Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 11,00 €
  • Lernkassette

Ein einziger Tag machte sie zur berühmtesten Sportlerin der Welt. Als Gertrude „Trudy“ Ederle am 6. August 1926 als erste Frau durch den Ärmelkanal schwamm, brach sie nicht nur einen Rekord. Auch erschütterte die damals 20jährige US-Schwimmerin, deren Familie aus Bissingen/Teck stammte, eine von Männern beherrschte Sphäre des Sports, in der eine solche Leistung schier unvorstellbar war. Ederles Ankunft in New York wurde von zwei Millionen Menschen mit einer Konfettiparade zelebriert. Anne-Kathrin Kilg-Meyer erzählt mit dieser einfühlsamen Biografie von einer Pionierin des Frauensports, deren…mehr

Produktbeschreibung
Ein einziger Tag machte sie zur berühmtesten Sportlerin der Welt. Als Gertrude „Trudy“ Ederle am 6. August 1926 als erste Frau durch den Ärmelkanal schwamm, brach sie nicht nur einen Rekord. Auch erschütterte die damals 20jährige US-Schwimmerin, deren Familie aus Bissingen/Teck stammte, eine von Männern beherrschte Sphäre des Sports, in der eine solche Leistung schier unvorstellbar war. Ederles Ankunft in New York wurde von zwei Millionen Menschen mit einer Konfettiparade zelebriert. Anne-Kathrin Kilg-Meyer erzählt mit dieser einfühlsamen Biografie von einer Pionierin des Frauensports, deren bewegendes Leben erstmals in einem deutschen Buch gewürdigt wird.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2020

Dick verpackt in Schmalz

Am 6. August 1926 überquerte Gertrud Ederle, Amerikanerin und Tochter deutscher Auswanderer, als erste Frau den Ärmelkanal. Sie war eine Pionierin des Frauensports - und der Bademode.

Von Erik Eggers

Arthur Sorensen stand mit seiner Kamera bis zu den Waden im Wasser, als Gertrude Ederle sich am 6. August 1926 auf den Weg machte, um im Ärmelkanal Historisches zu leisten. Entschlossen marschierte die amerikanische Schwimmerin auf den Fotografen zu, als er auf den Auslöser drückte: Die 20-Jährige trug eine rote Kappe und eine honiggelb getönte, spacige Brille. Außerdem war sie, zum Schutz gegen die Kälte, dick eingeschmiert mit einer Masse aus Olivenöl, Lanolin und Schweineschmalz. Ederle sah wie ein Geist aus. Wie ein Wesen nicht von dieser Welt. Aufmerksamkeit erregte dieses Foto aber deshalb, weil die Amerikanerin einen knappen blauen Bikini trug, dessen Konturen trotz der weißen Fettschicht gut sichtbar waren. Ein derartiges Outfit hatte bis dahin keine Schwimmerin gewagt. Die gebürtige New Yorkerin aber scherte sich nicht um die Prüderie in ihrer Heimat. "Lieber sterbe ich, bevor ich diesmal aufgebe!", hatte sie in einer Kolumne dem amerikanischen Publikum pathetisch mitgeteilt. "Jetzt oder nie", sagte sie nun am Strand von Cap Gris-Nez, bevor sie ins Wasser stapfte.

Das Foto ging um die Welt. Dies einerseits, weil ihr eine Pioniertat des Frauensports gelang: Als erste Frau schwamm sie - zudem noch zwei Stunden schneller als jeder Mann vor ihr - durch den Ärmelkanal und fegte damit das Vorurteil der männlichen Experten hinweg, das "schwache Geschlecht" sei zu solchen Leistungen nicht fähig. Auf der anderen Seite aber profitierte sie von der ungeheuren Aufmerksamkeit: "The Great Swim", wie der britische Autor Gavin Mortimer das Wettrennen am Ärmelkanal nennt, hatten die Medien zu einem globalen Sportevent hochgejazzt, das auch in ökonomischer Hinsicht eine historische Zäsur darstellte.

Eine große Faszination hatte der English Channel mit seinen Strömungen, dem enormen Tidenhub und dem rauhen Klima seit jeher auf die Menschen ausgeübt: Die absurde Idee, dieses gefährliche Gewässer schwimmend zu überqueren, hatte den Engländer Matthew Webb 1875 mit einem Schlag weltberühmt gemacht. Berichte über folgende Schwimmer wie den englischen Schmied Bill Burgess, der 1911 als zweiter Mensch das Unternehmen schaffte und 1926 Ederle trainierte, erzielten enorme Auflagen. Als Gertrude Ederle sich 1925 erstmals zum Kanal aufmachte, umwehte diese mythische Strecke immer noch der Nimbus des Zufalls und der Unmöglichkeit: Bei mehr als tausend Versuchen waren bis dahin lediglich fünf Schwimmer erfolgreich gewesen, zuletzt 1923 der italienische Brustschwimmer Enrico Tiraboschi. Als Staffel-Olympiasiegerin von 1924 und mehrmalige Weltrekordhalterin war Ederle, deren Freistiltechnik perfekt ausgebildet war, noch als Amateurin gestartet. Der teure Trip wurde von ihrem Heimatverein, der in New York ansässigen Women's Swim Association, bezahlt, die mit ihrer Botschafterin für das Mädchenschwimmen warb. Ederles spektakuläres Scheitern beim ersten Versuch im Kanal, für das sie ihren Coach Jabez Wolffe öffentlich verantwortlich machte, verursachte weltweit Schlagzeilen.

