Marktplatzangebote
5 Angebote ab € 40,00 €
  • Gebundenes Buch

Das Buch "Mein Kampf" ist wie keine andere Schrift zu einem Symbol des Nationalsozialismus und der nationalsozialistischen Herrschaft geworden. Gleichzeitig hält sich bis in die Gegenwart hartnäckig die Fehleinschätzung vom ungelesenen und unbeachteten "Bestseller". Die Ergebnisse von Othmar Plöckingers Studie stellen derartige Klischees über "Mein Kampf" in Frage. Plöckinger zeichnet die komplexe Entstehungsgeschichte des Buches nach, die keineswegs von Willkür geprägt war; er entfaltet die weit verzweigte Publikationsgeschichte und verfolgt das schwer zu überblickende Nach- und Nebeneinander…mehr

Produktbeschreibung
Das Buch "Mein Kampf" ist wie keine andere Schrift zu einem Symbol des Nationalsozialismus und der nationalsozialistischen Herrschaft geworden. Gleichzeitig hält sich bis in die Gegenwart hartnäckig die Fehleinschätzung vom ungelesenen und unbeachteten "Bestseller". Die Ergebnisse von Othmar Plöckingers Studie stellen derartige Klischees über "Mein Kampf" in Frage. Plöckinger zeichnet die komplexe Entstehungsgeschichte des Buches nach, die keineswegs von Willkür geprägt war; er entfaltet die weit verzweigte Publikationsgeschichte und verfolgt das schwer zu überblickende Nach- und Nebeneinander der verschiedenen Ausgaben und Auflagen. Sehr deutlich analysiert er schließlich die intensive Auseinandersetzung mit dem Buch in Deutschland vor und nach 1933 und in den Staaten der späteren Alliierten.

Rezension:
Plöckinger, Othmar: Geschichte eines Buches. Adolf Hitlers "Mein Kampf"
1922-1945. München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2006. ISBN 3-486-57956-8; 632 S.; EUR 49,80.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Michael Kißener, Historisches Seminar, Universität Mainz
E-Mail:

Nur wenige Bücher haben eine solche Bedeutung für die Geschichte des Dritten Reiches, kaum eines hat eine so dunkle Entstehungsgeschichte und um keines ranken sich so viele Legenden und Mythen wie gerade um Hitlers Buch „Mein Kampf“. Licht in dieses Dunkel zu bringen, ist das Ziel der hier anzuzeigenden groß angelegten, umfänglichen Studie von Othmar Plöckinger.

Dazu analysiert der Autor in einem ersten großen Abschnitt die Entstehungsgeschichte, arbeitet sodann die komplizierte Publikationsgeschichte auf und untersucht schließlich die Rezeptionsgeschichte dieser Programmschrift im In- wie im Ausland. Auf dem letzten Abschnitt liegt das Schwergewicht der Darstellung mit rund 400 Seiten, weil es dem Verfasser vor allem auch um die Infragestellung der These von dem vielfach „ungelesenen Buch“ geht. Ob dies wirklich gelungen ist, bleibt fraglich, muss doch der Autor oft eingestehen, dass das von ihm genutzte Quellenmaterial problematisch ist oder schlicht nicht ausreicht. Unzweifelhaft ist dagegen das beeindruckende Bemühen Plöckingers, jedem noch so verstreuten Hinweis auf die Publikationsgeschichte, jeder irgendwie aufzuspürenden zeitgenössischen Äußerung über die Rezeption des Buches nachzugehen und diese für seine Darstellung fruchtbar zu machen. So ist ein Buch entstanden, das außerordentlich detailliert die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte von „Mein Kampf“ nachzeichnet und daher sicherlich zu einem Referenzwerk für alle Fragen werden wird, die sich um diese zentrale Schrift ranken.

Plöckingers akribische Quellenrecherche deckt manche bislang unbekannten oder von Legenden überwucherten Zusammenhänge auf. Erst Ende 1923, so kann er nachweisen, lassen sich Vorarbeiten für das Buch sicher feststellen. An den in der Landsberger Haftzeit entstandenen Abschnitten dürfte entgegen allen immer wieder zu lesenden Behauptungen (so etwa auch in der Hitler-Biographie Ian Kershaws) der Anteil von Rudolf Heß weit weniger bedeutsam sein als bislang angenommen. Dies wurde schon
1934 im „Völkischen Beobachter“ richtig gestellt! Auch das Gerücht, der ehemalige katholische Pfarrer Bernhard Rudolf Stempfle habe das Buch beeinflusst, kann Plöckinger mit guten Gründen zurückweisen. Der Titel des Buches war wohl ein Zufallsprodukt: Erst im Februar 1925 tauchte er in Verlagsanzeigen auf, die das „Werk“ schon lange angekündigt hatten, das dann aber immer wieder auf sich hatte warten lassen. Ein Verkaufserfolg wurde es erst ab circa 1930, auch im Ausland, wo es vor allem in Palästina und im Irak interessierte arabische Leser fand.

