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Wachstum, das ist der Gott der Moderne noch im Angesicht ihres Untergangs: Entgegen prominenter Lesarten erkennt Giorgos Kallis in Thomas Robert Malthus mit seinem berühmt-berüchtigten »Bevölkerungsgesetz« von 1798 nicht einen Propheten der natürlichen Grenzen, sondern im Gegenteil einen Apostel des unbegrenzten Wollens. Indem Malthus die Unersättlichkeit zur Natur erklärt, verewigt er ironischerweise zugleich die Knappheit. In seiner unorthodoxen Parallellektüre der Ideengeschichte der politischen Ökonomie und des ökologischen Denkens kommt Kallis' anregende Studie deren geteilter…mehr

Produktbeschreibung
Wachstum, das ist der Gott der Moderne noch im Angesicht ihres Untergangs: Entgegen prominenter Lesarten erkennt Giorgos Kallis in Thomas Robert Malthus mit seinem berühmt-berüchtigten »Bevölkerungsgesetz« von 1798 nicht einen Propheten der natürlichen Grenzen, sondern im Gegenteil einen Apostel des unbegrenzten Wollens. Indem Malthus die Unersättlichkeit zur Natur erklärt, verewigt er ironischerweise zugleich die Knappheit. In seiner unorthodoxen Parallellektüre der Ideengeschichte der politischen Ökonomie und des ökologischen Denkens kommt Kallis' anregende Studie deren geteilter Grundannahme auf die Spur: der Gleichsetzung von Begrenzung und Knappheit. Doch Grenzen sind nicht natürlich. Sie sind eine Wahl, die wir treffen. In einer umfassenden und doch konzisen Tour de Force von der antiken Philosophie zu Malthus, von Sammler-Jäger-Gesellschaften zu den Romantikern und von anarchistischen Feministinnen zur radikalen Umweltbewegung der 1970er-Jahre zeigt »Grenzen«, wie erst eine institutionalisierte Kultur des Teilens kollektive Selbstbegrenzung möglich macht. Angesichts wachsender sozialer Ungleichheit und der Gegenwart der Klimakatastrophe könnte die Zukunft der menschlichen Existenz davon abhängen, Selbstbegrenzung als Freiheit zu verstehen.
Autorenporträt
Giorgos Kallis, 1972 in Athen geboren, ist nach Arbeiten für das Europäische Parlament und Forschungen an der University of California, Berkeley, seit 2011 Catalan Institution for Research and Advances Studies Professor am Institute of Environmental Science and Technology der Autonomen Universität Barcelona. 2018 erschien sein Buch 'Degrowth' in der 'The Economy Key Ideas'-Serie.  Max Henninger, 1978 in München geboren, lebt, nach Aufenthalten in den USA und Großbritannien, seit 2006 in Berlin und arbeitet dort als Konferenzdolmetscher und Übersetzer aus dem Englischen, Italienischen und Französischen. Seine Sammlung politischer Essays  Armut Arbeit Entwicklung erschien 2017 im Wiener Mandelbaum Verlag. Bei Matthes & Seitz Berlin übersetzte er Feminismusfür die 99 % von Cinzia Arruzza, Tithi Batthacharya und Nancy Fraser sowie Afrotopia von Felwine Sarr.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.10.2021

