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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.12.2014

Buch statt Böller
Helmut Brade: "Plakate"

Wir stehen heute auf der Schwelle von einem deutschen Jubiläumsjahr ins nächste: Die Erinnerung an 25 Jahre Mauerfall wird abgelöst von der an 25 Jahre Wiedervereinigung. Diese deutsch-deutsche Zeitgrenze ist leicht zu überschreiten, so simpel, wie es im Fall der deutsch-deutschen Territorialgrenze leider nie war. Oder auch im Fall der ehedem vielbeschworenen Mauern in den Köpfen.

Einer, der den Kopf damals weit über der Mauer hatte, war Helmut Brade. Für eine Ausstellung seiner Grafik im Kunstverein Hannover zeichnete der Künstler aus Halle an der Saale ein Plakat, das einen deutschen Michel zeigte, der die Nase über eine Mauerkante steckt - als eine Art einheimischer Kilroy. Das war 1988 ein Wagnis, und der DDR-Kollege Volker Pfüller wusste es einzuschätzen, als er bei der damaligen Ausstellungseröffnung bemerkte: "Zu sehen ist alles, und wer Augen hat zu sehen, der sehe, und wer seine fünf Sinne beisammen hat, benutze sie."

Das ist die rechte Gebrauchsanweisung für ein Buch, das nun Plakatentwürfe von Helmut Brade versammelt - sein Hauptwerk insofern, als der 1937 geborene Brade seit mehr als fünfzig Jahren Plakate gestaltet: fürs Theater, die Oper, Museen, Kinos, in West und Ost und aller Welt. Und doch werden Meister wie er, die uns Weltbilder und Bilderwelten vorzeichnen, notorisch unterschätzt; der in diesem Jahr verstorbene Hans Hillmann genauso wie eben Pfüller oder Brade. Wenn es also einen guten Vorsatz für 2015 geben sollte, dann den, sich solcher Werke anzunehmen, und wie es der Zufall will, besteht dazu für Brade gerade die schönste Gelegenheit.

Das Buch mit dem schlichten Titel "Helmut Brade - Plakate" ist in dem kleinen Verlag MMKoehn in einer noch kleineren Auflage von nur fünfhundert Exemplaren erschienen, kostet angesichts des enthaltenen Reichtums kleinstes Geld (36 Euro) und ist ein großes Vergnügen. Gerade weil es sich um die Entwürfe handelt. Man bekommt da ein Ideenfeuerwerk geboten, das alles, was heute Nacht in den Himmel aufsteigen wird, vergessen macht. Stecken Sie als einheimische Kilroys die Nase also ins Buch statt über die Fensterbrüstung.

Den Hinweis auf dieses Werk verdanke ich übrigens dem darin selbst mit einem Beitrag vertretenen Leipziger Schriftsteller Clemens Meyer. Ein diffuses Gefühl sagt mir, dass ich gemeinsam mit ihm die heutige Silvesternacht nicht gut überstehen würde. Wer wie ich alkoholisch Vorsicht walten lassen möchte, der kann sich zum neuen Jahr mit Helmut Brades herrlichen Zeichnungen zumindest ästhetisch berauschen.

apl

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