Aus vielen Blickwinkeln arbeitet Plöckinger die Rezeptionsgeschichte auf. Beeindruckend ist die Vielzahl von Denkschriften staatlicher Dienststellen, von Zeitungsrezensionen unterschiedlichster politischer und konfessioneller Provenienz, die früh genug vor dem kommenden Diktator auf der Grundlage von „Mein Kampf“ warnten. Zu diesen Warnern gehörten vor allem katholische Blätter und geprägte Katholiken wie Fritz Michael Gerlich oder Ingbert Naab. Beeindruckend gleichwohl aber auch die Zahl derer, die das Buch und seinen Verfasser falsch einschätzten.
Zu Letzteren gehörten auch die jüdische Presse oder die Demokraten der Weimarer Republik. Dass dennoch die Rede von dem weithin ungelesenen Buch aufkommen konnte, lag am Ende an Hitlers innerparteilichen Gegnern, vor allem an Otto Strasser, der sie in die Welt setzte, um das Buch als unwichtig zu brandmarken. Konrad Heiden tat nach Plöckinger sodann alles, um diese Vorstellung weiter zu verbreiten.

Sogar nach Spuren der Rezeption in der Wirtschaft oder bei den Gewerkschaften wie auch in der Wissenschaft wird vom Autor gefahndet, mit zum Teil bemerkenswerten Ergebnissen: Hjalmar Schacht hatte es z.B.
gelesen, wohl aber kaum gründlich. Der Bonner Psychiater Walther Poppelreuter machte es 1932 erstmals zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Lehrveranstaltung, was Hitler schmeichelte. Nach 1933 freilich war die Partei bemüht, jede Form von Kommentierung oder öffentlicher Auseinandersetzung mit dem Buch zu verhindern, damit dem Ansehen des „Führers“ nur kein Schaden bereitet werde. Schade nur, dass Plöckinger die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung als gewerkschaftsähnliche Organisation offensichtlich übersieht. Angesichts der intensiven Auseinandersetzung und Gegnerschaft zum Nationalsozialismus, die in diesen Kreisen schon lange vor 1933 gepflegt wurde, steht zu vermuten, dass die KAB-Presse noch einiges zur Rezeptionsgeschichte von „Mein Kampf“ hätte beitragen können.

Dass das Buch dann spätestens ab 1933 zu einer Art „Bibel“ des Nationalsozialismus wurde und weite Verbreitung erlangte, ist bekannt.
Gemeinhin wird für die steigende Auflagenhöhe nicht zuletzt der Umstand verantwortlich gemacht, dass es von den Standesämtern bei Eheschließungen verschenkt worden sei. Auch dem geht Plöckinger nach und stellt die Richtigkeit dieser Erinnerung fest, gleichwohl mit Einschränkungen. Viele große Städte wie z.B. Frankfurt am Main weigerten sich beharrlich, das teure Buch, das die Stadtkasse erheblich belastet hätte, für solche Zwecke anzukaufen. Der Leipziger Oberbürgermeister und spätere Widerstandskämpfer Carl Goerdeler wehrte sich ebenso hartnäckig und mit fadenscheinigen Argumenten gegen eine solche Absatzförderung.
Nimmt man alles zusammen und rechnet ebenso ein, dass die öffentlichen Bibliotheken zum Ankauf geradezu gezwungen wurden (wenn auch nicht gleich zum Erwerb von 120 Exemplaren wie in der Essener Stadtbibliothek), so weist der millionenfache Absatz immer noch auf ein erhebliches privates Kaufinteresse, das insbesondere für die Jahre bis etwa 1937 festzustellen ist. Danach und insbesondere in der Kriegszeit ließ das Verlangen nach dem Buch spürbar nach. Dies dokumentieren auch die nur spärlich überlieferten Ausleihzahlen der öffentlichen Bibliotheken. Offen muss freilich auch hier die Frage bleiben, wie intensiv das Buch wirklich rezipiert wurde. Vielleicht trifft da das Urteil von Stefan Zweig über die Lektüre seiner Schriftstellerkollegen auch auf die Allgemeinheit zu: „Die wenigen unter den Schriftstellern, die sich wirklich die Mühe genommen hatten, Hitlers Buch zu lesen, spotteten, anstatt sich mit seinem Programm zu befassen, über die Schwülstigkeit seiner papiernen Prosa.“ (S. 451)

Ganz ähnlich sahen die Verhältnisse auch bei der Auslandsrezeption aus, über die bereits Forschungsarbeiten, etwa im Hinblick auf Großbritannien und die USA, vorliegen. Hier ergänzt Plöckinger den Wissensstand, insbesondere auch über Frankreich, die UdSSR und die Komintern, wo man Hitlers Werk zwar früh las, sich in ideologischer Verblendung jedoch weigerte, den deutschen Diktator als Ideologen wahr- und ernst zu nehmen.

Recht unvermittelt hört Plöckingers Studie nach dem Blick ins Ausland auf, ohne ein Schlusswort oder eine Zusammenfassung. Letztere fehlt deutlich, auch wenn einzelnen Kapiteln Kurzresümees beigegeben sind.
Auch wünschte man sich am Ende einen, wenn auch noch so kurzen Ausblick auf die Zeit nach 1945, die die Nachkriegsrezeption, den Streit um die Rechte an dem Buch und vieles mehr hätte thematisieren müssen. Aber das mag nach 577 Textseiten vielleicht auch zu viel verlangt sein, zumal dann, wenn es mit der gleichen Akribie bearbeitet worden wäre, mit der Othmar Plöckinger Maßstäbe gesetzt hat.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Dirk van Laak

URL zur Zitation dieses Beitrages
Autorenporträt
Othmar Plöckinger, geboren 1965, ist Gymnasiallehrer für Deutsch, Geschichte und Mathematik in Salzburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.04.2007

Des "Führers" unsensible Leser
Viel Material zur Entstehungs-, Publikations- und Rezeptionsgeschichte von Hitlers "Mein Kampf"

Warum Hitler, ein "sadistischer Oberkonfusionsrat, zum Führer eines starken Drittels des deutschen Volkes werden konnte", fragten sich nicht nur Journalisten der "Weltbühne", sondern auch Politiker, Gewerkschafter und Unternehmer, ohne jedoch sieben Jahre nach der Erstauflage von "Mein Kampf" (1925/26) darauf schlüssig antworten zu können. Während demokratische Publizisten den Antisemitismus, Rassenfanatismus und die Aggressivität des Bestsellers anprangerten, sich völkische Gruppen auf das Lob ausgewählter Kapitel beschränkten, entdeckten die Physik-Nobelpreisträger Johannes Stark und Philip Lenard in Hitler den "kommenden Retter deutschen Geistes". Und Hitlers späterer Außenamtsstaatssekretär Ernst von Weizsäcker schrieb seiner Mutter, ihn beeindrucke Hitlers "Warmherzigkeit gegenüber dem sozialen Elend". So jemand könne doch "kein Reaktionär" sein: "Unsereiner muß die neue Ära stützen."

Hatten die Zeitgenossen zu flüchtig gelesen? Wurden sie durch politische Interessen geblendet? Den Topos, die "Bibel des Nationalsozialismus" sei so gut wie gar nicht gelesen worden (Allan Bullock, Eberhard Jäckel, Joachim Fest), stellt die vorliegende Untersuchung über ,Mein Kampf" in Frage. Othmar Plöckinger geht von der Leitfrage aus, wer Hitlers Buch wann, aus welchem Grund und in welcher Intensität gelesen habe. 3342 Fußnoten und ein knapp vierzigseitiges Quellen- und Literaturverzeichnis spiegeln die aufwendige Recherche, die nötig war, um im ersten Teil die Grundlagen (1922/23), Publikationsversuche und Vorveröffentlichungen (1924/25) von "Mein Kampf" - "Eine Abrechnung" (Juli 1925) und "Die nationalsozialistische Bewegung" (Dezember 1926) - klären zu können. Die sich anschließende Publikationsgeschichte ist sachlich gegliedert und behandelt die deutschsprachigen Auflagen in drei Abschnitten (bis 1926, 1932 und bis 1945), die Jubiläums- und Sonderausgaben, Teilpublikationen und Zitatsammlungen. Fragen nach den "Überarbeitungen", beteiligten Druckereien und fremdsprachigen Ausgaben werden gestreift.

