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Johann Wolfgang von Goethes Auseinandersetzung mit der bildenden Kunst von der Antike bis in seine eigene Gegenwart regte einen sehr weitreichenden Diskurs an, in den Künstler, Kritiker und Publikum eingebunden waren. Er prägte damit das Zeitideal der Goethezeit, die Erik Forssman aus der Sicht des Kunsthistorikers als zusammenhängende Epoch der deutschen Geistes- und Kulturgeschichte neu definiert.

Produktbeschreibung
Johann Wolfgang von Goethes Auseinandersetzung mit der bildenden Kunst von der Antike bis in seine eigene Gegenwart regte einen sehr weitreichenden Diskurs an, in den Künstler, Kritiker und Publikum eingebunden waren. Er prägte damit das Zeitideal der Goethezeit, die Erik Forssman aus der Sicht des Kunsthistorikers als zusammenhängende Epoch der deutschen Geistes- und Kulturgeschichte neu definiert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.03.1999

Wer an Gott glaubt, kann die Götter nicht verstehen
Goethe wurde mit der Kunst nicht fertig: Laut Erik Forssman begründete er so die Kunstgeschichte / Von Hans Jakob Meier

Als Goethe gestorben war, ließ Eckermann den Toten entkleiden, um den großen Dichter einmal in seiner ganzen Nacktheit zu betrachten. Er war erstaunt über den athletischen, vollkommenen Körperbau des toten Greises, mit dem er noch kurze Zeit zuvor im Garten hinter dem Hause gestanden hatte. Bewundernd hatte er verfolgen müssen, wie Goethe sich in der apollinischen Kunst des Bogenschießens übte. Dieses vollendet abgeklärte Bild des greisen Dichters, der im Tod den Götterbildern der Antike glich, scheint sich hart zu stoßen mit Goethes leidenschaftlicher Verachtung klassischer Architektur, seinen stürmischen Anfängen in Straßburg. Dieser Schluß aber wäre voreilig. Erik Forssman zumindest geht es in seiner grundlegenden kunsthistorischen Studie zur Goethezeit weniger darum, die wohlbekannten Unterschiede zwischen Sturm und Drang und Weimarer Klassik nachzuzeichnen; vielmehr sucht er freizulegen, wo Goethe sich in seinem Urteil über die Kunst im Kern verwandt geblieben, ja fast, wo er schon immer klassisch gewesen war. Er möchte überdies zeigen, daß Goethe - ob stürmisch oder apollinisch - stets leidenschaftlich kritisch, unbequem und fordernd, geachtet oder lästig, ins Kunstgeschehen eingegriffen habe. Goethes nicht müde werdende Kunstkritik trennt ihn im Auge des Autors aber auch von der Gegenwart. Heute verdinge sich Kunstkritik als fächelnder Page der Kunst und bringe nicht einmal den Mut zum Fehlurteil auf.

Das sind apodiktische, streitbare Bemerkungen, denen nicht jeder zustimmen wird. Doch Erik Forssman will nicht abgerundete Wissenschaftsgeschichte schreiben. Nach zwei Weltkriegen und am Ende des Jahrhunderts geht es ihm darum, überhaupt noch einen Weg zu Goethes Kunstverständnis zu bahnen - auf die Gefahr hin, daß das für Goethe oder für unser Jahrhundert schlecht ausgehen wird.

Wer Goethe als Kritiker der Kunst fassen will, wird auch viel mit Widerspruch und Widerruf, mit grandiosen Sprunghaftigkeiten, sogar mit Dilettantismus und blasser Konvention zu tun bekommen. Forssman zeigt, wie leicht man das vergißt. Er geht den Gründen nach, weshalb Goethe, der Klassizist, den es trotz seiner stürmischen Wortkaskaden zum Straßburger Münster rasch nach Italien zog, im römischen Pantheon oder vor Michelangelo von so erstaunlichen Wortlosigkeiten überfallen wurde. Forssman zeigt aber auch, wie wenig diese Brüche und zögernden Pausen in Goethes Kunsturteil zu trennen sind von seinem lebenslangen schmerzlichen Hadern darüber, ob christliche Kunst antiker Kunst überhaupt verwandt, ob sie wie diese je klassisch und vollkommen sein könne. Obwohl Forssman immer behutsam konstruiert, wird dieser Zweifel zum Eckstein seiner Studie. Denn hier liegen die Wurzeln für Goethes so unmittelbar freien Zugang zur Kunst der Antike, seines anfänglich noch scheuen Umgangs mit manchen Meistern der römischen Renaissance und seiner zeitlebens tiefen Vorbehalte gegen die Kunst des späten Mittelalters. Hier liegen auch die Ursachen einer inneren Gespanntheit, die Goethe in seinem Klassizismus nie wirklich sicher Tritt fassen ließ.