Verflixte Fantasie
Warum wir, wenn überhaupt, die Welt erst retten werden,
wenn wir ganz anders über unsere Limits denken
VON JENS-CHRISTIAN RABE
Unter Klima- und Umweltschützern gilt es als ausgemacht, dass das einzige Wirtschaftswachstum, das der Planet auf Dauer noch verkraften können wird, gar kein Wachstum ist. Die englische Parole lautet: „The only sustainable growth is degrowth.“ Die deutschen Stichwörter sind Wachstumsrückgang oder Postwachstumsgesellschaft. Das Problem ist bloß: Der Logik der Welt, wie wir sie kennen, ist ein Wachstumsrückgang vollkommen fremd. Degrowth ist für unser Denken das absolut Andere. Und zwar letztlich über alle wesentlichen politischen Lager hinweg.
Vernarrt ist die Kultur des (liberaldemokratischen) Kapitalismus vielmehr in die Überwindung ihrer Grenzen, das Denkbarmachen des Undenkbaren, in technische Innovationen. Erstaunlich lange hat das ja auch eindrucksvoll geklappt. So eindrucksvoll, dass Politiker, die weit davon entfernt sind, den Klimawandel zu leugnen, noch immer unter Applaus verkünden können, dessen Folgen seien mit technischen Innovationen schon in den Griff zu bekommen. Und es ist ja sogar alles andere als irrational, so zu denken. Ideologisch passt die Innovation perfekt zur Grenzüberschreitung: Wer Grenzen überwinden will, muss sich was einfallen lassen.
Man muss aber auch längst kein Ökofanatiker mehr sein, um es mit der Angst zu tun zu bekommen, angesichts der jüngsten apokalyptischen Waldbrände und Dürren. Und dann sind da ja noch die weithin geteilten düsteren Prognosen zur nahen Zukunft der Erde, wenn es – was derzeit wahrscheinlich ist – nicht gelingt, die Erwärmung auf um die 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.
In dieser Lage erscheint nun auch in Deutschland ein Buch, das die Notwendigkeit, unser Wachstum einzuschränken, auch als ideologische Herausforderung ernst nimmt. Es heißt „Grenzen“, verfasst hat es der 49-jährige griechische Wirtschaftswissenschaftler Giorgos Kallis, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter Umweltpolitik für das Europäische Parlament gemacht hat und inzwischen an der Universität Barcelona Ökologische Ökonomie lehrt.
Wobei vorausgeschickt sei, dass sich im Deutschen leider nicht so fein differenzieren lässt wie im Englischen, das mindestens vier Wörter für Grenze kennt, je nachdem, ob es sie gerade anzuerkennen oder zu überwinden gilt: border, frontier, boundary und limit. Kallis geht es um Letzteres, weshalb es womöglich auch im Deutschen – zu Zeiten von hitzigen Diskussionen um die Befestigung von nationalen Grenzen – geschickt gewesen wäre, den englischen Titel einfach zu übernehmen: „Limits“.
Kallis’ Ausgangspunkt ist der 1798 erschienene, kanonische Essay „Das Bevölkerungsgesetz“ des britischen Nationalökonomen, Geistlichen und Pessimisten Thomas Robert Malthus. Malthus erklärt darin die Überbevölkerung zum zentralen Problem sich entwickelnder Gesellschaften. Die Menschheit, so Malthus’ Überzeugung, wachse ohne Hemmnisse schneller als die Nahrungsmittelproduktion. Kallis ist nun der Ansicht, dass Malthus’ Auffassung von Grenzen unsere Gegenwart noch immer prägt. In Debatten zur Überbevölkerung wurde der Essay zuletzt tatsächlich regelmäßig aus dem Hut gezaubert, Malthus gilt als prophetischer Skeptiker und Apologet der limitierten Möglichkeiten der Menschen. Wer Grenzen fordert, gilt in der Wirtschaftswissenschaft bis heute als „Malthusianer“. Diese Lesart von Malthus passt Kallis überhaupt nicht – und er belegt es mit einer skrupulösen und doch elegant geschriebenen Relektüre des „Bevölkerungsgesetzes“. Was an Malthus’ Überlegungen nachhaltig einflussreich gewesen sei, sei nicht, dass ihn die Begrenztheit der Ressourcen umgetrieben habe, sondern dass er den Menschen als Wesen mit „unbegrenzten Bedürfnissen“ imaginiert habe.
Malthus sei weit entfernt davon gewesen, ein Prophet des Untergangs zu sein. Er habe den Untergang vielmehr bloß heraufbeschworen, „um das Streben nach Wachstum anzuregen“: „Erhöht man (..) den Ertrag des Landes“, schreibt er im Bevölkerungsgesetz, „dann brauchen keinerlei Befürchtungen mehr über die angemessene Zunahme der Bevölkerung gehegt werden.“ Entgegen seinem ikonischen Status als Prophet der Grenzen sei Malthus also „tatsächlich ein Wachstumsprophet“ gewesen, so Kallis.
Die seinerzeit in England viel diskutierte Armenhilfe lehnte Malthus ab. Sein Argument: Sie verringere das Leid, aber dieses Leid sei notwendig, denn „so mache Gott uns fleißig“. Knappheit und Produktivität gehen bei Malthus Hand in Hand ins Glück. Exakt das sei das Dogma, das die Ökonomie, „jene Wissenschaft, die entstanden ist, um den Kapitalismus zu erklären, zu rechtfertigen und zu stabilisieren“, zum Prinzip habe. Noch heute. Um die herrschenden, ungleichen Machtverhältnisse und also den freien Markt zu verteidigen und Wachstum als „einzigen Weg nach vorn“ ausgeben zu können. Was sich Malthus nicht habe vorstellen können, und was seine Jünger sich auch heute nicht vorstellen können, ist, dass man sich beschränken und trotzdem glücklich sein kann.