Der dritte Teil umfasst zwei Drittel der Untersuchung, richtet sich auf die Rezeptionsgeschichte in Deutschland (vor 1933 und bis 1945) und im Exil. Es folgen Berichte über die Aufnahme von "Mein Kampf" in Großbritannien und den Vereinigten Staaten, in der Sowjetunion, in Frankreich und Österreich. Plöckingers Studie endet abrupt mit dem Einmarsch deutscher Truppen in Wien im März 1938. Lediglich vier separate "Zusammenfassungen" finden sich in dem voluminösen Band; sie sind unsystematisch eingesetzt und erfüllen ihre Hauptfunktion nur unzulänglich, nachträglich eine gewisse Übersichtlichkeit in die von direkten Wiederholungen und Redundanzen bestimmte Darstellung zu bringen.

An so gut wie keiner Stelle überzeugt die Entscheidung, die Untersuchungen über "Mein Kampf" mit zusätzlichen Bemerkungen zu Rosenbergs "Mythus" zu verbinden. Es irritiert, dass Bischofsworte und andere Deklarationen beziehungsweise Personen mit ihren Äußerungen in Tagebüchern oder sogar später verfasste Memoiren zu Wort kommen, ohne dass die Einbeziehung dieser schwer zu erschließenden Ebene neben der publizistischen reflektiert worden wäre. Die Proportionen und Untergliederungen offenbaren konzeptionelle Mängel eines Werkes, das ohne Mitwirkung eines Fachlektorats entstanden sein dürfte: frei schwebende Kapitelchen, Einschübe vor Unterabschnitten oder Angehängtes wie "Fremdsprachige Ausgaben" oder "Rezeption im Exil". Schließlich findet sich sogar ein themafremdes Kapitel zu Hitlers geplanten Kriegserinnerungen und der postum veröffentlichten Schrift "Das zweite Buch".

Plöckingers Ausführungen - eine "Publikation des Instituts für Zeitgeschichte" - sind unförmig und zerfließend. Die Mitwirkung zweier Mitarbeiter des Münchener Instituts und einer weiteren Person, die sich durch die erste Fassung "durchgearbeitet" beziehungsweise in der Endphase intensiv um das Manuskript "bemüht" haben, hat sich auf den ursprünglich vorgelegten Text vermutlich positiv ausgewirkt, doch reichte sie nicht aus. Durch systematische Kürzungen überlanger Anmerkungen und zahlreicher schlicht referierender Passagen wären die Lesbarkeit gewachsen und das analytische Moment etwas hervorgetreten. Bei den ausufernden Deutschland-Abschnitten hätte klar entschieden werden müssen, ob eine anspruchsvolle kommunikationshistorisch akzentuierte Rezeptionsgeschichte wohl nur in einem Separatum realisierbar - oder ein ergebnisorientierter Überblick der Tagespublizistik zu "Mein Kampf" vorgelegt werden solle. In einer derart entrümpelten Darstellung hätten auch die unmotiviert auftauchenden quellengeschichtlichen Anmerkungen zum hitlerschen Text angemessener berücksichtigt werden können.

In der vorliegenden Form erschließt sich allein dem Spezialisten der volle Gewinn. Er verbirgt sich unter einem Berg von Belegen, Hinweisen, Referaten über Bekanntes und in ungeschickten Resümees. Um mit dem Wichtigsten zu beginnen: Dem Autor gelingt zweifellos der Beweis, dass die Analyse der Auflagen, der gedruckten, verkauften oder aus Bibliotheken entliehenen Exemplare von "Mein Kampf" viel über propagandistische Inszenierung und Selbstdarstellung, aber wenig über die Breite und Tiefe der Rezeption des Werkes aussagen. Der erstmals gründlich belegte Befund einer früh einsetzenden Beschäftigung mit Hitlers Buch zerstört auf der Ebene der Publizistik - und allein dort - die Legende, das Buch sei ein "ungelesener Bestseller" gewesen. Es wird deutlich, dass die selten problemorientierten und vorwiegend reichlich oberflächlichen "Betrachtungen" und Polemiken in der zeitgenössischen Publizistik in toto keine außerordentlich hohe politisch-ideologische Sensibilität gegenüber "Mein Kampf" bewiesen haben. Dabei werden die hervorstechenden, aber zahlenmäßig geringen anspruchsvollen Analysen von Plöckinger nicht angemessen behandelt; sie gehen in nahezu allen Fällen im Wust des Mindergewichtigen unter. Einen Gewinn bieten die detaillierten Informationen über die zeitlichen, sachlichen und personellen Entstehungsbedingungen von "Mein Kampf": Viele Personen haben sich demnach unberechtigt einer "Mittäterschaft" gerühmt, die Angaben zu den Werbemaßnahmen des Eher-Verlags und die genauen Daten zu den einzelnen Ausgaben werden weitere wissenschaftliche Studien erleichtern.

