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Produktdetails
  • Verlag: Hatier International
  • Französisch
  • Gewicht: 5360g
  • ISBN-13: 9782951647305
  • ISBN-10: 2951647301
  • Artikelnr.: 11107856
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2003

Harte Knute der Rezepte
Der Meisterkoch Alain Ducasse dokumentiert die kulinarischen Standards der französischen Küche / Von Jürgen Dollase

Das, was man so ungenau als "Kochbuch" bezeichnet, hat in den letzten drei Jahrzehnten eine erhebliche Differenzierung erfahren. Früher gab es den soliden Ratgeber zum Nachkochen. Heute reicht das Spektrum von High-End-Koch-Monographien internationaler Spitzenstars bis zu Low-End-Massenware. Es umfaßt die vom möglichen Nachvollzug emanzipierte Dokumentation des Schaffens kreativer Individualisten und die hanebüchenen Anleitungen zu arbeits- und geschmacksfreier Trickserei. Was es selten gibt, ist die Optimierung auch einfacherer Rezepturen, und das unter Gesichtspunkten, die für jede Küche gelten, also ein gutes Produkt in guter Zubereitung/Garung und guter Würzung in seinen Qualitäten optimal zu nutzen. Das Wissen älterer Generationen wird buchstäblich verlernt. Damit werden unsere einschlägigen kulturellen Grundlagen - um ein deutliches Bild zu benutzen - ähnlichen Entwicklungen unterworfen, wie es beim Verlernen der Sprache zugunsten einer Kürzel-Kommunikation mit einigen Grunz-Lauten geschieht.

Viele Kochbücher der Ratgeber-Sparte leiden zudem unter der mangelnden Qualifikation ihrer Autoren, die so gut wie nie den wirklich aktuellen Stand des Wissens repräsentieren, der - man muß es deutlich betonen - zunächst überhaupt nichts mit "einfach" oder "kompliziert" zu tun hat, sondern etwa damit, daß man die optimale Kartoffelsorte für ein Püree benennt oder präzise Gartemperaturen und Garzeiten für ein Stück Fleisch angeben kann. Das Wissen um die Optimierung liegt in der Regel bei Spitzenköchen, wobei allerdings auch dort deutliche Unterschiede zu finden sind.

Der Franzose Alain Ducasse gilt mehr und mehr als der wichtigste (aber nicht unbedingt der kreativste) Koch der Gegenwart. Die Spannweite seines weltweiten Imperiums reicht von 3-Sterne-Restaurants über mittlere Häuser und Bistrots bis zu einer Kette von Luxus-Snacks ("Spoon") mit einer Art simplifizierten, aber weitgehend optimierten Weltküche. Was Ducasse allerdings zunehmend Gewicht verleiht, ist seine Tätigkeit als Berater, als Ausbilder (mit einer eigenen, höchst anspruchsvollen Schule) und als Autor. Vor allem mit seinem "Grand livre de Cuisine d'Alain Ducasse" versucht er in schnörkelloser Präzision den Stand der Kochtechnik weiterzugeben, und das ohne einen einzigen Ausflug in die oft peinliche Koch-Lyrik, ohne das ständige Zitieren einer Großmutter oder auch nur den kleinsten Abstecher in die Geschichte.

Der nunmehr vorliegende dritte Band (der erste Band war seiner Spitzenküche gewidmet, der zweite Band der Patisserie) befaßt sich mit der Küche von Bistrots, Brasserien und traditionellen Restaurants. Er greift also vor allem die aus der französischen Tradition stammenden "Klassiker" der Gastronomie auf - nebst einer begrenzten Anzahl neuerer Ideen. Natürlich gibt es in Frankreich Hunderte von Büchern zu diesem Thema. Wo also liegt die Berechtigung für diesen repräsentativen und teuren Band?

Ducasse optimiert, er benutzt also die gleiche, differenzierte Kochtechnik für die "einfacheren", traditionellen Gerichte, wie er sie für seine Haute Cuisine einsetzt. Und das sind viele. Die Bandbreite reicht von einer sahnigen "Sole à la dieppoise" über die Kalbshaxe ("Jarret de veau") bis zu Apfelkompott und eingelegten Heringen. Mit diesem Buch sehen wir Ducasse endgültig in der Escoffier-Nachfolge (dessen "Guide culinaire" von 1903 freilich nur eine Riesensammlung von Rezepten in Kurzform ist). Wir betrachten ihn also in der Rolle des Kochs, der versucht, die Kochkunst seiner Zeit mit der Tradition und sorgfältig bedachten Innovationen zu vereinen, einen State-of-the-art zu erreichen, der die Kochkunst als historisch gewachsen und entwickelt begreift.

