»Ein anregendes und vielseitiges Buch, in dem Wissenschafts- und Zeitgeschichte zusammenfließen.« (Manuela Lenzen, FAZ) Damion Searls faszinierende Mischung aus Biografie und Kulturgeschichte, basierend auf unveröffentlichten Briefen, Tagebuchaufzeichnungen und einen Fundus von bisher nicht bekannten Interviews mit Familie, Freunden und Kollegen, erzählt zum ersten Mal die Geschichte Hermann Rorschachs und seines emblematischen Tests.
Rorschach, ein Schüler C.G. Jungs, arbeitet in einer abgelegenen Klinik in den Schweizer Bergen als Psychiater, ist aber auch interessiert an den aktuellen künstlerischen Bewegungen seiner Zeit. Er ist davon überzeugt, was uns ausmacht, ist weniger, was wir sagen, sondern was wir sehen. 1917 entwickelt er, basierend auf dieser Annahme einen Test: einen Satz von zehn sorgfältig gestalteten Tintenklecksbildern, um die Persönlichkeit des Betrachters auszuloten.
Rorschach starb im Alter von nur 37 Jahren - den weltweiten Siegeszug seines Tests hat er nicht mehr erlebt. Nach Pearl Harbour wurde der Rorschach-Test als Eignungstest für die US-Army eingeführt, in den Nürnberger Prozessen ebenso angewandt wie im Dschungel von Vietnam. Nicht unumstritten wird er bis heute in vielen Ländern eingesetzt. Auch kulturell hat der Test seine Spuren hinterlassen: Ob Werbung, Hollywoodfilm oder Andy Warhol - an dem ikonenhaften Test kam niemand vorbei.
Ausstattung: 16 Seiten farbiger Bildtteil
Rorschach, ein Schüler C.G. Jungs, arbeitet in einer abgelegenen Klinik in den Schweizer Bergen als Psychiater, ist aber auch interessiert an den aktuellen künstlerischen Bewegungen seiner Zeit. Er ist davon überzeugt, was uns ausmacht, ist weniger, was wir sagen, sondern was wir sehen. 1917 entwickelt er, basierend auf dieser Annahme einen Test: einen Satz von zehn sorgfältig gestalteten Tintenklecksbildern, um die Persönlichkeit des Betrachters auszuloten.
Rorschach starb im Alter von nur 37 Jahren - den weltweiten Siegeszug seines Tests hat er nicht mehr erlebt. Nach Pearl Harbour wurde der Rorschach-Test als Eignungstest für die US-Army eingeführt, in den Nürnberger Prozessen ebenso angewandt wie im Dschungel von Vietnam. Nicht unumstritten wird er bis heute in vielen Ländern eingesetzt. Auch kulturell hat der Test seine Spuren hinterlassen: Ob Werbung, Hollywoodfilm oder Andy Warhol - an dem ikonenhaften Test kam niemand vorbei.
Ausstattung: 16 Seiten farbiger Bildtteil
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2019Die Klecksereien der Psychiater
Einfach nur sagen, was da zu sehen ist: Damion Searls schreibt eine Geschichte von Hermann Rorschach und seinem bis in die Alltagssprache vorgedrungenen Persönlichkeitstest.
In der Schule nannten sie ihn Klex. Eine Fügung des Schicksals, fast zu schön, um wahr zu sein, schreibt sein Biograph. Denn Klex, alias Hermann Rorschach, sollte mit Tintenklecksen berühmt werden. Als die moderne Psychiatrie sich gerade zu etablieren begann, entwickelte der 1884 in Zürich geborene Schüler Carl Gustav Jung einen Persönlichkeitstest, der bis heute Verwendung findet. Seine Grundlage sind die "Tintenkleckse": uneindeutige symmetrische Bilder, wie sie entstehen, wenn man ein Blatt mit einem frischen Tintenklecks zusammenfaltet.
Der Autor und Übersetzer Damion Searls kannte, wie er berichtet, den Namen "Rorschachtest" erst einmal nur als Metapher - sowohl Hillary Clinton als auch Barack Obama hatten sich in ihren Wahlkämpfen selbst so bezeichnet. Er suchte nach dem Ursprung des ihm seltsam erscheinenden Wortes, begeisterte sich für die Tintenkleckse und unterzog sich selbst einem Rorschachtest. Nun hat er eine "Doppelbiographie" verfasst, diejenige Hermann Rorschachs und die seines Testverfahrens. Herausgekommen ist dabei ein anregendes und vielseitiges Buch, in dem Wissenschafts- und Zeitgeschichte zusammenfließen.
