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Kritiken und Rezensionen: 1912 / 1924 / 1926 / 1927 / 1928 / 1929 / 1930 / 1931 / 1932 / 1933 / 1934 / 1935 / 1936 / 1937 / 1938 / 1939/40 Anhang: Entwürfe zu Rezensionen / Vorschläge für den Besprechungsteil der »Zeitschrift für Sozialforschung« / Anmerkungen der Herausgeberin / Alphabetisches Verzeichnis / Inhaltsverzeichnis

Produktbeschreibung
Kritiken und Rezensionen: 1912 / 1924 / 1926 / 1927 / 1928 / 1929 / 1930 / 1931 / 1932 / 1933 / 1934 / 1935 / 1936 / 1937 / 1938 / 1939/40 Anhang: Entwürfe zu Rezensionen / Vorschläge für den Besprechungsteil der »Zeitschrift für Sozialforschung« / Anmerkungen der Herausgeberin / Alphabetisches Verzeichnis / Inhaltsverzeichnis
Autorenporträt
Walter Benjamin wurde am 15. Juli 1892 als erstes von drei Kindern in Berlin geboren und nahm sich am 26. September 1940 in Portbou/Spanien das Leben. Benjamins Familie gehörte dem assimilierten Judentum an. Nach dem Abitur 1912 studierte er Philosophie, deutsche Literatur und Psychologie in Freiburg im Breisgau, München und Berlin. 1915 lernte er den fünf Jahre jüngeren Mathematikstudenten Gershom Scholem kennen, mit dem er zeit seines Lebens befreundet blieb. 1917 heiratete Benjamin Dora Kellner und wurde Vater eines Sohnes, Stefan Rafael (1918 -1972). Die Ehe hielt 13 Jahre. Noch im Jahr der Eheschließung wechselte Benjamin nach Bern, wo er zwei Jahre später mit der Arbeit Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik bei Richard Herbertz promovierte. 1923/24 lernte er in Frankfurt am Main Theodor W. Adorno und Siegfried Kracauer kennen. Der Versuch, sich mit der Arbeit Ursprung des deutschen Trauerspiels an der Frankfurter Universität zu habilitieren, scheiterte. Benjamin wurde nahegelegt, sein Gesuch zurückzuziehen, was er 1925 auch tat. Sein Interesse für den Kommunismus führte Benjamin für mehrere Monate nach Moskau. Zu Beginn der 1930er Jahre verfolgte Benjamin gemeinsam mit Bertolt Brecht publizistische Pläne und arbeitete für den Rundfunk. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten zwang Benjamin, im September 1933 ins Exil zu gehen. Im französischen Nevers wurde Benjamin 1939 für drei Monate mit anderen deutschen Flüchtlingen in einem Sammellager interniert. Im September 1940 unternahm er den vergeblichen Versuch, über die Grenze nach Spanien zu gelangen. Um seiner bevorstehenden Auslieferung an Deutschland zu entgehen, nahm er sich das Leben.

Rolf Tiedemann wurde 1932 in Hamburg geboren. Im Zuge seines Studiums der Philosophie, Germanistik und Soziologie in Hamburg, Göttingen, Berlin und schlussendlich in Frankfurt am Main, war Tiedemann ab 1959 als wissenschaftlicher Mitarbeiter und später als persönlicher Assistent bei Theodor W. Adorno beschäftigt. 1964 promovierte er mit der ersten Dissertation über Walter Benjamin bei Adorno und Max Horkheimer. Gemeinsam mit Hermann Schweppenhäuser übernahm er 1970 die Herausgeberschaft der Gesamtausgaben von Adorno und Walter Benjamin. Von 1985 bis 2002 war er Direktor des Theodor W. Adorno Archivs in Frankfurt, von wo aus er u.a. die Ausgaben der Nachgelassenen Schriften Adornos initiierte. Vielfach rezipiert und in zahlreiche Sprachen übersetzt sind die von Tiedemann edierten Bände des Passagenwerks von Benjamin und der Ästhetischen Theorie sowie des Beethoven von Adorno.
Rolf Tiedemann verstarb am 29. Juli 2018.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.1999

Zwischen Brotarbeit und Musenkuss
Walter Benjamin, übersetzend Von Gert Mattenklott

