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Jacques Le Rider ist einer der Experten für die Kultur und Literaturgeschichte Österreichs der Jahrhundertwende. Hier beschreitet er neue Wege in der etablierten Hofmannsthal-Forschung, indem er Hofmannsthal vor dem Hintergrund der Moderne-Postmoderne-Diskussion der letzten Jahre liest und interessante Parallelen zwischen dem Historismus und der Postmoderne zieht. Über die Kategorien des Erinnerns und Vergessens kommt er zu neuen Einschätzungen von Hofmannsthal und entlastet ihn auch von dem Vorwurf der "konservativen Revolution", indem er seinen Revolutionsbegriff in durchaus progressive Zusammenhänge stellt.…mehr

Produktbeschreibung
Jacques Le Rider ist einer der Experten für die Kultur und Literaturgeschichte Österreichs der Jahrhundertwende. Hier beschreitet er neue Wege in der etablierten Hofmannsthal-Forschung, indem er Hofmannsthal vor dem Hintergrund der Moderne-Postmoderne-Diskussion der letzten Jahre liest und interessante Parallelen zwischen dem Historismus und der Postmoderne zieht. Über die Kategorien des Erinnerns und Vergessens kommt er zu neuen Einschätzungen von Hofmannsthal und entlastet ihn auch von dem Vorwurf der "konservativen Revolution", indem er seinen Revolutionsbegriff in durchaus progressive Zusammenhänge stellt.
Autorenporträt
Jacques Le Rider ist Professor an der École pratique des Hautes Études
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.09.1997

Sigismund und die Barbaren
Pessimist: Jacques le Rider ordnet Hugo von Hofmannsthal ein

Jacques le Rider ist ein hervorragender Kenner der österreichischen und deutschen Kultur der Jahrhundertwende. Er hat eine Reihe von Studien vorgelegt, die sich durch sorgsame, gelegentlich etwas altmodisch erscheinende kulturhistorische Reflexion auszeichnen. Die Herausgeber der deutschen Übersetzung seiner 1995 erschienenen Darstellung zum Verhältnis von Tradition und Neuschöpfung bei Hofmannsthal möchten ihn jedoch ein wenig modernisieren und verpassen dem Buch eine Jahrtausendwendenattraktivität. In einer Zeit der "Hyperdisponibilität" seien die Erwägungen zur Erfindung von Tradition im Kontext eines "Millenarismus" zu lesen. Angesichts des "gebrochenen Geschichtsbewußtseins der Österreicher" wird Orientierung in unübersichtlicher Zeit versprochen.

Die ist bei le Rider aber nicht einfach zu holen. Der eloquente Triester Germanist Claudio Magris hatte die kohärent erscheinende Vorstellung einer spezifisch österreichischen Kulturationsstrategie bei Hofmannsthal entworfen. Dagegen zeigt le Rider in den Texten ein Schwanken zwischen der Bindung an ein humanistisches Bildungsideal, an die historistische Kultur seiner Zeit und einer komplexen, oft ungewollten Modernität auf. Diesem Zwiespalt entspricht in der Person des Dichters ein zeitlebens ungelöstes Spannungsverhältnis zwischen seinem Individualismus und der Sehnsucht nach Ganzheiten zwischen einer "Flucht vor dem Gesetz" und einer "Unfähigkeit, ohne Gesetz zu leben". Aus der Diagnose eines kulturellen Niedergangs habe Hofmannsthal weder die Konsequenz eines "restaurativen Traditionalismus" noch eines "Avantgardismus des Bruchs" gezogen, sondern sich mit der Erfindung von Tradition beholfen. Die phantasmagorische Ganzheit aber, vor der der Dichter seine Urteile legitimiere, sei nicht aus der k. u. k. Tradition ableitbar, sondern ähnele, insbesondere was die Idee von Mitteleuropa anbetreffe, in der Struktur vielmehr dem versunkenen Heiligen Römischen Reich deutscher Nation.

Aufgrund dieser Analyse versucht nun le Rider, Hofmannsthal aus der Nähe zur "konservativen Revolution" nach der Art Carl Schmitts und Moeller van den Brucks herauszurücken. Solche Zuordnung sei schon allein aufgrund des utopischen Charakters der Volksvorstellung, wie sie Hofmannsthal mit Rudolf Borchardt teilte, "unmöglich". Auch die berühmt-berüchtigte Rede über das "Schrifttum als geistiger Raum der Nation" von 1927, die Ernst Robert Curtius zwei Jahre später als "Hofmannsthals deutsche Sendung" bezeichnen sollte, kann le Rider zufolge nicht als eine Anpassung an nationalistische und totalitäre Konzepte gelesen werden. Und zwar schon allein deshalb nicht, weil sie eine "Huldigung an die französische Kultur" enthält. Von einer "militanten Frankophilie" zu sprechen erscheint jedoch übertrieben und steht auch im Widerspruch zu le Riders sonstiger Darstellung. Hofmannsthals Frankreich-Vorstellung ist vielmehr selbst wieder eine zum Mythischen tendierende Projektion, in der der Widerspruch von Freiheit und Bindung, an dem der Dichter litt, als aufgehoben oder zumindest abgemildert gedacht werden konnte.

Die Diagnose des utopischen und phantasmagorischen Charakters von Hofmannsthals Ganzheitsvorstellungen hält le Rider davon ab, präziser nach der Faszination des Totalitären zu fragen, die solche Vorstellungen gleichwohl haben können. Schließlich läßt sich ja die Ideologie des Dritten Reiches weder als rational noch als besonders realistisch bezeichnen. Richtig aber ist (und bleibt), daß Hofmannsthal als Leitfigur einer alten oder neuen Rechten nicht taugt. Gegen seine im Grunde pessimistische Sicht der Einflußmöglichkeit des Dichters konnten nietzscheanische Vitalismusanfälle nicht dauerhaft etwas ausrichten. Wie sein Sigismund in dem unvollendeten Trauerspiel "Der Turm" 1926 wollte Hofmannsthal mit den kriegerischen Rohlingen nichts zu tun haben. Er wußte nur zu gut, daß er neben der Idee der Widerständigkeit nichts zu bieten hatte, das außerhalb seines Turms zur Rettung der Kultur und des Volkes hätte beitragen können. Individualismus oder Konformismus - das ist nach wie vor die Alternative, über die jeder für sich entscheiden muß. Entsprechend bleiben auch le Riders Ausführungen den von den Herausgebern suggerierten allgemeingültigen Aufschluß über den Stand der Dinge schuldig. Als sehr gut lesbare und mit einer instruktiven Bibliographie versehene Darstellung, die die Entwicklung von Hofmannsthals Denken nachzeichnet und seine spezifische Modernität wider Willen aufzeigt, ist das Buch dennoch uneingeschränkt zu empfehlen. FRIEDMAR APEL

Jacques le Rider: "Hugo von Hofmannsthal. Historismus und Moderne in der Literatur der Jahrhundertwende". Aus dem Französischen übersetzt von Leopold Federmair. Böhlau Verlag, Wien, Köln und Weimar 1997. 312 S., br., 58,- DM.

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