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»Der beste deutsche Roman, der mir jemals vor Augen gekommen.« - Christoph Martin Wieland (1780) Johann Karl Wezel ist ein skandalös vergessener, vielseitig genialischer Autor des 18. Jahrhunderts. »Im Jahre nach Erschaffung der Welt, als die Damen kurze Absätze und niedrige Toupets, die Herren große Hüte und kleine Haarbeutel, und Niemand leicht Gold auf dem Kleide trug, der nicht wenigstens Silber genug in der Tasche hatte, um es bezahlen zu können, wurde auf dem Schlosse des Grafen von Ohlau ein Knabe erzogen, der bey dem Publikum des dazu gehörigen Städtchens nicht weniger Aufmerksamkeit…mehr

Produktbeschreibung
»Der beste deutsche Roman, der mir jemals vor Augen gekommen.« - Christoph Martin Wieland (1780) Johann Karl Wezel ist ein skandalös vergessener, vielseitig genialischer Autor des 18. Jahrhunderts. »Im Jahre nach Erschaffung der Welt, als die Damen kurze Absätze und niedrige Toupets, die Herren große Hüte und kleine Haarbeutel, und Niemand leicht Gold auf dem Kleide trug, der nicht wenigstens Silber genug in der Tasche hatte, um es bezahlen zu können, wurde auf dem Schlosse des Grafen von Ohlau ein Knabe erzogen, der bey dem Publikum des dazu gehörigen Städtchens nicht weniger Aufmerksamkeit erregte und in den langen Winterabenden nicht weniger Stoff zur Unterhaltung gab, als Alexander, ehe er auf Abentheuer wider die Perser ausgieng. Graf und Gräfin, deren Liebling er einige Zeit war, nennten ihn Henri, seine Eltern Heinrich, und das ganze Städtchen den kleinen Herrmann, nach dem Geschlechtsnamen seines vorgeblichen Vaters - seines vorgeblichen, sage ich; denn so sehr die körperliche Aehnlichkeit mit ihm es wahrscheinlich machte, daß er sein wahres ächtes Produkt seyn möchte, und so wenig auch der erfahrenste Physiognomist auf den Einfall gekommen wäre, eine andere wirkende Ursache zu vermuthen, so hatte doch Jedermann die Unverschämtheit, trotz jenes wichtigen Grundes, ihn seinem Vater völlig abzuläugnen, und zwar aus der sonderbaren Ursache - weil der Sohn ein feiner, witziger, lebhafter Knabe wäre und gerade so viel Verstand, als sein Vater Tummheit, besäße.« Herrmann und Ulrike, 1780 erschienen, ist mit Wielands Agathon und Goethes Wilhelm Meister das dritte Glanzstück des deutschen Bildungsromans. Gleich in der Vorrede erklärt Johann Karl Wezel vorausschauend den Roman zur »bürgerlichen Epopöe«, die das Epos der adeligen Zeit ablösen wird - und tritt in seinem monumentalen Buch den Beweis an. Geschult an Tom Jones, dem klassisch-komischen Roman von Henry Fielding, wird der Held Herrmann am bizarren Fürstenhof des Grafen Ohlau erzogen (der dem Fürstenhof in Sondershausen gleicht, an dem Wezel groß geworden ist). Der junge Mann verliebt sich in die unkonventionelle Baronesse Ulrike und die beiden entfliehen der adeligen Welt. Sie werden getrennt und versuchen in den Städten Dresden, Leipzig und Berlin ihr Glück. Um viele Erfahrungen - Unglück und Scheitern - reicher, werden sie sich wiederfinden, ein uneheliches Kind zeugen, wieder getrennt werden, um endlich zusammenzufinden, nachdem Herrmann sich im bürgerlichen Leben bewährt hat. In Herrmann und Ulrike spiegeln sich im überbordenden Personal alle Gesellschaftsschichten der Zeit, alle Sprachregister werden gezogen, von der Bauern- über die Kanzlei- bis zur Studentensprache, von Kraftausdrücken bis zum Kaufmannsdeutsch. Ein weites Panorama des ausgehenden 18. Jahrhunderts in Deutschland entsteht, einschließlich lebendiger Beschreibungen der damaligen Metropolen.
Autorenporträt
Johann Karl Wezel ist ein satirischer, durch und durch säkularer und sarkastischer Realist, wofür er von seinen Zeitgenossen, die in der Literatur lieber von Genies, Schwärmern, Idealisten, Geistern und Gespenstern lasen, nicht belohnt worden ist. Er überwarf sich mit allen Förderern, kam mit der Zensur in Konflikt und vereinsamte verarmt und verbittert in seiner Geburtsstadt Sondershausen, wo er psychisch desolat und ohne weitere Veröffentlichungen wie unbemerkt drei Jahrzehnte dahinvegetierte und schließlich 72-jährig am 28. Januar 1819 starb.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.08.2019

Ihres Unglücks Schmied

Es hätte doch so einfach sein können: Johann Karl Wezels "Herrmann und Ulrike" erscheint in opulenter Form neu.

