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Produktdetails
  • Verlag: Schöningh
  • Seitenzahl: 394
  • Abmessung: 235mm
  • Gewicht: 670g
  • ISBN-13: 9783506746627
  • Artikelnr.: 30825121
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.08.1998

Zweierlei Einsamkeit
Jeroen Koch folgt den Gedanken und Erinnerungen von Golo Mann

Golo Mann hat sich nicht nur mit seiner eigenen finsteren Zeit historisch beschäftigt, sondern, um sie zu ertragen und zu vergleichen, auch mit zwei früheren Phasen deutscher Geschichte, in denen Krieg und "Wirrsal" herrschten. Die fernste, die des Dreißigjährigen Krieges, behandelte er am kunstvollsten und am wenigsten moralisierend, in der Gestalt eines komplizierten Täters. Da sein Vater Thomas einen neuen Faust geschrieben hatte, "das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn erzählt von einem Freunde", präsentierte er einen neuen Wallenstein, "sein Leben erzählt von Golo Mann".

Die zweite, näherliegende Krisenzeit Deutschlands, die Epoche der Revolutionskriege und Napoleons, betrachtete er durch die scharfe Brille des zeitgenössischen politisch-moralischen Analytikers Friedrich von Gentz. Über ihn schrieb er zwischen 1936 und 1941 sein erstes Buch. Er bewunderte ihn, sah die Parallelen zur eigenen Zeit und ging bei ihm in die Lehre, um ein unabhängiger politischer Schriftsteller und Ratgeber zu werden.

In der "Deutschen Geschichte des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts", in zahlreichen Artikeln und in seinen "Erinnerungen und Gedanken" finden wir, was er historisch und politisch-moralisch zu den Realitäten und Ideologien seiner Gegenwart zu sagen hatte - er, der unter ihren Zwangsumständen, gegen seine Natur, vaterlandslos geworden war, bindungslos in nationaler und gesellschaftlicher Hinsicht, und sich darin Wallenstein und Gentz verwandt fühlte.

Nicht diese weitere Perspektive auf die deutsche Geschichte ist das Thema des vorliegenden Buches, sondern allein seine Stellung zu Zeitgeschichte und Gegenwart. Hierüber berichtet der junge niederländische Historiker Jeroen Koch in biographischer Folge. Er beschreibt den bedrückten "Sohn eines Großen", der 1923 mit vierzehn Jahren das Elternhaus verließ, um in Salem unter den Einfluß des national und ethisch anspruchsvollen Reformpädagogen Kurt Hahn zu kommen. Golo Mann lernte die Weimarer Republik kritisieren, aber ebenso ihre linksintellektuellen Kritiker. Als "stiller Student" arbeitete er bei Karl Jaspers (ohne jemals dessen Verehrung Max Webers mitzumachen). In einer Dissertation über Hegel hing er noch dem Glauben an einen vernünftigen historischen Prozeß an, weil er das für menschenwürdig hielt. Nach 1933, in der Emigration, distanzierte er sich von vielen bisherigen Anschauungen, vor allem von seinem Pazifismus. Aber für die deutsche Schreckensherrschaft fand er lange keine Erklärung. Die marxistische Interpretation lehnte er genauso ab wie die westliche Herleitung aus dem preußischen Militarismus. Erst die konservative Deutung in Hermann Rauschnings "Revolution des Nihilismus" (1938) sagte ihm zu.

Es ist das erste Buch über Golo Mann, entstanden als Dissertation bei Hermann von der Dunk in Utrecht, geschrieben aus vorteilhafter ausländischer Distanz, also nicht direkt berührt von dem vielen Streit um Manns freimütige politische Stellungnahmen in der Bundesrepublik. Leicht hat der Autor es aber mit seinem reichlich bekannten und vielgelesenen Helden nicht, der selbst so eindringlich über sein Leben geschrieben hat. Vielleicht ist der Zeitpunkt für eine Biographie zu früh. Koch konnte den alten Mann 1991 noch befragen, hatte aber keinen Zugang zu ungedrucktem Material, auch nicht zu der Fortsetzung der Erinnerungen, die jetzt publiziert werden sollen. Er muß also vieles einfach nachschreiben, wiederholt auch allzuviel Bekanntes aus der berühmten Familie und läßt den Vater so häufig auftreten, daß es Golo sicherlich geärgert hätte. Möglicherweise wäre es interessanter gewesen, wenn er statt dessen das widersprüchliche Echo auf ihn genauer einbezogen hätte, wie es in neueren intellektuellen Biographien erfreulicherweise gängiger geworden ist.

