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Das einsame Genie - für kaum einen Architekten der Moderne gilt dieses Wort weniger als für Le Corbusier, einen der radikalsten und umstrittensten Vertreter seiner Kunst. Schon früh zog der charismatische "Corbu" junge Architekten aus aller Welt an, die voller Leidenschaft in seinem Atelier zeichneten, ihm in mageren Zeiten neue Aufträge verschafften und nach seinem Tod sein Erbe verwalteten. Wer waren die collaborateurs, woher kamen Sie? Was haben sie für ihn und sein Werk getan? Konnten sie sich von seinem Einfluss lösen, sind sie selbst zu bedeutenden Architekten geworden? Aus der Vielzahl…mehr

Produktbeschreibung
Das einsame Genie - für kaum einen Architekten der Moderne gilt dieses Wort weniger als für Le Corbusier, einen der radikalsten und umstrittensten Vertreter seiner Kunst. Schon früh zog der charismatische "Corbu" junge Architekten aus aller Welt an, die voller Leidenschaft in seinem Atelier zeichneten, ihm in mageren Zeiten neue Aufträge verschafften und nach seinem Tod sein Erbe verwalteten. Wer waren die collaborateurs, woher kamen Sie? Was haben sie für ihn und sein Werk getan? Konnten sie sich von seinem Einfluss lösen, sind sie selbst zu bedeutenden Architekten geworden? Aus der Vielzahl von Mitarbeitern greift Ursula Muscheler die wichtigsten heraus - darunter Oscar Niemeyer, Albert Frey und José Luis Sert - und verfolgt ihre Lebensläufe parallel zum dem Le Corbusiers. Ein beeindruckendes Kaleidoskop der Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts.
Autorenporträt
Ursula Muscheler, in Stuttgart promovierte Architektin, betreibt ein Architekturbüro in Düsseldorf. Gleichzeitig ist sie eine versierte Kennerin und Vermittlerin der Architekturgeschichte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2014

In diesem Kloster hatte nur einer das Sagen

Als Architekt war Le Corbusier genial. Als Autor ein Prophet mit Feuerzungen - als Chef jedoch ein Schinder. Wie er es schaffte, seine Angestellten zu Jüngern zu machen, beschreibt Ursula Muscheler.

Von Dieter Bartetzko

Hinter jedem guten Architekten steht ein starkes Team. Die Solisten der Gegenwartsarchitektur hören das nicht gern, erhalten nun aber die Bestätigung, dass sie mit dieser Eitelkeit in einer großen Tradition stehen: Schon der Schweizer Autodidakt Charles-Édouard Jeanneret-Gris, der ab 1914 unter dem Namen Le Corbusier zum Säulenheiligen der Moderne aufstieg, hätte seine Weltkarriere nie ohne brillante Mitarbeiter geschafft.

Vieles, was Ursula Muscheler zusammengetragen hat, ist bekannt. Sie aber verleiht den Informationen, Anekdoten und Bekenntnissen durch systematische Aufbereitung Tiefenschärfe. Achtzig Bauten, zweihundert unrealisierte Projekte und 32 000 Skizzen zählt die Autorin einleitend auf. Doch nicht zufällig nennt sie zuerst Le Corbusiers vierzig Bücher. Er, der sich lange nicht zwischen Maler und Architekt entscheiden konnte, war vor allem anderen ein Meister des Worts - des kalkuliert provokanten, so wie er als Architekt Bauten reden ließ.

Fritz Schumacher, Hamburgs hanseatisch spröder Stadtbaudirektor, brachte das 1936 halb bewundernd, halb spöttisch, auf den Punkt: Le Corbusier sei ein "geistreicher Literat", aber als solcher auch ein Architekt, der die Nöte und Ängste der Massengesellschaft erfasst habe: "Darin liegt etwas von der Zugkraft des ,Wunderdoktors'." Was diese Zugkraft bei jungen Architekten anrichtete, belegt der 1914 verfasste Brief eines englischen Architekturstudenten, der gerade Le Corbusiers Zukunftsvision "Die strahlende Stadt" verschlungen hatte: "Dies ist der erste Tag in meinem Leben, an dem ich weiß, wofür ich lebe. Und dies wird der erste Tag der Verwirklichung Ihrer Ideale - der Beglückung der Menschheit sein."

Man sollte diesen glühenden Enthusiasmus nicht als pubertären Gefühlsüberschwang der ohnehin hypernervösen Jahrhundertwende abtun. Denn Le Corbusier, der sich mit schwarzer Brille, schwarzen Anzügen, Fliege und straff zurückgekämmten Haaren zum asketischen Propheten des Neuen Bauens stilisierte, verfolgte tatsächlich nicht weniger als das Glück der Menschheit, notfalls mit Zwang. Als er 1933 nach dem vierten, von ihm geleiteten Congrès International d'Architecture Moderne (CIAM) dessen Manifest in eigene Worte fasste, erklärte er, nur der Architekt wisse, "was das Beste für den Menschen ist". Zu dieser Zeit war Le Corbusier längst anerkannt als Führungsfigur modernen Bauens.

