Produktdetails
  • Verlag: Berlin : Ullstein
  • ISBN-13: 9783548332314
  • ISBN-10: 3548332315
  • Artikelnr.: 24819548
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.01.1997

Hier mögen mich die Leute - dachte er
Gerhard Schröders Leben auf der Überholspur

Béla Anda, Rolf Kleine: Gerhard Schröder. Eine Biographie. Verlag Ullstein, Berlin 1996. 254 Seiten, 16 Seiten Abbildungen, 34,- Mark.

Der Schutzumschlag zeigt einen heiter gelösten und einen hinterhältig lächelnden Schröder - zwei Gesichter eines Mannes, dem die Doppelnatur angeboren zu sein scheint. Das sympathische Foto soll wohl die eingefleischten Bewunderer des prominenten Sozialdemokraten zum Kauf animieren; das heimtückische offenbar jene, die auf Bestätigung aus sind, daß Schröder der Schurke sei, für den sie ihn halten. Beide Interessentenkreise werden hier nicht ganz auf ihre Kosten kommen. Die Bewunderer nicht, weil das Buch denn doch zuviel Abträgliches über den Ministerpräsidenten mit den vielen Beinamen ("Heide-Strauß", "Napoleon von der Leine") enthält; die anderen werden vergeblich nach frischer Munition für den Kampf gegen einen schweren Gegner suchen. Die Biographie aus den Federn von Anda und Kleine ist ein Buch von Journalisten für Journalisten, das aus vielen journalistischen Quellen schöpft und von so manchem Kommentator kommender Ereignisse seinerseits abgeschöpft werden wird. Ein geistiges Inzucht-Produkt also.

Zum dienstlichen Gebrauch eignet sich vor allem das Personenregister, mit dessen Hilfe man schnell herausfinden kann, wann Schröder mit wem die Klingen gekreuzt hat. Wer sich etwa darüber wundert, warum Schröder so schlecht auf den SPD-Bundestagsabgeordneten von Larcher zu sprechen ist, bekommt sein Aha-Erlebnis auf Seite 27, wo der SHB-Aktivist von Larcher - 1970 - erfolgreich den Sturz des Göttinger Juso-Vorsitzenden und Rechtsabweichlers Schröder betreibt. Aufschlußreicher ist freilich die Lektüre "am Stück", auch wenn der gehobene Boulevardstil der Autoren zuweilen auf die Nerven geht. So erfährt man jeweils, wie draußen gerade das Wetter war, wenn Schröder sich mit Scharping traf (meistens regnete es), oder was er gerade dachte, als er einmal versonnen aus dem Wagenfenster blickte ("Hier mögen mich die Leute", dachte er). Verdächtig oft zitieren die Autoren auch in wörtlicher Rede aus intimen Gesprächen, die selbst Schröder nur noch bruchstückhaft in Erinnerung haben kann. Die wesentlichen Fakten und Entwicklungen immerhin sind ordentlich recherchiert und prägnant zusammengefaßt.

Während aber die Autoren der Faszination des gesprochenen Worts und der Anekdoten erliegen, deren sich Schröder so überaus geschickt zu bedienen weiß, entgeht ihnen manches, was sie unschwer an seinen Taten hätten ablesen können. Ziemlich unterbelichtet bleibt etwa seine Amtstätigkeit als Ministerpräsident in Niedersachsen. Daß er im Überschwang seines Sieges über den CDU-Ministerpräsidenten Albrecht, dem er vorgeworfen hatte, das Land "kaputtzusparen", vier Jahre lang recht unsolide mit den Steuergeldern des armen Niedersachsens gewirtschaftet hat, kommt in dieser Biographie nicht vor. Dagegen wird die drohende Schließung eines Tausend-Mann-Betriebs in Lemwerder zu "einer der schwersten Krisen des Landes" hochstilisiert, die Schröder "in einen Gewinn für sich und seine Partei ummünzen kann". Unerwähnt bleibt wiederum, daß dieser Gewinn mit Subventionen erkauft wurde, die weder von Schröder noch von der SPD stammen.

Für seinen Weg in der SPD "von links unten nach rechts oben" wählte Schröder nicht die Ochsentour, sondern die Überholspur. Ständig mit der Lichthupe drängelnd und immer auf eigene Rechnung fahrend, so war er von Anfang an. Schon für den Bundesvorstand der Jusos kandidierte er nur unter der Bedingung, daß man ihm den Vorsitz antrage. Vor Aktivisten der Friedensbewegung gelobte er einst, im Bundestag gegen jeden Haushaltstitel der Regierung Schmidt zu stimmen, der mit der Nachrüstung in Verbindung stehe, um sich bald darauf als ebenso eifriger Verfechter von Panzerlieferungen an die Saudis zu enttarnen. Sprunghaftigkeit und Eigensinn im Privaten wie im Politischen sind die Konstanten dieser Biographie und keineswegs Ausdruck einer Doppelnatur. Schröder bringt das alles in einer einzigen unter. STEFAN DIETRICH

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr