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Die Mittelschicht in Deutschland betrachtet sich gerne und immer häufiger als Opfer. Ständig hat sie den Verdacht, sie würde vom Staat ausgebeutet. Doch: Stellt die Mittelschicht nicht die Mehrheit in dieser Gesellschaft? Warum stimmt sie zum Beispiel für Steuergesetze, die die Oberschicht einseitig privilegieren? Warum benimmt sich die Mittelschicht so irrational? Ulrike Herrmann untersucht den bundesdeutschen Alltag, analysiert die wundersame Vermehrung der Milliardäre, die Renaissance des Adels, die Rückkehr der Dienstboten, die Verachtung der Unterschicht und den fatalen Glauben der…mehr

Produktbeschreibung
Die Mittelschicht in Deutschland betrachtet sich gerne und immer häufiger als Opfer. Ständig hat sie den Verdacht, sie würde vom Staat ausgebeutet. Doch: Stellt die Mittelschicht nicht die Mehrheit in dieser Gesellschaft? Warum stimmt sie zum Beispiel für Steuergesetze, die die Oberschicht einseitig privilegieren? Warum benimmt sich die Mittelschicht so irrational? Ulrike Herrmann untersucht den bundesdeutschen Alltag, analysiert die wundersame Vermehrung der Milliardäre, die Renaissance des Adels, die Rückkehr der Dienstboten, die Verachtung der Unterschicht und den fatalen Glauben der Mittelschicht, sie sei privilegiert. Aber die Zeit drängt. Findet die Mittelschicht nicht zu einem realistischen Selbstbild, sondern hängt weiter ihrem Elitedünkel an, wird sie auch weiterhin allein für wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen bezahlen.
Autorenporträt
Ulrike Herrmann, geb. 1964, ist Wirtschaftskorrespondentin der Tageszeitung taz. Sie ist ausgebildete Bankkauffrau, hat Geschichte und Philosophie studiert und ist ein typisches Mittelstandskind. Sie stammt aus einem Vorort von Hamburg, wo alle Bewohner an den gesellschaftlichen Aufstieg glaubten.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.04.2010

Wie die Mittelschicht zugrunde geht
Dass die Armen ärmer und die Reichen reicher werden, ist zum Dauerthema geworden. Zahlen die Armen allein den Reichtum der Reichen? Ganz so einfach ist es nicht, wie Ulrike Herrmann in ihrem Buch aufzeigt. Ihre These lautet, dass es vor allem die Mittelschicht ist, die für den Reichtum der Oberen sorgt und dabei selbst langsam zugrunde geht. Trotzdem scheint diese nicht gegen ihr Schicksal aufzubegehren, sondern trägt im Gegenteil noch dazu bei.
Die Autorin ist der Meinung, dass Handwerker, Beamte und Angestellte sogar noch den eigenen Abstieg betreiben, also aktiv handeln. Dies zum Beispiel dadurch, dass die Mittelschicht, welche die Mehrheit der Wähler stellt, für Steuergesetze stimmt, die die Oberschicht einseitig privilegieren. Da steht die Frage im Raum, wie es zu solch einem irrationalen Verhalten kommt. Es lässt sich darüber diskutieren, ob die Mittelschicht aktiv ihren Abstieg betreibt oder ihn einfach zulässt. Fest steht jedoch, dass die deutsche Mittelschicht schrumpft.
Dass dies geschieht, ist Herrmann zufolge vor allem auf ein Phänomen zurückzuführen: Die Mittelschicht sieht sich selbst als Elite, die die Vermehrung der Milliardäre ebenso zulässt wie die Rückkehr zu Suppenküchen. Das Buch widmet sich entsprechend der „Macht der Eliten”, den „Irrtümern der Mittelschicht” oder den „Kosten des Selbstbetrugs”. Die Mittelschicht sieht sich als Opfer des Staates, der ihr immer weniger in der Kasse lässt. Ein Aufbegehren scheint nicht zu erfolgen. Stattdessen will man sich von der Unterschicht abheben – als Elite.
Das Wort Elite erscheint auf den ersten Blick irreführend, aber die Autorin klärt auf, dass im alltäglichen Sprachgebrauch das Wort Mittelschicht gängig ist, während Oberschicht kaum verwendet wird. So wird das Wort Elite benutzt. Gemeint sind diejenigen, die sich mit ihrem Einkommen und Vermögen oberhalb der Mittelschicht etabliert haben. Was erstaunt ist die Tatsache, dass die Mittelschicht der Idee verfallen ist, sich überhaupt in der Nähe der Elite zu glauben. Ulrike Herrmann führt das unter anderem auf einen erfolgreichen Lobbyismus zurück. Lobbyisten, die dafür sorgen, dass Steuersenkungen für Reiche durchgesetzt werden, geben der Mittelschicht das Gefühl, dass sie ebenfalls zur Elite gehört, um sie – wenigstens bei Wahlen – mit an Bord zu holen. Die Mittelschicht betrügt sich somit selbst. Denn Reichtum kann sie nicht vorweisen.
Zur Mittelschicht gehört, wer 70 bis 150 Prozent des Durchschnittseinkommens zur Verfügung hat. Ein Ehepaar mit zwei Kindern benötigt zwischen 2100 und 4600 Euro netto, um zur Mittelschicht zu gehören. Darunter beginnt die Unterschicht, darüber die Oberschicht. Obwohl die Mittelschicht eigentlich erkannt habe, dass durch sie die Reichen reicher werden, wende sie sich weiterhin gegen die Unterschicht, so Herrmann.
Dass es moralisch verwerflich ist, den Armen so wenig Solidarität zukommen zu lassen, ist eine Sache. Das Buch verfolgt jedoch einen anderen Ansatz: Es will zeigen, dass es nicht nur ethisch geboten wäre, die Unterschicht zu unterstützen. Es wäre sogar im Interesse der Mittelschicht, sich mit den Armen zu verbünden. Wenn die „Mittelschichtelite” weiter so handelt, könnte es sein, dass sie tatsächlich allein die Kosten für die Finanzkrise trägt. Sich selbst zur Elite zu zählen, kann teuer werden. Als Konsequenz wird sich die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter öffnen. Bis auf wenige Unklarheiten, etwa wenn Umverteilung als möglich erachtet wird, wie der „New Deal” von Franklin D. Roosevelt angeblich gezeigt hat, ist das Buch lesenswert. Indira Gurbaxani
Ulrike Herrmann: Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht. Westend Verlag, Frankfurt am Main 2010. 222 Seiten. 16,95 Euro.
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