Eine der Tanten, die man lieber nicht hat, schon gar nicht als junges Mädchen, ist auf der Suche nach ihrer adligen Nichte Ulrike, die mit einem kleinbürgerlichen "Amante" durchgebrannt ist. Als sich die Tante Zugang zu dem Haus verschafft hat, wo sich die junge Baronesse versteckt, aber in der Eile Zeichen ihrer Anwesenheit hinterlassen hat, bricht ein Sturm los, dessen Verlauf das Mädchen später in einem Brief an den Geliebten protokolliert: ",Wo ist die gute Freundin?' - ,Ausgegangen.' - ,Das ist eine Donner-Blitz-Hagelslüge. Das ist Ulrikens Taille und Größe. Mein Bedienter hat die Wetterhure bey Ihnen hereingehn sehn: gestehn Sies! oder ich lasse Haussuchung bey Ihnen thun. Da ist das kreuz-hagel-sappermentische Donneraas!' rief sie und arbeitete mit beiden Fäusten so lange, bis sie mich packen konnte. ,Ja, du bists ja!' rief sie, ,du infamer, elementscher Wetterbalg!' und mit diesen Worten peitschte ihre rechte Faust so unbarnherzig auf mein Gesicht los, daß mir zu Einer Zeit die Thränen aus den Augen und das Blut aus der Nase stürzte."

Mit solchen sprachlichen Purzelbäumen erheitert der 1780 erschienene Roman "Herrmann und Ulrike" von Johann Karl Wezel (1747 bis 1819) seine Leser immer wieder. Proben finden sich zuhauf auch aus der Kanzleisprache, der Fachsprache der gelehrten Juristen, der Studentensprache und dem Deutsch der Kaufleute - und nicht zuletzt aus dem empfindsamen Gesäusel der Verliebten in den zahlreichen Briefen, durch welche die Handlung vorankommt. Wezel, der Sohn eines Hofbedienten, stammte aus Sondershausen, einer der kleinsten Residenzstädte im Alten Reich, wurde Hofmeister und Schauspieler, blieb aber vor allem (auch post mortem) ein erfolgloser Schriftsteller.

Die junge Baronesse Ulrike hat ihr Herz an einen Kleinbürger verloren, der Herrmann mit Nachnamen heißt, mit Vornamen aber Heinrich. Die Asymmetrie der Namen im Titel deutet es schon an: Die Figuren haben nicht nur mit einem sentimentalen Liebes-, sondern auch mit einem politischen Standesproblem zu tun, für das sich am Ende eine ebenso glückliche wie ironische Lösung findet: Die Herzdame steigt hinab, eine halbe Treppe, ihr Herzbube eine halbe Treppe hinauf und wird ein kleiner Beamter bei Hofe. Dieses kleine Glück, das nicht verdient, sondern ein Geschenk des Zufalls ist, hätten beide Liebesleutchen viel einfacher haben können als auf dem langen Umweg über die vielen Stationen von Trennung und Wiederbegegnung, wären sie nicht so schafsdusselig, sich gerade über irgendeiner Kleinigkeit wieder von neuem aus den Augen zu verlieren, kaum dass sie sich - zufällig! - irgendwo wiedergefunden haben.

Zum Beispiel im Theater, auf dem ihr auktorialer Erzähler Wezel so gern etwas geworden wäre, wo er aber nur mit ein paar Stücken und kurzzeitig als Impresario kaum reüssierte. Köstlich die Stelle, wo Herrmann der Kopf ganz wirr wird, wenn er in einer Vorstellung von Racines "Bérénice" die Worte des Antiochus hört und natürlich auf sich bezieht: "Werd' ich ihr ohne Zittern sagen können: / Ich liebe Dich! / Nein, ach! Ich zittre schon! Mein wallend Herz / Scheut diesen Augenblick so sehr als ich ihn wünschte."