Koch stellt die Spannung von Politik und Moral ins Zentrum seines Buches, nicht Manns konservativ-liberale oder literarisch-wissenschaftliche Polarität. Er nennt ihn gemäßigt optimistisch aus moralischen Gründen, gemäßigt pessimistisch aus historischen: "In diesem Spannungsfeld gewannen seine politischen und historischen Urteile Gestalt." Die Grunderfahrung des Emigranten war: politische Hilflosigkeit, moralischer Kampf als der einzig mögliche Widerstand, die einzige Bindung in der Bindungslosigkeit. So würdigte Mann auch die politisch hoffnungslose innerdeutsche Opposition gegen Hitler.

Nach dem Krieg sah er seine Hauptaufgabe als politischer Kommentator darin, nach so viel deutscher Schuld unermüdlich das Moment der Moralität in der westdeutschen Politik anzumahnen: im Verhältnis zu Israel, zu Polen, zur eigenen jüngsten Vergangenheit. 1968 argumentierte er, die Notstandsgesetze schadeten dem moralischen Ansehen des Rechtsstaates, und protestierte gegen die Meinungsmacht der Springer-Presse, bevor er die Front wechselte und sich gegen die marxistische Ideologie und den Terror der Studentenbewegung stellte. Seither galt er als konservativ, obwohl er nur politisch unabhängig, erzieherisch und allerdings auch provokant bleiben wollte. In den achtziger Jahren kritisierte er den zunehmenden Nationalismus, und da er eigentlich die Meinung vertrat, daß durch Hitler die deutsche Einheit moralisch verspielt worden war, fand er keine guten Worte für die überraschende Wiedervereinigung.

Vermöge seines starken ethischen Engagements, meint Koch, habe er "einen ganz eigenen Platz innerhalb der deutschen Historiographie" innegehabt. In der Tat fand Golo Mann den deutschen Historismus zu moralfrei und urteilsscheu, weshalb er auch der Hitler-Diktatur nicht widerstanden habe. Die westliche moralisierende Aburteilung der deutschen geschichtlichen Entwicklung lehnte er aber auch ab und ebenso später die ähnlich eingestellte, antihistorische neue deutsche Strukturgeschichte. Ihr gegenüber sympathisierte er wieder mit dem Historismus, wenn dieser nur mit seiner realistischen Verständnisbereitschaft Humanität und moralische Deutlichkeit verband. Genau diese Verbindung läßt sich aber als Grundmuster bei den meisten westdeutschen Historikern nach 1945 feststellen, in etwas anderer, strengerer, weniger verständnisbereiter Weise auch bei den Anhängern der historischen Sozialwissenschaft. Insofern nimmt also Golo Mann keinen eigenen Platz ein. Sein Moralisieren trug er ja auch nie so dick auf, wie es nach diesem Buch erscheinen könnte. Immer blieb er realistisch, möglichst nachsichtig, bezog sich bei Schuldfragen selbst ein, verurteilte nur inhumane Ideologien und sichtliche Verbrechen und wollte sich und seinen Lesern den Genuß an vergangenem Leben mit literarischen Mitteln wiedererwecken.

Konservativ war er dabei in einem entscheidenden Punkt, den Koch bei Manns Konflikt mit Hannah Arendt hervorhebt: Er glaubte nicht wie sie an das unvergleichlich Neue im Totalitarismus des zwanzigsten Jahrhunderts, nicht an eine grundlegende Veränderung von Moral, Verantwortung, Willensfreiheit und Schuld unter den modernen Verhältnissen. Gemäßigt pessimistisch setzte er voraus, daß der Mensch aus krummem Holz geschnitzt sei, gemäßigt optimistisch, daß er Gewissen habe. Sein Ausgangspunkt war wie derjenige Jacob Burckhardts vom "duldenden, strebenden und handelnden Menschen, wie er ist und immer war und sein wird". ERNST SCHULIN

Jeroen Koch: "Golo Mann und die deutsche Geschichte". Eine intellektuelle Biographie. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 1998. 394 S., br., 68,- DM.

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