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Paul Lafargue (1842-1911) ist vor allem als Schwiegersohn von Karl Marx bekannt, der dem Recht auf Arbeit "Das Recht auf Faulheit" zur Seite stellte. Die in diesem Band aufgelegten Texte zeigen einen anderen Lafargue: Durch seine multikulturelle Herkunft sensibilisiert, interessiert er sich besonders für die Probleme von Frauen, ist er doch als Mulatte in Paris und London täglich mit einem Rassismus konfrontiert, dessen Vorurteile denen des Anti-Feminismus weitgehend gleichen. Der "Frauenfrage" widmet sich Paul Lafargue mit der ihm eigenen Verve und Respektlosigkeit. Seine hochmodernen…mehr

Produktbeschreibung
Paul Lafargue (1842-1911) ist vor allem als Schwiegersohn von Karl Marx bekannt, der dem Recht auf Arbeit "Das Recht auf Faulheit" zur Seite stellte. Die in diesem Band aufgelegten Texte zeigen einen anderen Lafargue: Durch seine multikulturelle Herkunft sensibilisiert, interessiert er sich besonders für die Probleme von Frauen, ist er doch als Mulatte in Paris und London täglich mit einem Rassismus konfrontiert, dessen Vorurteile denen des Anti-Feminismus weitgehend gleichen. Der "Frauenfrage" widmet sich Paul Lafargue mit der ihm eigenen Verve und Respektlosigkeit. Seine hochmodernen Gedanken gipfeln in teilweise gewagten Formulierungen, deren Radikalität auch heute Anregung bieten kann, eine Reihe von Fragen weiter zu denken. Ergänzt werden die zehn Originaltexte durch eine Biographie, für die der Herausgeber und Lafargue-Experte Fritz Keller mit dem Theodor-Körner-Förderungspreis ausgezeichnet wurde.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.1996

Gottvater lebt in dürftigen Verhältnissen
Das Mutterrecht des Schwiegersohns: Paul Lafargues satirische und seriöse Betrachtungen zum Kampf der Geschlechter

Am bekanntesten ist dieser kreolische Schwiegersohn von Marx durch sein Buch "Das Recht auf Faulheit" geworden, mit dem er die unkritische Hochschätzung von Arbeit und Arbeitsamkeit im Bürgertum wie im Proletariat satirisch bekämpfte. Nicht nur mit dieser Schrift stieß er bei den Orthodoxen seiner Partei auf Kritik. Marx soll einmal angesichts einer Äußerung Lafargues bemerkt haben, er jedenfalls sei dann "kein Marxist". Fest steht, daß Lafargue bei aller Bewunderung für den Schwiegervater und bei aller Dankbarkeit gegenüber Engels, der ihn jahrelang finanziell kräftig unterstützt hat, eigenwillig und in mancher Hinsicht "moderner" dachte als die "Patriarchen".

Als Patriarch verhielt sich selbst Karl Marx ihm gegenüber, indem er voreheliche Abstinenz und Abschluß des Medizinstudiums als Vorbedingung für die Eheschließung mit Laura Marx forderte. Zwar hat Lafargue im englischen Exil sein Studium beendet, aber die eigene Hilflosigkeit gegenüber seinen hinfälligen Kindern und der Wille, politisch aktiv zu sein, haben dazu geführt, daß er den Beruf bald an den Nagel hängte. Marx hätte seiner Tochter lieber eine gutbürgerliche und friedliche Ehe verschafft. Eine gewisse südländische Unbekümmertheit erlaubte es Lafargue trotz wiederholter Verfolgung und Flüchtlingselend, seinem hedonistischen Ideal erfolgreich nachzukommen.

In dem vorliegenden, höchst interessanten Sammelband sind Arbeiten Lafargues zusammengefaßt, in denen er die Entwicklung vom bürgerlichen Matriarchat zum Patriarchat und die Hoffnung auf eine Befreiung der Frau durch die sozialistische Revolution thematisiert. Am besten beginnt man die Lektüre mit dem Essay "Die Frauenfrage", der Lafargues Motiv für seine Beschäftigung mit mythischen Texten und den Sitten der Naturvölker deutlich macht.