Die Übersetzungen ins Deutsche durch jüdische Autoren deutscher Sprache sind im ersten Drittel dieses Jahrhunderts durch steil formulierte Programme umstellt. Ein Grund für ihre anspruchsvolle Exzentrik ist, dass der neu erwachte Antisemitismus dazu nötigt, Übersetzungen ins Deutsche nicht nur pragmatisch zu begründen, sondern allererst zu rechtfertigen. Für einen Juden gibt es aber zu dieser Zeit kein Argument, das dafür sprechen könnte, irgendeine europäische Sprache als Zielsprache besonders hervorzuheben. Zwischen der alltäglichen Situation, als freier Mitarbeiter von Verlagen durch Übersetzungen ein Zubrot verdienen, und den zeitgenössischen Theorien des Übersetzens klafft deshalb ein Abgrund. Während der Alltag dazu nötigt, im Auftrag eines beliebigen Verlegers Brotarbeit zu verrichten, verlangt zumindest die Selbstachtung, wenn nicht auch die kulturphilosophische Strategie, nach einer Begründung sub specie aeternitatis.

Bei Gustav Landauer und Fritz Mauthner, Eugen Rosenstock-Huessy und Franz Rosenzweig, Martin Buber und Walter Benjamin ist deshalb die Zielsprache nicht irgendein nationales Idiom, sondern ein säkulares Äquivalent der Sprache Gottes, ein innerweltlich transzendentes Esperanto jenseits von Staatsvolk, Staatsraum und Nationalsprache. "Übersetzbarkeit eignet gewissen Werken wesentlich" hat in diesem Sinn Walter Benjamin in einem frühen Aufsatz von 1921 über "Die Aufgabe des Übersetzers" behauptet, den er seinen eigenen Baudelaire-Übertragungen vorangestellt sehen wollte. Die Verwandtschaft der Sprachen bekunde sich in ihrer Übersetzbarkeit. Sprache in einem emphatischen Sinn ist "reine Sprache", "Sprache der Wahrheit oder der Lehre". Martin Buber und Franz Rosenzweig überbieten diese kryptotheologische Erwartung, als sie seit 1925 mit Aufsätzen und Artikeln an die Öffentlichkeit treten, um eine Neuübersetzung der Heiligen Schriften ins Deutsche zu begründen. Nicht die Übersetzung vom Hebräischen oder Lateinischen ins Deutsche steht hier mehr im Zentrum, sondern eine angemessene Übertragung der vermeintlich "lebendigen" Sprache des atmenden Wortes, die in den bisherigen (schriftlichen) Fixierungen um ihren Geist und ihre Wahrheit gebracht worden sei. "Alles Wort ist gesprochenes Wort. Das Buch steht ursprünglich nur in seinem, des gelauteten, gesungenen, gesprochenen, Dienst; so wie noch heute beim theaterlebendigen Drama oder gar bei der Oper."

Während hier also alles darauf gerichtet ist, den lebendigen Atem durch die Bleiwüsten des verschriftlichten Textes zu retten - völlig indifferent gegenüber der Übertragung von einer Sprache in die andere -, handelt es sich im Alltag darum, Tristan Tzara und D'Annunzio, Aragon und Léon Bloy Adrienne Monnier, Saint-John Perse, Balzac und Jouhandeau für ein bescheidenes Honorar vom Französischen ins Deutsche zu übersetzen. Proust und Baudelaire, früher in dieser Ausgabe erschienen, sind Sonderfälle, dem Autor in jeder Hinsicht besonders nahe. Im Übrigen aber gehören Benjamins Verdeutschungen zum problematischsten Teil seines Werks. Sie lassen die Probe aufs Exempel seiner so anspruchsvollen Theorie erwarten und sind damit doch bis auf Ausnahmen völlig überfordert. Kaum einen der entsprechenden Aufträge hat er selbst initiiert, so wie auch seine kritischen Arbeiten selten durch eigene Wahl des Autors oder Werks bestimmt sind. Das ist, wie sonst, so auch hier nicht immer nachteilig. Immerhin gibt es nun eine Übertragung von "Anabase" des Saint-John Perse durch Walter Benjamin, die dieser - eine "kuriose französische Dichtung" - ausgesprochen abschätzig qualifiziert: "Ich halte das Ding für unbeträchtlich." Rilke hatte den Auftrag weitergegeben, nicht gerade eine Empfehlung für Benjamin.

