Produktdetails
  • Verlag: Rowohlt, Reinbek
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 532g
  • ISBN-13: 9783498044749
  • ISBN-10: 3498044745
  • Artikelnr.: 08617502
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.2001

Vater spinnt, Mutter spinnt
Herta Müller beschwört die Schrecken der Erwachsenenwelt

Ein wunderschönes Buch. Man glaubt zunächst, ein besonders geschmackvolles Poesiealbum in den Händen zu halten. Doch statt der Glanzbildchen schmücken wundersame kleine Collagen, Scherenschnitte und Schattenrisse die Seiten, und die Texte hat nicht eine ungelenke Kinderhand geschrieben, sondern sie wurden Wort für Wort aus Sprachmaterial zusammengeklebt, das aus Büchern und Zeitungen ausgeschnitten worden ist - als wünsche die Verfasserin unerkannt zu bleiben, weil ihre Botschaft zu gefährlich ist. Doch die poetische Handschrift ist unverkennbar. Herta Müller hat ein bitterböses und tieftrauriges und absurd heiteres Poesiealbum komponiert. Nicht wenige der poetischen Miniaturen aus dem beschädigten Leben, die es enthält, gehören zum Besten, was sie bisher geschrieben hat.

Nur äußerlich schließt Herta Müller dabei an das Verfahren an, das sie in ihrer 1995 in Loseblattform erschienenen Sammlung "Der Wächter nimmt seinen Kamm. Vom Weggehen und Ausscheren" in der Verbindung von Texten mit auf ikonische Zeichen geschrumpften Illustrationen erprobt hat. Die neuen Texte scheinen zumeist aus der Perspektive eines Kindes verfaßt zu sein, das sich den Schrecken der Erwachsenenwelt ausgesetzt sieht; viel ist von der Mutter, mehr noch vom Vater die Rede. Zudem sind die meisten dieser Texte auf eine kunstlos-kunstvolle Weise gereimt wie sonst nur Kindergedichte; es ist, als versuche sich hier jemand einen Reim auf den ungereimten Weltzustand zu machen. "meine liebe Mutter spinnt / hält den Waschtisch für ihr Kind / und mein lieber Vater spinnt / mäht im Garten kahlen Wind / und ich habe mir gedacht / gib gut acht wie man es macht." Kindliche Sozialisation als Einübung in den Irrsinn der Welt, dargebracht in Form eines Abzählverses von einem Ich, das auf der Hut ist, weil es weiß, daß es jederzeit selbst ausgezählt werden könnte.

In diesem Buch ereignen sich vielfache Todesfälle, und keiner davon ist, was man natürlich nennt. Immer werden sie durch die Schrecken der Geschichte motiviert; so in dem Gedicht, dem der Titel entstammt: "im Federhaus wohnt ein Hahn / im Laubhaus die Allee / ein Hase wohnt im Fellhaus / im Wasserhaus ein See / im Eckhaus - die Patrouille / stößt einen vom Balkon dort / über dem Holunder / dann war es wieder Selbstmord / im Papierhaus wohnt die Stellungnahme / im Haarknoten wohnt eine Dame".

Das kommt sehr schlicht daher und ist doch kunstvoll gemacht. Da wird zunächst in vier Versen ein Naturidyll als Bild natürlicher Behaustheit gezeichnet. Erst im fünften Vers kommt die Welt des Menschen mit dem Eckhaus in den Blick, und schon gerät der Vers aus dem Tritt, denn er muß nun von (offenbar) politischem Mord und einem System der Lüge sprechen. Der abschließende Vers "im Haarknoten wohnt eine Dame", der in der Perspektive eines kindlichen Staunens über eine mächtige weibliche Glanzerscheinung geschrieben erscheint, hat danach seine Unschuld verloren, denn auch er zeichnet jene Denaturiertheit der sozialen Rollen nach, ohne welche die Schrecken der Geschichte nicht möglich wären.