Mit dem Rorschachtest versuchten Psychologen das Innenleben der 1945 auf ihren Prozess wartenden Nazigrößen auszuloten, amerikanische Soldaten, die Kampfpiloten werden wollten, hatten ihn als Eignungsprüfung zu absolvieren, und Abgesandte des Pentagon testeten im kriegsgeschundenen Vietnam einheimische Bauern, um "der vietnamesischen Psyche" auf die Spur zu kommen. Bis heute ist der Rorschachtest, immer wieder modifiziert, kritisiert und überprüft, in den Vereinigten Staaten bei Gericht zugelassen, auch wenn andere Testverfahren ihm längst den Rang abgelaufen haben. Die von Rorschach sorgfältig komponierten Tintenkleckse faszinieren bis heute, der Leser kann sie auf einigen Farbtafeln in Augenschein nehmen.
Ihren Anfang nahm die Geschichte der Tintenkleckse, als der siebzehnjährige Rorschach, Sohn eines Zeichenlehrers, seinen Mut zusammennahm und den berühmten Biologen Ernst Haeckel um Rat in Sachen Berufsentscheidung bat: Lehrer werden, Wissenschaftler oder Künstler? Haeckel riet zur Wissenschaft, und Rorschach begann, in Zürich Medizin zu studieren, mit dem ehrgeizigen Ziel, die menschliche Seele zu verstehen. Er verdiente sich ein Zubrot mit dem Entwerfen von Theaterplakaten und schleppte seine Freunde in Museen, um sie nach der Wirkung von Kunstwerken zu fragen. Auf der Basis ihrer Antworten begann er eine Klassifikation der Menschen, im Rückblick ein erster Schritt in Richtung Rorschachtest.
Rorschachs Kariere fiel in die große Aufbruchszeit der Psychiatrie. Erstmals zeichneten sich Therapien ab, die den Namen verdienten. "Psychopathologen", die sich für das Seelenleben, und "Psychophysiker", die sich für das Gehirn interessierten, prägten die Debatte. Therapien fanden in überfüllten Universitätsspitälern oder kleinen Privatkliniken berühmter Ärzte statt. Rorschach fand sich nach Zwischenstationen eine Zeitlang am Burghözli wieder, einer Klinik am Rande von Zürich, in der auch Jung arbeitete. Searls vermittelt einen lebhaften Eindruck vom Leben der jungen Ärzte, die in einem großen Schlafsaal zu nächtigen hatten, Sex und Alkohol waren tabu.
Schon vor Rorschach benutzten Psychiater Tintenkleckse, um die Vorstellungskraft ihrer Patienten zu messen. Doch erst Rorschach machte daraus eine Methode, die das Unbewusste hervorlocken sollte. "Was sehen Sie?", war die einzige Frage, die er den Patienten stellte, wenn er ihnen die Tintenkleckse zeigte. Mit Hilfe einer subtilen Klassifikation und Verrechnung der Antworten zog er dann aus den gegebenen Antworten seine Schlüsse auf das psychische Innenleben der Patienten. Rorschach, so betont Searls, hat mit seinem Test zwischen all den sprachzentrierten Ansätzen seiner Zeit die Bedeutung des Visuellen hervorgehoben. Er sei überzeugt gewesen, dass man zwar kontrollieren könne, was man sage, aber nicht, was man sehe.
Searls folgt seinem Protagonisten nach Frankreich und Russland, für das sich Rorschach begeisterte, berichtet von der wachsenden Familie, den beruflichen Stationen und dem langsam, aber stetig steigenden Interesse der Zunft an seinem Testverfahren. So plätschert die Biographie dahin, bis Rorschach eines Morgens, er ist siebenunddreißig, mit Bauchschmerzen aufwacht. Eine Woche später ist er tot, Blinddarmdurchbruch. Ganze vier Zeilen braucht Searls für das Ende seines Helden.
Die Doppelbiographie ist da erst zur Hälfte geschrieben, der zweite Teil zeichnet die Karriere des Rorschachtests zum "Stethoskop der Psychiater" nach. Modifikationen des Tests und Streit um seine Interpretation blieben dabei ebenso wenig aus wie Kritik an seiner Wissenschaftlichkeit. Schon in den sechziger Jahren versuchte man den Test methodisch zu verbessern, indem man ihn von einem Computerprogramm auswerten ließ. Später wurde er mit anderen Testverfahren kombiniert, die sich gegenseitig bestätigen oder relativieren sollten. Obwohl die Profession versuchte, die verwendeten Tintenkleckse geheim zu halten, damit die Diagnose nicht von Vorkenntnissen beeinflusst würde, hatte der Rorschachtest es da längst in die Popkultur geschafft, beschäftigte Andy Warhol ebenso wie Werbegrafiker. Bis heute findet man die Rorschach-Kleckse auf T-Shirts und Kaffeetassen, in Filmen, Zeitschriften und natürlich im Internet.
