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Der Vater ist Hauptmann bei den Grenztruppen in Thüringen, die Mutter im sozialistischen Fachhandel, der siebzehnjährige Sohn Bobsportler in Oberhof - eine Familie wie unzählige in der ehemaligen DDR. Ein beruflicher Aufstieg, eine kleine Beförderung könnten zwar nicht schaden, aber im Großen und Ganzen sind die Hippels zufrieden mit ihrem Leben. Sven erhofft sich eine Aufnahme in den Bob-Auswahlkader und damit Reisen in den gelobten Westen. Doch aus dem Traum wird nichts. Frust macht sich breit bei ihm. Er wird betrunken im Sperrgebiet aufgegriffen: Versuch eines illegalen Grenzübertritts?…mehr

Produktbeschreibung
Der Vater ist Hauptmann bei den Grenztruppen in Thüringen, die Mutter im sozialistischen Fachhandel, der siebzehnjährige Sohn Bobsportler in Oberhof - eine Familie wie unzählige in der ehemaligen DDR. Ein beruflicher Aufstieg, eine kleine Beförderung könnten zwar nicht schaden, aber im Großen und Ganzen sind die Hippels zufrieden mit ihrem Leben. Sven erhofft sich eine Aufnahme in den Bob-Auswahlkader und damit Reisen in den gelobten Westen. Doch aus dem Traum wird nichts. Frust macht sich breit bei ihm. Er wird betrunken im Sperrgebiet aufgegriffen: Versuch eines illegalen Grenzübertritts? Trotz dieser für sie heftigen Monate des Jahres 1978 bleiben die Hippels gute Genossen. - Erich Loest erinnert noch einmal daran, wie sich die Menschen im DDR-System eingerichtet hatten und warum sie solange aushielten.

Autorenporträt
Loest, Erich
Erich Loest, geboren 1926 in Mittweida (Sachsen), war seit 1950 freischaffender Schriftsteller, 1957 aus politischen Gründen verhaftet und zu einer siebenjährigen Zuchthausstrafe verurteilt. 1981 verließ er die DDR. Mit seinem Sohn gründete er 1989 den Linden-Verlag. Bis zu seinem Tod am 13.9.2013 lebte er wieder in Leipzig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.08.1999

Naturtrübe Genossen
In die Lücke: Erich Loest über Lebensentwürfe von der Stange

Unter den Schriftstellern unseres Landes gibt es einen, den man als Protokollanten deutschen Schicksals in diesem Jahrhundert bezeichnen könnte; sein Name ist Erich Loest. Greift dieser Titel zu weit? Immerhin ist Loests Erzählradius wesentlich von seiner Lebensmitte bestimmt worden, und dafür stand sein Geburtsland Sachsen, selbst in den Jahren, die er in Deutschlands Westen verbrachte. Sachsen aber war vierzig Jahre lang Bestandteil der DDR, und Loest erzählte denn auch gründlich von der DDR und den Menschen, die in ihr und mit ihr zurechtkommen mussten. Sollte man ihn nicht besser einen Protokollführer des DDR-Alltags nennen?

Es würde ihm nicht gerecht. Letzten Endes hat Loest alle seine Erlebnisse und Erfahrungen literarisch genutzt, von Kindheit und Jugend in Hitlers Reich und Hitlers Krieg bis zu den späten Jahren in der Bundesrepublik, wohin sein heimisches Regime den Unbequemen 1981 abschob. Eine Zeitlang, in den frühen Fünfzigern, hatte sich der schreibende Eleve um sozialistischen Gehorsam bemüht und die DDR als das absolut Andere - und natürlich Bessere - abzubilden versucht, aber er scheiterte schon 1953, angesichts des Volksaufstandes vom 17. Juni, am eigenen kritischen Gewissen. Den Rest linientreuer Flausen vertrieb ihm das Regime zwischen 1957 und 1964 im Zuchthaus Bautzen. Danach beschrieb der gereifte Schriftsteller die DDR-Wirklichkeit als das, was sie war, nämlich als schwieriges deutsches Nachkriegsdasein.