In diesem Artikel aus dem Jahr 1904 schildert der Verfasser die Einstellung der Bürger, der Kleinbürger und der Proletarier zum weiblichen Geschlecht. Während das wohlhabende Bürgertum die Rolle der Frau auf Heim und Herd zu beschränken sucht und unter günstigen wirtschaftlichen Umständen der Ehefrau ein müßiges Luxusleben gestattet, im übrigen aber die Theorie von der "Minderwertigkeit" der Frau aufstellt, um deren Wunsch nach Gleichberechtigung zu unterdrücken, werden die Frauen im Kleinbürgertum zu Konkurrentinnen um Arbeitsplätze und im Proletariat zu "Kämpferinnen im gemeinsamen Bemühen um Emanzipation".

Dabei vernachlässigt Lafargue die Tatsache, daß auch in der Arbeiterbewegung keineswegs generell die politische Gleichberechtigung der Frau gefordert und die Beschränkung auf den Haushalt ebensowenig abgelehnt wurde. Die Grenzen zwischen Kleinbürgertum und Proletariat waren nicht so deutlich, wie es Lafargue behauptet. Am interessantesten ist aber in seinem Artikel die Diskussion um die angebliche intellektuelle Inferiorität der Frau. Biologische Daten über die Vitalitätsunterschiede von Jungen und Mädchen sprechen im Gegenteil für eine größere Vitalität des weiblichen Geschlechts, und auch der Vergleich der relativen Größe wichtiger Organe fällt zu ihren Gunsten aus. Die Ausschließung von vielen Tätigkeiten außerhalb des Hauses und von Bildungsangeboten habe aber in der bürgerlichen Epoche im Unterschied zum Leben in primitiven Kulturen die Entwicklung der weiblichen Intelligenz und damit zugleich den Fortschritt beider Geschlechter behindert.

Hier argumentiert Lafargue ähnlich wie Adam Smith, der in seinem Hauptwerk monotone Arbeit und geringe Herausforderung durch abwechselnde Tätigkeiten für ein Zurückbleiben der Intelligenz von Fabrikarbeitern verantwortlich macht, die bei ihrer Geburt nicht weniger geistige Anlagen gehabt hätten als ein Philosoph. Ausschlaggebend für die im Augenblick bestehenden Unterschiede von Intelligenz und Initiative ist also die soziale Lage, insbesondere die patriarchale Bevormundung der Frauen in der kapitalistischen Gesellschaft.

Eine Reihe von Arbeiten über Mutterrecht, Hochzeitsbräuche und Mythen kreisen fast ausschließlich um die These, daß ursprünglich die Frauen sowohl an Intelligenz als auch an Weitsicht und Verantwortungsbewußtsein den Männern überlegen waren und alle Völker anfangs matriarchalisch organisiert waren und weibliche oder androgyne Gottheiten kannten. Spuren dieser Frühzeit findet Lafargue noch in Hochzeitsliedern auf dem Lande und in Bräuchen, die an das Trauma der gewaltsamen Einführung des Patriarchats erinnern.

Gestützt auf Bachofen, Morgan und andere zeitgenössische Autoren, stellt Lafargue die Brauchbarkeit ethnologischer Untersuchungen für die Entschlüsselung der antiken und anderer Mythen heraus. In der alttestamentarischen Schöpfungsgeschichte heißt es - in einer von Lafargue verwendeten Bibelfassung - einmal: "Elohim" schuf den Menschen nach seinem Bilde, dem Bilde Gottes schuf er ihn, und er schuf sie ein Männlein und Fräulein" (I, 27) - später aber heißt es dann: Zuerst wurde nur Adam erschaffen und dann "aus seiner Rippe" Eva.