Die Welt des Kindes ist vertikal aufgebaut, und an ihrer obersten Spitze regiert ein König, von dem tödlicher Terror ausgeht: "die Sterne am Himmel fahren wie Popcorn / und der König verneigt sich und tötet." Keinem Wort dieses Königs, der poetischen Chiffre für alle Staatsterroristen der Welt, ist zu trauen, und hier kommt nun ein bekanntes Zitat ins Spiel: "mein König sagt nicht ohne Grund / ich liebe euch doch alle".

Das ist nun so oft zitiert worden, daß es kaum noch fürs Kabarett taugt. Es bedarf freilich der poetischen Kraft von Herta Müllers Sprache, um den Schrecken wieder präsent zu machen, den dieses Zitat zu camouflieren suchte: "wo nachts die Drahtlaterne schneit / gleichen sich Sprung und Atemhauch / als läge einer weggeliebt / früh morgens in dem Hundebauch". Wie sich hier zwischen den Reim "Atemhauch" auf "Hundebauch", zwischen Leben und Tod die Wortneuschöpfung "weggeliebt" schiebt: dies sagt mehr über die Realität des Terrors in der Welt solcher Könige, als es jede nüchterne Ideologiekritik könnte.

Es wird allerdings nicht immer gereimt in diesem Buch. Es gibt ein Gedicht, das auf bedrängende Weise gegenwärtig macht, wie die Angst mit "Pfoten der Katze" in die Stirn dringt und sich fortan nicht mehr verdrängen läßt. Dieses Gedicht verweigert die klangharmonische Auflösung im Reim und damit die Illusion, es lasse sich mit einer solchen Angst auf Dauer leben.

Herta Müllers Gedichte bestechen durch die lakonische Prägnanz, mit der sie Tod und Schrecken, Flucht und Heimweh in trennscharfe poetische Bilder bannen. Jedes dieser 97 Gedichte hat seinen eigenen Ton. Sie sind manchmal liedhaft leicht und manchmal rätselhaft verspielt, und wenn etwas die Texte miteinander verbindet, so ist es das Fehlen jeglicher Larmoyanz und der Gestus rhetorischer Anklage. Gleichsam achselzuckend sagen sie "Das ist so" und sagen gerade damit, daß es so nicht sein sollte. Und ganz selten nur ist in diesen traurigschönen subversiven Versen von der Liebe die Rede: "Wechselstuben in den Brüsten / Äpfel Birnen Fallobst dran / wenn wir uns jetzt lieben müßten / finge ich zu rascheln an." Es bedarf schon großer Kunst, um sich mit so leichter Hand einen Reim auf ungereimte Befindlichkeiten machen zu können.

ERNST OSTERKAMP

Herta Müller: "Im Haarknoten wohnt eine Dame". Rowohlt Verlag, Reinbek 2000. 208 S., 100 Abb., geb., 58,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Angelika Overath skizziert in einer sehr liebevollen Rezension zunächst die Situation der rumäniendeutschen Schriftstellerin, die unter Ceaucescu die traumatische Erfahrung der Diktatur und Ausgrenzung machte. Deutsch war dabei in gewisser Hinsicht "ihre Sprache, ohne ihre Sprache zu sein". Aus dieser Grunderfahrung erklärt sich für Overath die Machart der Gedichte im vorliegenden Band. Irgendwie war Müller auch in Rumänien an den "Spiegel" gekommen. Sie schnitt Wörter aus dem Magazin aus, um sie auf Postkarten, die sie an Freunde sandte, neu zusammenzukleben. Sie nutzte also, wenn man Overath folgt, das metaphorische Instrument der Zensur, die Schere, um Neues zu schaffen und sich "ihre" Sprache anzueignen. Overath fällt dabei auf, wie oft die so geschnittenen und geklebten Gedichte an Abzähl- und Kinderreime erinnerten, die dann aber immer wieder ins Finstere und Rätselhafte umzuschlagen. Ein "seltenes, ein atemberaubend schönes Buch", findet Overath.

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