Produktdetails
- Verlag: Herbig
- Seitenzahl: 543
- Abmessung: 235mm
- Gewicht: 1073g
- ISBN-13: 9783776619096
- Artikelnr.: 27871952
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Die Aufzeichnungen des Feldmarschalls von Bock
Klaus Gerbet (Herausgeber): Generalfeldmarschall Fedor von Bock. Zwischen Pflicht und Verweigerung. Das Kriegstagebuch. F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung, München 1995. 543 Seiten, 62 Abbildungen, 68,- Mark.
Zu den grausigsten Absurditäten des Rußland-Feldzuges zählt, daß Eichmanns endlose Deportationszüge ungehindert in die Vernichtungslager fuhren, während für den Nachschub der Wehrmacht die Güterwagen der Reichsbahn fehlten. Immer wieder sandte die im Osten kämpfende Truppe verzweifelte Notrufe wegen mangelnden Transportraumes an das Führerhauptquartier. Aber offenbar nahm Hitler eher die Niederlage in Kauf, als daß er, aus Mangel an Eisenbahnwaggons, auf den Massenmord an den Juden verzichtet hätte. In kaum einem Tagebuch wird die "Transportkatastrophe" so oft erwähnt wie in den nun vorliegenden Aufzeichnungen des Feldmarschalls von Bock. Von deren Hauptursache, den Judendeportationen, ist freilich nirgends die Rede. Angeblich waren schwerwiegende Organisationsmängel der Reichsbahn daran schuld, daß die Versorgung der Armeen mit Verpflegung, Munition und Treibstoff total versagte.
Nicht ohne Grund erscheint dieses "Kriegstagebuch" des Chefs der Heeresgruppe Mitte erst nach einem halben Jahrhundert. Zwar wurde es von Militärhistorikern längst ausgewertet, aber für das breite Leserpublikum sind die lakonischen Notizen des Feldmarschalls nur insofern interessant, als sie wiederum beweisen, daß Hitler buchstäblich über jeden Truppenteil persönlich verfügte. Immer wieder notiert Bock seine Telefonate mit dem tausend Kilometer entfernten Führerhauptquartier in Rastenburg, meist mit dem bezeichnenden Kommentar, der "Führer sei mit allem einverstanden". Denn Bock war kein Frondeur, kein Mann des entschlossenen Widerstandes gegen Hitler - obwohl in seinem Stabe Henning von Tresckow, ein Neffe von ihm, als führender Kopf des geplanten Attentats wirkte.
"Ich stelle fest, der Feldmarschall von Bock hat protestiert!" Das war alles, was Bock sagte, nachdem Tresckow und sein Adjutant Carl-Hans Graf von Hardenberg ihn beschworen hatten, gegen die Untaten der SS einzuschreiten. Er schickte lediglich einen Stabsoffizier zum Oberkommando des Heeres in Berlin und ließ dort mitteilen, er protestiere gegen die "Exekutionen", dachte aber nicht daran, selbst zu Hitler zu fliegen, um ihn zur Rede zu stellen. Im Gegenteil, als Tresckow ihn weiter hartnäckig bedrängte, endlich an höchster Stelle gegen die wahnwitzigen Mordaktionen vorzugehen, verbat sich Bock, in einem erregten Auftritt, fortan jegliche Kritik am Diktator: "Ich dulde nicht", schrie er, "daß der Führer angegriffen wird! Ich werde mich vor den Führer stellen und ihn gegen jedermann verteidigen, der ihn anzugreifen wagt."
Von diesem Zeitpunkt an, so berichtet der Historiker Peter Hoffmann, habe ihn Henning von Tresckow zutiefst verachtet. Bocks Kriegstagebuch zählt nicht zu den bedeutenden Diarien des Zweiten Weltkrieges. Man sieht einen professionellen Strategen am Werke, der in dürrem Fachjargon fixiert, wie er seine Divisionen auf dem Schachbrett des Schlachtfeldes hin und her schiebt - nicht ohne vorher Hitler um Erlaubnis zu fragen. Nirgends spürt man Mitgefühl für die Soldaten an der Front. Bei den zahllosen "blutigen Ausfällen" sind es zunächst die gefallenen Offiziere, die ihn betroffen machen. Als er schließlich von Hitler verabschiedet wird, quält ihn vor allem die Frage, ob der Führer womöglich mit seinen militärischen Leistungen unzufrieden gewesen sei. Im Herbst 1943 schreibt er, als Pensionär auf seinem Landsitz in Ostpreußen: "Der Krieg nähert sich seinem Höhepunkt, und ich schaue, wie ein Verbrecher, mit gebundenen Händen zu!" Nach dem Attentat vom 20. Juli liest er die von Goebbels befohlenen Verdammungsurteile und notiert dazu: "Die Deutsche Allgemeine Zeitung schreibt ganz richtig: ,Es war ein politisches Verbrechen, und es kommt nun alles darauf an, dieses Ereignis in den Dienst der Politik der Nation, in den Dienst der Kriegführung zu stellen.'"
Die Edition dieses Tagebuchs ist merkwürdig betulich und verehrungsvoll geraten. In den "Bemerkungen zur Edition" findet sich der seltsame Hinweis: "Die Tagebuchnotizen nach Bocks Enthebung als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B werden nicht streng chronologisch, sondern problemkreisbezogen dargestellt, um Bocks Denken bis zu seinem tragischen Tod im Mai 1945 übersichtlicher zu veranschaulichen."
Seit wann werden denn Tagebuchnotizen, so fragt man sich irritiert, nicht bloß publiziert, sondern "dargestellt"? Vergebens sucht man in der Bibliographie nach den einschlägigen Arbeiten, die über die Figur und die Rolle Bocks im Kriege detailliert Aufschluß geben: Weder das berühmte Buch seines Stabsoffiziers Freiherr von Gersdorff "Soldat im Untergang" noch das Standardwerk von Peter Hoffmann "Widerstand, Staatsstreich, Attentat" oder Helmut Krausnicks "Die Truppe des Weltanschauungskrieges" werden erwähnt. So bleibt dieses unzureichend kommentierte Tagebuch nur eine Marginalie der Kriegsliteratur. HENNING SCHLÜTER
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