Bruno Schulz verkörpert jenen Typus des mitteleuropäischen Schriftstellers (und Künstlers), dessen Welt im Zweiten Weltkrieg endgültig untergegangen ist. Mit visionärer Kraft und groteskem Humor hat er in den Zimtläden die Geschichten und Träume einer Gesellschaft dargestellt, die unter der Vorahnung einer verborgenen Katastrophe lebt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.04.2003Schaukelnde Bleche
Glücksfall: Bernt Hahn
liest Bruno Schulz
Von Natur aus ist die Stimme von Bernt Hahn gewissermaßen eine ehrliche Haut, will man nicht spekulieren, ob er ihr seine Persönlichkeit ausgetrieben hat. Vielleicht kann ein berufsmäßiger Sprecher seine Stimme von allem entkleiden, was auf den Charakter schließen lässt. Hahns Stimme tönt fest und ausdrücklich männlich, nichts darüber hinaus, nur neutral. Er muss sich mit dem Sprechen der Silben explizit beschäftigt haben, denn selten hört man die Nachsilben so deutlich. Durch die leichte Kürzung der Vokale kommt wahrscheinlich diese Anmutung von Festigkeit zustande. Vokale beleben die Sprache und geben ihr Melodie – spannt man sie ein wenig straffer, hebt die deutsche Sprache mit ihren Zisch- und Knacklauten zu klirren an. Hahn lässt manche Zeilen wie Stabreime klingen: „die schaukelnden Bleche der Klettenblätter”. So schwierige Stellen bekommt man nur mit großer Genauigkeit hin.
Wer schreibt so schwierig zu deklamierende Stellen? Bruno Schulz heißt der Autor, der noch keinen seinem Werk angemessenen Rang in der Liste der besten Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts belegt. Man nennt ihn wohl den polnischen Kafka, aber das wird ihm nicht gerecht, sein Stil ist weicher, verträumter, gewundener, komischer. Schulz wurde 1892 im galizischen Drohobycz geboren. Er war Lehrer für Zeichnen und Handarbeit am Gymnasium. Das Booklet für die CD ist mit Arbeiten von Schulz illustriert. Bernt Hahn ist sehr dafür zu danken, dass er sich für den Ruhm des 1942 von einem Gestapo-Offizier auf offener Straße im Ghetto seiner Heimatstadt erschossenen Künstlers einsetzt.
Auf diesem Hörbuch locken einige der überwältigend schönen, gruseligen und komischen Erzählungen von Bruno Schulz, die Bestandteil seines autobiographischen Romans „Die Zimtläden” sind und in denen es um einen Vater geht: Seidenhändler in einer durch die Kommerzialisierung der Jahrhundertwende in Verformung befindlichen Kleinstadt. Unter „Zimtläden” sind die alten ehrwürdigen dunklen Geschäfte zu verstehen, eben auch eine Seidenhandlung. Doch sie müssen der Krokodilgasse weichen. Auch der Vater weicht. Weicht in die Verwandlung. Erst kauft er Eier exotischer Vögel und lässt sie von großen Hühnern ausbrüten. In einer „Generalstöberung” treibt das Dienstmädchen all die Vögel aus dem Haus. Der Vater wird immer kleiner. Er bekommt ein Häutchen über dem Auge. Plötzlich ist es weg, war nur ein Scherz. Doch da sitzt er auf der Gardinenstange, er wird selbst ein Vogel. Diese Erzählungen sind wie Träume, aus denen der Schläfer halb erwacht, um in den nächsten Traum zu gleiten.
Bernt Hahn spricht diese wunderlichen, schönen Sätze voller Bilder und Gleichnisse: „Die Tage waren hart geworden vor Kälte und Langeweile wie vorjährige Brotlaibe. Sie wurden mit stumpfem Messer, ohne Appetit und mit fauler Schläfrigkeit angeschnitten.” Und man hat sich ganz schnell an seine manchmal überkorrekte Aussprache gewöhnt, zumal Hahn die kleinen Register beherrscht, die Tempo und Klang einer Stimme verändern. Aus zwei Gründen gebührt diesem Hörbuch Lob, Dank und Bewunderung: erstens, weil Hessischer Rundfunk und Lido Verlag, die Hörbuchfabrik vom Eichborn Verlag, damit an einen großen Autor erinnern. Und zweitens, weil Bernt Hahn diese Texte so interessant gekonnt zu Gehör bringt.
