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Zwei Erzählungen Solschenizyns, die ersten, die nach der Rückkehr des russischen Nobelpreisträgers aus dem amerikanischen Exil entstanden. "Ektow, der Philanthrop" erzählt vom erbitterten Kampf eines Genossenschaftsbauern gegen die bolschewistische Diktatur; "Ein Heldenleben", die zweite Erzählung, schildert das Schicksal des Weltkriegshelden und Eroberers von Berlin, Marschall Schukow.

Produktbeschreibung
Zwei Erzählungen Solschenizyns, die ersten, die nach der Rückkehr des russischen Nobelpreisträgers aus dem amerikanischen Exil entstanden. "Ektow, der Philanthrop" erzählt vom erbitterten Kampf eines Genossenschaftsbauern gegen die bolschewistische Diktatur; "Ein Heldenleben", die zweite Erzählung, schildert das Schicksal des Weltkriegshelden und Eroberers von Berlin, Marschall Schukow.
Autorenporträt
Alexander Solschenizyn wurde 1918 in Kislowodsk geboren. 1970 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. 1974 wurde er aus der Sowjetunion ausgewiesen. Er lebte zunächst in Zürich und seit 1976 in den USA. 1994 kehrte Solschenizyn nach Russland zurück. 2008 verstarb Alexander Solschenizyn.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.04.1996

Feldherr, werde hart
Russische Geschichte nach Solschenizyn / Von Reinhard Lauer

Wer prägt unser Bild von der Geschichte? Die Quellenforscher, die Historiker, die Dichter? Die von Arthur C. Danto vor zwei Jahrzehnten gestellte Frage, wieweit narrative Verfahren an der Konstituierung der Geschichtsbilder beteiligt sind, wo denn die Grenze zwischen res gestae und res fictae verlaufe, stellt sich in besonderem Maße bei der Betrachtung der historischen Romane und Erzählungen, die Alexander Solschenizyn in den letzten Jahren vorgelegt hat. In dem vielteiligen Romankoloß "Das rote Rad", mit dem er das geschichtliche Verhängnis aufdecken wollte, das das alte Rußland in den Abgrund riß, sind Geschichtsschreibung und romaneskes Erzählen, Dokumentation und Fiktion verschmolzen. Die Geschichtsbewältigung Solschenizyns nutzt zwar zuverlässig recherchiertes Quellenmaterial; um der höheren Glaubwürdigkeit willen aber muß sie die klassische Objektivität Rankes durch Introspektion der Handelnden überspielen. Diese Methode bestimmt auch Solschenizyns historische Erzählungen, doch lassen Kürze und Geschlossenheit der Gegenstände hier das darstellerische Können des Nobelpreisträgers deutlicher hervortreten als in der Mammut-Komposition des letzten Romans.

Die beiden Erzählungen, die in der deutschen Fassung wenig glücklich "Ektow, der Philanthrop" und "Ein Heldenleben" überschrieben sind, veröffentlichte Solschenizyn nach seiner Rückkehr nach Rußland in der Zeitschrift "Nowyj Mir", die in der Chruschtschow-Ära seine ersten Werke publiziert hatte. Sie entstammen dem unerschöpflichen thematischen Steinbruch, den sich Solschenizyn für das "Rote Rad" angelegt hat. Es handelt sich um Lebensbilder zweier historischer Figuren, Schicksale, herausgehoben und doch typisch für die vergangene Welt des Sowjetstaates.

Der Held der einen, Pawel Ektow, ein überzeugter Sozialrevolutionär und Genossenschaftler, wird nach Beendigung des Bürgerkrieges zum Anführer einer Bauernrevolte gegen die Sowjetmacht. Die blutigen Requirierungszüge der Roten Armee, die sich zu einem Vernichtungskrieg gegen die Landbevölkerung auswachsen, lassen den Bauern keine andere Wahl, als sich zur Wehr zu setzen. Waffen rauben sie sich von ihren Feinden, ihre militärischen Führer rekrutieren sie aus den Unteroffizierskorps der ehemaligen Kaiserlichen Armee. So auch Pawel Ektow. Er bringt es bei den Antonow-Partisanen bis zum stellvertretenden Regimentskommandeur. Als er erkrankt und sich versteckt halten muß, wird er denunziert und nach Moskau verbracht. In ununterbrochenen Verhören erpressen ihn die Tschekisten mit dem Schicksal seiner Familie. Ektow verrät die Rebellen, indem er eine als Kosaken verkleidete Spezialeinheit der Roten ins Antonowsche Lager führt.

Mittels erlebter Rede und inneren Monologs versetzt Solschenizyn den Leser in die Denk- und Argumentationsweise der bedrängten Bauern und des von der Tscheka erpreßten Ektow. Sie sind nicht gegen die Revolution, aber gegen die Ausplünderung und den Terror seitens der Roten. Sie nennen die Bolschewikentrupps "die Schwarzen", "weil sie sich wie Teufel aufführen und weil viele Nichtrussen dabei waren". Bolschewikenherrschaft bedeutet für die Bauern Fremdherrschaft.