Vor dem Hintergrund der zahllosen Einzelfälle verfestigt sich die auch Plöckinger nicht verborgen gebliebene, aber nicht genügend gewürdigte Erkenntnis, dass die Schriften von Alfred Rosenberg, Gottfried Feder und Joseph Goebbels sehr viel häufiger zitiert wurden als "Mein Kampf" und dass dem Redner Hitler eine ungleich höhere Bedeutung als dem Schreiber zugemessen wurde. Außerdem erweist sich die Beschränkung auf das Untersuchungsfeld der Publizistik als unbefriedigend; sie ist um die ungleich schwierigere, jedoch ergiebigere Rezeptionsgeschichte der weiteren Leserschaft zu ergänzen.

BERND SÖSEMANN

Othmar Plöckinger: Geschichte eines Buches: Adolf Hitlers "Mein Kampf". 1922-1945. R. Oldenbourg Verlag, München 2006. 632 S., 49,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.08.2006

Auch für die Nazis war es nicht das letzte Wort
Othmar Plöckingers akribische Geschichte von Adolf Hitlers „Mein Kampf” versucht, die These vom ungelesenen Bestseller zu widerlegen
Wäre Adolf Hitler nicht zum allmächtigen Diktator aufgestiegen, wäre seine autobiografische Studie, die 1925 und 1926 in zwei Bänden unter dem Titel „Mein Kampf. Eine Abrechnung” erschien, in den Hinterzimmern der Antiquariate vermodert. So aber wurde das Buch zum millionenfach gedruckten, allerdings kaum gelesenen Bestseller.
Othmar Plöckinger hat sich diesem Gegenstand in einer umfangreichen Darstellung zugewandt, die zahlreiche bislang unbekannte oder unbeachtete Details enthält und die vergleichsweise umfangreiche Spezialliteratur in vielen Details korrigiert. Einleitend räumt er ein, dass er ursprünglich eine Quellenstudie angestrebt hatte, dass aber dieses Desiderat nicht realisierbar war, da Manuskripte oder Druckvorlagen für die einzelnen Teile von „Mein Kampf” nicht mehr vorhanden sind (und vielleicht nie vorhanden waren). Stattdessen konzentriert sich seine akribische Untersuchung auf die Entstehung, die Publikationsformen und die zeitgenössische Rezeption von „Mein Kampf” in Deutschland und Österreich sowie in Großbritannien, Frankreich, den USA und der UdSSR.
Plöckinger hat das grundlegende Verdienst, die einzelnen Entstehungsphasen des Manuskriptes in den Zusammenhang mit den innenpolitischen Vorgängen zu stellen. Damit wird deutlich, dass der Text von „Mein Kampf” keineswegs einer geschlossenen inhaltlichen Konzeption Hitlers als Schriftsteller entsprang, sondern jeweils wechselnde innenpolitische Konflikte widerspiegelt, die mit der Neugründung der NSDAP von 1925 und der Durchsetzung seines Führungsmonopols zusammenhängen. Es spielen aber Rücksichten auf die Absicht der bayerischen Staatsregierung hinein, ihm die deutsche Staatsangehörigkeit zu entziehen und ihn nach Österreich abzuschieben. Diese komplexen Entstehungsbedingungen erklären den weitgehend unsystematischen Charakter und die häufigen Redundanzen des Textes.
Der Autor weist nach, dass es faktisch keine Vorstufen zu „Mein Kampf” gegeben hat. Die Idee dazu entstand spontan, aufgrund der Anregungen von Mithäftlingen in Landsberg und Besuchern, wobei das Motiv einwirkte, Hitler zu beschäftigen und seine unaufhörlichen Tiraden zu beenden, mit denen er seiner Umgebung auf die Nerven fiel. Die Quittung bestand freilich darin, dass Hitler sie jedenfalls in der ersten Zeit mit der Verlesung der eben fertiggestellten Kapitel beschäftigte. An die Stelle der ursprünglich geplanten „Abrechnung” mit den „Novemberverbrechern” trat nun eine autobiografische Darstellung, zu der ihn neben anderen Rudolf Heß ermutigte. Mit dieser Akzentverschiebung setzte sich dann der Titel „Mein Kampf” schließlich durch, wenngleich im Untertitel „Eine Abrechnung” die ursprüngliche Absicht durchschimmerte, mit den Gegnern von 1923, als Hitler seinen Putsch in München versuchte, abzurechnen. Den Gedanken, einen zweiten Band zu veröffentlichen, der ursprünglich für Ende 1925 angekündigt worden war, führt Plöckinger weniger auf finanzielle Motive als darauf zurück, dass Hitler auf die sich zuspitzenden Auseinandersetzungen zwischen den Nachfolgeorganisationen der NSDAP Einfluss zu nehmen beabsichtigte. Dabei trat die Südtirolfrage in den Vordergrund, die er nicht zuletzt hochspielte, um sich damit von den konkurrierenden völkischen Gruppen abzuheben.
