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Die schrittweise Etablierung des weiblichen Beinkleides hat bis in unser Jahrhundert hinein Diskussionen provoziert, deren Inhalte ein erstaunliches und vergnügliches Bild der Kultur-, Kleider- und nicht zuletzt auch Emanzipationsgeschichte widerspiegeln.

Produktbeschreibung
Die schrittweise Etablierung des weiblichen Beinkleides hat bis in unser Jahrhundert hinein Diskussionen provoziert, deren Inhalte ein erstaunliches und vergnügliches Bild der Kultur-, Kleider- und nicht zuletzt auch Emanzipationsgeschichte widerspiegeln.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.1995

Der Hose Pracht und Herrlichkeit
Gundula Wolters Geschichte vom Herrenkleid am Damenbein

Fast alle behosten Frauen, die sich flink und frei in diesem Kleidungsstück bewegen, haben die langwierige und mühselige Geschichte seiner Eroberung schon vergessen. Unglaublich aggressiv war die Ablehnung der aus festen Gewohnheiten aufgeschreckten Mehrheit, ebenso hartnäckig das Verlangen einer fortschrittlichen Minderheit intelligenter Damen der Gesellschaft, sich gerade dieses männlichen Privilegs zu bemächtigen. Die Intensität dieses Kriegs verrät, daß es um mehr als Beinkleider ging. Hosen demonstrierten seit Jahrhunderten maskuline Macht und Potenz. Ihrer realen Aneignung gingen symbolische Kämpfe zwischen Mann und Frau um die Herrschaft in der Ehe voraus, die sich in der Redensart "sie will die Hosen tragen" seit mindestens 1200 belegen lassen. Diese Vorgeschichte hat das Bemühen um das bequeme Kleidungsstück von vornherein vergiftet. Ging es dort um die Dominanz einzelner Frauen über ihren Angetrauten, dem sie - bildlich gesprochen - die Hosen wegnahmen, um sie selbst anzulegen, also den Austausch einer Herrschaft durch eine andere - so war ihr wirklicher Gebrauch von Anfang an mit dem Streben nach Gleichstellung und Emanzipation verbunden.

Gundula Wolter, die weiß, wovon sie spricht, hat sie doch schon 1988 eine fundierte Kulturgeschichte der Herrenhose verfaßt und als "Die Verpackung des männlichen Geschlechts" betrachtet, geht nun in ihrer Dissertation auf der Basis seriöser Quellenforschung weiblichem Hosentragen in allen Verästelungen bis zur offiziellen Etablierung nach. Nicht der innerhäusliche Hosenstreit ist ihr Thema, noch die zu allen Zeiten nachweisbaren Viragos, die in gesellschaftlich tolerierten Ausnahmesituationen wie Karneval, Krieg, beim Reiten oder auf Reisen in exotische Länder das praktische Männerkostüm annektierten, sondern die Hose als Alltagstracht: Befreiung vom beengenden Schnürleib und den mehrfachen, schweren Unterröcken überm nackten Fleisch, war das Ziel mutiger Damen, die mehr als sticken und in Ohnmacht fallen wollten.

Ein erstes Vorgefecht dazu lieferten Sansculottinnen in eng anliegenden Pantalons während der Französischen Revolution, die zur Verteidigung des Vaterlandes sogar in den Krieg zogen, bis sie der Konvent am 30. April 1793 aus der Armee ausschloß und an Herd und Wiege zurückschickte. Eher erotischer Art war die Befreiung durch fleischfarbene Trikotbeinlinge, welche um 1800 die "Merveilleuses" unter den hauchzarten, fließenden Stoffgespinsten ihrer fast durchsichtigen Chemisen trugen. Diesem ephemeren Pariser Vorspiel, das in zurückhaltenderen Varianten in Deutschland und England Nachahmung fand, folgten sporadische, von Ärzten unterstützte Bemühungen, die aus Gründen der Hygiene, Wärme und Dezenz weibliche Unterhosen propagierten. Ihre Spitzen konnten unter dem Rocksaum hervorlugen. Von dieser Art mögen die Hosen gewesen sein, die sich das Enfant terrible Bettina von Arnim 1807 schneidern ließ. "Vivat! jetzt kommen andere Zeiten angerückt", jubelt sie, als sie das Faktum Frau Rat Goethe mitteilt. Geschlossene Gesellschaften wie die Sozialutopisten um Saint-Simon oder Sekten wie die Oneida Nordamerikas empfahlen ihren Damen Hosen unterm kurzen Rock.

Wirklich handfest, mit durchdachten Argumenten der Befreiung aus gesundheitsschädigenden Kleiderfesseln und dem Recht auf aktive Teilnahme am Leben untermauert, setzte der Kampf um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Nordamerika ein, wo Amelia Bloomer, von Gleichgesinnten unterstützt, in ihrer Zeitschrift "The Lily" federführend war. Der Ruf nach Gleichstellung verband sich mit einem Kostüm, das ohne Korsett die natürlichen Formen betonte, unter dem Rocksaum des Kleides gerade oder türkisch gepuffte Hosen sehen ließ und von flachen Schuhen ergänzt war, welche die Frau aus ihrer stöckelnden Hilflosigkeit erlösen sollten.

