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?Der Bestand an festen fragwürdigen Meinungen, die Sachzwänge und altehrwürdigen Hüte sind in dieser Zeit nicht weniger geworden. Das Nachdenken darüber trifft sich bei Bichsel mit der Lust am Unterscheiden. Siegreiche Weihnachtsfeste und andere Feste, die schon im voraus mißlingen, Buddhas Küchenuhr oder auch die Seele eines Kalifen, bewaffnete Kindergärtler und der Glaube, daß legal Handeln und moralisch Handeln dasselbe sei: so höflich der Ton, so böse der Punkt, den Peter Bichsel mit seinen Fragen setzt. Ärger damit hat er genug und täglich wieder.?

Produktbeschreibung
?Der Bestand an festen fragwürdigen Meinungen, die Sachzwänge und altehrwürdigen Hüte sind in dieser Zeit nicht weniger geworden. Das Nachdenken darüber trifft sich bei Bichsel mit der Lust am Unterscheiden. Siegreiche Weihnachtsfeste und andere Feste, die schon im voraus mißlingen, Buddhas Küchenuhr oder auch die Seele eines Kalifen, bewaffnete Kindergärtler und der Glaube, daß legal Handeln und moralisch Handeln dasselbe sei: so höflich der Ton, so böse der Punkt, den Peter Bichsel mit seinen Fragen setzt. Ärger damit hat er genug und täglich wieder.?
Autorenporträt
Bichsel, Peter
Peter Bichsel wurde am 24. März 1935 in Luzern geboren und wuchs als Sohn eines Handwerkers ab 1941 in Olten auf. Am Lehrerseminar in Solothurn ließ er sich zum Primarlehrer ausbilden. 1956 heiratete er die Schauspielerin Therese Spörri (gest. 2005). Er ist Vater einer Tochter und eines Sohnes. Bis 1968 (und ein letztes Mal 1973) arbeitete er als Primarlehrer. 1964 wurde er mit seinen Kurzgeschichten in Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen auf einen Schlag bekannt; die Gruppe 47 nahm ihn begeistert auf und verlieh ihm 1965 ihren Literaturpreis. Zwischen 1974 und 1981 war er als persönlicher Berater für Bundesrat Willi Ritschard tätig, mit dem er befreundet war. Mit dem Schriftsteller Max Frisch war er bis zu dessen Tod 1991 eng befreundet. Er ist seit 1985 Mitglied der Akademie der Künste in Berlin und korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Bichsel lebt in Bellach bei Solothurn.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.02.1995

Blicke in einen angelaufenen Rückspiegel
Kein Ende des historischen Romans: André Brink und Angelika Mechtel machen weiter Von Gerhard Schulz

Was eigentlich erzählt der historische Roman? Erzählt er eine Vergangenheit um ihrer selbst willen, damit wir mehr über sie erfahren oder aber in sie fliehen dürfen? Ist er vielmehr Maske, hinter der sich Gegenwart verbirgt, die unverhüllt darzustellen man nicht wagen könnte? Gibt er von beidem, oder ist am Ende nichts als trivialer Gesang zwischen Stühlen?

Jüngst sind zwei historische Romane erschienen - ein deutscher und ein südafrikanischer -, die beide im Jahre 1734 beginnen und ein paar Jahre später enden. Daß Angelika Mechtel, die Deutsche, und André Brink, der Südafrikaner, von ihren Mühen um das gleiche Stückchen Zeit gewußt haben, ist wohl ebenso unwahrscheinlich wie die Bekanntschaft der zwei Helden miteinander, der deutschen Theaterprinzipalin Friederike Caroline Neuber mit Estienne Barbier, dem Landsknecht und Abenteurer auf der Suche nach der ehemaligen Sklavin Rosette und nach Monomotapa, der goldenen Stadt irgendwo im Inneren Afrikas. Eine Gemeinsamkeit gibt es dennoch: Die Geschichte beider Hauptfiguren wird uns von deren Todesstunde her berichtet. Aber der Blick in den Rückspiegel ist Handwerk, gern geübt im historischen Roman um der Perspektiven willen, genau wie uns bei einem Bilde der verwitterte Baum im Vordergrund erst die Tiefe der Landschaft und Höhe der Berge lebhaft empfinden läßt.