Fast sämtliche Übersetzungen dieses letzten Bandes der Werksausgabe von Schriften Walter Benjamins gelten der Prosa. Es sind Auftrags- und Gelegenheitsarbeiten und als solche allenfalls für die devote philologische Industrie der Universitäten der Rede wert. Eine Ausnahme in derselben Gattung sind die Verdeutschungen einiger Erzählungen von Jouhandeau, wie der Herausgeber zu Recht bemerkt. Die Übertragungen von Versen Gabriele D'Annunzios ("Alla Divina Eleonora Duse") - dem Herausgeber Rolf Tiedemann ist es ziemlich peinlich, dass das nun ans Licht kommt, so dass er auf die Parallele zu Hofmannsthal hinweist - entbehren nicht einer gewissen Komik: Die Verse des Italieners: "Tale nel cor profondo io vedo e voglio / la beatrice, quando al suo richiamo / risfavilla di me l'ottima parte" übersetzt Benjamin - wohl unfreiwillig - pornografisch: "In meinem Innern steht dies Bild gegründet / der Herrlichen, und ihrer Rede Weihe, / entflammt mein bestes Teil zu neuer Brunst". Einige der Texte sind, wie sogar der zitierte, zweisprachig wiedergegeben.

Der Druck dieser Übersetzungen, mit dem die Ausgabe der "Gesammelten Schriften" nun "definitiv" zum Abschluss kommt, war vielleicht entbehrlich. Immerhin muss sich der Herausgeber nun nicht sagen lassen, er habe manipuliert. Es ist trotzdem schade, dass ein derart bedeutendes OEuvre, das die Kulturwissenschaften des letzten Jahrhundertdrittels wie kein zweites geprägt hat - Benjamin ist derzeit der weltweit meistzitierte Kunstphilosoph -, am Ende dieses Säkulums mit einem derart melancholisch stimmenden Band präsentiert wird.

Walter Benjamin: "Gesammelte Schriften. Kleinere Übersetzungen". Hrsg. von Rolf Tiedemann. Gesammelte Schriften, Supplement L. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999, 457 S., geb., 64,- DM, br., 54,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.01.2012

