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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2009

Herrschaftsansprüche ohne Mehrheit

Die SED verstand sich 1948 als "Partei neuen Typus" und zerbrach 1989 an Reformunfähigkeit, gesellschaftlichen Systemfehlern und am Widerstand des Volkes.

Von Karl Wilhelm Fricke

Wer die Geschichte der SED nicht kennt, weiß nicht um die fatalen Erfahrungen, die speziell Sozialdemokraten in der SBZ/DDR einst sammeln mussten - und der ist heute gegen "rot-rote" Fehlentscheidungen nicht gefeit. Unter diesem Aspekt gesehen legen Andreas Malycha und Peter Jochen Winters eine historiografische Arbeit von politischer Aktualität vor. Indes ist das Buch auch aus einem anderen Grund bemerkenswert. Er liegt in den beiden Autoren selbst. Malycha, 1956 in Ost-Berlin geboren, promovierter Historiker, war bis zur Endzeit der DDR-Staatspartei wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, ein Insider also, der weiß, worüber er schreibt. Peter Jochen Winters, 22 Jahre älter als sein Ko-Autor, promovierter Volkswirt und Politologe, war von 1968 bis 1999 Redakteur und Berliner Korrespondent dieser Zeitung, lange Jahre betraut mit der Berichterstattung aus der DDR.

Ihr gemeinsam veröffentlichtes Buch, eine solide, daten- und faktengesättigte Arbeit, haben sie nicht zusammen zu Papier gebracht, sondern arbeitsteilig. Malycha zeichnet Entstehung und Entwicklung der SED bis 1971 nach, ihre Stalinisierung nach dem Vorbild der KPdSU, ideologische Disziplinierung, interne Machtkämpfe und radikale Parteisäuberungen eingeschlossen, sowie ihren Aufstieg zur Staatspartei unter Walter Ulbricht. Winters wendet sich ihrer Geschichte unter der Ägide Erich Honeckers zu.

Der Umschmelzungsprozess der SED zur "Partei neuen Typus" setzte schon 1948 ein. "Wir müssen als Vorbild die leninistische, stalinistische Theorie und Praxis vor Augen haben" - so Franz Dahlem, damals Kaderchef der SED, den Malycha zitiert. In seiner kritischen Analyse kennt der Autor weder Vorurteil noch Schonung. "Die SED zerbrach an ihren eigenen Herrschaftsansprüchen, ihrer Reformunfähigkeit, gesellschaftlichen Systemfehlern und Widersprüchen, nicht zuletzt aber am Widerstand des Volkes." Angesichts seiner Sozialisation in der DDR ein besonders aufschlussreiches Fazit. Sein Resümee: "Unstrittig ist, dass die SED in ihrer über vierzigjährigen Herrschaft nie eine Mehrheit des Volkes hinter sich bringen konnte."

Winters arbeitet die Geschichte der SED unter dem Nachfolger Ulbrichts auf, die er sinnvollerweise auch in den Kontext der Deutschlandpolitik stellt, die Honecker seit den siebziger Jahren verfolgt hat - zuletzt nicht immer mit dem Plazet aus Moskau. Als F.A.Z.-Korrespondent beiderseits der Berliner Mauer gut informiert, konnte er die SED quasi "vor Ort" beobachten, ein Zeitzeuge aus Profession. Die Möglichkeit, heute sein Wissen in den Archiven der Partei und des MfS zu ergänzen, erlaubt ihm zudem, Hintergründe aufzuhellen - zum Beispiel über die Beziehungen Herbert Wehners zu Rechtsanwalt Wolfgang Vogel, einst Honeckers Beauftragter in Sachen Häftlingsfreikauf. Das Buch macht begreiflich, aus welcher kausalen Bedingtheit die SED scheiterte und scheitern musste. Sein besonderer Vorzug: Ihre Geschichte wird bis hinein in die jüngste Gegenwart fortgeschrieben, von ihrer Mutation zur PDS bis zur Partei Die Linke.

Wege und Irrwege der SED erklären somit auch, warum es in der DDR zur friedlichen Revolution gekommen ist. Ihr widmet Wolfgang Schuller seine Monografie. Der Emeritus der Universität Konstanz, Jurist und Althistoriker, übrigens gebürtiger Berliner und in den Jahrzehnten der Teilung ein kritischer Beobachter der DDR, lässt keinen Zweifel daran, wie er den Umbruch der DDR in der Geschichte verortet wissen will: als "die deutsche Revolution 1989", ein Jahrhundertereignis. Sein Urteil ist schon im Titel seiner Darstellung antizipiert. Eine klare Positionsbestimmung in der konfusen Diskussion, was denn nun eigentlich war, was 1989/90 zwischen Ostsee und Thüringer Wald geschah. Das Buch gliedert sich in zwölf Kapitel. Einem kursorischen Überblick über die Geschichte des zweiten deutschen Staates - "Stalins DDR" - bis zur KSZE und ihren internen Auswirkungen folgen die Kapitel mit der Chronologie der Erhebung, die der Autor als "demokratische Revolution der Freiheit und der Selbstbefreiung" definiert. Schließlich werden der Sturz der Diktatur und der Weg zur Wiedervereinigung nachgezeichnet.

Eine rundum überzeugende Leistung. Schuller hat prominente und unbekannte Zeitzeugen befragt, darunter Helmut Kohl, er hat Gespräche mit Akteuren der Revolution geführt, mit ehemaligen DDR-Bürgerrechtlern und Oppositionellen, aber auch mit früheren Spitzenkadern des Regimes, mit Egon Krenz, Günter Schabowski und Hans Modrow. Zudem hat er die wesentlichen Ereignisorte bereist, nicht nur Berlin und Leipzig, sondern ebenso die Provinz, Plauen und Dresden, Magdeburg und Rudolstadt, den Norden, wodurch seine Darstellung häufig reportagenhaft anschauliche Passagen erhielt. Zitate und Auszüge aus Sitzungsprotokollen des SED-Politbüros, aus Spitzelberichten, Lageanalysen und Dienstanweisungen des MfS machen die Darstellung authentisch. Den Verlauf der Revolution, die flächendeckend alle Schichten des Volkes erfasste, erzählt Schuller aus der Perspektive einer patriotischen Gesinnung, zuweilen professoral belehrend. Auch die Rolle der westlichen Massenmedien ist einbezogen. Im letzten Kapitel artikuliert er seine Deutung der Revolution im Kontext der deutschen Geschichte. Ob sich seine empathische Hoffnung erfüllt, dass sie "ein neues deutsches Selbstgefühl der Freiheit" begründet, "eine glückhafte neue Identität aller Deutschen", muss sich erst noch historisch erweisen. Leider.

Andreas Malycha/Peter Jochen Winters: Die SED. Geschichte einer deutschen Partei. C. H. Beck Verlag, München 2009. 480 S., 16,95 [Euro].

Wolfgang Schuller: Die deutsche Revolution 1989. Rowohlt Verlag, Berlin 2009. 381 S., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.04.2010

Rechthaber an der Macht
Die erste Geschichte der SED
Eigentlich war es eine Sensation: 1987 wurde in Bonn und zugleich in Ostberlin ein Dokument veröffentlicht, das sowohl die SPD wie auch die SED als Urheber hatte. Sein Titel: „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit”. Erarbeitet hatten es die Akademie für Gesellschaftswissenschaften der SED und die Grundwertekommission der SPD. In dem Dokument hieß es: „Beide Seiten müssen sich auf einen langen Zeitraum einrichten, während dessen sie nebeneinander bestehen und miteinander auskommen müssen.”
Dieser Zeitraum war dann freilich gar nicht so lang. Schon drei Jahre später gab es die DDR nicht mehr. Auch die Union hatte das nicht kommen sehen – so gut wie niemand hatte damit gerechnet. Das Regime fiel, die SED wurde in die PDS überführt.
1946 ins Leben gerufen durch den Zusammenschluss von SPD und KPD, wurde die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands die alleinige staatstragende Kraft in der DDR. Die Autoren Andreas Malycha und Peter Jochen Winters haben die erste Gesamtdarstellung der SED-Parteigeschichte vorgelegt. Beide kennen sich in der Materie gut aus: Malycha war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Winter arbeitete viele Jahre lang als FAZ-Korrespondent in Berlin. Ihr Buch über die SED ist zugleich eine Geschichte der DDR.
Die Sehnsucht nach einer wiedervereinigten Arbeiterbewegung war nach dem Kriegsende in SPD wie KPD verbreitet, wenngleich die Trennlinie ganz deutlich war. Die Kommunisten hatten aber die sowjetische Besatzungsmacht im Rücken. Und so kam es, dass ihre Richtung das Sagen hatte und die beiden Parteien sich 1946 zur Einheitspartei SED zusammenschlossen.
Ungeliebt und viel gescholten
Die SED beherrschte den neuen Staat von seiner Gründung 1949 an. Es wurde sofort deutlich, dass sie mit den Parteien im Westen nicht zu vergleichen war. Und Mitglieder, die an einem sozialdemokratischen Parteienverständnis festhalten wollten – „Sozialdemokratismus” nannte man das –, wurden durch rasch inszenierte „Säuberungen” ausgeschlossen.
Das politische Regime wurde allerdings von einem Großteil der Bevölkerung als drückend empfunden. Und die Versorgungslage war alles andere als zufriedenstellend. So suchten immer mehr DDR-Bürger ihr Heil in der Flucht. Die prekäre Situation, die sich daraus entwickelte, enthüllte sich am deutlichsten durch den Bau der Mauer 1961.
Auch innerhalb der Partei wurde viel Kritik geäußert – mehr, als man im Westen für möglich hielt. Und selbst die Führung der Partei war in all den Jahren keineswegs so homogen, wie sie sich gab. Sogar Walter Ulbricht an der Spitze des Machtgefüges war nicht unangefochten. Aber er wusste innerparteiliche Machtkämpfe lange Zeit im Zaum zu halten und für sich zu entscheiden. 1971 aber gelang es schließlich Erich Honecker, Ulbrichts Platz einzunehmen. Zur Last legte die Partei Ulbricht vornehmlich erhebliche Störungen im Wirtschaftsablauf. Aber auch Honecker konnte die Symptome einer zunehmenden Instabilität des SED-Staates nicht beheben. Sein selbstherrlicher Führungsstil erweckte immer wieder Widerspruch.
Interne Führungskämpfe
Die Autoren analysieren die Stufen dieser Entwicklung leidenschaftslos. Sie lassen aber auch nicht außer Zweifel, welche Impulse Gorbatschows Glasnost und Perestroika dabei lieferten. Noch im Januar 1989, dem entscheidenden Jahr der Wende, sagte Erich Honecker: „Die Mauer wird (...) so lange bleiben, wie die Bedingungen nicht geändert werden. Sie wird in fünfzig und auch in hundert Jahren noch bestehen bleiben.”
Doch das war nur noch eine Phrase. Die Initiative lag gleichsam über Nacht beim Volk. Wie gelähmt ließ sich das SED-Regime die Zügel aus der Hand nehmen. Die Autoren zeichnen die Entwicklung der Partei mit großer Genauigkeit nach. Sie legen viel Gewicht auf die innerparteilichen Wandlungen und Konflikte, die Rivalitäten um die Macht und die internen Führungskämpfe. Zwar wird die Beziehung der SED zur Sowjetunion etwas knapp gehalten. Insgesamt aber bietet das Buch einen hervorragenden Überblick über die Geschichte der SED. LEO SILLNER
ANDREAS MALYCHA, PETER JOCHEN WINTERS: Die SED. Geschichte einer deutschen Partei. C. H. Beck 2009. 480 Seiten, 16,95 Euro.
Leo Sillner war von 1954 bis 1973 Redakteur der SZ. Danach arbeitete er unter anderem für Quick und P.M. History.
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