Von Handwerk scheint sonst allerdings auf den ersten Blick wenig spürbar in den dreihundertzwei Kapiteln von Brinks Buch. Munter fabuliert da der weltlustige Franzose Barbier, der der Last von Frau und Kindern in Holland entweicht und sich als Soldat in den Dienst der Niederländisch-Ostindischen Kompanie begibt, um seinen Träumen nachzujagen, und der schließlich in der südafrikanischen Kolonie mehr Witwen tröstet, als es dort je Ehemänner gegeben haben kann. Aber der Weg in die Träume führt durch die Wirklichkeit, und mit der steht es übel in einer Kolonie, wie man sich denken kann. Korruption vom Gouverneur bis zum kleinen Leutnant, das Recht biegsam wie eine Weidenrute, blanke Gewalt, wenn einer aufmuckt, und die Eingeborenen wertloser als das Viehzeug rundum, mißbraucht, mißhandelt oder einfach niedergemetzelt. Barbier, in Hinsicht auf Frauen ein loser Vogel und selbst an manchen Missetaten weißer Macht im Schwarzen Erdteil aktiv beteiligt, ist dennoch so etwas wie eine ehrliche Haut und wandelt sich schließlich gar zum guten Menschen von Kapstadt, wofür ihm leider nach Buchesende die Exekution blühen wird. Denn nicht nur hat er Rosette, der schwarzen Sklavin mit den "blassen, ockerfarbenen" Brüsten, die Fußfesseln gelöst und ihr die Flucht in die Freiheit ermöglicht, nachdem er sie erst einmal schlimm traktierte. Er hat auch unter den Farmern eine regelrechte Revolte angezettelt gegen die Zentralgewalt der Kompanie.

Im übrigen wetteifern Autor und Held miteinander im Felde der Phantasie. Fabeltiere wie Einhorn und Hippogryph laufen Barbier über seinen Weg ins Innere des Kontinents, und seine ständige Begleiterin wie freundliche Ratgeberin in allen Lebenslagen ist niemand anderes als Jeanne d'Arc, die heilige Johanna aus dem heimatlichen Orleans, die ihre neue Rolle über die Zeiten hinweg amüsant und klug zu spielen versteht. Sie hebt er gelegentlich aufs Pferd, und mit ihr und seinen Kumpanen sitzt er nachts am Lagerfeuer. Mit Rosette, der Sklavin, ist es schwieriger, denn ihre fortgesetzte Beschwörung als Adressatin des Erzählten mutet eher wie eine Beschwörung der Leser durch den Autor an: Bitte glaubt, daß es sie gibt. Aber wir sehen für solchen Glauben zu wenig von ihr, und mehr und mehr entwickelt sie sich zu einer Art narrativer Briefkastenfirma.

Ganz und gar bleibt die Phantasie auf der Strecke bei dem dritten Gefährten des Helden, bei Don Quijote aus la Mancha, den Barbier zwischen zwei Buchdeckeln bei sich trägt. Man kann den alten Eingeborenen verstehen, der ihm zuletzt rät, sich von solcher Bürde zu trennen. Hier wird tatsächlich Literatur zu Literatur und um ihrer selbst willen auf Kosten der Magie des Phantasierens produziert. Die Winke sind allzudeutlich, soll doch auch Barbiers Geschichte so etwas wie ein Schelmenroman sein, der die gleichen "Zauberkräfte" besitzt wie jenes Stück Weltliteratur, das in der Weite Afrikas schließlich den Besitzer wechselt. Aber der Ritter von der traurigen Gestalt ist diesem gewitzten Glücksritter zu unähnlich, als daß die Identifikation gelingen könnte. Und bei den in die Erzählung verwobenen Reflexionen über Schreiben und Lügen, über Sprache als Gewalt und darüber, daß jedes Leben ein Schreiben sei, hat der Literaturprofessor André Brink das Wort, dessen begleitender Schelm dann Jacques Derrida heißt, dem er tatsächlich im Nachwort dankt.

So endete diese brillant entworfene und ebenso spannend wie intelligent fortgeführte Geschichte ein wenig blaß mit einer Apotheose des zum zuverlässig Guten gewandelten Abenteurers. Die Katharsis ist von geradezu Schillerscher Güte, bekennt doch ähnlich wie Maria Stuart auch dieser Sünder hier: "Sie haben mich für das, was ich getan habe, zum Tode verurteilt. Ich akzeptiere dieses Urteil nun für das, was ich nicht getan habe, was ich versäumt habe." Es ist seine "Verantwortung" für Rosette, "für alle, die gefesselt bleiben". Mit dieser ein wenig grobkörnigen politischen Korrektheit klingt das Buch aus, wobei allerdings die Frage entsteht, ob wir anders urteilen würden, wenn sich seit seinem Erscheinen die Dinge in Südafrika nicht grundlegend geändert hätten und statt dessen die Fronten noch bestünden, die diese Apotheose durchbrechen soll.

Von Estienne Barbier gibt es nach Auskunft seines Autors nur dürftige historische Zeugnisse, was der Erfindungslust freien Spielraum läßt. Mit der Neuberin, die in jedem Lexikon und jeder Literaturgeschichte zu finden ist, steht es anders. Die Stationen ihres Lebens - Leipzig, Kiel, Frankfurt, Straßburg, Hamburg, Petersburg, Dresden - sind vorgegeben und ebenso die Menschen ihres Lebenskreises: Gottsched und die Gottschedin, Bach, Gellert, Lessing, Ekhof. Man weiß eine Menge über sie allesamt, so daß der Phantasie strenge Zügel angelegt sind und mithin auch der Fabulierlust. So bunt und abenteuerlich wie bei Brink also kann es hier nicht zugehen, und da sich eine Sterbende erinnert, geht es vorwiegend auch ernsthaft zu.

