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Das poetische Werk Rainer René Muellers, das ein halbes Jahrhundert umspannt, erstmalig in einem Band versammelt und kommentiert.Eine der wichtigsten und eigensinnigsten Stimmen der deutschsprachigen Gegenwartslyrik. Rainer René Muellers Werk verbindet das Erbe von u. a. Rose Ausländer, Paul Celan, Ernst Meister und Ernst Jandl mit Einflüssen aus der französischen und englischen poetischen Tradition, aus der Musik und bildenden Kunst. Dieses reichhaltige Werk eines halben Jahrhunderts ist nun vollständig in einem Band versammelt, von den jüngsten Veröffentlichungen über die Texte aus den…mehr

Produktbeschreibung
Das poetische Werk Rainer René Muellers, das ein halbes Jahrhundert umspannt, erstmalig in einem Band versammelt und kommentiert.Eine der wichtigsten und eigensinnigsten Stimmen der deutschsprachigen Gegenwartslyrik. Rainer René Muellers Werk verbindet das Erbe von u. a. Rose Ausländer, Paul Celan, Ernst Meister und Ernst Jandl mit Einflüssen aus der französischen und englischen poetischen Tradition, aus der Musik und bildenden Kunst. Dieses reichhaltige Werk eines halben Jahrhunderts ist nun vollständig in einem Band versammelt, von den jüngsten Veröffentlichungen über die Texte aus den längst vergriffenen Gedichtbänden der 80er und 90er Jahre, bis hin zu den frühen, bisher noch unveröffentlichten oder verstreut in Zeitschriften erschienenen Gedichten der 70er Jahre. Auf dieser poetischen Reise in die Zeit zurück lässt sich die Entwicklung von Muellers einzigartiger dichterischer Sprache verfolgen.2016 schrieb der Literaturkritiker Joachim Sartorius: »Wir müssen [Muellers] Gedichte lesen«, denn die dortigen »Entdeckungen sind ungeheuer und nehmen uns mit.« Dieser Band macht dies endlich möglich. Über biographische und thematische Hintergründe der Gedichte informiert ein Kommentar.
Autorenporträt
Rainer René Mueller, geb. 1949 in Würzburg, lebt heute in Heidelberg und Harbouey (Lothringen). Langjährige Tätigkeit als Literatur- und Kunstkritiker sowie als Kurator zeitgenössischer Kunst, u. a. als Leiter der Städtischen Galerie Schwäbisch Hall und als Gründungsdirektor des Kunstmuseums Heidenheim. Muellers jüngster Gedichtband, geschriebes. selbst mit stein, erschien 2018. Eine Auswahl aus seinem Werk erschien 2015 unter dem Titel poèmes - poëtra in der Reihe roughbooks. Muellers Gedichte sind ins Englische, Französische, Hebräische, Italienische, Niederländische, Polnische und Spanische übersetzt worden. Auszeichnungen: Erster Gerlinger Lyrikpreis 2016, Leonce-und-Lena-Förderpreis 1983, 1984 Stipendiat am Literarischen Colloquium Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Rezensent Eberhard Geisler stößt mit den gesammelten Gedichten von Rainer René Mueller vor auf den Sinngrund der Dinge. Froh über die Bereicherung der Literatur um diesen Dichter liest Geisler Verse, die mit Matthias Claudius und Baudelaire anbandeln, aber ebenso an Ernst Jandl erinnern. Was Mueller, mit "ue", wie betont sei, über den Minnesang dichtet oder über Maler wie Munch sollte laut Geisler Schullektüre sein, so schön verknappt und beziehungsreich schreibt der Autor, findet der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.01.2022

Ins Atmen
zurück
Er lernte von Paul Celan, heute lernen junge
Dichter von ihm: Hinter dem Werk
und dem feinen Humor von Rainer René Mueller
steht ein deutsches Lebensschicksal
Von Alexandru Bulucz
Während eines unserer Gespräche, vor einigen Jahren in der Küche meiner Frankfurter Wohnung, öffnete Rainer René Mueller das große Fenster und sah aus dem ersten Stock auf das Haus schräg gegenüber. Er interessierte sich für das Mauerwerk und den danebenstehenden Nussbaum. Einige Wochen später schickte er mir sein aus der Situation entstandenes Gedicht „Pastiche“. An dessen Ende steht ein „Nußbaum,/ vor der doppelgiebeligen/ Klinkerwand“. Er hat im Fenster meiner Küche, wurde mir im Nachhinein klar, eine weitere Perspektive auf eine ganze Reihe Hauptmotive seiner Dichtung gefunden: Erde, Feuer, Stein, Baum, um nur wenige zu nennen.
