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Die Journalistin und Autorin Ruth-Esther Geiger hat junge begabte Migranten in ganz Deutschland besucht und dabei ihr Schicksal, ihre Familienverhältnisse und ihr besonderes Engagement kennengelernt. Die vorgestellten Jugendlichen wollen mit ihren hohen schulischen Leistungen und ihrer fast selbstverständlichen sozialen Einsatzfreude Teil eines neuen, wie sie es sehen, multikulturellen Deutschlands sein. Die einen nehmen schon an internationalen wissenschaftlichen Wettbewerben teil, andere arbeiten in den Ferien z. B. mit behinderten Kindern. Eine Schülerin hat mit 18 Jahren mit einem jungen…mehr

Produktbeschreibung
Die Journalistin und Autorin Ruth-Esther Geiger hat junge begabte Migranten in ganz Deutschland besucht und dabei ihr Schicksal, ihre Familienverhältnisse und ihr besonderes Engagement kennengelernt. Die vorgestellten Jugendlichen wollen mit ihren hohen schulischen Leistungen und ihrer fast selbstverständlichen sozialen Einsatzfreude Teil eines neuen, wie sie es sehen, multikulturellen Deutschlands sein. Die einen nehmen schon an internationalen wissenschaftlichen Wettbewerben teil, andere arbeiten in den Ferien z. B. mit behinderten Kindern. Eine Schülerin hat mit 18 Jahren mit einem jungen Deutschen zusammen, parallel zur 12. Klasse, ein deutsch-türkisches Restaurant gegründet. In reportagehaft angelegten Porträts lernt der Leser die Innen- und Außenwelt von 20 jungen Menschen kennen, die, oft mit ihren Ressourcen unerkannt, in unserer Mitte leben: Mit welcher Flucht-, Familien-, Verfolgungsgeschichte, mit welcher Förderung, welche Hindernisse überwindend sind sie so weit gekommen? Wie sehen ihre Pläne für die Zukunft aus?
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.11.2008

Integration kann gelingen
Die positiven Erfahrungen mit jungen Migranten
Wir haben uns daran gewöhnt, die fehlgeschlagene Integration der Einwanderer für normal zu halten. Wer fällt bei der Polizei negativ auf? Einwandererkinder. Wer bricht in großer Zahl die Schule ab? Einwandererkinder. Wer ist auf dem nachschulischen Arbeitsmarkt schwer vermittelbar? Einwandererkinder. Wer nimmt am Schwimmunterricht nicht teil? Einwanderermädchen. Wer ist besonders häufig in Prügeleien verwickelt? Einwanderkinder. „Mehmet” steht für aus dem Ruder gelaufene Einwandererjungen. Und doch gibt es Erfolge bei der Integration von Kindern aus Afghanistan, der Türkei, der ehemaligen Sowjetunion, dem Kosovo oder Ländern Schwarzafrikas. Das Buch „Ihr seid Deutschland, wir auch” von Ruth-Esther Geiger erzählt die Geschichten von 14 Jungen und Mädchen, die es geschafft haben.
Geschafft haben es diese Jugendlichen auch, weil sich das „Start”-Schülerstipendienprogramm der Hertie-Stiftung seit 2002 das Ziel setzt, begabte Zuwandererkinder zu fördern. Aus dem einst mit 20 Stipendiaten begonnenen vorbildlichen Projekt ist eine Bewegung geworden. Gegenwärtig kommen 600 Schüler in den Genuss der Stipendien, die nicht nur Taschengeld und Computer beinhalten, sondern auch Seminare, die in den einzelnen Bundesländern für die Fortbildung der Jugendlichen und den Zusammenhalt zwischen ihnen sorgen sollen.
Ewiges Kaffeetrinken
Die Erfolgsgeschichten von Leila aus dem Kosovo, Maojtaba aus Afghanistan, Abdel aus Togo oder Melek aus der Türkei sind erstaunlich. Sie haben oft erschütternde Vorgeschichten von Flucht, Vertreibung, Verletzung und Desorientierung in der fremden Kultur. Sie haben sich durchgebissen, häufig weit besser als ihre Eltern, haben oft Glück gehabt, weil sie Menschen auf sich und ihre schlummernden Talente aufmerksam machen konnten. Sie verschweigen nicht, dass gerade auch die Väter (und Großväter) mit ihrem Sturmlauf in die westliche Zivilisation, mit ihrer schnellen Anpassung und ihrer lockeren Vertrautheit mit der deutschen Sprache deutliche Probleme haben. Ein Vater, der sich bei Behördengängen von den Kindern helfen lassen muss, steckt das nicht locker weg. Seine angestammte Autorität gerät da schnell ins Wanken.
