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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.10.2000

Odysseus ist gewissermaßen Kolumbus
Klaus Rosen entdeckt die Griechen als Entdecker der Welt und der Wissenschaft: Als in der Schule die Nacherzählung durchgenommen wurde, kann der Bonner Althistoriker nicht gefehlt haben

An propädeutischen Einführungen in die griechische Geschichte herrscht im deutschen Sprachbereich kein Mangel. Doch während diese den Leser häufig mit vielen Einzelheiten, Quellen- und Forschungsproblemen, nicht zuletzt mit Gelehrtennamen und wissenschaftlichen Apparaten überschütten, wählt der Bonner Althistoriker Klaus Rosen eine andere, originelle Methode. In scheinbar unprätentiöser, tatsächlich jedoch sehr viel schwierigerer Form ging er daran, die griechische Geschichte bis zum Jahr 338 vor Christus nachzuerzählen. Seine Darstellung wendet sich sowohl an junge Leser, "denen Geschichte in der Schule Freude macht", als auch an ältere, "die sich die Freude an Geschichte bewahrt haben".

Rosen verfügt über die Fähigkeit, elementare Fragen zu stellen. So beginnt sein Buch mit kurzen Abschnitten: "Was ist Geschichte?" und "Warum griechische Geschichte?". Nach knappen Bemerkungen über Geschichte, Geschichtsquellen, Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung wird am Beispiel der modernen Olympischen Spiele die Aktualität griechischer Geschichte aufgezeigt. Kurze Hinweise auf die politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Leistungen der Griechen skizzieren die Bedeutung der Thematik; Schilderungen von Geographie und Besiedlung Griechenlands schließen die Prämissen ab.

Mit der Beschreibung von Mykene setzt dann die eigentliche Darstellung ein. Rosens persönliche Ergriffenheit von Landschaft und Denkmälern gestaltet hier eine der gelungensten Partien des Bandes, in welcher die Verzahnung von Erzählung und Bild besonders geglückt ist. Zur Wirkung des Berichtes tragen Abschnitte über Schliemanns Funde und über die Entzifferung der Linear-B-Schrift wesentlich bei; zu gedrängt ist dagegen die Schilderung der Kultur des minoischen Kreta. Im folgenden Überblick über die "dunklen Jahrhunderte" (1200 bis 800) stehen die "kulturelle Revolution" der Eisengewinnung und -verarbeitung wie eine Interpretation von attischen Vasenbildern im Mittelpunkt.

Sehr viel ausführlicher als all dies erörtert der Erzähler dann die homerische Welt: Die 27 803 Verse von Ilias und Odyssee eröffnen nach ihm den Zugang zu den Griechen. Das Problem der Identität des Dichters wird deshalb ebenso berührt wie das Verhältnis zwischen oral poetry, Schrift und Buch. Während die Analyse der Ilias notwendig die Kontroversen um Troja berührt, die Unterschiede zwischen Homers Gestaltung und historischen Fragestellungen hervorhebt, Homers Funktion als Lehrer der Griechen wie als Künder der olympischen Götter unterstreicht, leitet die Interpretation der Odyssee in ganz andere Zusammenhänge über. Hier wird einerseits Odysseus eindringlich charakterisiert, dieser andererseits als Leitbild für eine allgemeine Nachzeichnung der homerischen Gesellschaft genommen. Deren wirtschaftliche Grundlagen, speziell auch die Rolle der Sklaverei, sowie der geographische Rahmen der beiden Epen sind sicher erfaßt. Nüchtern und ohne großes Pathos ist so der Anfang der europäischen Literatur und damit zugleich "ein Stück Weltliteratur" vergegenwärtigt, der erste große Erzähler griechischer Geschichte durch den nacherzählenden Historiker gewürdigt.

Die folgende Epoche der griechischen Geschichte, die meist als Zeit der großen griechischen Kolonisation bezeichnet wird, versteht Rosen in umfassendem Ausgriff als das "Zeitalter der Entdeckungen". An den Werken Hesiods, des Archilochos und der Sappho schildert er "Die Entdeckung des Ich", in einer glänzenden Interpretation der Schildbeschreibung im achtzehnten Buche der Ilias sodann "Die Entdeckung der Polis", deren Eigenart als Personenverband erläutert wird. Im Abschnitt "Die Entdeckung der Fremde" gibt Rosen eine Skizze der griechischen Kolonisation, in jenem über "Die Entdeckung der Wissenschaft" erfaßt er in wenigen Strichen Persönlichkeiten und Lehren des Thales, Anaximander und Anaximenes, Xenophanes, Heraklit, Demokrit und Pythagoras.