MARTIN Z. SCHRÖDER
BRUNO SCHULZ: Die Zimtläden. Aus dem Polnischen von Josef Hahn. Lido Verlag, Frankfurt am Main 2002. 1 CD, 72 min., 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Glücksfall: Bernt Hahn
liest Bruno Schulz
Von Natur aus ist die Stimme von Bernt Hahn gewissermaßen eine ehrliche Haut, will man nicht spekulieren, ob er ihr seine Persönlichkeit ausgetrieben hat. Vielleicht kann ein berufsmäßiger Sprecher seine Stimme von allem entkleiden, was auf den Charakter schließen lässt. Hahns Stimme tönt fest und ausdrücklich männlich, nichts darüber hinaus, nur neutral. Er muss sich mit dem Sprechen der Silben explizit beschäftigt haben, denn selten hört man die Nachsilben so deutlich. Durch die leichte Kürzung der Vokale kommt wahrscheinlich diese Anmutung von Festigkeit zustande. Vokale beleben die Sprache und geben ihr Melodie – spannt man sie ein wenig straffer, hebt die deutsche Sprache mit ihren Zisch- und Knacklauten zu klirren an. Hahn lässt manche Zeilen wie Stabreime klingen: „die schaukelnden Bleche der Klettenblätter”. So schwierige Stellen bekommt man nur mit großer Genauigkeit hin.
Wer schreibt so schwierig zu deklamierende Stellen? Bruno Schulz heißt der Autor, der noch keinen seinem Werk angemessenen Rang in der Liste der besten Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts belegt. Man nennt ihn wohl den polnischen Kafka, aber das wird ihm nicht gerecht, sein Stil ist weicher, verträumter, gewundener, komischer. Schulz wurde 1892 im galizischen Drohobycz geboren. Er war Lehrer für Zeichnen und Handarbeit am Gymnasium. Das Booklet für die CD ist mit Arbeiten von Schulz illustriert. Bernt Hahn ist sehr dafür zu danken, dass er sich für den Ruhm des 1942 von einem Gestapo-Offizier auf offener Straße im Ghetto seiner Heimatstadt erschossenen Künstlers einsetzt.
Auf diesem Hörbuch locken einige der überwältigend schönen, gruseligen und komischen Erzählungen von Bruno Schulz, die Bestandteil seines autobiographischen Romans „Die Zimtläden” sind und in denen es um einen Vater geht: Seidenhändler in einer durch die Kommerzialisierung der Jahrhundertwende in Verformung befindlichen Kleinstadt. Unter „Zimtläden” sind die alten ehrwürdigen dunklen Geschäfte zu verstehen, eben auch eine Seidenhandlung. Doch sie müssen der Krokodilgasse weichen. Auch der Vater weicht. Weicht in die Verwandlung. Erst kauft er Eier exotischer Vögel und lässt sie von großen Hühnern ausbrüten. In einer „Generalstöberung” treibt das Dienstmädchen all die Vögel aus dem Haus. Der Vater wird immer kleiner. Er bekommt ein Häutchen über dem Auge. Plötzlich ist es weg, war nur ein Scherz. Doch da sitzt er auf der Gardinenstange, er wird selbst ein Vogel. Diese Erzählungen sind wie Träume, aus denen der Schläfer halb erwacht, um in den nächsten Traum zu gleiten.
Bernt Hahn spricht diese wunderlichen, schönen Sätze voller Bilder und Gleichnisse: „Die Tage waren hart geworden vor Kälte und Langeweile wie vorjährige Brotlaibe. Sie wurden mit stumpfem Messer, ohne Appetit und mit fauler Schläfrigkeit angeschnitten.” Und man hat sich ganz schnell an seine manchmal überkorrekte Aussprache gewöhnt, zumal Hahn die kleinen Register beherrscht, die Tempo und Klang einer Stimme verändern. Aus zwei Gründen gebührt diesem Hörbuch Lob, Dank und Bewunderung: erstens, weil Hessischer Rundfunk und Lido Verlag, die Hörbuchfabrik vom Eichborn Verlag, damit an einen großen Autor erinnern. Und zweitens, weil Bernt Hahn diese Texte so interessant gekonnt zu Gehör bringt.
MARTIN Z. SCHRÖDER
BRUNO SCHULZ: Die Zimtläden. Aus dem Polnischen von Josef Hahn. Lido Verlag, Frankfurt am Main 2002. 1 CD, 72 min., 19,90 Euro.
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