Aus solchen Familienszenarien sind beeindruckend ehrgeizige, zielstrebige Kinder hervorgegangen, die Schulsprecher und Stipendiaten geworden sind. Sie sind sich ihrer Wurzeln in anderen Kulturen und Ländern bewusst, stehen aber diesen Kulturen, wenn sie ihnen im Original begegnen, höchst kritisch gegenüber. Sie vermissen dort den Elan, den sie in der deutschen Umgebung erleben. So kommentiert Leila, die in den Kosovo für ein Abi-Referat fuhr und mit UN-Beamten und Soldaten Interviews führte, dass sie die ewige Kaffee- und Teetrinkerei zwar sehr gemütlich, aber eben auch höchst unproduktiv findet. Dass die Menschen dort in Hochzeiten von meist sehr jungen Frauen ein einziges Highlight erleben und sie gleich gern mit einbezogen hätten, grauste sie. „Nach dieser Reise habe ich beschlossen, dass ich eigentlich (fast) nichts mit dieser Kultur, wenn es überhaupt eine ist, gemeinsam habe.” Leila will internationales Recht studieren und in die Diplomatie gehen. Ausgebildete Streitschlichterin ist sie bereits.
Schatz an Talenten
Oder nehmen wir Melek. Sie lebt mit ihren Schwestern und ihrer Mutter in Frankfurt. Als sie 2005 Stipendiatin wurde, war sie Schülervertreterin in der Schulkonferenz, Schulsprecherin, Klassensprecherin. „Das ist ja typisch Streberin”, hätten die Klassenkameraden gesagt, die freilich selber nicht kandidieren wollten. Sie fand es einfach nur interessant, „da kann man was lernen”. Das fanden die Kameraden ebenso seltsam wie ihr Verständnis für Lehrer und den Wunsch nach Veränderung von Strukturen in der Schule. Melek will zur Polizei. Die Aufnahmeprüfung für die Polizeischule, eine harte Prüfung, die über Tage geht, hat sie schon gemacht. Sie will möglichst schnell ihre Mutter entlasten: „Meine Mutter arbeitet wirklich zu viel für uns”, sagt sie.
Gemeinsam ist diesen erfolgreichen Schülern, dass sie durch Entbehrung und Entwurzelung ein wenig vorgealtert sind, sie spüren Verantwortung für sich, für die Familie und das Ganze. Da „Start” ihnen eine Menge Anstöße und Anregungen bietet, eben nicht „nur Karriere”, sind diese geförderten Jugendlichen weitaus bereiter als viele Einheimische, anzupacken. Begierig saugen sie alle Angebote auf, arbeiten nebenher und besuchen in den Ferien Akademien. Abdel, der Junge aus Togo, war schon auf der Schülerakademie der Management-Hochschule WHU. Sein Traum. Er kennt jetzt schon die Career Services der Unis, weiß, dass es Placement Centers gibt und lernt eifrig Fremdsprachen. Er kann schon drei, will aber auch die Zertifikate haben, um für alles gewappnet zu sein. Zu unsicher war seine Kindheit in Togo und auch zunächst in Deutschland, zu holperig seine ersten deutschen Schuljahre, um die Vorzüge, die sich ihm durch „Start” bieten, aufs Spiel zu setzen.
Deutschland hat lange versäumt, den Schatz an Talenten begabter und lernbegieriger Einwandererkinder systematisch zu heben. „Start” hat damit angefangen. Wäre das früher passiert, wäre die Integration bestimmt besser gelungen. Jetzt brauchen wir noch einen „Früh-Start” für die Jüngsten. Auch den hat Hertie zusammen mit anderen Stiftungen in Hessen schon angestoßen, um Sprachförderung, interkulturelle Bildung und Elternarbeit als Grundstein für Integration und schulischen Erfolg rechtzeitig zu legen. So erfüllt sich vielleicht der Wunsch eines Stipendiaten, dass „seine eigenen Kinder eines Tages ,Start‘ gar nicht mehr brauchen”. Die jungen Einwanderer, die hier ihre Geschichten erzählen, geben der Integration ein ganz neues Gesicht.
CHRISTINE BRINCK
RUTH-ESTHER GEIGER: Ihr seid Deutschland, wir auch. Suhrkamp, Frankfurt 2008. 264 Seiten, 8,50 Euro.
Zumindest dem Outfit nach zu urteilen, scheint dieser junge Fußballfan sich in Deutschland integriert zu fühlen. Foto: ddp
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