Die Pointe von Kallis’ Grundsatzkritik unserer malthusianischen Vernunft ist dementsprechend eine komplette Schubumkehr, die ihn interessanterweise auch zum Gegner der „trübsinnigern Umweltschützer“ macht, für die Grenzen eine unabänderliche Eigenschaft der Natur sind: „Ich argumentiere stattdessen, dass (…) wir uns begrenzen sollten, (...) weil wir es wollen.“ Mit anderen Worten: Es geht Kallis nicht einfach um neue Spielregeln, er möchte ein ganz anderes Spiel. Er ist ein linker Ökonom, aber mit Betonung auf Ökonom. Seine Kritikstil ist nicht dogmatisch, sondern eher nachdenklich-pragmatisch, empirisch wachsam und betont selbstreflexiv.
Was das Buch so außergewöhnlich macht, ist, dass Kallis die Ökonomie als Sozialwissenschaft ernster nimmt als seine konservativeren Kollegen und ernster auch als all die, die er „neo-malthusianische Umweltschützer“ nennt und die sich selbst vermutlich für links halten. Wer sich auf den Malthus-Blick einlasse, so Kallis, der lasse zu, dass Problemen, die im Wesentlichen sozialen Charakter hätten, mit Marktlösungen begegnet werde. Die Frage nach der Begrenzung des Wachstums verkomme zu einem „sterilen wissenschaftlichen Disput“.
Es spricht für große Unabhängigkeit, dass Kallis ein ganzes Kapitel den fünf Kernproblemen des klassischen Umweltschutzes widmet, etwa dass die Vorstellung von natürlicher Knappheit bedeutet, dass es nicht genug für alle gibt. Dann aber „muss jemand überflüssig sein. Dieser Jemand kann nicht ‚ich oder du‘ sein; es wird ‚der Andere‘ sein: der Ausländer, der Immigrant oder der Arme“.
Die Frage, die Kallis umtreibt, ist: „Ist es möglich, eine nicht-fatalistische Politik der Grenzen zu konstruieren, eine, die auf der Sehnsucht nach Grenzen aufbaut, statt sie der Natur zuzuschreiben?“ Oder, kürzer noch: „Kann sich eine Gesellschaft im Namen des guten Lebens einschränken? Und wenn ja, wie?“ Das ist die Frage aller Fragen unserer Zeit. Die Aufrichtigkeit, mit der er sich um Antworten bemüht, dürfte auch beinharte Pessimisten beeindrucken. Selbst wenn einen etwa der Rekurs auf das antike Griechenland als den realen Fall einer Kultur der Selbstbeschränkung etwas niedlich akademisch erscheint. Ein scharfer Kontrast hat freilich immer einen Erkenntniswert. Und schärfer kann – wenigstens theoretisch – der Kontrast von heutigem und antikem Verständnis von Freiheit kaum sein. Unsere Freiheit ist die möglichst ungehinderte Erfüllung unserer Wünsche, die antike Freiheit war die Freiheit von der Beherrschung durch die Lust.
Es spricht sehr für dieses Buch, dass das letzte Hauptkapitel im Grunde eine Selbstkritik des Autors ist. Kallis möchte kein Fantast sein, aber ohne Fantasie geht es natürlich auch nicht. Verflixt. Seine Ausführungen will er eher als Provokationen denn als Gewissheiten verstanden wissen. Um die Untiefen der Konkretisierung weiß er. Die Schwierigkeiten bei einer größeren politischen Beteiligung aller Bürger, und vor allem das Problem, kollektive Grenzen einzufordern und zu verteidigen, ohne ungerechte Grenzen zu akzeptieren. Wer viel hat, hat es auch leichter, sich einzuschränken.
Dass Kallis’ Projekt eines großen Umdenkens wohl auch eine gute Portion kollektiver Selbstsuggestion nötig haben wird, spürt man deutlich, aber sei’s drum, eine unzynischere Selbstsuggestion kann man sich kaum vorstellen: „Die einzige Antwort ist, dass alle genug haben werden, sobald wir uns einschränken und teilen, was wir bereits haben. Nur wenn wir akzeptieren, dass unsere Bedürfnisse begrenzt sind und befriedigt werden können, werden wir endlich eine Welt im Überfluss genießen.“
„Kann sich eine Gesellschaft
im Namen des guten Lebens
einschränken?“
Giorgos Kallis: Grenzen – Warum Malthus
falschlag und warum uns das alle angeht.
Matthes & Seitz, Berlin 2021. 200 Seiten, 20 Euro.
In sehr viel größerer
Ausführung stellt die
Maschine für Lesebändchen auch Schiffstaue her, das Prinzip ist das gleiche.
Auf diesen Bildern schlecht zu erkennen:
der ohrenbetäubende
Lärm, ein sehr eigenes
Geräusch, eine Art hohes Rauschen.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Fred Luks fragt sich schon, ob Giorgos Kallis' Thesen und Vorschläge zu den Grenzen des Wachstums auch umsetzbar sind. Aber auch wenn es sich dabei um ein "Minderheitenprogramm" handelt, wie der Rezensent vermutet, scheint das Buch Luks lesenswert, nämlich als "dichte", gut zu lesende, provokative Reflexion über Post-Wachstum. Da darf der Autor sogar Malthus neu interpretieren und den ökologischen Fußabdruck als wissenschaftliche Konstruktion darstellen, um seine "Politik der Selbstbegrenzung" zu propagieren, findet Luks.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.01.2022

