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Kaum einer zweifelt heute noch daran, dass der Mensch und alles Leben auf der Erde Ergebnis eines seit einer Milliarde Jahren ablaufenden Entwicklungsprozesses ist, den wir seit Darwin als Evolution bezeichnen. Und doch wer kann sich schon ausmalen, wie die zahllosen Organismen in die Welt gekommen sind, wie aus chemischem Gebrodel reproduktionsfähige Molekülstränge und schließlich Mollusken, Mäuse und Mandarinenbäume entstehen konnten. Das menschliche Gehirn ist es nicht gewohnt, die Dimension von vielen hundert Millionen Jahren zu erfassen, in denen sich das Leben entfaltet hat. Aber wir…mehr

Produktbeschreibung
Kaum einer zweifelt heute noch daran, dass der Mensch und alles Leben auf der Erde Ergebnis eines seit einer Milliarde Jahren ablaufenden Entwicklungsprozesses ist, den wir seit Darwin als Evolution bezeichnen. Und doch wer kann sich schon ausmalen, wie die zahllosen Organismen in die Welt gekommen sind, wie aus chemischem Gebrodel reproduktionsfähige Molekülstränge und schließlich Mollusken, Mäuse und Mandarinenbäume entstehen konnten. Das menschliche Gehirn ist es nicht gewohnt, die Dimension von vielen hundert Millionen Jahren zu erfassen, in denen sich das Leben entfaltet hat. Aber wir können das "Denken in Evolutionen" lernen, und dann werden auch so unglaubliche Phänomene wie das Auge oder das Fliegen nachvollziehbar.Der Biologe Richard Dawkins, seit seinem furiosen Werk "Das egoistische Gen" als angriffslustiger Vertreter moderner darwinistischer Auffassungen berühmt führt den Leser durch eine Welt, in der es so vieles zu bestaunen gibt.
Autorenporträt
Richard Dawkins, Jahrgang 1941, geboren und aufgewachsen in Ostafrika, Schüler des Biologen und Nobelpreisträgers Niko Tinbergen, lehrte als Professor der Zoologie an kalifonischen Universitäten und Oxford University. In Oxford hat er heute den Lehrstuhl für "Public Understanding of Science" (die Vermittlung von Naturwissenschaften) inne. Dawkins zählt zu den bedeutensten modernen Evolutionstheoretikern.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.03.1999

Meine Flügel sind breit genug
Richard Dawkins spreizt sich und nimmt es mit fünfzig Kollegen auf / Von Achim Bahnen

Im sechsten Kapitel der "Entstehung der Arten" wendet Darwin sich der Frage zu, ob es glaublich sei, "daß natürliche Zuchtwahl . . . ein Organ von so wundervoller Struktur wie das Auge hervorbringen kann". Obwohl eine solche Vorstellung "im höchsten möglichen Grade absurd" erscheine, blieb Darwin (selbst gegen Zweifel seiner Frau) unbeirrt: In einer langen Reihe von geringen Abstufungen sei die allmähliche Entstehung des Auges immerhin denkbar - "wie unübersteiglich sie auch für unsere Einbildungskraft scheinen mag".

Noch heute beeindruckt das menschliche Auge als funktionales Meisterwerk der Evolution und provoziert den Widerspruch der Skeptiker. Kaum vorstellbar, wie dieser hochkomplexe Sehapparat in einem absichtslosen Naturprozeß entstanden sein soll: In der Landschaft des Lebendigen ist das Auge ein Gipfel des Unwahrscheinlichen. Betrachtet man die Wahrscheinlichkeit, daß Mutationen rein zufällig zur Bildung eines vollständigen Sehorgans führen, erscheint der Aufstieg zum Auge unüberwindlich wie die Eiger-Nordwand. Die Evolution mag solche Steilwände nicht. Sie nimmt die abgestuften Flanken, die immer noch beschwerlich, aber zu bewältigen sind. Mitten in der industriellen Revolution verkündet Darwins Theorie die Entdeckung der Langsamkeit.