Noch wichtiger ist freilich ein anderer Aspekt. Ducasse sichert kulinarische Traditionen und ihren Geschmack, normiert in gewisser Weise, setzt aber vor allem Standards der kulinarischen Performance, die seit langem in dieser Form nicht mehr zu finden waren - weder bei Altmeister Ducloux, der oft wirklich "historisch" kocht, noch bei anderen Kollegen, die sich eher sporadisch und einfach mit dem scheinbar Einfachen befassen.

Leider fehlt aber auch Ducasse die letzte Konsequenz und Transparenz. Da vermißt man durchgehend präzise Angaben zu den Zutaten ("zwei Schalotten" in einer Sauce können diese je nach ihrer Größe völlig unterschiedlich parfümieren), man hätte gerne detailliertere Angaben zu den Produktqualitäten (Sorten, Herkunft, Frische), oder man muß den die fast immer fehlenden Bemerkungen zum endgültigen Geschmack einer Zubereitung beklagen (beispielsweise: "muß dezent nach Estragon mit einem leicht zitronigen Hintergrund schmecken"). Ein Ärgernis sind auf den ersten Blick die Fotos. Sie geben zwar die fertigen Elemente wieder, stellen sie aber meist nicht in einer Tellerversion dar, sondern bisweilen eher neckisch oder wie bei Arcimboldo komponiert im freien Raum. Nachdem Ducasse dem Leser die harte Knute dieser optimierten Rezepte hat schmecken lassen, wollte er ihm vielleicht wenigstens das Anrichten der Teller freistellen.

Das Fazit kann nur lauten: ein großartiges Buch, dessen Gegenstück für Deutschland man schmerzlich vermißt. Den vielen Autoren vieler Bücher mit "echter deutscher Küche" sei es dringend zum Studium empfohlen. Parallel zu diesem Großwerk, an dem natürlich eine ganze Schar von Köchen aus dem Ducasse-Imperium mitgewirkt haben, hatte der Meister erstaunlicherweise auch noch Zeit für ein recht umfangreiches Taschenbuch. Hinter dem etwas verwirrenden Titel "Dictionnaire amoureux de la cuisine" verbirgt sich eine Sammlung von jeweils einige Seiten langen Texten zu verschiedenen Produkten mit sehr vielen, interessanten Informationen, aber auch Texten zu allgemeineren oder gastrosophischen Stichworten (beispielsweise "Tradition et évolution", "New York", "Culture et curiosité" , "Authentique", "Bistrot et brasserie"). Sie zeigen einen begeisterten Koch, der jung genug ist, um nicht in den Schwulst zu verfallen, den zum Schreiben gezwungene Köche meistens absondern, jung genug auch, um in erster Linie für etwas und seltener gegen etwas aufzutreten. Auch wenn klar wird, daß Ducasse kein geborener Theoretiker ist, ist dieses Buch das wohl mit Abstand interessanteste theoretische Werk eines Kochs, das seit Urzeiten erschienen ist. Klug begrenzt auf "Ich und die Küche" statt auf "Gott und die Welt", eröffnet Ducasse tiefe Einblicke in sein Fach. Er zeigt einen Kosmos von großer Faszination und beweist damit gleichzeitig auch, wie naiv vielerorts die Vorstellungen von der Spitzenküche und ihren Protagonisten sind. Das alles präsentiert sich in einem erfreulich undogmatischen Duktus und atmet eine unverkrampfte Seriosität. Sehr zu empfehlen.

"Grand Livre de Cuisine d'Alain Ducasse". Bistrots, Brasseries et Restaurants de Tradition. De Gustibus, Paris 2003. 735 S., durchgehend illustriert, geb., 180,- [Euro].

Alain Ducasse: "Dictionnaire amoureux de la cuisine". Editions Plon, Paris 2003. 560 S., br., 24,- [Euro].

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