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1998 jährt sich zum fünfzigsten Mal das von der damaligen Presse so benannte "Jahr der Heimkehr 1948". Die Beiträge in diesem Band schidern, vor welche Probleme sowohl die Heimkehrer als auch das Nachkriegsdeutschland durch die massenhafte Rückkehr von Kriegsteilnehmern gestellt wurden. Der Band veranschaulicht die politischen, sozialen und nicht zuletzt die persönlichen Umstände der "Heimkehr 1948"in den verschiedenen Besatzungszonen.

Produktbeschreibung
1998 jährt sich zum fünfzigsten Mal das von der damaligen Presse so benannte "Jahr der Heimkehr 1948". Die Beiträge in diesem Band schidern, vor welche Probleme sowohl die Heimkehrer als auch das Nachkriegsdeutschland durch die massenhafte Rückkehr von Kriegsteilnehmern gestellt wurden. Der Band veranschaulicht die politischen, sozialen und nicht zuletzt die persönlichen Umstände der "Heimkehr 1948"in den verschiedenen Besatzungszonen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.04.1999

Treulose Frauen, entfremdete Kinder
Deutsche Kriegsheimkehrer in den vierziger Jahren

Heimkehr 1948. Geschichte und Schicksale deutscher Kriegsgefangener. Herausgegeben von Annette Kaminsky. C. H. Beck Verlag, München 1998. 399 Seiten, 82 Abbildungen, 39,80 Mark.

Filzpantoffeln haben Anfang der fünfziger Jahre Ehekrisen ausgelöst. Frauen ärgerten sich über ihre aus Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Männer, die zu Hause oft deprimiert in Bademantel und Hausschuhen die Zeit totschlugen. Viele Heimkehrer wiederum konnten sich nicht damit abfinden, daß ihre Frauen durch die allein bewältigten Kriegsjahre stark und selbstbewußt geworden waren.

Als Individuen mußten die Heimkehrer sich in einer fremd gewordenen Welt zurechtfinden, als Massenphänomen wurden sie von Sowjetunion und SED für Propagandazwecke genutzt. Wie mühsam ihr Weg in die Freiheit durch Entlassungslager und Quarantänestationen war, wie konfliktreich der Alltag der Heimkehrer, schildert der Sammelband in 19 Beiträgen. Auf der Grundlage offizieller Quellen und Zeitzeugen-Berichte werden die persönlichen Erfahrungen der ehemaligen Kriegsgefangenen sowie die politischen und sozialen Rahmenbedingungen ihrer Rückkehr in den Jahren 1945 bis 1956 nachgezeichnet. Schwerpunkt der Ausführungen ist die Situation der Heimkehrer in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der DDR.

Mehr als elf Millionen deutsche Soldaten gerieten während des Krieges in Gefangenschaft, allein drei Millionen von ihnen in der Sowjetunion. Bis Ende 1948 - von der zeitgenössischen Presse als "Jahr der Heimkehr" bezeichnet - sollten gemäß alliierter Vereinbarungen von 1946 alle Kriegsgefangenen zurückgeführt sein. Während die westlichen Alliierten diese Vereinbarung bis zum Jahresende 1947 erfüllt hatten, wurden zu dem Zeitpunkt in sowjetischen Lagern immer noch mehr als eine Million Gefangene vermutet. Insgesamt kehrten von den drei Millionen deutschen Kriegsgefangenen dort nur zwei zurück.