Die Grenzen der Selbstbegrenzung
Wurde Thomas Robert Malthus falsch gedeutet?

2022 jährt sich die Publikation des Club-of-Rome-Berichts "Die Grenzen des Wachstums" zum fünfzigsten Male. Die Warnung vor "absoluten Wachstumsgrenzen" traf 1972 auf eine hohe gesellschaftliche Sensibilität und löste eine intensive Debatte aus. Man kann sicher sein, dass an dieses Jubiläum 2022 noch oft erinnert werden wird. In diese Landschaft passt das Buch von Giorgos Kallis über Grenzen.

Der Autor, auch Jahrgang 1972, liefert eine sehr dichte Reflexion eines höchst aktuellen Themas. Der Grieche Kallis nimmt uns mit in das klassische Griechenland, bezieht sich auf Denker wie Cornelius Castoriadis und Michel Foucault, zitiert Werke aus Literatur und Film und lässt persönliche Erfahrungen einfließen. Der gut zu lesende Text bietet eine Vielzahl von Ideen eines Autors, der sich dezidiert als Postwachstums-Ökonom verortet und der herrschenden Wirtschaftswissenschaft sehr kritisch gegenübersteht. Der Text ist eine Provokation, die zum Denken anregt.

Provokativ ist freilich nicht nur die Positionierung des Autors, sondern auch sein Zugriff auf das Thema. Kallis nimmt eine rigorose Neuinterpretation von Thomas Robert Malthus' 1798 erschienenem Essay über das Bevölkerungsgesetz vor und behauptet, dass Malthus bisher von fast allen Interpreten falsch gedeutet wurde: "Entgegen seinem ikonischen Status als Prophet der Grenzen war Malthus tatsächlich ein Wachstumsprophet" - und vor allem: ein "Prophet unbegrenzter Bedürfnisse". Zu bestreiten, dass Malthus die technologischen Möglichkeiten für Wachstum unterschätzt hat, lädt zum Staunen ein.

Warum Kallis hier Malthus so zurechtbiegt, wird im Laufe des Buches klar: Der Text ist ganz wesentlich ein Versuch, dem Diskurs über Nachhaltigkeit seine Orientierung an ökologischen Grenzen auszutreiben und stattdessen den Fokus auf eine Politik der Selbstbegrenzung zu legen. Ökonomischer formuliert: Kallis möchte, dass wir mehr über Ziele sprechen und weniger über die Mittel, die zu Erreichung dieser Ziele benötigt werden. Diesem Kompass folgt der gesamte Text.