Diese zweite Mythe ist nach Lafargue eine Folge der inzwischen eingetretenen patriarchalischen Umgestaltung der Lebensverhältnisse. Jetzt muß die Frau dem Manne als untergeordnet "nachgewiesen" werden. Die Verführung des Mannes durch die - offenbar einflußreichere - Eva, so Lafargues Vermutung, hänge allerdings mit der größeren Bedeutung der Frau im Matriarchat zusammen. Auch die Formulierung "darum wird der Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen" könnte eine Erinnerung an die matriarchale Sitte sein, nach der die Männer bei der Heirat in den Clan der Schwiegermutter eintraten, während die Frauen bei ihrem Clan blieben.

Zwei früher von Lafargue verfaßte Texte gehören zu seinen satirisch-literarischen Arbeiten, unter denen auch "Der verkaufte Hunger" noch lesenswert ist. "Papst Pius IX. im Paradies" schildert die Reise des kranken und müden Papstes zum Himmel, um dort Hilfe für die darniederliegende Kirche zu erbitten. Der Papst trifft auf einen mürrischen Pförtner Petrus, auf einen zahnlosen Gottvater, der in dürftigen Verhältnissen lebt, auf einen ewig jungen Playboy Jesus, umringt von hübschen Gespielinnen, der sich nach der neusten Pariser Mode erkundigt und nichts von der Kirche wissen will, und endlich auf einen vorwitzigen Heiligen Geist in Gestalt einer Taube, die kosend auf Marias Schulter sitzt. Aber keine Hilfe ist zu finden. Selbst der Heilige Geist, der immerhin für eine "Modernisierung" der Kirche in Richtung auf jugendlichen Hedonismus plädiert, nimmt zuletzt Abstand von der Reise auf die Erde, als man ihm berichtet, daß Tauben dort als Leckerbissen gelten und er mit Abschuß rechnen müsse.

Diesen außerordentlichen blasphemischen Text hat Lafargue ausgerechnet im erzkatholischen Madrid 1872 erstmals publiziert. Nicht minder satirisch ist die "Predigt der Kurtisane", die - im Gegensatz zur verachteten Straßendirne - die Bedeutung des neuen Gottes "das Kapital" richtig erkannt hat und entsprechend von ihm belohnt wird. Die reichen Männer umschwärmen sie, nur Millionäre können sich ihre Liebe leisten, Dichter besingen sie und verschmachten nach ihrer - geheuchelten - Liebe. Ehrgeizigen Frauen nämlich gibt sie dringend den Rat, stets kalt und nüchtern zu bleiben und ihren Leib nur gegen hohe finanzielle Gegenleistungen - auf Zeit - zu verkaufen. Die Unterscheidung zwischen der angesehenen Kurtisane und der mißachteten Hure hat viel später Georg Simmel in seiner "Philosophie des Geldes" beschrieben. Verschämt geht der Spießer ins Bordell, während der reiche Lebemann stolz darauf ist, der anerkannte Liebhaber einer großen Kurtisane zu sein. Ob Kurtisanen, die Erfolg haben, wirklich kalt und gefühllos sein können, läßt sich bezweifeln, aber Satiren müssen ja nicht realistisch sein.

Lafargues Texte zugunsten der Emanzipation der Frau sind durchaus ernst gemeint. Seine Fabulierlust und seine materialreiche Sammlung von Sitten, Mythen, Gebräuchen und exotischen Stammesriten machen aber den Band zugleich höchst unterhaltsam. Fritz Keller hat ihm eine informative Biographie des Autors hinzugefügt. In den von ihm zitierten brieflichen Äußerungen von Marx über den künftigen Schwiegersohn offenbart er sich nicht nur als Patriarch und Rassist ("Abkömmling eines Gorillas", "Negriloo" und "Kreolenschädel" wird Lafargue genannt), sondern auch als Anhänger der Phrenologie. Als "Gläubiger" der Schädellehre hat ihn auch Wilhelm Liebknecht kennengelernt, als Marx ihn erst nach gründlicher Betastung seines Schädels freundschaftlich in London aufnahm. IRING FETSCHER

Paul Lafargue: "Geschlechterverhältnisse". Ausgewählte Schriften. Kritische Ausgabe, hrsg. von Fritz Keller, Einleitung von Frigga Haug. Argument Verlag, Hamburg 1995. 324 S., geb., 49,- DM.

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