Wie sehr die Entscheidung Moskaus über die Freilassung vom politischen Nutzen der Heimkehrer abhing, schildert Beate Ihme-Tuchel in ihrem Beitrag. Kaum Forderungsspielraum hatten die SED-Funktionäre, als es von 1946 an um die Verhandlungen über die Rückkehr der Kriegsgefangenen mit der sowjetischen Besatzungsmacht ging. Freigelassen wurde auf Befehl Moskaus fast nur zu Propagandazwecken: Etwa 120 000 Männer im Sommer 1946, um die im Oktober stattfindenden Kreis- und Landtagswahlen in der SBZ positiv zu beeinflussen, eine weitere größere Anzahl 1949 und 1950, als Werbung für die in der Bevölkerung keineswegs akzeptierte "deutsch-sowjetische Freundschaft". Nach den Aufständen im Juni 1953 wurde die Entlassung von etwa 12 000 Kriegsgefangenen zur innenpolitischen Stabilisierung der DDR genutzt. Bei der zögerlichen Rückführung spielte darüber hinaus auch der Einsatz der Arbeitskraft der Gefangenen für die sowjetische Wirtschaft eine große Rolle.

Einmal entlassen, sollten die Kriegsgefangenen ein vorteilhaftes Bild von der Sowjetunion vermitteln, was vielen schwer genug fiel. Denn das Lagerleben war ein Kampf ums Überleben, wie Peter Steinbach darlegt: "Nahrungsmittel, trockene Kleidung, festeres Schuhwerk, Handschuhe bestimmten das Denken." Gewalt und Skrupellosigkeit waren an der Tagesordnung; schwächere Soldaten verhungerten auf den Transporten, da sie sich nicht bis zu den Suppenkübeln durchkämpfen konnten.

Auch die Verhältnisse in der Besatzungszone sollten den Heimkehrern in günstigem Licht erscheinen. Auf diese Weise versuchten Besatzungsmacht und SED ihre Position zu stützen und den Verbleib der als Arbeitskräfte dringend benötigten Männer in der SBZ sicherzustellen. Ein Dorn im Auge waren den Behörden Gespräche der ehemaligen Soldaten mit Beamten der Deutschen Reichsbahn während der Rücktransporte, wie Burghard Ciesla und Annette Kaminsky in ihren Aufsätzen darlegen. Das Eisenbahnpersonal malte den Heimkehrern die Lebensbedingungen in der Zone oftmals in schwarzen Farben. "Zweifellos ist es besonders wichtig, die Heimkehrertransporte aus der Sowjetunion zu propagandistisch einheitlichen und wirkungsvollen Demonstrationen gegen die Antisowjethetze bei ihrer Ankunft in Frankfurt (Oder) zu machen. Es ist deshalb außerordentlich schlecht, wenn die Heimkehrer als erste deutsche Worte (...) eine blühende Antisowjethetze seitens des deutschen Zug- und Lokpersonals erleben", klagte ein Parteimitglied 1949 in einem Bericht an das Zentralsekretariat der SED Berlin. Diese ersten Nachrichten hatten neben der politischen auch eine persönliche Komponente, da die desillusionierenden Informationen über ein völlig verändertes Deutschland sich negativ auf die Moral der Heimkehrer auswirkte. Ein "verklärtes Bild von der Heimat, der Familie oder der eigenen Frau" hatte ihnen geholfen, die Gefangenschaft zu überstehen, jetzt mußten sie zum Beispiel hören, daß Verhältnisse deutscher Frauen mit den Besatzern notgedrungen akzeptiert wurden. "Sie hatten in ihren Wunschvorstellungen meist ein Frauenbild verinnerlicht, das nichts mit den realen Problemen der Frauen in der deutschen Nachkriegsgesellschaft gemein hatte."

Den mühevollen Weg der Heimkehrer durch die Entlassungslager in Frankfurt an der Oder schildert Annette Kaminsky in ihren beiden Beiträgen. Meistens unterernährt, "zerlumpt und krank", kamen die Männer in Deutschland an; auch in den Lagern wurden sie aufgrund der Nachkriegsnot und mangelnder Infrastruktur nur unzureichend mit Nahrungsmitteln und Medikamenten versorgt. Viele Heimkehrer starben schon während des kräftezehrenden Transports oder kurz nach der Ankunft. Während des Aufenthalts in verschiedenen Lagern, wo die Männer formell aus der Gefangenschaft entlassen wurden, begann mit Hilfe der Suchdienste die Kontaktaufnahme mit Familienangehörigen. Ein Drittel der Rückkehrer blieb in der SBZ, der Rest reiste in die westlichen Besatzungszonen weiter.