Die Helden seines Kaleidoskops, ab 1961 hinter der "Staatsgrenze West" eingesperrt, wurden den übrigen Deutschen langsam fremd. Zehn Jahre nach der Wende versteht man im Westen immer noch wenig von den Voraussetzungen, unter denen der östliche Bevölkerungsteil zum Gesamtvolk fand. Aus Loests Geschichten läßt sich das lernen, es gibt kaum DDR-Typen oder DDR-Probleme, denen er sich nicht gewidmet hat. Der Autor selbst aber stand offensichtlich unter dem Eindruck, er habe eine Lücke gelassen. Denn jetzt fügt er seinem umfangreichen OEuvre ein neues Buch hinzu, das "Gute Genossen" heißt, ins Jahr 1978 zurückblickt und eine Personnage aus dem Funktionärsstand vorweist. Sei's drum: SED-Genossen sind schließlich auch Menschen. Und ist nicht am Ende Jago interessanter als Othello, Herzog Alba eindrucksvoller als Graf Egmont? Warum nicht mal Finsterlinge als Helden?

So könnte man fragen, wenn es Loests Buch erlaubte. Doch das tut es nicht. Seine guten Genossen sind keine aufregenden Schurken, sondern Leute von der Stange, bemerkenswert nur durch ihr entschlossenes Ja zum SED-Staat und dadurch, dass sie auch dann ja sagen, wenn sie geprügelt werden. Sie sind außerstande zu lernen, der Autor signalisiert es schon auf dem Vorsatzblatt; er bezeichnet dort sein Werk als "Erzählung, naturtrüb".

Wir haben da Jürgen Hippel, Hauptmann der Grenztruppen in Thüringen, seine Frau Marion, bewährte Kraft im sozialistischen Handel, den Sohn Sven, siebzehnjährige Zukunftshoffnung im Bobsport der DDR. Hauptmann Hippel bekennt sich zum Tag X, an dem die sowjetischen Freunde einem Überfall seitens der BRD zuvorkommen werden. Er entwirft eine brisante Übung für den Einsatz der eigenen Militärkräfte, woraufhin ihm ein Doktortitel und der Majorsrang winken. Marion wiederum erweist sich als geschickte Managerin eines Handelsvertrages mit dem Irak, der eigentlich die DDR-Ressourcen überfordert. Ihrer Verdienste wegen darf sie auf den großen Buntfernseher hoffen, den sie bislang nicht ergattern konnte, weil er in zu geringer Stückzahl produziert wird. Sven schließlich trainiert, dass die Knochen knacken, und träumt von Bobsiegen im kapitalistischen Ausland. Er will nämlich aus dem abgeschotteten thüringischen Grenzbereich endlich raus in die große, weite Welt.

Das sind riskante Sehnsüchte, geeignet, die Erfüllung der elterlichen Träume zu gefährden. Sven möchte, was kein gutdenkender DDR-Bürger darf. Man erwischt ihn inmitten der Grenzsicherungen, voll wie eine Haubitze. War es wirklich nur der Alkohol? Oder wollte er tatsächlich "rübermachen" zum Klassenfeind?

Die Frage bleibt offen, vor allem deshalb, weil Mutter Marion ihr merkantiles Ansehen in die Waagschale werfen und den Sohn bei der sozialistischen Staatsanwaltschaft rauspauken kann. Die Grenzverletzung wird vergleichsweise milde bestraft, man einigt sich darauf, dass sie aus Dummheit und nicht zum Zwecke der Republikflucht begangen wurde. Immerhin sieht Svens Zukunft trübe aus. Auch dem Papa schwimmen die Felle weg. Beförderung und Doktortitel sind dahin, Hauptmann Hippel wird von der ruhmträchtigen Westgrenze zur öden polnischen Grenze versetzt. Allein die Mama steigt weiter auf - aber wie wird das der Hippelschen Ehe bekommen?

Genau besehen, ist diese Geschichte durchaus mit Tragik schwanger. Aber der Autor läßt das Tragische nicht zum Vorschein kommen. Hätte er es getan, er hätte sich um die Chance gebracht, funkelnden Spott über die Genossen-Szene zu sprühen. Tatsächlich ist die Versuchung groß, so viel verbohrte Dummheit einfach auszulachen. Lachen wir also mit Loest, er gibt uns Seite für Seite Gelegenheit dazu. Nur das humane Potential, das seiner Geschichte innewohnt, das müssen wir selbst herausfiltern.

SABINE BRANDT

Erich Loest: "Gute Genossen. Erzählung, naturtrüb". Linden-Verlag, Leipzig 1999. 208 S., geb., 36,- DM.

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"Man taucht in den Mief des Parteibonzen-Regimes ein - und versteht plötzlich, warum die Menschen diese seltsame Welt ertrugen und auch ihre kleinen Zukunftshoffnungen darauf bauten ... Loest ist diesmal ein sehr penibler Chronist einer untergegangenen Welt." Friedrich G. Stern in 'NZ'