Wo Forssman Goethe auch aufschlägt, in der "Italienischen Reise" über Raffaels Cäcilie schreibend oder in den späten Schriften über Ruisdaels Landschaften: Bei aller Unmittelbarkeit der Anschauung stehen zwischen Goethe und Raffael doch dessen Heilige, zwischen Goethe und Ruisdaels stürzenden Wasserläufen dessen Friedhofsbilder. Damit rührt Forssman dort an das Fach Kunstgeschichte, wo dessen Anfänge schwierig waren. Denn es hat sich der Physiognomie dieses Faches eingefurcht, daß seine Methodik - sofern sie mit Goethe zusammenhängt - aus dem teils heftigen Widerstreit von unmittelbar urteilender Anschauung und abgeleiteter Geschichtlichkeit geboren wurde.

Es entgeht Forssman keineswegs, daß Goethe, nach seiner Rückkehr aus Italien, kunsthistorische Methodik auch deswegen zum dringenden Anliegen werden mußte, weil er nun nach Wegen suchte, sich in seiner Abwehr früher Kunstepochen stark zu mäßigen. Das traf das späte Mittelalter; das galt aber selbst für Mantegna und Perugino, an denen ihm deswegen gelegen sein mußte, weil ohne sie die Kunst des göttlichen Raffael nicht hätte entstehen können.

So gelingt es Forssman, trotz einer betont konventionellen Gliederung nach Architektur, Bildhauerei, Malerei und Zeichnung den Leser nicht mit einer schlichten Entwicklungsgeschichte der Weimarer Klassik in ihren reichen Brechungen zwischen Palladio und Schinkel zu ermüden. Es ist ein Ansatz, der, ohne forciert zu sein, Goethes Schriften doch aus dem gewohnten Geleise bringt. Denn so stehen plötzlich Goethes Worte zu Mantegnas Fresken in Padua neben seinen späten Äußerungen zum Dreikönigsbild von Stefan Lochner in Köln. Auch schieben sich, Gotik und Antike manchmal überraschend zueinanderkehrend, über Goethes Beschreibungen der Straßburger Münsterfassade bei mondklarer Nacht die Äußerungen zur Massigkeit des römischen Kolosseum bei Sonnenuntergang; darüber wiederum diejenige französischer Architekten der Revolutionszeit wie Boullée zur kolossalen Wirkung großer Baukörper bei Dämmerung. Straßburg und Paestum übergreifend, mischt sich hier beim jungen Goethe, vor seiner Rückkehr aus Italien, noch das Verlangen, sich in der Architektur der fast unmenschlichen Schönheit des Erhabenen auszusetzen, mit dem Wunsch, diesem sublimen Ungeheuer Namen, Regel und auch einen Stil zu geben.

Am Anfang aber steht der bekannte Jubelschrei in Straßburg, der bei Forssman merkwürdig doppeldeutig klingt: Goethes stürmisches Pamphlet "Von deutscher Baukunst" über das Münster und dessen Erbauer Erwin von Steinbach. Forssman läßt sich von Goethes Begeisterung für dieses Bauwerk nicht blenden, obwohl gerade diese Schrift nicht ganz unschuldig daran ist, daß Vitruv, Erwin von Steinbach und Alberti noch heute in kunsthistorischen Seminaren nur als Kontrahenten auftreten können. Forssmans Studie läßt jedoch erhebliche Zweifel daran zurück, ob es sich hier, bei allem Jubel um das Genie des großen Baumeisters, um eine Schrift für die gotische Baukunst handele oder nicht vielmehr um eine Schrift gegen das Rokoko, eine Schrift des Dichters mehr über den Baumeister und Künstler als über das Bauwerk.

Denn Goethe kümmerte sich danach nicht weiter um Straßburg, sondern begann Abgüsse nach Antiken zu sammeln. Und vierzig Jahre später, als Nazarener, Romantiker und Friedrich Schlegel gegen Weimar und Goethe zu Felde zogen, kostete es Goethe große Mühe, wieder ins Lot zu rücken, was er in der Heftigkeit des Sturm und Drang, und schärfer als es die klassische französische Architekturtheorie des siebzehnten Jahrhunderts je getan hatte, ohne Not in feindliche Lager geschieden hatte: im Alter erst begann auch er hinter den Fassaden und Portalfronten gotischer Kathedralen Regel und Kanon zu entdecken, die schon Scamozzi und Francois Blondel nicht entgangen waren.

Ein schönes, leichtfüßiges Kapitel widmet Forssman Goethes Zeichenkunst. Nur hier hat Goethe nicht nur über Kunst geschrieben und geurteilt, sondern sich auch als Künstler versucht. Hier bewegte er sich völlig frei; aller Ballast, der beim Nachdenken über Malerei, Plastik und Architektur das Gehen so erschwerte, fiel hier fort. Nirgends sonst bei Goethe zeigt sich die Epoche des Sturm und Drang in ihrer ganzen Flüchtigkeit, nirgends sonst als in der Zeichenkunst wird so deutlich, wie kurz nur er sich von diesem genialischen Sturm ergreifen ließ. Stürmisch, aber schwach in seinen Federzeichnungen der Straßburger Zeit, fand Goethe erst, als Philipp Hackert in Neapel den Hastigen zu Geduld und Studium anhalten konnte, zu kraftvollem Strich und klassischer Komposition. Auch hier läßt Forssman Raum für freie Assoziation. So kommt bei Goethes früher Zeichnung der strudelnden Wasserläufe im Gebirge sein abrupter Jubel über Erwin von Steinbach wieder in den Sinn; die herrlich klassischen, späten lavierten Federzeichnungen des Saaletales dagegen entsprechen durchaus seinen Worten in "Dichtung und Wahrheit" über Wirkung durch Proportion und Schönheit, wie sie die Straßburger Münsterfassade lehren könne.

Ein Wort zum Äußeren des Buches sei erlaubt: Es macht die Lektüre unnötig mühsam, daß man glaubte, hier auf ein Register verzichten zu können; bei einer derart umfassenden Studie darf so etwas nicht fehlen.

Wem Goethe in der Kunstgeschichte am Herzen liegt, dem fällt das Reden über die Gegenwart oft schwer. Forssman ist hier keine Ausnahme. Er selbst steht Goethe viel zu nah, um sich mit einem rein wissenschaftlichen Zugang zur Goethezeit begnügen zu können. In seinem Buch unternimmt er es aber gar nicht erst, Goethe in der Kunst der Gegenwart noch irgendein Gehör zu verschaffen; noch weniger versucht er, die Moderne bei Goethe einzuführen. Damit vermeidet er es zwar, auch die Kunst der Gegenwart einem mühsam restaurativen Kunstbegriff zu unterwerfen. Trotzdem können Forssmans apodiktische Worte über die Lähmung, die die moderne Kunstkritik seit Jahrzehnten befallen habe, nicht befriedigen.

Daß es hier weitgehend nur um die deutsche Kunstkritik geht, hätte gesagt werden müssen. Immer noch quält sie sich unnötig mit Berührungsängsten, die mit den Schatten des "Dritten Reiches" zu tun haben. Immer noch wirft sie daher Kritik mit politischer Gesinnung durcheinander - Probleme, die die amerikanische Kunstkritik nie hatte. Ein solcher Exkurs hätte Forssmans tiefgreifender Studie zu Goethes Kunstbetrachtung den melancholischen Schleier genommen, der sich doch über viele der Passagen legt. So aber bleibt bei Forssman von Goethe und dessen Klassizismus zwar immerhin das Fach Kunstgeschichte übrig, aber auch ein gehöriges Maß Abschied.

Erik Forssman: "Goethezeit". Über die Entstehung des bürgerlichen Kunstverständnisses. Deutscher Kunstverlag, München 1999. 319 S., 59 s/w-Abb., br., 68,- DM.

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