Rainer René Mueller und ich sind befreundet. Es gibt keine Konkurrenz zwischen uns, eher ist er für mich ein Leitstern am poetischen Himmel. An seiner Familiengeschichte und seinem lyrischen Werk, das seit Kurzem in einer Ausgabe „Gesammelter Gedichte“ bei Wallstein greifbar ist, kann man die Spuren deutscher Geschichte ablesen, der deutsch-jüdischen und der deutsch-deutschen. Was thematisch schwer verdaulich ist, konterkariert Mueller im Schreiben und Sprechen mit einem unnachahmlichen Humor. Mit jüdischem Humor könnte man sagen.
Er ist ein Homme de Lettres, mehrsprachig, und wenn er öffentlich auftritt und sein enzyklopädisches Wissen unter Beweis stellt, dann mit einer Kippa auf dem Kopf, für ihn ein Respektssymbol, und in Begleitung eines Stockes mit silbernem Griff. Wüsste man nicht, dass er ihn braucht, würde man ihn für einen Spazierstock halten, ein zu Muellers eleganten Anzügen passendes Accessoire.
Gebrannte Erde, die er im Klinker gegenüber meiner Küche wiedererkannt hatte, taucht auch in seinem Gedicht „Schwan. Majolika“ auf. Darin fällt der Blick auf eine Keramikfigur: „die zerbrechlichste/ aller gebrannten Erden, die,/ wäre sie aus uns,/ spränge und schriee“, lauten die ersten Verse. Mit jeder neuen Sicht auf ein und denselben Stoff, ein Material muss man die Vorläufigkeit der Erkenntnis eingestehen, lässt sich daraus schließen.
Solche Einsichten ergeben sich nicht beim Lesen seiner Lyrik allein. Viele seiner Gedichte sind mit Muellers Biografie derart verschränkt, dass man dankbar ist für jeden Verständnisschlüssel. Der kann in einem Necken bestehen: Nach einer Lesung, auf der ich Peter Huchels Gedicht „Caputher Heuweg“ vortrug, machte mich Mueller darauf aufmerksam, dass ich „Caputher“ als „Kaputter“ ausgesprochen habe. Nun braucht man jemandem, der seinen Beruf in einer Fremdsprache ausübt, nicht sagen, was er schon weiß: dass die Aussprache der kurzen und langen Vokale noch nicht stimmig ist. Aber Mueller darf das, zumal mir da bewusst wurde, welche Relevanz Potsdam und die Region darum herum, in der Caputh liegt, für ihn hat.
In Potsdam lebte nach dem Krieg Rosa Riedel, Muellers jüdische Großmutter mütterlicherseits. Das Gedicht „Kohlenkutscher vor Kind“ zum Beispiel setzt mit der Widmung „Rosa Riedel, geb. Eliescher s. A.“ ein. Da ich nicht wusste, wofür die Abkürzung „s. A.“ stand, bat ich ihn um eine Erklärung. Ich hatte angenommen, „geb.“ stünde für „gebürtig“, doch Mueller korrigierte mich: „Gebirtig“, die jiddische Version! Das könnte man sich erschließen, wenn man weiß, dass „s. A.“ „seligen Angedenkens“ bedeutet und nach jüdischer Sitte hinter den Namen der Verstorbenen gehört. Meine Neugier holte, ohne dass ich es beabsichtigt hätte, auch Muellers Erinnerungen an die Verletzungen seiner fast schon filmreifen Biografie wieder hervor. „Die jüdische Großmutter hat mir das familiäre Verrecken erspart!“, raffte er sie in einem Satz zusammen. Bei der Großmutter hatte der junge Mueller Verschnaufpausen von seiner in Westdeutschland lebenden Familie bekommen, besonders von dem Stiefvater, einem ehemaligen Mitglied der SS-Einsatzgruppen in Osteuropa.