Wettlauf um die Schlagzeilen.

Auf diese große Publizität reagierte der Kommerz. Ein Zeitungssyndikat nahm Ederle, die inzwischen als Professional schwamm, im Frühjahr 1926 exklusiv unter Vertrag. Als Ederle am 2. Juni 1926 in New York abreiste, waren daher auch die Reporterin Julia Harpman, die für die New Yorker "Daily News" berichtete, und deren Ehemann Westbrook Pegler ("Chicago Tribune") dabei, und der Fotograf Arthur Sorensen verfolgte die Schwimmerin, wie das im September erschienene Buch "Gertrude Trudy Ederle: Eine Schwimmerin verändert die Welt" von der Autorin Anne-Kathrin Kilg-Meyer schildert, auf Schritt und Tritt.

So kam es in Cap Gris-Nez auch zu einem Wettlauf um die nächste Schlagzeile. Denn die größte Konkurrentin Ederles, die 28-jährige Lillian Cannon, hatte ihr Lager ebenfalls dort aufgeschlagen und wurde finanziert von der "Baltimore Post". Im Gegensatz zu Ederle zeigte Cannon keine Scheu, ihren Körper als Waffe einzusetzen, und ließ sich in lasziven Posen ablichten. Ihren bizarren Plan, den Kanal gemeinsam mit ihren beiden Hunden zu durchqueren, verwarf sie nach heftigen Protesten amerikanischer Tierschützer. Die Nachfrage nach Geschichten vom Ärmelkanal war so nachhaltig, dass auch Zeitungen wie die "New York Times" und Agenturen wie United Press und Associated Press im Juni 1926 ihre Korrespondenten in diese Einöde schickten. Weil durch den kalten Sommer der Starttermin immer weiter nach hinten geschoben wurde, schafften es auch abenteuerliche Storys von Meeresungeheuern in die Zeitungen.

Die Aussicht nach Ruhm lockte in diesem Sommer weitere Schwimmerinnen an den Kanal. So trainierte die Französin Jeanne Sion in Dünkirchen. An der englischen Küste bei Dover bereitete sich die britische Stenotypistin Mercedes Gleitze auf weitere Versuche vor; sie war bekannt, weil sie von Duhnen (Cuxhaven) nach England schwimmen wollte. Ebenfalls an der englischen Küste campierte Mille Gade, eine gebürtige Dänin und zweifache Mutter, die 1919 in die Vereinigten Staaten ausgewandert war. Sie wurde unterstützt von Walter Lissberger, dem steinreichen Boss eines Reifenkonzerns. Und dann war da noch Clarabelle Barrett aus New Rochelle, New York, die sich das nötige Geld von Freunden geliehen hatte. Sie wurde als "Gigantin des Ärmelkanalschwimmens" beschrieben, weil sie mehr als 1,80 Meter maß und rund 100 Kilogramm wog. Als die 35-jährige Hünin trotz Nebels am 2. August 1926 schwamm und erst nach 21:40 Stunden (!) aufgab, nur zwei Meilen vom Ziel entfernt liegend, war die erste Heldin des Sommers geboren.

Dieser fast gelungene Versuch setzte die Konkurrenz unter Druck, weshalb Ederle trotz widriger Bedingungen startete. Dabei ließ das Syndikat die Konkurrenz nicht auf das Begleitboot Alsace. Sie musste sich ein separates Boot chartern, das Ederle teils gefährlich nahe kam. Ederles Vater, ein in Bissingen an der Teck geborener Fleischer, der angeblich 25 000 Dollar auf seine Tochter gewettet hatte, fürchtete um seinen Wetteinsatz: Wenn Ederle das Boot berührt hätte, so sahen es die Regeln vor, wäre der Versuch beendet gewesen.

Die Journalisten profitierten von der jüngsten Weiterentwicklung der Nachrichtentechnik: Mit einem Funktelegrafen namens Marconi konnten sie sogar an Bord der Begleitschiffe ihre dramatischen Berichte in die Heimat absetzen. So ging Ederles wütendes "What for?", das sie in einer kritischen Situation ihrem Team entgegenschleuderte, weil sie zum Aufgeben aufgefordert worden war, sofort um die Welt - wie auch die Motivationshilfe des Vaters, der eine Schiefertafel mit der Aufschrift "Roadster" hochhielt: die Prämie, die er seiner Tochter versprochen hatte. Als Ederle schließlich den Bann brach und in 14:39 Stunden den Ärmelkanal bezwang, kulminierten die Schlagzeilen nach zwei Monaten intensiver Berichterstattung - und bei ihrem Manager stapelten sich lukrative Werbe-Offerten. Ederle aber kehrte nicht direkt nach New York zurück. Sie besuchte, weiterhin hermetisch abgeschirmt von der Journalistin Harpman, ihre Großmutter in Bissingen, das die heroische Schwimmerin begeistert empfing.

