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Die Lyrik, die Goethe zwischen seinem Aufenthalt in Italien 1786/88 und dem Tod Schillers 1805 geschrieben hat, bildet einen Höhepunkt in seinem Werk und in der deutschen Literatur. Zur Lyrik dieses Zeitraums gehören die "Römischen Elegien", die "Venezianischen Epigramme", "Alexis und Dora", "Euphrosyne", die Balladen von 1797, die "Xenien" und "geselligen" Lieder. Reiner Wild stellt Goethes klassische Lyrik in ihrer Gesamtheit und im Zusammenhang dar.

Produktbeschreibung
Die Lyrik, die Goethe zwischen seinem Aufenthalt in Italien 1786/88 und dem Tod Schillers 1805 geschrieben hat, bildet einen Höhepunkt in seinem Werk und in der deutschen Literatur. Zur Lyrik dieses Zeitraums gehören die "Römischen Elegien", die "Venezianischen Epigramme", "Alexis und Dora", "Euphrosyne", die Balladen von 1797, die "Xenien" und "geselligen" Lieder. Reiner Wild stellt Goethes klassische Lyrik in ihrer Gesamtheit und im Zusammenhang dar.
Autorenporträt
Reiner Wild, geb. 1944; Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Universität Mannheim; Veröffentlichungen zur Literatur-, Geistes- und Sozialgeschichte des 18.Jahrhunderts, zu Goethe, zur Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, zur Theorie der Literaturwissenschaft und zur Kinder- und Jugendliteratur. Bei J.B. Metzler sind erschienen: "Literatur im Prozeß der Zivilisation", 1982 (vergriffen); "Die Vernunft der Väter", 1987 (vergriffen); "Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur" (Hrsg.), 1990.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.03.1999

Krieg der Klassik
Goethe im lyrischen Wettstreit mit der Antike

Goethe, wer wollte es leugnen, ist der ausdrucksmächtigste und vielseitigste Lyriker der deutschen Literatur. Der Begriff "Klassik" wird einem freilich nicht so leicht einfallen, wenn man an die populärsten und bedeutendsten seiner Gedichte denkt, ob es sich um die sogenannte Erlebnislyrik und Hymnik des jungen Stürmers und Drängers oder den "West-östlichen Divan" des in den Nachsommer seines Lebens eingetretenen Dichters handelt. Die eigentlich klassische Periode seiner Lyrik aber zeichnet nun Reiner Wild zum ersten Mal systematisch nach, wobei er den Begriff des Klassischen nicht mehr als Imponiervokabel verwendet, sondern in einem historisch-deskriptiven Sinne, ohne freilich die normativen Ansprüche leugnen zu wollen, die Goethe mit den Gedichten dieser Periode geltend machte und durch die sie Tradition stifteten. Das "Projekt Klassik", wie es gut neudeutsch heißt, ist für Wild eine "Antwort auf Modernisierungsprozesse". "Im Bewußtsein der eigenen Modernität und also der Distanz zur Antike tritt Goethe, gerade mit seiner Lyrik, in einen Wettstreit mit ihr. Und im Wechselspiel von Orientierung am antiken Muster und Selbstgewißheit als moderner Dichter gelingt es ihm in seiner klassischen Lyrik, die Erfahrung und Entfremdung der Moderne noch einmal in ästhetischer Versöhnung aufzuheben."

Das ist die konsequent durchgespielte Kardinalthese von Wilds Buch. Gerührt vernimmt man noch einmal die Sirenenklänge und magischen Wörter der neomarxistischen Ästhetik - Entfremdung, ästhetische Versöhnung -, die uns Zeitbürger der Studentenbewegung einst bestrickten. Sogar Ernst Bloch erhebt sich wie Wagners Titurel segnend aus dem Sarge, wenn von "utopisch Vorgedachtem", vom "Vorschein" die Rede ist und von dem "Versprechen, daß möglich sein könne, was die ,Wirklichkeit' bisher stets verhinderte". Während wir dem tötenden Insekte gerühmter besserer Vernunft längst das Herz geöffnet haben, trägt Wild noch Achtung für die Träume seiner Jugend. Marquis Posa hätte an ihm seine Freude gehabt.