Die Knochen
und die Gischt
Philologie macht Bücher dick: Walter Benjamins
Kritiken und Rezensionen in der neuen Gesamtausgabe
Als Walter Benjamin 1926 in der Literarischen Welt und in der Frankfurter Zeitung Neuerscheinungen zu besprechen begann, bedauerte Werner Kraft, dass diese Tätigkeit den bewunderten Freund zu einer „ephemeren Produktion“ zwinge, „die seines philosophischen Genius – an den einige Menschen glauben – nicht würdig ist.“ Mittlerweile ist auch diese „ephemere Produktion“ zum klassischen Werk avanciert und für die Nachwelt zugänglich: zuerst in Auswahl, dann in einem Band der „Gesammelten Schriften“ und nun in zwei Bänden der seit 2008 erscheinenden „Kritischen Gesamtausgabe“.
Noch immer suchen die Interpreten Benjamins in seinen Rezensionen den „philosophischen Genius“, im Verstreuten also eine durchgängige Idee: Wollten diese Kritiken die untergehende europäische Kultur der Vergangenheit retten oder die Gegenwart mit Hilfe eines spirituellen Materialismus begreifen oder Wege und Ziele einer künftigen Revolution ausspähen? Antworten jedoch auf solche Fragen geben die Texte nicht.
Benjamin wurde Rezensent, als seine Hoffnung auf eine Universitätslaufbahn gescheitert war. Doch er zog einen unverhofften Gewinn aus dem Wechsel von der Konzentration auf wissenschaftliche Untersuchungen, deren Themen er selbst wählen durfte, zur zerstreuten Aufmerksamkeit, wie sie die Vielzahl der ihm zur Besprechung überlassenen Bücher und die Vielfalt der in ihnen erscheinenden Weltbereiche erforderten. Nun schwanden die Leitbegriffe des jungen Benjamin – Idee, Form, Schicksal, Recht – vor der Fülle der Gegenstände: Reiseberichte über Moskau und Neapel, deutsche, französische und russische Gegenwartsromane, Lesebücher für norwegische Gymnasien, Bücher über Spielzeug, Graphologie, Pflanzenfotografie, Kräuter und vieles mehr, fast über alles – Benjamin war auf kein Ressort festgelegt.
Abhandlungen, die der Philosoph Benjamin vor seiner Arbeit für das Feuilleton verfasst hatte, sind Dokumente der Einsamkeit. Ihre eigenwillige, rätselhafte Sprache schließt den uneingeweihten Leser aus und will ihn auch ausschließen. Rezensionen hingegen, für ein größeres Publikum gedacht, erzogen Benjamin zu einer verständlichen und sogar witzigen Sprache. „Kritisieren ist eine gesellige Kunst. Auf das Urteil des Rezensenten pfeift ein gesunder Leser. Aber was er im Tiefsten goutiert, ist die schöne Unart, uneingeladen mitzuhalten, wenn der andere liest.“ Um das Tagesereignis der Rezension versammeln sich Neugierige: der Autor und der Verleger des besprochenen Buches, der Redakteur des Feuilletons, andere Rezensenten desselben Buchs, Leser der Kritik, die dem Kritiker vertrauen, und Leser des Buchs, die dem Kritiker widersprechen. So lernt Benjamin die Welt kennen und die Welt ihn. Davon profitiert sein späteres Werk, besonders die Fragment gebliebenen Pariser „Passagen“, die der Macht des Materiellen im gesellschaftlichen Leben des 19. Jahrhunderts gerecht werden wollten.
Der Rang Benjamins wird auch an diesen kleinen Auftragsarbeiten sichtbar. Er hält es nicht mit den scheinbar menschenfreundlichen Rezensenten, die ihres Urteils nicht sicher sind und deshalb vorsichtshalber Zustimmung bekunden. Wer lobt, muss nicht den Einspruch des literarischen Betriebs fürchten. Um solcher „Erschlaffung unserer kritischen Sitten“ entgegenzuwirken, scheut Benjamin nicht vor Polemik zurück, die eine „Annihilierung“ des rezensierten Buchs zum Ziel hat. An Ernst Jüngers Verklärung von „Krieg und Krieger“ deckt er die „hemmungslose Übertragung der Thesen des L’Art pour l’Art auf den Krieg“ auf.
Jemandem, der zu tadeln weiß, glaubt man auch das Lob: Den großen Vorzug von Döblins „Berlin Alexanderplatz“ erkennt Benjamin darin, „daß selten auf solche Weise erzählt wurde, so hohe Wellen von Ereignis und Reflex haben selten die Gemütlichkeit des Lesers in Frage gestellt, so hat die Gischt der wirklichen gesprochenen Sprache ihn noch nie bis auf die Knochen durchnäßt“. Wenige, aphoristisch verdichtete Worte des Kritikers Benjamin entwerfen und ersetzen ganze Abhandlungen: Aus der Lektüre Alfred Polgars gewinnt er die Einsicht, „daß aller Humor in Gerechtigkeit seinen Ursprung hat“.
Zu einem Buch über den Zirkus kommt ihm der Einfall: „Der Zirkus ist vielleicht ein soziologischer Naturschutzpark, in dem das Ineinanderspiel einer Herrenkaste von Pferdezüchtern und Dompteuren mit einem gefügigen Proletariat, der plebs der Clowns und der Stalljungen noch ohne Misston, ohne revolutionäres Grollen sich vollzieht.“ Ungewöhnliche anthropologische, soziologische und psychologische Gedankengänge sind hier in das Miniaturformat eines Bonmots gebracht.
Benjamins Kritik macht aus einem dicken Buch eine schlanke Idee. Den umgekehrten Weg nehmen die Editionen von Benjamins Schriften. „Philologie macht Bücher dick“ – so könnten alle Texte klagen, die klassisch geworden sind. Wie berechtigt diese Klage ist, erweist sich bereits an den Proportionen der neuesten Edition von Benjamins Kritiken. Der Doppelband erweitert die 500 Seiten der zu Lebzeiten gedruckten Rezensionen mit einem philologischen Apparat von 1500 Seiten, angefüllt mit ungedruckten Manuskripten, abweichenden Fassungen, Angaben zur Entstehung der einzelnen Texte, Erläuterung von Namen und Buchtiteln. Dazu kommen „Lesarten“, ein Verzeichnis der Fehler, die sich frühere Herausgeber zu Schulden haben kommen lassen – und sei es nur ein Komma zu viel oder zu wenig. Muss man Hunderte Vermerke anbringen, um das Verdienst der Vorgänger an den Pranger zu stellen und für das eigene ein Podest zu zimmern? Muss man Gebrauchstexte des
20. Jahrhunderts so behandeln, als handle es sich um die verschiedenen handschriftlichen Fassungen des Nibelungenlieds ?
HEINZ SCHLAFFER
WALTER BENJAMIN: Kritiken und Rezensionen. Kritische Gesamtausgabe. Band 13.1 und 13.2. Herausgegeben von Heinrich Kaulen. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. Zus. 2004 Seiten, 98,80 Euro.
Die Rezensionen erzogen
Benjamin zu einer verständlichen
und sogar witzigen Sprache
„Kritisieren ist eine gesellige Kunst“ – Walter Benjamin (1892-1940) Foto: Effigie / Bilderberg
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