sowie mitunter deftige Kritik gegen die Juristenausbildung. Auch gegen Otto Schily und den braunen Sumpf in der Generalbundesanwaltschaft wettert Fischer, erklärt Jakobs.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Thomas Fischer, Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe, schreibt in der 'Zeit' regelmäßig in einer Art über Juristisches, die Hausverstand, Wissen, Verständlichkeit, Sarkasmus und Aktualität perfekt verbindet." www.nachrichten.at 20161215
Reflexionen über Strafrecht und Gesellschaft
Thomas Fischer stellt in seinem Buch Facetten des Strafrechts vor und erläutert, wie der Rechtsstaat im Inneren funktioniert. Dabei steht die „Vermittlung von Sachkenntnis“ (8) im Fokus und nicht die Aufarbeitung von …
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Reflexionen über Strafrecht und Gesellschaft
Thomas Fischer stellt in seinem Buch Facetten des Strafrechts vor und erläutert, wie der Rechtsstaat im Inneren funktioniert. Dabei steht die „Vermittlung von Sachkenntnis“ (8) im Fokus und nicht die Aufarbeitung von Justizskandalen. Es handelt sich um ein aufklärendes aber auch kritisches Buch.
Im Vorwort setzt er sich ausführlich mit der Frage auseinander, ob er als Bundesrichter ein Buch über die „praktische Verwirklichung des Rechts“ (9) schreiben darf. Genau diese Perspektive macht das Buch interessant.
Fischer relativiert die Gefahren des islamisch geprägten Terrorismus. Damit setzt er einen Kontrapunkt gegenüber der in Deutschland gefühlten Gefahr durch islamistische Terroristen. Zudem sieht er den Auslöser für Konflikte nicht in den unterschiedlichen Religionen, sondern primär in der Verteilungsungerechtigkeit. (41)
Beim Thema Flüchtlingspolitik fordert der Autor die Leser heraus. Der Beitrag ist provozierend und extrem zynisch. Fischer geht mit der Realpolitik hart ins Gericht, mit seiner Zynik spiegelt er diese. Im Mittelmeer ertrinken jedes Jahr tausende von Flüchtlingen und die berechtigte Frage lautet, wer trägt die Verantwortung?
Fischer begründet, auch anhand der historischen Entwicklung, warum Blasphemie im Zeitalter der Aufklärung kein Straftatbestand sein kann. „Im irdischen Strafrecht geht es nicht um Gott, sondern um die Menschen.“ (104)
Auch hinsichtlich der Bewertung von Verletzungen der Ehre gilt heute ein anderer Maßstab. „Lange Zeit galt die Ehre als das neben dem Leben wichtigste Gut, ihre Verletzung infamer als Raub, Betrug, Diebstahl oder Körperverletzung.“ (117) Heute wird der Anzeigeerstatter von genervten Polizeibeamten nach Hause geschickt.
Fischer geht mit seiner eigenen Zunft, im Hinblick auf die NS-Zeit, hart ins Gericht. „Die deutsche Justiz, bis zum Bundesgerichtshof durchseucht von Nazis, hielt das Strafrecht aus der Aufarbeitung heraus, indem sie die überwältigende Anzahl der eigenhändigen Mörder kurzerhand zu Gehilfen der Haupttäter erklärte.“ (136)
Der Autor beschreibt im Zusammenhang mit Diebstahl und Raub einen gesetzlichen Wirrwarr, der zu unauflösbaren Widersprüchen führt und damit eine Entscheidungsfindung erschwert. Aufschlussreich ist, wie die Justiz mit derartigen Fallkonstellationen umgeht. Sie kommen einfach nicht mehr vor. (182)
Wie entsteht der Wirrwarr in den Gesetzen? Fischer erläutert theoretische Grundlagen der Gesetzgebung und der Anwendung von Gesetzen („Keine Strafe ohne Gesetz“ (195)) und erklärt das schwierige Verhältnis von Ministerialbeamten und Politikern.
Am Beispiel des Sexualstrafrechts erläutert Fischer, wie die Anhörung von Sachverständigen praktisch funktioniert. „Eine Sachverständigen-Anhörung in einem Ausschuss des Deutschen Bundestags hat mit kritischem Sachverstand bloß am Rande und mit objektiver Wissenschaft fast nichts zu tun.“ (204)
Wie wird man Jurist? Fischer plaudert aus dem Nähkästchen über das Studium, über „Erste Prüfung“ und „Zweite Staatsprüfung“ und warum Gespräche zwischen Juristen und anderen Berufsgruppen so schwierig sind. Dabei gilt, anders als in Philosophie und Physik, „Jura ist nicht ein Fach der Welt-Erkenntnis, sondern eines der Lebenswelt-Beherrschung.“ (243)
Thomas Fischer klärt nicht nur über juristische Fragestellungen auf, sondern er klärt weise auf. Der Leser muss nicht seine Meinung vertreten, es bedarf aber intensiver Auseinandersetzung mit den behandelten Themen, seinen Stellungnahmen etwas entgegen zu setzen. Es ist kein staubtrockenes dogmatisches Lehrbuch, sondern ein Buch, welches zu differenziertem Denken anregt. Im Fokus steht nicht das Strafrecht im engeren Sinne, sondern eher die Eingliederung des Rechts in Gesellschaft und Politik.
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