"Herr Anton verpasst den Bus" kämpft ein Tierpfleger mit dem Schlaf - und seine Tiere führen ihr Eigenleben. Dabei hatte er mit der Eule und dem Elefanten, dem Nashorn, dem Pinguin und der Schildkröte doch ausgerechnet heute Großes vor, und alles musste klappen. Doch erst einmal geht alles schief: Vor lauter Aufregung hat Herr Anton schlecht geschlafen, sodass er morgens vergisst, den Herd für das Teewasser auch anzumachen. Beim Warten fallen ihm abermals die Augen zu. Dann schnappt er sich in größter Eile, was er mitnehmen wollte, vergisst die Lunchbox, verliert seinen Lieblingshut und verpasst trotzdem den Bus. Er ist eben auch nicht mehr der Jüngste.
Im Zoo muss er sich, kaum hat er sich beim Elefanten entschuldigt, der vor dem Schachbrett auf ihn wartet, kaum hat er dem Pinguin und dem Nashorn erklärt, warum er zu spät zur Arbeit gekommen ist, der Eule sein Leid mit dem verlorenen Hut geklagt und die Schildkröte vermisst, auf eine Parkbank setzen. Schon schläft er wieder ein. Für die subversive Zoogesellschaft in Peggy Rathmanns Bilderbuch wäre das die Gelegenheit gewesen, die Sache gründlich aus dem Ruder laufen zu lassen. Bei den Steads hingegen nehmen die treuen Tiere ihrem alten Freund kurzerhand die Arbeit ab, fegen und füttern, informieren die Besucher und passen auf, dass der Zoowärter nicht etwa versehentlich geweckt wird, wo er doch immer zu viel arbeitet.
Und die Schildkröte? Hat sich einfach davongemacht. Mit Riesenschildkrötenschritten, also in einem Tempo, das Erin E. Stead auf vier reizenden Doppelseiten geduldig dokumentiert, verlässt sie den Zoo durch den Haupteingang, bis sie die Lunchbox und den Lieblingshut ihres Pflegers entdeckt, die seine beiden Mitbewohner zu Hause, ein kleiner Vogel und eine Maus, irgendwie den weiten Weg hierher geschafft haben. Die triumphale Rückkehr der Schildkröte zu den anderen passt nicht einmal mehr auf eine Doppelseite: Hier lässt sich ein zusätzliches Blatt des Buchs ausklappen, die Freude ist groß, die Tagespflicht, wie der Zoowärter erleichtert feststellt, getan, und es ist noch nicht einmal zu spät für den Nachmittagsbus, den alle miteinander wie geplant bis zur Endstation hatten nehmen wollen: zum Strand.
Hier sitzen die Freunde und schauen in den Sonnenuntergang. Was für ein Happy End! Wenn nur das "Biep-biep!" nicht wäre, das über der Seite steht - derselbe Ton, der den armen Mann auch am Frühstückstisch schon aufgeschreckt und zur Haustür hinausgetrieben hatte, wirft am Schluss des Buches die Frage auf, ob nicht vielleicht alles nur geträumt war.
Geschwindigkeit ist keine Hexerei, aber nicht jedem gegeben; wenn Freunde füreinander einstehen, kann nichts schiefgehen, auch wenn mal was schiefgeht: Die Steads haben ein warmherziges Bilderbuch geschaffen mit zeitlosen kolorierten Bleistiftzeichnungen, in denen es bei aller Sparsamkeit an Details einiges zu entdecken gibt, in einem Ton erzählt, dessen Gutmütigkeit und Milde bestens zur versponnenen Geschichte und ihrem leicht versteckten Witz passt.
"Herr Anton verpasst den Bus" ist eine gute Gelegenheit, den alten Tierpfleger und seine Freunde kennenzulernen. Den englischsprachigen Bilderbuchfreunden begegnet er hier ein zweites Mal: Eine erste Geschichte erzählt davon, wie Herr Anton - der im Original Amos McGee heißt - einmal krank war: nicht nur sein Zuhause, der Bus Nummer 5 und sein Arbeitsplatz, auch die Hilfsbereitschaft und die Lieblingsbeschäftigungen seiner Freunde kommen den Lesern bekannt vor. Und doch würde man sich auch dieses Buch in deutscher Übersetzung wünschen - nicht allein weil es verrät, warum die Schildkröte zum Trainieren den Zoo verlässt: Beim Wettrennen, heißt es dort, hat sie nie auch nur ein einziges Mal verloren.
Erin E. Stead, Philip C. Stead: "Herr Anton verpasst den Bus".
Aus dem Englischen von Uwe-Michael Gutzschhahn. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2023. 48 S., geb., 18,- Euro. Ab 4 J.
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