Richard Dawkins zählt zu den bekanntesten und besten Führern durch die Bergwelt der Evolution. Mit meist populärwissenschaftlich geschriebenen Büchern hat er die Fachdiskussion nachhaltig beeinflußt. Die Kunst der anschaulichen Darstellung, in Buchtiteln wie "Das egoistische Gen" und "Der blinde Uhrmacher" zu einprägsamen Metaphern verdichtet, trug ihm 1995 in Oxford eine Stiftungsprofessur für das öffentliche Verständnis der Naturwissenschaften ein.

Das vorliegende Buch ist aus Weihnachtsvorlesungen an der Londoner Royal Institution hervorgegangen, deren Dozentenliste, wie Dawkins stolz vermerkt, bis zu Michael Faraday zurückreicht. Die Überarbeitungen haben den Vorlesungscharakter nicht ganz verschwinden lassen. Trotz zahlreicher Querverweise bilden die zehn Kapitel eigenständige Einheiten, der Stil ist klar und lebendig. Ein ebenso anspruchsvolles wie kurzweiliges Lesevergnügen, reich illustriert und sorgfältig indiziert, bei dem man lediglich bedauert, den Vorlesungen nicht persönlich beigewohnt zu haben.

Nach einem Ausflug in die Welt der Spinnennetze steigt die erste Expedition ins Unwahrscheinlichkeitsgebirge dem Flug der Tiere nach. Warum, fragt Dawkins, können eigentlich fast alle Tiere fliegen? Insekten bilden die überwältigende Mehrheit aller Tierarten, und selbst von den warmblütigen Wirbeltierarten fliegt mehr als die Hälfte; nur große Tiere wie Nashorn, Elefant und Mensch tun sich schwer. Warum fällt kleinen Tieren das Fliegen leichter? Weil sie relativ zur Körperoberfläche leichter sind. Denn die wächst nur quadratisch mit der Größe an, das Gewicht dagegen mit der dritten Potenz. Ein Nilpferd von der Größe eines Flohs hätte im Verhältnis zum Gewicht eine tausendmal größere Oberfläche. Daß da ein laues Lüftchen schon für großen Auftrieb sorgt, erkennt auch der gesunde Menschenverstand - "aber manchmal ist es auch wichtig, zu erkennen, was hinter dem gesunden Menschenverstand steht".

Beim Auge gibt es weitaus mehr Entwicklungswege zu entdecken. Mehr als vierzig, vielleicht gar sechzig Mal sind im Tierreich Augen unabhängig voneinander entstanden, neun unterschiedliche Funktionsweisen sind bekannt: neun Gipfel im Unwahrscheinlichkeitsgebirge. Viele Zwischenstufen von Augenformen, die ihren Besitzern offenbar Vorteile bescheren, sind inzwischen aufgedeckt. In Computer-Simulationen, deren Beschreibung Dawkins im ganzen Buch breiten Raum einräumt, lassen sich die Übergänge nachvollziehen. Nicht jeder Kreationist wird restlos überzeugt sein, da sich die Evolution nicht lückenlos belegen läßt; aber die Vorstellung, daß Variation und Selektion im Laufe von Millionen Jahren auch hochkomplexe Anpassungen hervorbringen, klingt nicht mehr absurd wie noch zu Darwins Zeiten. Dawkins spitzt zu: "Evolution ist nie so schwierig, wie wir Menschen uns das vorstellen."

Das Unwahrscheinlichkeitsgebirge, so lautet die Botschaft, ist bezwingbar. Das stimmt, und doch ist die Metapher schlecht gewählt. Denn die Berglandschaft ist bei Dawkins vorgegeben, unveränderlich, und es geht immer nur bergauf: "Die natürliche Selektion ist der Druck, der die Evolution an den Hängen des Unwahrscheinlichkeitsgebirges in die Höhe treibt." Der typische Vertreter einer Population wird im Lauf der Generationen immer besser, und zwar besser "im Vergleich zu einem absoluten Maßstab", wie Dawkins präzisiert. Er hat ein wachsendes Maß an Komplexität im Sinn. Komplexität sagt aber noch nichts über die für die natürliche Selektion entscheidende Überlebens- und Fortpflanzungsfähigkeit aus. Je nach Umweltbedingungen können hochkomplexe Lebensformen anfälliger als primitive sein. Der Evolutionsmaßstab ist die Anpassung relativ zur Umwelt. Die Umwelt aber wird - neben abiotischen Faktoren - von den Arten selbst gebildet und wandelt sich beständig.