Klassik als "Herausforderung", kein Kniefall vor der Normativität der Antike, sondern Wettstreit mit ihr: Das ist für Wild der Angelpunkt der klassischen Lyrik. Er entwirft eher das Bild einer aufmüpfigen als einer ausgleichenden Klassik. So gerät Goethes und Schillers Xenien-Kampf fast zum Höhepunkt des Buches. "Guerre ouverte" ist der Titel einer der Xenien, mit denen Goethe und Schiller einen Krieg mit der literarischen Öffentlichkeit vom Zaune brachen, den diese mit heftiger Gegenwehr beantwortete, noch keineswegs bereit, verehrungsvoll zu den "Klassikern" auf hohem Piedestal aufzuschauen. Zur "Inszenierung des Skandals" aber gehörte der Rückgriff auf die antike Form als Medium und Schutzmantel. Auch die "Römischen Elegien" und "Venezianischen Epigramme" haben bekanntlich Skandal gemacht. Edle Einfalt und stille Größe scheint Goethes Dichtung in antiken Metren den Zeitgenossen meist nicht beschert zu haben.

Die Weimarer Gedichte, die Goethe in der Cotta-Ausgabe von 1815 unter der Rubrik "Antiker Form sich nähernd" versammelt, zeugen von der Tendenz, die Unmittelbarkeit, den unverstellten subjektiven Ausdruck der frühen, ja noch der ersten Weimarer Lyrik durch Artifizialität zurückzunehmen. Antike Form als "Distanznahme". Allerdings verwendet Goethe jene Form zunächst vor allem für seine offiziöse Gelegenheitslyrik, während er Individualität und persönliche Erfahrung eher in moderne lyrische Formen kleidet. "Die antike Form ist für Goethe bei seiner ersten Annäherung noch immer vornehmlich Bildungsgut." Dieses Formverständnis ändert sich fundamental mit der Italienischen Reise. Freilich bleibt Goethes Beziehung zur Antike von Distanz geprägt. Nicht ihre Nachahmung ist also seine Absicht, sondern die Wiedergewinnung ihrer humanen Potenzen auf der Basis einer neuen Naturerfahrung. Bezeichnend, daß Goethe später seine großen naturwissenschaftlichen Lehrdichtungen in die Form der Elegie kleidet, ebenso bezeichnend, daß "Die Metamorphose der Pflanzen" zugleich ein Liebesgedicht ist, antike Gestalt mit moderner Gefühlswelt verschmelzend.

Der lyrische Ertrag der Italienischen Reise stellt sich erst nach Goethes Rückkehr nach Weimar ein. In den "Römischen Elegien" eröffnet er einen "Erinnerungsraum", in dem der moderne Dichter der Antike begegnet, in Distanz und Wetteifer, freilich auch in der Imagination des Glücks. Ihr tritt in den "Venezianischen Epigrammen" - ebenfalls in antiker Form - die Erfahrung der Enttäuschung gegenüber: die enttäuschte Erwartung in die Wiederbegegnung mit Italien und zugleich die Einsicht, daß sich das antikische Glückserlebnis unter den Bedingungen der Modernität nicht halten läßt. Die antike Form dient sowohl dem Ausdruck utopischen Glücks wie der widerständigen Realitätserfahrung: Die "Venezianischen Epigramme" sind die früheste poetische Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution. Sie wird auch den dunklen Hintergrund der klassischen Allianz mit Schiller bilden, die als solche die glückliche Gestimmtheit des italienischen Aufenthalts in ein neues, von der Idee der Heiterkeit und ästhetischen Autonomie bestimmtes Kunstkonzept hinüberspiegelt. Wieder ist der Wettstreit mit der Antike angesagt, aber immer im Wechselspiel mit den modernen Möglichkeiten lyrischen Sprechens, wie sie sich etwa im Gegeneinander von antiker Elegie und moderner Ballade im Gattungshaushalt Goethes offenbart, jene als Bild des Glücks, letztere meist als Darstellung seiner Verhinderung. Die Elegie beschwört die Utopie, deren negative Gestalt die Ballade bietet. Was in dem Spannungsgegensatz von "Römischen Elegien" und "Venezianischen Epigrammen" in antiker Gestalt sich ereignete, wird im Kontrast der hochklassischen Elegie und Ballade in antike und moderne Form aufgespalten. Diese moderne Form wird sich in Goethes späten Gedichten mehr und mehr vom antiken Exempel lösen. Seit dem Tode Schillers verliert es zunehmend seine vorrangige Bedeutung in der Lyrik Goethes. Dessen "Epilog zu Schillers Glocke" bildet gewissermaßen den Abgesang auch auf Goethes "Klassik". DIETER BORCHMEYER

Reiner Wild: "Goethes klassische Lyrik". Verlag J. B. Metzler, Stuttgart, Weimar 1999. 317 S., geb., 88,- DM.

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