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Diese Einführung in das Werk des viel diskutierten Philosophen behandelt in verständlicher Form alle bedeutenden Publikationen des Autors. Die Enmtwicklung von Problemstellungen und Denkfiguren wird vor dem Hintergrund der französischen Theoriediskussion chronologisch dargestellt.

Produktbeschreibung
Diese Einführung in das Werk des viel diskutierten Philosophen behandelt in verständlicher Form alle bedeutenden Publikationen des Autors. Die Enmtwicklung von Problemstellungen und Denkfiguren wird vor dem Hintergrund der französischen Theoriediskussion chronologisch dargestellt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.1998

Deleuze spendierte Marx eine Vollrasur
Die eigene Werkgeschichte aber blieb recht haarig: Drei neue Bücher kämmen den französischen Philosophen durch

Der französische Philosoph Gilles Deleuze (1925 bis 1995) hat eine Reihe von monographischen Studien über Autoren der Philosophiegeschichte verfaßt, deren deutsche Übersetzungen in der Maske von "Einführungen" auftreten konnten, allen voran seine Arbeiten über David Hume und Henri Bergson. Doch dieser in den Augen der Verleger und Buchhändler hübschen Kostümierung liegt ein vorsätzliches Mißverständnis zugrunde. Gilles Deleuze betrieb Philosophiegeschichte nicht als akademische Disziplin zur Vermittlung von Prüfungswissen, sondern als sympathetische Porträtkunst, die sich darauf verstand, aus einem philosophischen Werk das Bild des Denkens hervorzutreiben, das es in Bann hielt.

Dieses unverwechselbare Bild des Denkens, das Deleuze von den großen Autoren der Philosophiegeschichte skizzierte, entfremdete diese sich selbst, um sie für unsere Zeit erkennbar zu machen: "Man stelle sich einen Hegel mit - philosophisch - aufgemaltem Bart, einen philosophisch kahlrasierten Marx vor, ganz wie eine schnurrbärtige Mona Lisa." Deleuze erweckte ihre Begriffe zu neuem Leben. Gleichzeitig erfand er in seinen gemeinsam mit dem Psychiater Félix Guattari verfaßten Büchern einen neuen Begriff des Begriffs als Kraftfeld, das aus drei Spannungspolen gebildet wird, die sich gegenseitig bedingen.

Die eigentliche Begrifflichkeit des Begriffs nennen Deleuze und Guattari "Konzept"; die neuen Seh- und Wahrnehmungsweisen, die er erschließt, "Perzept"; die Wucht, mit der er uns trifft, und den Anstoß, den er uns vermittelt, "Affekt". Will man dem philosophischen Begriff seine singuläre Komplexität nicht rauben, können diese drei Momente, aus denen er entspringt, nicht getrennt voneinander gedacht werden: Ohne die begriffliche Schärfe des Konzepts bleibt die Wahrnehmung einer Empfindung stumpf; ohne die Bündelung durch das Perzept teilt sich die blinde Durchschlagskraft der Empfindung dem Begriff nicht mit; ohne die Energie des Affekts gerät der Begriff durch das von ihm Wahrgenommene nicht in Bewegung.

Lähmende Interpretation

Nun ist Gilles Deleuze selbst Gegenstand einer "Einführung" geworden, deren unentschiedener Gestus ihn etwas betrübt hätte: Christian Jäger paraphrasiert alle vierundzwanzig Bücher von Gilles Deleuze mit sicherem, aber gleichmütigem Strich, der die Konturen von Deleuzes Denken kaum erahnen läßt. Die Kapitel, die Deleuzes philosophiegeschichtlichen Werken über Hume, Nietzsche, Kant, Bergson, Spinoza, Foucault und Leibniz gewidmet sind, tragen in ihrer Verkürzung, die das Genre der Einführung durch eine Einführung in "Einführungen" überbieten will, groteske Züge. Andernorts verheddert Jäger sich im Netz der zahlreichen begrifflichen Neuschöpfungen. Unter der Last, welche die notgedrungen gestutzten Zitate in dieser drückenden Atmosphäre zu tragen haben, werden die Deleuzeschen Begriffe flügellahm.