Zentral ist dabei ein Punkt, dessen Bedeutung Kallis zu Recht betont: Begrenztheit generiert an sich noch keine Knappheit. Es versteht sich nicht von selbst, darauf hat (der von Kallis nicht zitierte) Niklas Luhmann schon 1994 hingewiesen, "dass Endlichkeiten, welcher Art auch immer, als Knappheiten wahrgenommen werden". "Öl", so Luhmanns Beispiel, "ist nicht schon deshalb knapp, weil es nur in begrenzten Mengen vorhanden ist." Der Zugriff auf diese Ressource erfolgt, weil Öl gebraucht wird, und hierdurch erst entsteht Knappheit. Oder, in Kallis' Worten: "Wenn wir kein Öl mehr verbrauchen, dann sind die Grenzen der Ölvorräte irrelevant."

Mit seiner Dekonstruktion herrschender Grenz- und Knappheitsbegriffe - die 1972 prägend für "Die Grenzen des Wachstums" waren und nach wie vor weitverbreitet sind - trifft Kallis einen wichtigen Punkt. Er betont, dass Konzepte wie der ökologische Fußabdruck oder die "Belastungsgrenzen der Erde" keine objektiven Abbildungen natürlicher Tatbestände sind, sondern wissenschaftliche Konstruktionen, die stets umstritten sind. Damit setzt er sich implizit deutlich vom Fridays-for-Future-Slogan "Hört auf die Wissenschaft!" ab. Kallis möchte keine ökologischen Grenzen diskutieren, sondern "verschiedene Visionen der Welt, in der wir leben wollen".

Letztlich gehe es um die Frage, "welche Welt wir schaffen wollen und für wen, nicht darum, wie wir uns an eine vorgegebene, von der Natur diktierte Realität anpassen". Kallis lässt keinen Zweifel daran, dass es sich hierbei um ein kollektives Unterfangen handelt. Auch dieser Punkt ist von Gewicht. "Postwachstum" setzt sonst oft auf Mäßigung und Konsumreduktion, ohne die gesellschaftlichen Bedingungen zu reflektieren, unter denen Konsumveränderungen stattfinden sollen.

Gleichzeitig fragt man sich, wie ein kollektives Projekt von Selbstbegrenzung mit Freiheit und Pluralismus vereinbar ist. Der Autor beantwortet diese Frage mit fast entwaffnender Offenheit: "Anders als ein liberaler oder libertärer geht ein 'limitarischer' Ansatz von einem Prinzip der Vorsicht und Mäßigung aus." Selbstbeherrschung, Reflexion und Autonomie sind Eckpunkte dieses Freiheitsverständnisses. Das Nachdenken über die Begrenzung von Bedürfnissen setze voraus, "die Welt als Ort des Überflusses zu akzeptieren". Kallis fordert also vehement einen radikalen Perspektivenwechsel, der grundlegende ökonomische Kategorien infrage stellt.

Alles in allem liest man hier eine streckenweise höchst anregende intellektuelle Fingerübung. Die von Kallis behauptete Praxistauglichkeit freilich ist fragwürdig. Gewiss ist es vorstellbar, dass Umweltschützer "Träger einer erstrebenswerten Vision radikaler Einfachheit" sein können und Menschen "den Wert eines einfachen Lebens" erkennen können. Aber es ist doch offensichtlich, dass Kallis' Agenda einer kollektiven Selbstbegrenzung ein Minderheitenprogramm ist. Das Hier und Heute ist von rasanter Digitalisierung, einer großen Notwendigkeit von Innovationen und nach wie vor von bedrückender weltweiter Armut geprägt. Nach der Lektüre des Buches drängt sich die Frage auf, inwieweit Kallis' Überlegungen an diese Welt anschlussfähig sind. FRED LUKS

Giorgos Kallis: Grenzen - Warum Malthus falschlag und warum uns das alle angeht. Matthes & Seitz, Berlin 2021, 171 Seiten, 20 Euro.

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