Mit der Distanzierung von Gregor Strasser und der nordwestlichen Gruppe der NSDAP sowie der Neugründung der Partei gewann der zweite Band seine endgültige Form. Er war in großem Umfang durch das Bestreben der programmatischen Abgrenzung vom Strasser-Flügel und der Ablehnung der von der Parteilinken geforderten Gewerkschaften geprägt. Plöckinger geht eingehend auf die Rolle der Mitarbeiter und Berater Hitlers für die Endfassung der Manuskripte ein, insbesondere derjenigen von Josef Stoltzing-Cerny, der hauptsächlich als Sekretär fungierte, sowie von Emil Maurice und Rudolf Heß. Dessen Mitwirkung an der Niederschrift von „Mein Kampf” stellt Plöckinger, im Gegensatz zur bisherigen Forschung, als Legende bloß. Stattdessen betont er, dass Hitler die Manuskripte weitgehend selbstständig verfasst und diese erst nach der Fertigstellung Mitarbeitern wie Heßs zur Korrektur vorgelegt hat.
Bemerkenswert ist jedoch, dass sich zwar die erste Auflage von „Mein Kampf” vom Sommer 1925 gut verkaufte, der im folgenden Jahr erschienene zweite Band jedoch nur schleppend absetzen ließ und der Absatz nach 1927 empfindlich zurückging, um erst seit 1930 deutlich anzusteigen. Die Auflagenzahlen nahmen, mit einer gewissen Abflachung 1940 und 1941, sprunghaft zu, sodass 1944 zwölfeinhalb Millionen Exemplare trotz des relativ hohen Preises ausgeliefert wurden. Den Hintergrund dazu bildeten die von Plöckinger eingehend untersuchte „Inszenierung” als Herrschaftssymbol und die subventionierte Absatzförderung durch den Parteiapparat und die staatliche Verwaltung einschließlich der Reichswehr.
Plöckinger weist nach, dass „Mein Kampf” nicht in die Liste der von den Schülerbüchereien anzuschaffenden Titel aufgenommen wurde und dass sich einige Kommunen, so auch Leipzig unter Carl Goerdeler, erfolgreich sträubten, die Kosten für die Überreichung von „Mein Kampf” an frischvermählte Ehepaare zu tragen. Plöckinger analysiert die trotz des Drucks von Seiten des Eher-Verlages sinkenden Erwerbungsziffern durch öffentliche Bibliotheken. Aber der auf Beamte und Funktionäre ausgeübte Druck, das Buch anzuschaffen, kompensierte diese Widerstände.
Entscheidend ist jedoch die Frage, wie weit aus der zahlenmäßigen Verbreitung von Hitlers „Mein Kampf” verlässliche Rückschlüsse auf die Zahl der tatsächlichen Leser gezogen werden können. Plöckinger versucht anhand erhaltender Ausleihlisten von öffentlichen Bibliotheken den Nachweis zu erbringen, dass Hitlers Buch auch die breite Leserschaft erreicht hat. Die ausgewerteten Ausleihzahlen lassen es jedoch schwerlich zu, von einem überdurchschnittlichen Interesse der Benutzer zu sprechen, und deuten vielmehr daraufhin, dass das Interesse daran seit Mitte der dreißiger Jahre weitgehend zum Erliegen kam. Die exorbitanten Absatzziffern in den letzten Kriegsjahren verlangen andere Erklärungen, wie der Autor selbst einräumt. Es ist immerhin grotesk, dass der Eher-Verlag seine Monopolstellung auch unter Kriegsbedingungen bis zuletzt ausgereizt hat.