Mueller hat ihn vor etwa zwei Jahren sogar auf einem in der Presse zirkulierenden Foto entdeckt. Der Pistolenschütze auf dem im Archiv von Yad Vashem aufbewahrten Bild sei der Stiefvater. Es zeigt ihn kurz vor einer Hinrichtung im ukrainischen Winnyzja, wahrscheinlich im Jahr 1941, an einem der Schauplätze der Massenerschießungen jüdischer Bürger, vor einer Grube voller Leichen.
Er ließ seinem Antisemitismus auch zu Hause gegenüber dem jüdischen Stiefsohn freien Lauf. Dokumentiert findet der sich unter anderem im Gedicht „Diptyque. Wintering out“: „du bist a ganef, – dieser/ immer hingesprochene Satz,/ du Schachteljud, du/ beschissener Freier …“, heißt es darin. „Ganef“ heißt so viel wie „Ganove“ oder „Gauner“; „Schachteljud“ – Mueller hatte in seiner Kindheit Schachteln gesammelt – ist eine Abwandlung von „Schacherjud“, was dem Grimmschen Wörterbuch zufolge ein Schacher, also Handel treibender Jude sei; und „beschissener Freier“ sei eine Anspielung auf seine uneheliche Geburt gewesen. Die Affäre der leiblichen Eltern, aus der er hervorging, fiel in jene Zeit, als die Mutter ihren Ehemann, Muellers Stiefvater, für gefallen hielt. Der überlebte den Krieg in russischer Gefangenschaft. Mueller kam am Neujahrstag 1949 zur Welt. Also zog ihn alles zur Großmutter nach Potsdam und weg von dem Stiefvater und seiner schweigenden Mutter. Später versuchte er, ihren Mädchennamen „Eliescher“ anzunehmen, scheiterte aber an uneinsichtigen Behörden. Sodass er seine Distanz anders markieren musste, mit einem „ue“: „Mueller“ statt „Müller“ – so hieß der Stiefvater.
Dass seine Großmutter aus Czernowitz stammte, stellt für Mueller zudem eine geografische Verbindung zu jenem fast dreißig Jahre älteren deutsch-jüdischen Lyriker her, der ebenfalls von dort stammte und wie kein anderer die Nachkriegsliteratur aufgerüttelt hat. Auch Muellers literarisches Leben begann mit Paul Celan. Als er in der Schule die „Todesfuge“ las und was darin gesagt war über die Tragödie jüdischen Lebens in Deutschlands jüngster Vergangenheit, hatte er den Eindruck, seine eigenen „Erfahrungen des Ungesegnetseins“ werden da mitverhandelt. Eine Lesung Celans in Freiburg konnte Mueller 1967 noch miterleben. Erst mit dessen Gedichten begann, was er seinen „Jakobskampf mit dem Engel“ nennt, die verzweifelte Suche nach der eigenen Identität, auch der religiösen, zu der er sich erst Jahrzehnte später, nach dem Tod des Stiefvaters, vollends bekennen konnte.
Zwischen den Stoffen Muellers und Celans gibt es große Überschneidungen, doch die Sprache Muellers ist eine schon immer bis in die Grammatik hinein beschädigte gewesen, könnte man sagen, gedichtweise vergleichbar mit der Diktion Ernst Jandls in „wien: heldenplatz“ und des erst späten Celans in „Fadensonnen“ und „Lichtzwang“. Vielleicht noch konkreter als bei diesem ist in die Gedichte Muellers das Selbsterlebte eingeschrieben, über das er außerhalb seiner Dichtung nur selten spricht.
Als Rainer René Mueller Ende Oktober in der Berliner Mendelssohn-Remise seine „Gesammelten Gedichte“ dem Publikum vorstellte, bat ihn der Moderator an einer Stelle um eine Erklärung seiner familiären Verhältnisse. „Lassen wir das!“, wies Mueller ab. Erst am nächsten Tag während einer Open-Air-Lesung auf einem Berliner Bürgersteig öffnete er sich einem kleinen Kreis von Zuhörern und sprach über die Neigung des Stiefvaters zu sadistischer Quälerei.