Rosens besonderes Interesse an den Fragen der Geistesgeschichte und speziell der Philosophie ist evident. Der Würdigung der Vorsokratiker entspricht später, in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts, jene der Sophisten und schließlich im vierten Jahrhundert die des Sokrates, Platon, Isokrates und Aristoteles. Für "Die Entdeckung der Politik" wird Athen als anschauliches Beispiel gewählt; Solons Reformen sind als aktuelles Vorbild beleuchtet. In solcher Perspektive lag es nahe, auch das Phänomen der Tyrannis exemplarisch an den Peisistratiden zu erläutern. Daß darüber Welt und Leistungen der sizilianischen Tyrannen, Pindars Welt, nicht gebührend berücksichtigt werden konnten, ist zu bedauern. Bei der Erläuterung der kleisthenischen Reformen wäre wohl eine grafische Darstellung sinnvoll gewesen; ansprechend ist die kleine Spartaminiatur.

In den folgenden Kapiteln über die Perserkriege, den Attischen Seebund, den Peloponnesischen Krieg und das vierte Jahrhundert dominiert dann eine durchaus konventionelle Ereignisgeschichte. Im Banne von Herodot, Thukydides und Xenophon, denen lebendige Porträts gewidmet sind, wird der Erzähler vom Strom des Geschehens mitgerissen; der Bericht geht hier doch wohl zu sehr ins Detail. Statt dessen hätte man sich eine Erweiterung der sehr kurzen Partie über die "Kulturhauptstadt Athen" und generell ausführlichere Informationen über die Leistungen der griechischen Künstler und Architekten im gesamten Mittelmeerraum gewünscht.

Auf die Beschreibung der Höhepunkte griechischer Philosophie, die durch wiederholte Vergleiche mit frühchristlichen Überzeugungen besonders plastisch wirkt, folgen eine Darlegung der Entwicklung der makedonisch-griechischen Beziehungen zwischen 359 und 338 sowie ein sehr kurzer Ausblick auf den Wandel der griechischen Kultur zur Weltkultur. Eine Zeittafel und ein Verzeichnis von Übersetzungen der wichtigsten erwähnten Quellen, schließlich der Hinweis auf ergänzende moderne deutschsprachige Darstellungen griechischer Geschichte runden den Band ab, an dessen Ende vier nützliche Übersichtskarten stehen.

Obwohl auch dieses Vermittlungswerk zur griechischen Geschichte weithin auf die athenisch-spartanisch-persischen Auseinandersetzungen konzentriert ist, den Gesamtbereich der etwa siebenhundert griechischen Poleis, "das dritte Griechenland", deshalb nicht vollständig erfassen kann, legt Rosen doch eine lebendige Gestaltung von Grundzügen griechischer Gesellschaft, Kultur und Geschichte vor, die als erste Einführung durchaus zu empfehlen ist. Die Darstellung imponiert insbesondere durch das didaktische Geschick des Autors, die sprachlichen und stilistischen Qualitäten des Werkes, nicht zuletzt aber durch die verhaltene Passion für die Sache, die auf jeder Seite des Buches entgegentritt.

KARL CHRIST

Klaus Rosen: "Griechische Geschichte erzählt". Von den Anfängen bis 338 vor Christus. Primus Verlag, Darmstadt 2000. 256 S., 19 Abb., 4 Karten, geb., 49,90 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In einer sehr detaillierten Rezension empfiehlt Karl Christ dieses Buch vor allem als "erste Einführung" in die Thematik, zumal der Autor mit besonderem "didaktischen Geschick" vorgehe, der Band gut lesbar und vor allem auch die Begeisterung des Autors stets spürbar sei. Christ merkt an, dass die Methode des Autors gar nicht so leicht ist, wie es vielleicht scheinen mag. Griechische Geschichte wirklich zu erzählen sei schließlich wesentlich schwieriger als eine Zusammenstellung aus Daten, Quellen und Namen zu verfassen, von denen es ja bereits zahlreiche Bände gibt. Doch Rosen geht es nach Ansicht des Rezensenten um "lebendige Gestaltung", und dies scheint ihm durchaus gelungen zu sein. Die Themenvielfalt ist enorm und reicht von politischen, geografischen, philosophischen kulturellen und künstlerischen Themen auch über die Frage, was denn Geschichte überhaupt ist bis hin zu Kriegen und Architektur. Christ geht auf fast jeden Aspekt einzeln ein, und auch wenn er die ein oder andere Ausführung zu detailliert findet oder sich eine ausführlichere Abhandlung gewünscht hätte, so bespricht er den Band insgesamt mit deutlich spürbarer Sympathie.

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