Plöckinger kämpft gleichwohl unverdrossen gegen die vorherrschende These an, dass Hitlers Buch nur von wenigen Zeitgenossen wirklich gelesen worden ist, sehr im Unterschied zu den siebziger und achtziger Jahren. Seine Darstellung selbst spricht aber nahezu durchweg für die These vom „ungelesenen Bestseller”. Dafür ist charakteristisch, dass das Buch, wie der Autor überzeugend hervorhebt, zwar als „Ikone” fungierte, gleichzeitig aber, auch im Zusammenhang mit der Entscheidung, nach 1932 keine Änderungen mehr vorzunehmen, aus der Erörterung der laufenden Politik gleichsam herausgenommen und auch von NS-Ideologen nur selten zitiert wurde.
Die Auffassung, dass „Mein Kampf”nicht wirklich gelesen werde, findet sich bereits bei Hitlers eigenen Parteigängern, die das Buch mit einer gewissen Geringschätzigkeit betrachtet zu haben scheinen. Dies auf Eifersucht wegen seiner ungewöhnlichen Erfolge zurückzuführen, wie Plöckinger nahelegt, greift zu kurz. Es ist vielmehr symptomatisch, dass jene führenden Nationalsozialisten, die sich eine gewisse Distanz zu Hitler bewahrten, vielfach Zweifel an der politischen Substanz des Buches äußerten und jedenfalls nicht davon überzeugt waren, dass die Darstellung der Ziele und Grundsätze der NS-Bewegung durch Hitler das letzte Wort darstelle.
Exponenten der NS-Propaganda wie Goebbels oder Rosenberg vermieden es, wie Plöckinger berichtet, „Mein Kampf” überhaupt zu erwähnen. Dass der Kreis um Strasser dessen Bedeutung bewusst herunterspielte, hat richtungspolitische Gründe und leuchtet unmittelbar ein. Aber auch ein weniger parteiischer Beobachter wie Konrad Heiden äußerte sich eher abschätzig über Hitlers Werk. Das Buch entwickelte sich zwar zur Ikone, wurde aber nicht zur Grundlage einer ernsthaften Erörterung der Ziele der NS-Bewegung. Die sakrosankte Stellung des Diktators im Regime entsprach nicht seiner Einschätzung in den Kreisen der Satrapen, denen Hitlers politische Widersprüche und Inkonsequenzen in der Regel nicht entgingen.
Plöckingers systematische Darstellung der Rezeption des Werkes durch Sympathisanten, Gegner und Außenstehende bestätigt dieses Bild. Schon die Art, wie der Text zustande kam und vor der Drucklegung zahllosen Korrekturen von verschiedenen Händen unterworfen wurde, spricht dafür, dass einigermaßen selbstständig denkende Leser von Stil und Darstellungsform immer wieder abgestoßen wurden und die Stringenz der Gedankenführung mit guten Gründen in Zweifel zogen. Die vernichtenden Urteile in der bürgerlichen Presse, die den zweiten Band fast gar nicht mehr beachtete, wird vom Autor anschaulich geschildert. Auch Sympathisanten räumten ein, dass das Buch literarische und stilistische Schwächen aufwies.
Bemerkenswert an dem von Plöckinger sorgfältig aufgereihten Kaleidoskop von publizistischen Stellungnahmen zur NS-Propaganda, die „Mein Kampf” vielfach nur beiläufig erwähnen, ist die Tendenz, den rassenantisemitischen Passagen keine ernsthafte Bedeutung zuzumessen und das Hauptaugenmerk den innenpolitischen Ausführungen Hitlers zu widmen. Als geschlossenes weltanschauliches System ist „Mein Kampf” in den seltensten Fällen begriffen worden; das galt auch für das nationalsozialistische Lager, in dem nur wenig Bereitschaft bestand, sich mit dem als abstrus empfundenen Ideengebäude zu beschäftigen.
Das alles spricht dafür, dass „Mein Kampf” nach der Befriedigung der ersten Lese-Neugier selbst im eigenen Lager nur untergeordnete Beachtung fand. Der Autor belegt dies selbst mit dem Hinweis darauf, dass das Buch im parteiamtlichen Schrifttum nur ausnahmsweise erwähnt wurde. Wie er dennoch zu dem Schluss gelangt, dass es „völlig verfehlt” sei, aus diesen Indikatoren abzuleiten, dass „Mein Kampf” nicht gelesen worden sei, ist daher schwer begreiflich.