Goethe, in dessen etwa gleichzeitig entstandenem "Urmeister" ("Wilhelm Meisters Theatralische Sendung") der junge Bürgersohn die liederlich hingeworfenen Sächelchen in der Theatergarderobe seiner, ohne dass er's weiß, gleich zwei Männern untreuen Geliebten mit den Augen nur so herzt, schenkte dem Buch seines kleinbürgerlichen Zeitgenossen Wezel keine Beachtung. Wohl auch deswegen nicht, weil dessen Figuren Grenzen von Stand und Anstand zu überschreiten wagen, die strikt zu beachten der Frankfurter Patrizier den seinen auferlegt.

Welche Trübsal hätte sich das Paar ersparen können, wäre nicht Herrmann, ganz im Gegensatz zu seiner viele Briefseiten mit Tränen netzenden Ulrike, so unsympathisch flatterhaft gewesen, kurz: so unzuverlässig, wie es sich für einen kleinen Beamten auch in persönlichen Dingen gar nicht schickt. Lässt er sich doch von der Suche nach Ulrike schon ablenken, wenn nur ein paar Männer ihn zum Kartenspiel verlocken, oder philosophiert er doch mit dem anderen Geschlecht ganz ungeniert darüber, dass man ja schließlich nicht alle Mädchen heiraten könne, in die man sich verliebe. Das ist zwar alles nur begrenzt tiefsinnig, taugt aber, um einige hundert Romanseiten recht unterhaltsam zu füllen.

Wezel blieb mit seinem Werk ein Einzelgänger, der sich kaum im literarischen Leben der Zeit verankern konnte. Mit Christian Fürchtegott Gellert befreundete er sich in Leipzig, wo er zunächst Theologie, bald aber Jurisprudenz studierte und sich vor allem dem Empirismus Lockes und den Denkern des Materialismus und Skeptizismus zuwandte, vor allem Holbach, Helvétius und La Mettrie. Reisen führten ihn unter anderem nach Hamburg, St. Petersburg, Paris, London.

Sein Bekenntnis zu Skeptizismus und Agnostizismus hatte den Autor immer wieder in Konflikte mit der Zensur gebracht. In Leipzig unterlag er 1781 in einem öffentlichen Streit mit Ernst Platner, dem einflussreichen Professor der Philosophie und Mediziner, und empfing in der Auseinandersetzung die Wunde, die zu schwären nicht aufhören wollte. Platner war ein Anhänger von Leibniz, gegen dessen Lehre von der besten aller möglichen Welten sich Wezel bereits 1776 in seinem satirischen Roman "Belphegor oder Die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne" gewandt hatte.

Wielands Urteil, der Autor des "Belphegor" habe das Zeug zu einem deutschen Henry Fielding, der mit seinen satirischen Romanen gerade die empfindsamen Werke eines Samuel Richardson parodiert hatte, verschlug nicht viel. Die Kritik wollte den "Belphegor" nicht gelten lassen, der ihr zu pessimistisch war: An allen Enden der Welt, wohin seine Reisen Belphegor auch führen, in Deutschland und Afrika, im Osmanischen Reich und im Amerika des beginnenden Unabhängigkeitskrieges, stößt er nur auf Beweise für die Falschheit des menschlichen Herzens. Wezel, der nach dem Wiener Intermezzo wieder nach Sondershausen zurückgekehrt war, litt an Depressionen, die ihn an der Arbeit hinderten, und fand sich zunehmend isoliert - heute spräche man von Mobbing. Mit ihren Behandlungsversuchen scheiterten bekannte Psychiater, so auch Samuel Hahnemann, der Wezel vermutlich einer Stramonium-Therapie unterzog.

Die schöne Ausgabe der "Anderen Bibliothek" bietet den Text von "Herrmann und Ulrike" vollständig in der originalen sprachlichen und orthographischen Gestalt, im Anhang auch die Kupfer der Originalausgabe.

HANS-ALBRECHT KOCH

Johann Karl Wezel: "Herrmann und Ulrike". Ein komischer Roman.

Mit vierzehn Abbildungen und einem Dossier von Wolfgang Hörner. Die Andere Bibliothek, Berlin 2019. 2 Bd., zus. 813 S., Abb., geb., 68,- [Euro].

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"Die Wiederentdeckung eines Meisterwerks.(...) Im Vergleich mit Autoren wie Wieland, die das Arabeske und Ziselierte lieben und mit ihrem Hang zum ironisch Anakreontischen einen Stil der anmutigen Uneigentlichkeit pflegen, ist Wezels Sprache markig, kräftig, direkt. Der Autor scheut das Drastische nicht; er sucht es geradezu mit grimmigem Vergnügen. Mit scharfem Blick fürs Unzulängliche, Komische und Groteske gestaltet er seine Haupt- und Nebenfiguren." Neue Zürcher Zeitung am Sonntag 20190811