Die Autorin belegt die einzelnen Phasen des Gefechts mit Zitaten aus Modejournalen, Unterhaltungsgazetten, der Tagespresse und mit manchmal bösartigen Karikaturen, wie sie besonders im "Punch" erschienen. Wurde der Disput in den Vereinigten Staaten noch einigermaßen argumentativ geführt, so verfielen die Bloomeriten in Europa der Lächerlichkeit, ehe eine einzige zu sehen war. Ließen wirklich nur ästhetische Bedenken die Kommentatoren so scharf reagieren, oder fürchteten sie, das Schlagwort der Hosendamen: "freie Bewegung bedeutet auch des Geistes Regung" könnte sich bewahrheiten und die männliche Vorherrschaft in Frage stellen? Kurz, die Bloomerei währte in den Staaten und in England nur zwei, drei Jahre. Im übrigen Europa war eine Trägerin dieser Tracht ohnehin eine Seltenheit. Uneingestanden gab es aber unter den Damen viele Sympathisantinnen. Während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnten sich die unterm kurzen Rock sichtbaren Hosen in der Sportkleidung etablieren: beim Reiten, Mädchenturnen, Bergsteigen und Radfahren, Frauensportarten, über deren Entwicklung wir ganz nebenbei vorzüglich informiert werden. Dagegen waren die Reformkleidbewegungen, die ab 1880 in Vereinen, Vorträgen und Ausstellungen für ein gesundes Outfit der Weiblichkeit warben, zu kompromißbereit und deshalb wenig erfolgreich. Immerhin setzten sich weibliche Unterhosen engültig durch. Noch durften die Inexpressibiles, vom Sport abgesehen, auf keinen Fall sichtbar sein. Zaghafte Vorschläge für duftige Abendhosen, die um 1910 französische Couturiers machten, empfanden die Damen der konservativen Bourgeoisie, die den Ton angaben, als bedrohliche Neuerung. Andere Schichten spielten für die Mode noch keine Rolle.

Dann zwang der Erste Weltkrieg viele Frauen zu männlichen Tätigkeiten. Das Berufsleben machte temporäre Zwecktrachten und Uniformen notwendig und plötzlich waren öffentlich getragene Beinkleider diskussionslos akzeptiert. Man gewöhnte sich an den Anblick. Als der Krieg vorüber war, hatte sich eine irreversible soziale Umschichtung vollzogen. Mit Ausnahme Frankreichs und der Schweiz hatten die Frauen das Wahlrecht errungen und - was noch entscheidender war - durch die Berufsarbeit eine wirtschaftliche Unabhängigkeit kennengelernt, die aufzugeben nicht mehr alle bereit waren. Hatten früher die Frauen des Mittelstandes und der Unterschicht die Gesellschaftsdamen bewundert und so gut es ging nachgeahmt, so entschied nunmehr diese selbstbewußte Weiblichkeit in Modefragen nach eigenem Geschmack. Der schlanke, androgyne Garçonnetyp der zwanziger Jahre zeigte zum erstenmal Beine. Hosen eroberten sich Plätze als Haus- und Strandkleidung. Auf der Straße waren sie noch nicht toleriert. Von den Machthabern des Dritten Reichs abgelehnt, aber - besonders während des Krieges - notgedrungen geduldet und von den Trümmerfrauen freudlos getragen, entledigte man sich ihrer rasch zugunsten der schwingenden Röcke des New Look und der kecken Petticoats. Aber bald wagten sich die Schlanken und die Jungen in eng geschnittenen, feschen Hosen aus weichen Stoffen auf die Straße. Die Materialvielfalt von Pelz über Samt, Seide und Brokat bis zu Spitze machte sie für viele Gelegenheiten tragbar. Nur darum noch ging in den sechziger Jahren die Diskussion: Hosen ja, aber wann, wo und für wen sind sie passend? Es gab noch Kämpfe und Verbote in der Schule, im Büro, in Luxushotels. Der Vormarsch der Jeans vom Arbeitshabit über das Protestgewand der Jugend bis zum Alltagsdreß für jedermann berührt fast schon die Gegenwart. Die letzte Hürde zum Unisex war der für Frauen verpönte Reißverschluß am Bauch.

Gundula Wolter beschreibt die Eroberung der Hose als Seismograph sozialer Entwicklungen. Ihr kluger Text ist anregend, witzig und oft überraschend illustriert. Und obschon das begehrte Kleidungsstück die erhoffte Perfektion der Partnerschaft von Mann und Frau nicht brachte, lautet das Fazit ihrer Emanzipationsgeschichte: die "weibliche Kultur gewann durch die Hosen an Stärke". Immerhin. SIGRID METKEN

Gundula Wolter: "Hosen, weiblich". Kulturgeschichte der Frauenhose. Jonas Verlag, Marburg 1994. 318 S., br. 227 Abb., 38,- DM.

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