Der abschließende Teil von Plöckingers Geschichte von „Mein Kampf” behandelt die Rezeption in den angelsächsischen Ländern, der Sowjetunion und der Komintern, in Frankreich und Österreich. Hier ist es besonders schwierig, die Auseinandersetzung mit dem NS-Regime und die Reaktion auf Hitlers sakrosanktes Opus zu trennen. Der generelle Befund, dass die Bedeutung von „Mein Kampf” dabei zunehmend zurücktritt, bestätigt aber das bisherige Bild.
Die Prämisse des Autors, der sich auf die Hitler-Interpretation Eberhard Jäckels stützt und dem Diktator ein in sich geschlossenes politisches Weltbild zuspricht, wird durch seine auf einer ungewöhnlich breiten Quellenbasis beruhenden Darstellung eher hinterfragt als gestützt. Mit Ian Kershaw wird man die „ideologische Antriebskraft” der „wenigen zentralen Ideen” in Hitlers Vision betonen, welche ihm jene Selbstsicherheit und Überzeugungskraft verschafften, die ihn allen Rivalen gegenüber überlegen machte. Aber es wäre verfehlt, darin ein geschlossenes und widerspruchsfreies ideologisches System zu erblicken.
Plöckingers Buch ist eine bemerkenswerte Erweiterung unserer Kenntnis über die psychologischen Grundlagen von Hitlers innerer und äußerer Machteroberung. Dass das Institut für Zeitgeschichte in München dieses Buch veröffentlicht hat, ist verdienstvoll. Aber es kann das Manko nicht wettmachen, dass ein Einzelner mit dem Versuch überfordert ist, die Grundlagen für die längst überfällige wissenschaftliche Edition von „Mein Kampf” zu legen. Erst eine umfassende textkritische Aufschlüsselung der politisch-historischen Bezüge seiner Darlegungen in „Mein Kampf” vermag den Mythos der ideologischen Originalität und intellektuellen Qualität von Hitlers Suada endgültig auszuräumen. Dazu wichtige Vorarbeiten erbracht zu haben, ist Othmar Plöckinger hoch anzurechnen. Aber sein Buch kann die notwendige wissenschaftliche Edition von „Mein Kampf” nicht ersetzen. Dieser Aufgabe wird sich das Münchner Institut, für die es in jeder Weise prädestiniert ist, schwerlich entziehen können; dass die bayerische Staatsregierung noch bis zum Jahre 2015 die Urheber- und Verlagsrechte an „Mein Kampf” innehat, sollte kein unüberwindbares Hindernis für eine solche Edition darstellen.
HANS MOMMSEN
OTHMAR PLÖCKINGER: Geschichte eines Buches: Adolf Hitlers „Mein Kampf” 1922-1945. Eine Veröffentlichung des Instituts für Zeitgeschichte. R. Oldenbourg Verlag, München 2006. 632 Seiten, 49,80 Euro.
Eine wissenschaftliche Edition von „Mein Kampf” ist überfällig
Wer las es gründlich? Werbeplakat in Mannheim anlässlich der „Woche des Deutschen Buches”, 1934.
Foto: Scherl
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Sehr eingehend befasst sich Hans Mommsen mit Othmar Plöckingers Geschichte von Hitlers "Mein Kampf". Verdienstvoll findet er Plöckingers Eintauchen in die Einzelheiten der Entstehung, der Publikationsformen und der Rezeptionsgeschichte des Buches und lobt ausdrücklich die Korrektur der bisherigen Fachliteratur zum Thema "in vielen Details". Positiv aufgefallen sind ihm ferner die Parallelisierung der Textentstehung mit innenpolitischen Vorgängen sowie die klärenden Informationen zur Rolle von Hitlers Mitarbeitern bei der Fertigstellung von "Mein Kampf". Unverständnis äußert Mommsen dagegen angesichts einiger Inkonsequenzen des Autors. So misslingt Plöckingers Anliegen, die These vom "ungelesenen Bestseller" zu widerlegen, gerade aufgrund der vorgelegten Analyse von Bibliothekslisten und zeitgenössischen Publikationen. Und auch Plöckingers Annahme eines in sich kohärenten politischen Weltbilds des Diktators entzieht der Autor mit seiner Darstellung selbst die Basis. Das Buch hält Mommsen dennoch für eine echte Horizonterweiterung in Bezug auf Hitlers Psychologie, kann es auch die Aufgabe einer entmythologisierenden textkritischen Edition von "Mein Kampf" nicht erfüllen.

© Perlentaucher Medien GmbH