Die SED versuchte, mit intensiver Propaganda die Gefangenen für ein Verbleiben in der SBZ zu gewinnen. Politische Einflußnahme wurde mit sachlichen Informationen verbrämt, zum Beispiel über Kranken- und Sozialversicherungen sowie die schwierige Wohnungssuche. Doch nur ein geringer Teil der Männer, überwiegend Absolventen der sogenannten antifaschistischen Schulungen in den sowjetischen Lagern, konnte als politische Sympathisanten gewonnen werden.

Als ernstzunehmenden Konkurrenten in ihrem Zugriff auf die Heimkehrer hatte die SED nur die Kirchen, die sich um die seelische Verfassung der ehemaligen Soldaten sorgten. Eine evangelische Heimkehrerorganisation nannte 1948 als zentrale Leidenserfahrung der Männer die "Flucht der Familie vor dem Heimkehrer, also die Treulosigkeit der in langen Jahren herbeigesehnten Frau und die Fremdheit der Kinder". Ebenso beklagt wurde die Gleichgültigkeit der Gesellschaft, denn aufgrund der eigenen Not war die Hilfsbereitschaft den zurückkehrenden Soldaten gegenüber oft eher gering.

"Möchten Sie's nicht mal mit Liebe versuchen?", lautete ein Ratschlag der Hamburger Frauenzeitschrift Constanze auf den Brief einer Leserin hin, die sich über ihren ständig herumkommandierenden Mann, einen Heimkehrer, beschwerte. Angesichts des Hungers, wohnlicher Enge, Trümmerarbeit und Armut gingen derlei Ratschläge völlig an der Realität vorbei. In ihrem Beitrag erläutert Franka Schneider, wie Orientierungsschwierigkeiten, Arbeitslosigkeit und der Verlust der Rolle als Familienoberhaupt zu Eheproblemen führten, da viele Heimkehrer auf die "aus der Notsituation geborene Selbständigkeit ihrer Ehefrauen mit Unverständnis, Aggression oder Schweigen reagierten." Männer warfen ihren Ehefrauen vor, "keine richtige Frau" mehr zu sein, Frauen hingegen empfanden ihre Männer als apathisch oder unselbständig, kurzum als Belastung. "Die Konflikte zwischen Ehefrauen und ihren heimkehrenden Männern schienen bisweilen schwerer zu bewältigen als das allgemeine Chaos in der Nachkriegsgesellschaft."

Scheidungsraten schnellten in die Höhe, manche Zeitschriften sprachen angesichts der vielen Ehekrisen gar vom Zerfall der bürgerlichen Gesellschaft. Eheberatungsstellen wurden ausgebaut, Medien, kirchliche und staatliche Einrichtungen erstellten Lösungsvorschläge. Stets sollten auch konservative Rollenvorstellungen vom arbeitenden Ehemann und dem zartfühlenden, für Harmonie und Häuslichkeit verantwortlichen weiblichen Geschlecht vermittelt werden.

Das Buch lohnt die Lektüre, auch wenn die Aussagen meist nur mühsam aus dem geschichtswissenschaftlichen Dickicht der Detailstudien herauszulesen sind. Angenehm ist die nüchterne, auf Rührseligkeit verzichtende Betrachtungsweise der meisten Aufsätze. Allerdings verwirren die oft widersprüchlichen Angaben über Jahres- oder Gefangenenzahlen in den verschiedenen Beiträgen. Überblicksdarstellungen zur Situation in den westlichen Besatzungszonen, die der allgemein gehaltene Untertitel des Buches vermuten läßt, sucht der Leser leider vergeblich. Die Perspektivenvielfalt der Beiträge verdeutlicht indes, daß die Ankunft der ehemaligen Kriegsgefangenen in Deutschland die Rückkehr in eine Heimat war, die es nicht mehr gab.

KARIN TRUSCHEIT

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