Zudem wird die Lektüre durch eine Reihe von Unsorgfältigkeiten getrübt: Kasusfehler, Trennungsfehler, mehrfache Verwechslung von "das" und "daß", fehlende, gelegentlich überflüssige Kommata, fehlende Anführungszeichen, Spatien und so weiter. Schmerzlich vermißt man in der Bibliographie von Deleuzes Schriften die Namen der entsagungsreichen Übersetzer, die gerade um so mehr interessiert hätten, als Jäger korrigierend in ihre Übertragungen eingreift. Wo Jäger dabei zwar "Immanenzfeld" für "plan d'immanence" in "Immanenzplan" ändert, aber das nachfolgende Relativpronomen unberührt läßt, wird die deutsche Übersetzung dadurch nur noch mehr verdorben.

Fazit: Über die Tauglichkeit von Deleuzes Begriffswerkzeugen ist durch die bloße Beschreibung des Prägestocks, auf dem sie geschmiedet worden sind, noch nichts gesagt. Sie muß sich in der Anwendung auf einen konkreten Gegenstand erweisen. Als Prüfstein haben die achtzehn Beiträge zum internationalen Deleuze-Kolloquium, das die Bauhaus-Universität Weimar 1995 veranstaltete, die Kinematographie gewählt. Ihr Ausgangspunkt ist Deleuzes Beobachtung, daß Henri Bergson 1896 in "Matière et Mémoire" die Bewegung zur selben Zeit in den Begriff einführt, in der sich die fotografischen Bilder in Bewegung setzen und dadurch etwas Neues schaffen: den Film. Im Gegensatz zur Phänomenologie, die mit ihrer Maxime "alles Bewußtsein ist Bewußtsein von etwas" in vorfilmischen Bedingungen des Denkens befangen bleibt, die Bewegung von ihrer natürlichen Wahrnehmung abhängig macht und sie dadurch den Bildern unterordnet, setzte Bergson Bild und Bewegung gleich.

"Die Identität von Bild und Bewegung hat ihren Grund in der Identität von Materie und Licht. Das Bild ist Bewegung, wie die Materie Licht ist", kommentiert Deleuze Bergson. Für die Phänomenologie mußte das Kino ein bloßes Schau-Spiel bleiben, weil sie es nur aus der Perspektive des Zuschauers zu denken vermochte, dessen intentionales Bewußtsein den Film vom Kinosessel aus organisiert. Bergson dagegen kehrte die Perspektive um: Für ihn wurde das Lichtspiel zum Inbegriff des Universums als Bilder-Welt, durch die sich der Mensch als Bild unter Bildern, als Teil eines Films wahrgenommen sieht. "Das Kino ist die Wirklichkeit", wie Roberto de Gaetano in seinem Beitrag über "Kinematographische Welten" Deleuzes Bergson-Interpretation zusammenfaßt.

Deleuzes Begriff des Begriffs - in dem die Konzepte nie unabhängig sind von Perzepten und Affekten - erlaubt ihm nun, im Kino über das jeweilige Bild des Denkens, das er in seinen philosophiehistorischen Büchern gezeichnet hat, hinauszugehen und zu einem Denken des Bildes vorzustoßen. Das Kino denkt, wenn auch nicht in Begriffen, sondern in Bildern, das ist das Aufregende an den beiden Kino-Büchern von Deleuze. Die Beiträge von Raymond Bellour, Oliver Fahle und Joost Raessens formulieren ihre Herausforderung für die Philosophie: Filmgeschichte als Geschichte der Philosophie außerhalb des rein verbalen, von Perzepten und Affekten gereinigten Begriffs.