Doch der Erzähler ist auch Geschichtsbetrachter. Immer wieder fragt er: "Vendée?" War der Antonow-Aufstand, den die Bauern mit Mistforken, Ofengabeln und Äxten begannen und der vor dem Verrat zwei bewegliche, gut organisierte Armeen gegen die Bolschewiken aufbot, die Konterrevolution? War sein Ziel, wie die Sozialrevolutionäre sich einredeten, die Rettung der Revolution und der Freiheit? Oder bedeutete er einfach, wie die Bauern sagten, das Aufbegehren gegen die "Macht der Beleidiger und Räuber"? Solschenizyn schildert die Geschehnisse und die Ansichten der Akteure. Er zeigt, wie ein hamletischer Held sich in den Netzen der Tscheka verfängt.

Von ganz anderem Schlage ist der Held der zweiten Erzählung, Jorka Schukow, der Bauernjunge, der das Kürschnerhandwerk erlernt, 1915 in einer Dragonerschwadron gegen die Deutschen in den Krieg zieht, dann mit der Ersten Moskauer Kavalleriedivision am Bürgerkrieg und an der Niederschlagung der Antonow-Partisanen teilnimmt (hier berühren sich die beiden Erzählungen). Er wirkt an Erschießungen mit, verroht, wird zum verbissenen Kämpfer. Ein Besuch des Armeebefehlshabers Tuchatschewskij in einer gepanzerten Draisine wird für den jungen Kavallerieoffizier zum Schlüsselerlebnis. Aus der souveränen Haltung, aus den gnadenlosen Geheimbefehlen des Heerführers lernt Jorka Schukow: "Ohne Härte - keine großen Feldherren".

Dieser Jorka Schukow ist kein anderer als der künftige Heerführer, stellvertretende Verteidigungskommissar, Verteidigungsminister und Marschall Georgij Schukow, der den deutschen Angriff auf Moskau zum Stehen brachte, der Stalingrad entsetzte, die Schlacht im Kursker Bogen gewann und Berlin eroberte. Der zweite Teil der Erzählung zeigt den Ruheständler Schukow, der auf seiner Datscha am Moskwa-Fluß seine Erinnerungen niederschreibt und das Erlebte überdenkt. Wie er die Säuberungen überstand, die sein Idol Tuchatschewskij hinwegrafften; wie ihn Stalin erhob und wieder fallenließ.

Den wechselvollen Verlauf des deutsch-russischen Krieges ruft er sich zurück, Stalins strategische und operative Ahnungslosigkeit, die eigenen Erfolge. Wie Stalin dem Marschall 1946 den erhofften Ministerposten verweigerte und ihn aufgrund einer Denunziation in einen entlegenen Militärbezirk strafversetzte; wie er, nach Stalins Tod, Berija verhaftete und unter der kollektiven Führung Verteidigungsminister wurde; wie er Chruschtschow bei seinem Coup im Zentralkomitee unterstützte und dafür, während er gerade in Belgrad weilte, seines Postens enthoben wurde - das alles bewegt er in seinen Gedanken. War er für Chruschtschow eine gefährliche Persönlichkeit, ein Bonapartist geworden, so wie es einst Stalin seinem besten General Tuchatschewskij unterstellt hatte? Allein, der alte Haudegen und große Feldherr, das belegen all seine Erinnerungen und Kalküle, ist kein Politiker und war es nie; zwar vermag er den militärischen Gegner zu überlisten, im politischen Ränkespiel aber unterliegt er, selbst wenn es nur um die Veröffentlichung seiner Memoiren geht.

Durch die Öffnung der Innenperspektive, die dem Historiographen verwehrt ist, gelingt es Solschenizyn, seine beiden Helden, bei aller Verschiedenheit, mit einer tragischen Aura zu umgeben. Dem bolschewistischen Unfehlbarkeitsanspruch, der noch die willkürlichste Option zwingend - "dialektisch" - zu begründen und mit radikaler Gewalt durchzusetzen weiß, erweist sich Ektow, der aufbegehrende, doch schwache Sozialrevolutionär, ebensowenig gewachsen wie Marschall Schukow, das militärische Werkzeug der Partei. Der perverse Macchiavellismus, den die Parteimächtigen von Stalin und Chruschtschow bis hinunter zu den Tschekisten und Pressefunktionären praktizieren, läßt die Opfer, die ja selbst nicht frei von Schuld sind, nun wieder als Gerechte erscheinen. Die beiden eindrucksvollen Fallstudien belegen nicht nur die ungebrochene Erzählkraft Alexander Solschenizyns, sondern auch die Tatsache, daß der von Karamsin, Puschkin und Tolstoj eröffnete breite Strom der Geschichtsliteratur in Rußland noch keineswegs versiegt ist.

Alexander Solschenizyn: "Heldenleben". Zwei Erzählungen. Aus dem Russischen übersetzt von Heddy Pross-Weerth. Piper Verlag, München 1996. 160 S., geb.,

36,- DM.

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