Wirkt die zu Beginn des Buches formulierte Warnung, man möge davon absehen, sich mit Hilfe der Tintenkleckse selbst analysieren zu wollen, ein wenig steif, hat man nach der Lektüre verstanden, dass sie in der Tat nur einen Teil eines komplexen Prozesses zwischen Arzt und Patient ausmachen können, die Auswertung der Reaktionen alles andere als trivial ist und sich sicher nicht mit einem Computerprogramm erledigen lässt. Die Geschichte des Rorschachtests ist auch eine Geschichte der Ambition, den Menschen objektiv durchleuchten zu wollen - und ihres Scheiterns. Für deutsche Leser hätte man sich ein Kapitel über die Bedeutung des Rorschachtests hierzulande gewünscht. Aber auch so erzählt die Doppelbiographie ein aufschlussreiches Stück Wissenschaftsgeschichte.
MANUELA LENZEN
Damion Searls: "Im Auge des Betrachters". Hermann Rorschach und sein bahnbrechender Test.
Aus dem Englischen von Harald Stadler. btb Verlag, München 2019. 608 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Einfach nur sagen, was da zu sehen ist: Damion Searls schreibt eine Geschichte von Hermann Rorschach und seinem bis in die Alltagssprache vorgedrungenen Persönlichkeitstest.
In der Schule nannten sie ihn Klex. Eine Fügung des Schicksals, fast zu schön, um wahr zu sein, schreibt sein Biograph. Denn Klex, alias Hermann Rorschach, sollte mit Tintenklecksen berühmt werden. Als die moderne Psychiatrie sich gerade zu etablieren begann, entwickelte der 1884 in Zürich geborene Schüler Carl Gustav Jung einen Persönlichkeitstest, der bis heute Verwendung findet. Seine Grundlage sind die "Tintenkleckse": uneindeutige symmetrische Bilder, wie sie entstehen, wenn man ein Blatt mit einem frischen Tintenklecks zusammenfaltet.
Der Autor und Übersetzer Damion Searls kannte, wie er berichtet, den Namen "Rorschachtest" erst einmal nur als Metapher - sowohl Hillary Clinton als auch Barack Obama hatten sich in ihren Wahlkämpfen selbst so bezeichnet. Er suchte nach dem Ursprung des ihm seltsam erscheinenden Wortes, begeisterte sich für die Tintenkleckse und unterzog sich selbst einem Rorschachtest. Nun hat er eine "Doppelbiographie" verfasst, diejenige Hermann Rorschachs und die seines Testverfahrens. Herausgekommen ist dabei ein anregendes und vielseitiges Buch, in dem Wissenschafts- und Zeitgeschichte zusammenfließen.
Mit dem Rorschachtest versuchten Psychologen das Innenleben der 1945 auf ihren Prozess wartenden Nazigrößen auszuloten, amerikanische Soldaten, die Kampfpiloten werden wollten, hatten ihn als Eignungsprüfung zu absolvieren, und Abgesandte des Pentagon testeten im kriegsgeschundenen Vietnam einheimische Bauern, um "der vietnamesischen Psyche" auf die Spur zu kommen. Bis heute ist der Rorschachtest, immer wieder modifiziert, kritisiert und überprüft, in den Vereinigten Staaten bei Gericht zugelassen, auch wenn andere Testverfahren ihm längst den Rang abgelaufen haben. Die von Rorschach sorgfältig komponierten Tintenkleckse faszinieren bis heute, der Leser kann sie auf einigen Farbtafeln in Augenschein nehmen.
Ihren Anfang nahm die Geschichte der Tintenkleckse, als der siebzehnjährige Rorschach, Sohn eines Zeichenlehrers, seinen Mut zusammennahm und den berühmten Biologen Ernst Haeckel um Rat in Sachen Berufsentscheidung bat: Lehrer werden, Wissenschaftler oder Künstler? Haeckel riet zur Wissenschaft, und Rorschach begann, in Zürich Medizin zu studieren, mit dem ehrgeizigen Ziel, die menschliche Seele zu verstehen. Er verdiente sich ein Zubrot mit dem Entwerfen von Theaterplakaten und schleppte seine Freunde in Museen, um sie nach der Wirkung von Kunstwerken zu fragen. Auf der Basis ihrer Antworten begann er eine Klassifikation der Menschen, im Rückblick ein erster Schritt in Richtung Rorschachtest.