Wer keine Kopfhörer trug, die seine Stimme verstärkten, konnte seine Ausführungen nicht verstehen. Die Motorengeräusche der vorbeifahrenden Fahrzeuge überlagerten sie. Mueller störten sie nicht. Er war ganz bei sich, trotz seines von COPD stark angeschlagenen Körpers, im Leihrollstuhl, den ich ihm einen Tag zuvor besorgt hatte, daneben sein tragbarer Sauerstoffkonzentrator, auf den er seit einigen Jahren angewiesen ist.
Ich sah ihn an und erinnerte mich an sein Gedicht „Rißvernähung : Oxygène“. Es beginnt mit den Zeilen: „einer mit Gaumenspalte/ & Knirschstimme (nasal)/ holt mich mit Handdrücken/ ins Atmen zurück,// nach Stillstand, Lichttunnel,/ nach dem Blick, so/ von oben, auf mich/ als zuende, zum Anfang// ins Atmen zurück.“
Alexandru Bulucz ist Lyriker und Übersetzer. 2020 erschien sein Band „was Petersilie von der Seele weiß“ im Schöffling Verlag.
Meine Neugier ruft, ohne dass
ich es wollte, Verletzungen
seiner Biografie wieder hervor
Erklärung zu familiären
Verhältnissen? „Lassen wir das!“,
wies Mueller ab
Gespräche mit ihm sind immer nah an seiner Lyrik:
Rainer René Mueller lebt heute in Heidelberg.
Foto: Dirk Skiba/Wallstein
Rainer René Mueller:
Gesammelte Gedichte.
Herausgegeben von
Chiara Caradonna und
Leonard Keidel.
Wallstein, Göttingen 2021.
526 Seiten, 34 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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»Es ist ein lohnenswertes und in seiner Erkenntniskraft beglückendes Unterfangen, sich durch diese Gedichte und die Kommentare zu bewegen.« (Jan Kuhlbrodt, Signaturen, 22.11.2021) »Klassiker, die einem den Glauben am Gedicht wiedergeben.« (Jan Wiele, FAZ, 30.11.2021) »ein Leitstern am poetischen Himmel.« (Alexandru Bulucz, Süddeutsche Zeitung, 08./09.01.2022) »Was schwer verdaulich ist, konterkariert Mueller im Schreiben mit einem unnachahmlichen Humor.« (Alexandru Bulucz, Süddeutsche Zeitung, 08./09.01.2022) »Dieser Band ist wirklich vorbildlich gemacht« (Jan Bürger, »Lyrik lesen« DLF Kultur, 09.01.2022) »eine würdige, umfassende Edition. (...) Beim Lesen und Betrachten überkommt einen ein Gefühl, das zur Faszination werden kann, gebannt von der konsequenten Eigentümlichkeit, auf die das Werk Muellers beharrt.« (Franz Schneider, Rhein-Neckar-Zeitung, 15./16.01.2022) »die deutsche Literatur kann sich freuen, dass hier ein Dichter dem Buchstaben wieder penible Aufmerksamkeit schenkt.« (Eberhard Geisler, Frankfurter Rundschau, 24.01.2022) »Es ist der äußerst seltene Fall einer Ausgabe, die einen zeitgenössischen Lyriker bereits zu Lebzeiten in den Rang eines Klassikers erhebt.« (Michael Braun, DLF Büchermarkt, 04.02.2022) »Mueller ist als Dichter ein Solitär. Ein Autor, der tief in die Morphologie der Wörter hinabsteigt, um die Sprache und die von ihr bezeichnete Wirklichkeit überhaupt erst fühlbar zu machen.« (Michael Braun, DLF Büchermarkt, 04.02.2022) »Den Lyriker (Rainer René Mueller) kann man nun mit dem Band in Gänze entdecken und damit einen weitgespannten lyrischen Kosmos, der in der Gegenwart seinesgleichen sucht.« (Claudia Kramatschek, SWR2 lesenswert Kritik, 22.02.2022) »Rainer René Mueller geht (...) mit jedem Gedicht das Wagnis ein, dem Gewöhnlichen Worte entgegenzusetzen - Katalysatoren des Unsagbaren.« (Bernd Leukert, faustkultur.de, 28.12.2021) »einer der bedeutenden, noch immer zu wenig gewürdigten deutschsprachigen Dichter der Gegenwart« (Daniel Graf, Republik, 15.12.2023)…mehr