Um in Dawkins' Bild zurückzukehren: Was heute wie ein Gipfel bestmöglicher Anpassung aussieht, kann sich morgen schon als bescheidener Hügel darstellen, von dem die Evolution in neue Höhen fortschreitet. Das Unwahrscheinlichkeitsgebirge ist ständig in Bewegung, es gleicht eher einer aufgespannten Membran: Wer sich darauf bewegt, verändert nicht nur seinen Ort, sondern zugleich die Höhen und Tiefen der Oberfläche selbst. Und mit der Umwelt ändert sich die Antwort auf die Frage, was es heißt, am besten angepaßt zu sein. So schön die Gebirgsmetapher ist, um das allmähliche Fortschreiten im Evolutionsprozeß zu illustrieren (sie wurde schon früh dazu verwendet), so leicht kann sie mißverstanden werden, als gebe es sub specie aeternitatis optimale Lösungen, die es im Evolutionsprozeß nur aufzuspüren gilt.

Es ist kein Zufall, wenn Dawkins später die Leitmetapher fallen läßt und sich anderer Bilder bedient. In Anlehnung an Daniel Dennett, der von "Mendels Bibliothek" spricht, beschreibt Dawkins das "Museum aller Schneckenhäuser". Beschränkt man sich auf kreisrunde Querschnitte, so läßt sich die Form von Schneckenhäusern durch drei Parameter charakterisieren. Jedes Schneckenhaus findet damit in einem imaginären dreidimensionalen Museum seinen Platz. Die Evolution verläuft in diesem Bild von einem Saal zum nächsten; von Gipfeln ist hier keine Rede mehr. Welche Form und Größe überlebenstauglich ist, hängt von äußeren Faktoren ab. Erstaunlich ist jedoch, daß nur ein kleiner Bereich aller möglichen Gehäuseformen in der Natur realisiert wird. Ist das allein ein Ergebnis der externen Selektion, oder gibt es vielleicht innere Beschränkungen, die nur bestimmte Mutationen mit den entsprechenden Formveränderungen zulassen? Dawkins neigt der ersten Auffassung zu.

Doch der erklärte Orthodoxe wird gleich darauf zum Ketzer. Die Embryonalentwicklung ähnelt auffallend oft einem Kaleidoskop (ein neues, treffendes Bild von Dawkins). Mutationsbedingte Variationen wirken sich an mehreren Stellen des Körpers zugleich aus. Die kaleidoskopische Embryonalentwicklung schränkt die Variationen weitgehend auf solche Veränderungen ein, bei denen eine Links-rechts-Symmetrie, eine Radialsymmetrie oder die häufig anzutreffende Aneinanderreihung von identischen Segmenten erhalten bleibt. Diese Beschränkung greift, bevor der Organismus sich im Selektionsprozeß bewähren muß, und scheint einen Evolutionsvorteil zu bringen: Ein symmetrischer Phänotyp hat in der Regel größere Überlebenschancen. Hier muß der Darwinist bekennen: "Das ist keine normale Darwinsche Selektion, sondern eine Art Entsprechung zu ihr auf höherer Ebene." Ein Darwinismus zweiter Stufe, bei dem der Evolution förderliche Entwicklungsprinzipien selektiert werden.

Gibt es also eine "Evolution der Evolutionsfähigkeit"? Ein faszinierender Gedanke, den andere Biologen wie Stephen Jay Gould schon länger diskutieren. Dawkins bringt ihn wieder einmal auf den Begriff und nimmt Korrekturen an früheren Positionen vor. Um so bedauerlicher, daß er seine Überlegungen dazu hier nur beiläufig mitteilt. Noch liegen sie unter dem Unwahrscheinlichkeitsgebirge begraben.

Richard Dawkins: "Gipfel des Unwahrscheinlichen". Wunder der Evolution. Aus dem Englischen von Sebastian Vogel. Rowohlt Verlag, Reinbek 1999. 367 S., Abb., geb., 49,80 DM.

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