Bei derart engen Schranken für die Einfallskraft fragt sich nun allerdings, was der Roman überhaupt zu bieten hat außer historischem Anschauungsunterricht, also der Vergangenheit um ihrer selbst willen, und worin er sich von der Biographie unterscheidet, die an die Tatsachen gebunden ist, wie immer diese auch interpretiert werden mögen. Die Antwort bei Angelika Mechtel liegt auf der Hand: Eine Frau schreibt über das Leben einer anderen Frau, und die ferne Zeit spiegelt Gleiches oder erweist Ungleiches. Das mag ein wenig angsteinflößend klingen, und das drohende "Sisterhood is powerful" der Feministinnen flackert als Signallampe für schlechte Literatur auf. Aber nein, sie verlöscht ganz rasch wieder in diesem Buch, das kein Pamphlet geworden ist, ebensowenig wie ein Stück trockener Geschichtserzählung. Äußere Umstände und innere Motivationen werden in ein fein ausbalanciertes Verhältnis zueinander gesetzt, und scheinbar Sensationelles wie die berühmte Vertreibung des Harlekins vor dem Grimmaischen Tor in Leipzig wird ebendieses Sensationellen entkleidet und in seinen historischen Relativitäten anschaulich vorgeführt.

Viel erzählt Mechtel aus dem Inneren ihrer Hauptgestalt heraus. Entgegen aller Wucht der Literaturgeschichte, die auf diesem Stoff liegt, sind es deshalb besonders Episoden wie das zarte Verhältnis von Friederike Caroline Neuber, der Neuberin, zum schleswig-holsteinischen Herzog Carl Friedrich, die Tage auf Schloß Hubertusburg oder der einsame Tod in Laubegast, die lang und nachdrücklich in Erinnerung bleiben. Und auch eine Art Jeanne d'Arc ist der Neuberin beigegeben mit jenem Findling, der Hans Leipzig heißt, weil er ihr an einem "heißen Julinachmittag" des Jahres 1734 - ein Vierteljahr vor der Ankunft des Estienne Barbier am Kap der Guten Hoffnung - in dieser Stadt zuläuft, das Kind ersetzt, das sie nie haben konnte, und ihr letzter Vertrauter wird. Schade nur, daß gerade Lessing nicht lebendig wird und als Person kein rechtes Profil erhält. Denn eben mit der Aufführung seines "Jungen Gelehrten" leitete die Neuberin ja, wie es in einer biographischen Notiz am Ende heißt, "eine deutsche Theatertradition ein, die bis in unsere Gegenwart hineinreicht".

Insgesamt versucht Angelika Mechtel, ein differenziertes Bild der deutschen Welt des achtzehnten Jahrhunderts zu zeichnen, denn unvergleichlich differenzierter, reicher, ja humaner als eine holländische Kolonie war diese Welt trotz ihrer strengen Standesordnung nun allerdings. Natürlich muß die Rede sein von Macht und Vorurteilen der Höfe wie der bürgerlichen Männerwelt, von den unermeßlichen Schwierigkeiten, die eine Frau hatte, sich darin zu behaupten, von Korruption und Intrigen, aber ebenso von den allzeitigen Hoffnungen und Enttäuschungen, vom Wunsch nach vorbehaltloser Liebe und von dem Gefühl, schließlich doch allein zu sein. Eine Apotheose bleibt uns erspart, für die jedoch auch kein kontemporäres Bedürfnis bestehen dürfte.

Was, alles in allem, erzählt der historische Roman nun wirklich? Die Vergangenheit? Die Geschichte einer Frau, die ihren "Gefühlen ein Leben lang die Zartheit und Sanftheit" zu verbieten suchte und "die Seele unter Verschluß" nahm, dergleichen bereut und in den letzten Minuten dann doch sagt: "Sie brauchte niemanden, der ihre Hand hält."? Erzählt er von der Ordnung der Dinge oder der immer wieder neuen Unordnung des Lebens? Da wird sich wohl jeder das heraussuchen müssen, was ihm gemäß erscheint. Daß beide Bücher genug dafür hergeben, ist sowohl zu ihrem Lob wie zu dem des historischen Romans überhaupt zu sagen.

André Brink: "Im Gegenteil". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Hans Hermann. Verlag Volk und Welt, Berlin 1994.

480 S., geb., 49,- DM.

Angelika Mechtel: "Die Prinzipalin". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1994.

312 S., geb., 39,80 DM.

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