Die erste Stufe zum Ruhm hatte er gemeinsam mit dem Ingenieur Max du Bois, einem Jugendfreund, 1915 erklommen, als beide den Haustyp "Domino" entwickelten. Ein Stahlbetonskelett aus sechs Stützen, drei Deckplatten und einer Treppe sollte als Serienprodukt der kriegsbedingten horrenden Wohnungsnot Europas abhelfen. Für Gegner Inbegriff der "Wohnmaschine", erregte Domino international Aufsehen und bescherte dem Duo Aufträge. Le Corbusier aber sicherte sich erst einmal den Alleinvertretungsanspruch - er bestritt jede Mitwirkung von de Bois am Entwurf.

Ganz so rüde sollte er mit seinem Vetter Pierre Jeanneret, ebenfalls Architekt, mit dem er 1922 ein Atelier eröffnete, später nicht verfahren. Mit Yvonne Gallis, einem ehemaligen Mannequin, war im selben Jahr eine Dreifaltigkeit komplett, die beruflich zwei Jahrzehnte, privat ein Leben lang anhalten sollte. Yvonne, die, wie Le Corbusier seiner Mutter schrieb, "Gefährtin eines Mannes mit Marotten", fand auch das Atelier in der Rue de Sévres, einen vierzig Meter langen, drei Meter breiten und vier Meter hohen Gang, der Teil eines Klosters gewesen war und fortan bis 1965 zum Tempel der Moderne werden sollte. Hier entstanden die Pläne für teilweise längst zum Weltkulturerbe zählenden Inkunabeln der Moderne: Le Corbusiers zwei Wohnhäuser der Stuttgarter Weissenhofsiedlung, die Villa Savoye, die unrealisierten Entwürfe für den Völkerbundpalast in Genf, die Unité d'Habitation von Marseille, die Großprojekte der indischen Provinzhauptstadt Chandigarh.

Rund achtzehn, zur Zeit der Großaufträge auch bis zu vierzig Mitarbeiter beschäftigte Le Corbusier dort. Viele, wie Alfred Roth, Kunio Maekawa, Oscar Niemeyer, Albert Frey, José Louis Sert, Ernest Weissmann oder Louis Miquel, wurden später selbst Stararchitekten. Mit dieser Aussicht speiste Le Corbusier sie häufig ab, wenn einer von ihnen eine geringe Erhöhung der lächerlich niedrigen Honorare erbat; Anfänger, egal wie gut sie waren, mussten ohnehin umsonst arbeiten.

"Unterrichtet hat er nicht, Praxis gab's fast gar nicht", erinnerte sich der chilenische Architekt Matta später. Und alle ehemaligen Schüler erklärten, dass umgekehrt die Anforderungen enorm hoch gewesen seien - Le Corbusier verlangte, dass auch die vageste seiner Ideen, die flüchtigste seiner Skizzen in baureife, atmosphärisch perfekt aufgeladene Zeichnungen umgesetzt werden sollte. Die Designerin und Innenarchitektin Charlotte Perriand - sie entwarf die bis heute Verkaufsschlager gebliebenen Corbusier-Sessel -, die 1937 ihre Mitarbeit aufgekündigt hatte, kommentierte später reumütig: "Ich hätte wissen müssen, dass das Atelier das Gleiche war wie ein Kloster - die Regeln mussten befolgt werden."

Im Jahr 1956 rebellierten einige der Mönche auf dem CIAM-Kongress in Dubrovnik. Vereint mit anderen jungen Architekten zum "Team Ten", erklärten sie: "Die funktional-mechanische Auffassung vom Städtebau und die cartesische Ästhetik der alten Modernen Architektur sind nicht mehr anwendbar. Le Corbusiers Traum einer Ville radieuse war von einer Geometrie vernichtender Banalität getragen." Dass bald darauf die vernichtende Banalität der brutalistischen Spätmoderne folgen sollte, konnten sie nicht ahnen.

Le Corbusier jedenfalls scherte sich nicht um die Revolte. Ihn beschäftigten die atemberaubenden Schwünge seiner berühmten Wallfahrtskirche Notre-Dame-du-Haut.

Ursula Muscheler: "Gruppenbild mit Meister". Le Corbusier und seine Mitarbeiter.

Berenberg Verlag, Berlin 2014. 200 S., br., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Vor lauter Begeisterung für Le Corbusier verliert Rezensent Dieter Bartetzko ein bisschen die Autorin aus dem Blick. Ihr aber hat er doch die Erkenntnisse den Meister und sein strenges Regime betreffend zu verdanken. Vieles, was Ursula Muscheler in ihrem Band zusammenstellt, sei bekannt, erklärt Bartetzko zwar. Doch weiß er auch, dass erst die Autorin den Daten und Anekdoten mit System Schärfe verleiht. Unter welchen Bedingungen die architektonische Moderne im Fall Le Corbusier zustande kam - hier steht's, lässt uns die Besprechung vermuten.

© Perlentaucher Medien GmbH