Dieser Umweg im Sinne der Familie stellte sich als folgenschwerer ökonomischer Fehler heraus. Zwar wurde Ederle nach ihrer Ankunft am 27. August 1926 mit einer Konfettiparade von zwei Millionen Menschen in New York gefeiert und durch den amerikanischen Präsidenten Calvin Coolidge als "America's Best Girl" geadelt. Doch nur einen Tag später bezwang die zweifache Mutter Gade den Kanal, woraufhin der millionenschwere Marktwert Ederles dramatisch sank.

Training mit Bier und Zigarren.

Derweil waren weitere Abenteurer am Ärmelkanal eingetroffen, die nun die Ehre der Männerwelt wiederherstellen wollten. Etwa der eigenwillige Nordfriese Otto Kemmerich, 40 Jahre alt, der 1924 durch das Wattenmeer von Husum nach Westerland geschwommen war und sich seit August 1925, als er die Strecke Fehmarn-Warnemünde solo absolviert hatte, ganz unbescheiden "Weltmeister" nannte. (Auch im September erschienen: Erik Eggers: Der Mensch als Fisch: Die Abenteuer von Otto Kemmerich.) Der Husumer Professional verdiente sein Geld als "Kurbäderschwimmer": Kurverwaltungen in Westerland, Norderney, Sellin und Zoppot bezahlten ihn, um die Touristen zu unterhalten. Auch nutzte ihn der Gummihersteller Continental als Testimonial für Schwimmreifen und -anzüge. Für Aufsehen sorgte Kemmerich am Kanal mit seinem altertümlichen Stil - er schwamm nicht Kraul, sondern auf der Seite - und weil er "mit Bier und Zigarren" trainierte, wie sich eine Zeitung mokierte. Zudem inhalierte er vor dem Schwimmen stets aus einer Sauerstoffflasche. Die britischen Journalisten kritisierten die gewebten Handschuhe, mit denen Kemmerich schwamm: Das gehe nicht konform mit dem Kodex des Kanalschwimmens, wonach nur Badekappe und Anzug erlaubt seien. Aber das kümmerte Kemmerich nicht, weil offizielle Regeln noch nicht existierten, die Channel Swim Association wurde erst 1927 gegründet. Als er aber, auf Rekordkurs liegend, am 26. August 1926 von einem Tümmler attackiert wurde und bewusstlos geborgen werden musste, goss die britische Presse Hohn und Spott über ihn aus: Dieser Unfall sei aufgrund der Handschuhe kein Wunder, hieß es in einer Zeitung, habe der Tümmler Kemmerich doch vermutlich wegen der Handschuhe mit einer Ente verwechselt.

Kemmerich trat später im Zirkus Busch gegen einen kalifornischen Seelöwen an und stellte sensationelle Ausdauerrekorde auf. Im Ärmelkanal aber stellte ein anderer deutscher Schwimmer die Ehre der Männerwelt wieder her: Ernst Vierkötter, Sohn eines Kölner Bäckers und mehrmaliger deutscher Meister im Stromschwimmen, drückte den Rekord Ederles am 30. August 1926 auf 12:38 Stunden. Vierkötter, der aufgrund eines Unfalls nur auf einem Auge sah, nutzte die Aufmerksamkeit und verdiente als Profi in den Vereinigten Staaten und Kanada viel Geld.

Ederle tingelte derweil durch amerikanische Varietés und stürzte in Depressionen, auch weil sich ihre Schwerhörigkeit, von einer Maserninfektion in der Kindheit verursacht, durch das Salzwasser verstärkt hatte. Erst allmählich - sie starb 2003 im Alter von 98 Jahren - machte sie ihren Frieden mit dem "Großen Schwimmen" im Sommer 1926 und der Tatsache, dass sie den Bikini, den sie mit ihrer Schwester Meg entwickelt hatte, nicht hatte schützen lassen. "Allein mit Patenten auf ihren zweiteiligen Schwimmanzug und ihre Schwimmbrille hätte sie Millionen verdienen können", schreibt Kilg-Meyer.

Immerhin würdigt heute das neue BikiniART-Museum in Rappenau die Schwimmerin als wahre Schöpferin des Zweiteilers, dessen Siegeszug erst nach dem Zweiten Weltkrieg begann. Auf diese Weise entwickelte sich das phantastische Foto vom frühen Morgen des 6. August 1926 nicht nur zu einer langlebigen Ikone des Frauensports, sondern auch der Bademode.

Anne-Kathrin Kilg-Meyer: "Gertrude Trudy Ederle. Eine Schwimmerin verändert die Welt".

Verlag Eriks Buchregal, Kellinghusen 2020. 128 S., geb., 16,90 [Euro].

Erik Eggers: "Der Mensch als Fisch".

Die Abenteuer von Otto Kemmerich, Husumer Schwimmpionier.

Verlag Eriks Buchregal, Kellinghusen 2020. 128 S., geb., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr