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Eine deutsch-deutsche Karriere: Vom verurteilten Republikflüchtling zum erfolgreichsten Fluchthelfer und verhaßten Staatsfeind Nummer 1. Die Lebensgeschichte von Wolfgang Welsch ist der authentische, ungemein dicht und packend geschriebebne Bericht eines Mannes, der auf der Todesliste der DDR-Staatssicherheit ganz oben stand - und überlebte.

Produktbeschreibung
Eine deutsch-deutsche Karriere: Vom verurteilten Republikflüchtling zum erfolgreichsten Fluchthelfer und verhaßten Staatsfeind Nummer 1. Die Lebensgeschichte von Wolfgang Welsch ist der authentische, ungemein dicht und packend geschriebebne Bericht eines Mannes, der auf der Todesliste der DDR-Staatssicherheit ganz oben stand - und überlebte.
Autorenporträt
Wolfgang Welsch, geboren 1944 in Berlin, besuchte die Schauspielschule, bis er 1964 vom Ministerium für Staatssicherheit verhaftet wurde. Nach seinem Freikauf 1971 studierte er in Gießen Soziologie und promovierte 1977 in England. Weil ihn auch nach dem Mauerfall noch Morddrohungen erreichten, ging er für einige Jahre ins Ausland. Heute lebt er als freier Autor und Publizist in Sinsheim/Baden.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.05.2001

Die Buletten-Mörder
Mehrfach versuchte die Stasi, einen Fluchthelfer umzubringen, weil dieser rund 200 DDR-Bürger in den Westen schleuste
WOLFGANG WELSCH: Ich war Staatsfeind Nr. 1; Als Fluchthelfer auf der Todesliste der Stasi, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2001. 446 Seiten, 49,80 Mark.
„Ich werde Buletten machen, mit Salat', ruft Peter Haack seinem Freund Wolfgang Welsch hinterher, als sich dieser mit Frau und Kind in die Fluten des Roten Meeres stürzt, um sich von der brüllenden Hitze des Sinai abzukühlen. Man ist unterwegs auf einer Campingtour im südlichen Israel und hat in der Nähe von Eilat einen Rastplatz aufgetan, wo gepicknickt werden soll. Wenig später sitzen Haack, die Welschs und eine mitreisende Amerikanerin zusammen und verzehren Haacks Buletten. Auch zwei deutsche Motorradtouristen, die gerade auf der Durchreise nach Ägypten sind, lassen sich von dem leckeren Bratenduft anlocken und essen den gesamten Rest der Schüssel leer.
Was auf den ersten Blick wie ein harmloses Camperidyll fernab der Heimat wirkt, war in Wirklichkeit einer der perfidesten und raffiniertesten Mordanschläge der Stasi, der unter dem Stichwort „Bulettenmord' in das an Gewalt und Heimtücke wahrlich nicht arme Register der DDR- „Regierungskriminalität” eingegangen ist. Peter Haack alias „IM Alfons” hatte von seinem Ost-Berliner Führungsoffizier den Auftrag erhalten, sich dem bekannten Fluchthelfer Wolfgang Welsch freundschaftlich zu nähern, um ihn sodann unauffällig aus dem Weg zu räumen. Weil zwei vorherige Mordanschläge auf Welsch bereits gescheitert waren, wollte das MfS dieses Mal auf Nummer sicher gehen. Es fasste den Plan, Welsch mit Thallium – einem geruch- und geschmacklose Rattengift, das sich im Körper kaum nachweisen lässt – zu vergiften. Wie durch ein Wunder überlebten Welsch und dessen Familie den Anschlag; was aus den beiden Motorradfahrern wurde, ist bis heute ungeklärt.
Gefährliche Gegner
Dass der SED-Staat mitunter derart erbarmungslos gegen seine Gegner vorging, hing wohl auch mit der Ahnung der Partei- und Staatsführung zusammen, dass man sich seine gefährlichsten Gegner selbst herangezüchtet hatte. Am Beispiel des Lebensweges von Wolfgang Welsch lässt sich im Detail nachvollziehen, wie diese Produktion von „Staatsfeinden” konkret aussah: Als junger Mann, der sich in der Enge der hermetisch abgeriegelten DDR zwar unwohl fühlt, dessen Widerspruchpotential aber noch kaum ausgereift ist, wird Welsch bei einem Fluchtversuch festgenommen. Es folgen ein Geheimprozess und drei lange Haftjahre in Berlin-Rummelsburg und Bautzen. Als sich Rechtsanwalt Wolfgang Vogel für ihn einsetzt, erhält er die Möglichkeit, aus der Haft heraus in die Bundesrepublik auszureisen. Welsch schlägt das Angebot jedoch aus, weil sich sein zunächst nur diffuser Hass auf die DDR in der Haft zu einem radikalen Widerstandswillen verfestigt hat.
Zusammen mit Freunden beschließt er nach der Entlassung, einen geheimen Dokumentarfilm zu drehen, der sich mit der Situation politischer Häftlinge in der DDR beschäftigen soll. Das Projekt wird verraten, Welsch gerät erneut in Haft, wo eine Scheinhinrichtung an ihm vollzogen wird. Als er 1971 von der Brandt-Regierung freigekauft wird, verlässt er die DDR als äußerlich gebrochener Mann. Innerlich fühlt er sich hingegen gestärkt, hat ihn doch die Hafterfahrung trotz seelischer Verletzungen in seiner Überzeugung bekräftigt, der Einparteiendiktatur empfindlich zu schaden.
Von seinem Freund Dieter Voigt, einem ehemaligen Mithäftling, wird Welsch gefragt, ob er sich an einer Fluchthilfeaktion beteiligen wolle. Als ehemaliger „Republikflüchtling” ergreift Welsch die Chance und baut in den folgenden Jahren neben seinem Soziologiestudium das „Otto-Institut” Gießen, eine der effizientesten bundesdeutschen Fluchthelferorganisationen auf. In den folgenden Jahrzehnten gelingt es ihm, an die 200 Ausreisewillige aus der DDR herauszuschleusen. Mit seinem humanitären Idealismus und seiner kompromisslosen Ablehnung des ostdeutschen Realsozialismus macht sich Welsch auf beiden Seiten des „Eisernen Vorhangs” viele Feinde: Während die DDR- Staatssicherheit im Juli 1974 den Vorgang „Operation Skorpion” anlegt, der auf eine Bekämpfung der „Kriminellen Menschenhändlerbande Welsch” abzielt, beäugen bundesdeutsche Politik und Medien das Treiben der zahllosen Fluchthelferorganisationen, die im Gegensatz zu Welsch überwiegend kommerzielle Absichten verfolgen, mit zunehmendem Mißtrauen.
Dass dabei auch politischer Opportunismus im Spiel ist, wird Welsch spätestens im Jahre 1976 klar, als seine Frau während einer Fluchthilfeaktion in Bulgarien von einem MfS-Spitzel verraten wird und sich in die US- amerikanische Botschaft flüchten muss: Der bundesdeutsche Botschafter Fritz Menne hatte es abgelehnt, sie vor dem Zugriff des bulgarischen Geheimdienstes zu schützen.
Die notorische Unfähigkeit bundesdeutscher Behörden und Meinungsmacher, zwischen den oftmals kriminellen Machenschaften kommerzieller Fluchthilfeunternehmen und dem politisch legitimen Widerstand nichtkommerzieller Organisationen zu unterscheiden, wirkte noch bis in die neunziger Jahre nach, weil nach dem Mauerfall kaum jemand die in den MfS-Akten dokumentierten Mordpläne glauben wollte. Die Nichtanerkennung seiner gegen die „friedliche Koexistenz” gerichteten Widerstandsaktionen führte dazu, dass sich Welsch zunehmend isolierte und radikalisierte.
Sein latentes Gefühl einer doppelten Ausgrenzung drückt sich etwa darin aus, dass er bei der Beschreibung des DDR-Haftalltags immer wieder oberflächliche Analogien zur NS-Vergangenheit einflicht, wodurch er diese letztlich relativiert. Damit reagiert er ähnlich wie viele andere SED-Opfer, die zwar Gleichstellung gegenüber den NS-Opfern einfordern, diese Gleichstellung aber durch bewussten oder unbewussten Tabubruch selbst verhindern. Auch verweigert sich Welsch nach wie vor der Einsicht, dass die Entspannungspolitik gerade auf humanitärem Gebiet eine Vielzahl von Erleichterungen brachte, die seinen eingesperrten Landsleuten direkt zugute kamen. Dennoch können aber sein überwiegend klarer politischer Instinkt und seine unter höchstem Risiko erbrachten Leistungen für den Niedergang des SED- Regimes gar nicht hoch genug bewertet werden.
Insbesondere der Vergleich mit vielen anderen DDR-Oppositionellen, die bis zum Schluss an eine Reformierbarkeit ihres Staates glaubten, lässt sein politisches Urteilsvermögen in Bezug auf die DDR umso positiver hervortreten. Insofern ist es beschämend, dass Welschs Name in wissenschaftlichen Standardwerken zur DDR-Opposition nicht auftaucht. Hier besteht zweifelsohne Nachholbedarf, und der geplante Gedenkmarathon zum 40. Jahrestag des Mauerbaus wäre sicherlich ein guter Anlass, den aktiven politischen Widerstand durch Fluchthilfe vermehrt zu würdigen.
ANNETTE WEINKE
Die Rezensentin ist Historikerin an der Universität Potsdam.
Wolfgang Welsch und seine Familie überleben mehrere Mordanschläge der Stasi. Trotzdem verweigert der Fluchthelfer den Freikauf durch Bonn.
Foto: SZ-Archiv
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