Rorschachs Kariere fiel in die große Aufbruchszeit der Psychiatrie. Erstmals zeichneten sich Therapien ab, die den Namen verdienten. "Psychopathologen", die sich für das Seelenleben, und "Psychophysiker", die sich für das Gehirn interessierten, prägten die Debatte. Therapien fanden in überfüllten Universitätsspitälern oder kleinen Privatkliniken berühmter Ärzte statt. Rorschach fand sich nach Zwischenstationen eine Zeitlang am Burghözli wieder, einer Klinik am Rande von Zürich, in der auch Jung arbeitete. Searls vermittelt einen lebhaften Eindruck vom Leben der jungen Ärzte, die in einem großen Schlafsaal zu nächtigen hatten, Sex und Alkohol waren tabu.
Schon vor Rorschach benutzten Psychiater Tintenkleckse, um die Vorstellungskraft ihrer Patienten zu messen. Doch erst Rorschach machte daraus eine Methode, die das Unbewusste hervorlocken sollte. "Was sehen Sie?", war die einzige Frage, die er den Patienten stellte, wenn er ihnen die Tintenkleckse zeigte. Mit Hilfe einer subtilen Klassifikation und Verrechnung der Antworten zog er dann aus den gegebenen Antworten seine Schlüsse auf das psychische Innenleben der Patienten. Rorschach, so betont Searls, hat mit seinem Test zwischen all den sprachzentrierten Ansätzen seiner Zeit die Bedeutung des Visuellen hervorgehoben. Er sei überzeugt gewesen, dass man zwar kontrollieren könne, was man sage, aber nicht, was man sehe.
Searls folgt seinem Protagonisten nach Frankreich und Russland, für das sich Rorschach begeisterte, berichtet von der wachsenden Familie, den beruflichen Stationen und dem langsam, aber stetig steigenden Interesse der Zunft an seinem Testverfahren. So plätschert die Biographie dahin, bis Rorschach eines Morgens, er ist siebenunddreißig, mit Bauchschmerzen aufwacht. Eine Woche später ist er tot, Blinddarmdurchbruch. Ganze vier Zeilen braucht Searls für das Ende seines Helden.
Die Doppelbiographie ist da erst zur Hälfte geschrieben, der zweite Teil zeichnet die Karriere des Rorschachtests zum "Stethoskop der Psychiater" nach. Modifikationen des Tests und Streit um seine Interpretation blieben dabei ebenso wenig aus wie Kritik an seiner Wissenschaftlichkeit. Schon in den sechziger Jahren versuchte man den Test methodisch zu verbessern, indem man ihn von einem Computerprogramm auswerten ließ. Später wurde er mit anderen Testverfahren kombiniert, die sich gegenseitig bestätigen oder relativieren sollten. Obwohl die Profession versuchte, die verwendeten Tintenkleckse geheim zu halten, damit die Diagnose nicht von Vorkenntnissen beeinflusst würde, hatte der Rorschachtest es da längst in die Popkultur geschafft, beschäftigte Andy Warhol ebenso wie Werbegrafiker. Bis heute findet man die Rorschach-Kleckse auf T-Shirts und Kaffeetassen, in Filmen, Zeitschriften und natürlich im Internet.
Wirkt die zu Beginn des Buches formulierte Warnung, man möge davon absehen, sich mit Hilfe der Tintenkleckse selbst analysieren zu wollen, ein wenig steif, hat man nach der Lektüre verstanden, dass sie in der Tat nur einen Teil eines komplexen Prozesses zwischen Arzt und Patient ausmachen können, die Auswertung der Reaktionen alles andere als trivial ist und sich sicher nicht mit einem Computerprogramm erledigen lässt. Die Geschichte des Rorschachtests ist auch eine Geschichte der Ambition, den Menschen objektiv durchleuchten zu wollen - und ihres Scheiterns. Für deutsche Leser hätte man sich ein Kapitel über die Bedeutung des Rorschachtests hierzulande gewünscht. Aber auch so erzählt die Doppelbiographie ein aufschlussreiches Stück Wissenschaftsgeschichte.
MANUELA LENZEN
Damion Searls: "Im Auge des Betrachters". Hermann Rorschach und sein bahnbrechender Test.
Aus dem Englischen von Harald Stadler. btb Verlag, München 2019. 608 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Dieses Buch wird mit Sicherheit ein Standardwerk werden.« Deirdre Bair