Begriff auf Kredit

Die Prüfung von Deleuzes Philosophie des Films zeigt aber auch, welche Hypotheken der französische Denker bei der Aneignung fremder Begriffe aufnimmt: Während Guy Fihmann eine Reihe von Widersprüchen analysiert, die sich aus Deleuzes Strategie ergeben, "auf dem Gebiet des Kinos Bergsonianischer als Bergson zu sein", kritisiert André Vandenbunder seine Reduktion der dreiwertigen Logik der Semiotik von Charles Saunders Peirce auf die binäre sprachliche Logik von Ferdinand de Saussure, die sich in seinen Augen aus Deleuzes Anschluß an "Matière et Mémoire" ergibt.

Eine andere Kartographie der Deleuzeschen Begriffswelt entwerfen unter dem Titel "Gilles Deleuze - ein philosophisches Leben" die dreiunddreißig Beiträge zu den "Rencontres Internationales Gilles Deleuze", die zwischen dem 10. und 14. Juni 1996 in Rio de Janeiro und São Paulo stattgefunden haben. Sie zeugen von der großen Anziehungskraft, die der letzte, kurze Text von Gilles Deleuze, "Die Immanenz: ein Leben . . .", ausübt, der die Aufsätze wie ein Leitmotiv verbindet. Ausdrücklich widmen sich die Beiträge von Giorgio Agamben, Gérard Lebrun, David Lapoujade und Bento Prado jr. dem Verhältnis von Transzendentalität und Immanenz bei Deleuze.

Das Rätsel der Immanenz ist wie das Leben weder erklärungs- noch begründungsbedürftig. Die Immanenz ist wie das Leben kein Ausdruck eines Mangels, der auf eine Welt hinter den Erscheinungen schließen lassen würde, ohne die sie nicht existieren könnten und durch die sie erst ihre Erfüllung fänden. Der Natur, die Deleuzes philosophischer Gewährsmann Spinoza mit Gott und der unendlichen Substanz als causa sui (Ursache ihrer selbst) gleichgesetzt hat, fehlt nichts, im Gegenteil: Als natura naturans (schaffende Natur) bringt sie sich ewig selbst als natura naturata (geschaffene Natur) hervor, der als Modus auch der Mensch angehört.

Dieses Schaffen ist für die Natur zwar zwingend und notwendig, da es die ihr eigene Natur ist, doch sie unterliegt dabei keinem äußeren Zwang. Sie ist frei, und der Mensch kann an dieser Freiheit teilhaben, indem er sich von der Natur nicht ausnimmt, sondern als immanenten Teil der Natur erkennt. Die transzendentale Erklärung einer Gegebenheit durch einen tieferen Sinn dagegen beugt den Philosophen unter das Joch jenseitiger Bedingtheiten und knechtet ihn im Namen einer höheren Instanz, der er all seine Souveränität übertragen muß.

Das Denken der Immanenz erlaubt, dieser Knechtschaft und ihren trübsinnigen Leidenschaften zu entgehen. Deshalb hat Gilles Deleuze das Moment der Immanenz nicht nur in seiner Interpretation der Philosophie von Spinoza nachdrücklich betont, sondern auch in seinen Kinobüchern, bei seiner Betrachtung der Bilder von Francis Bacon und bei seiner Lektüre von Samuel Beckett oder Hermann Melville, dessen "Bartleby" er 1989 ein umfangreiches Nachwort gewidmet hat. Das spinozistische Universum von "Bartleby" war auch das Universum von Gilles Deleuze. MARTIN STINGELIN

Christian Jäger: "Gilles Deleuze". Eine Einführung. Wilhelm Fink Verlag, München 1997. 311 S., br., 29,80 DM.

Oliver Fahle und Lorenz Engell (Hrsg.): "Der Film bei Deleuze/Le cinéma selon Deleuze". Verlag der Bauhaus-Universität, Presse de la Sorbonne Nouvelle, Weimar, Paris 1997. 565 S., br., 35,- DM.

Eric Alliez (Hrsg.): "Gilles Deleuze - une vie philosophique". Rencontres Internationales Rio de Janeiro - São Paulo, 10 - 14 Juin 1996. Institut Synthélabo pour le progrès de la connaissance, Le Plessis-Robinson 1998. 576 S., br., 220,- FF.

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