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Vier Fragestellungen sind in diesem Buch von zentraler Bedeutung: Wie entsteht Bewußtsein überhaupt? Welche Vorgänge des Gehirns sind für die bewußte Erfahrung verantwortlich? Wie schlagen sich die subjektiv unterschiedlichen Erfahrungen in den Gehirnprozessen nieder? Wie läßt sich das wissenschaftliche Verständnis von Bewußtsein mit der ungeheueren Vielfalt menschlicher Wissens- und Erfahrungsformen verknüpfen? In Gehirn und Geist legt eines der prominentesten Forscherteams ein Bewußtseins-Konzept vor, das die neueren Ergebnisse der empirischen Hirnforschung berücksichtigt. Liebhaber…mehr

Produktbeschreibung
Vier Fragestellungen sind in diesem Buch von zentraler Bedeutung: Wie entsteht Bewußtsein überhaupt? Welche Vorgänge des Gehirns sind für die bewußte Erfahrung verantwortlich? Wie schlagen sich die subjektiv unterschiedlichen Erfahrungen in den Gehirnprozessen nieder? Wie läßt sich das wissenschaftliche Verständnis von Bewußtsein mit der ungeheueren Vielfalt menschlicher Wissens- und Erfahrungsformen verknüpfen?
In Gehirn und Geist legt eines der prominentesten Forscherteams ein Bewußtseins-Konzept vor, das die neueren Ergebnisse der empirischen Hirnforschung berücksichtigt. Liebhaber einseitiger Positionen werden mit den Antworten Edelmans und Tononis allerdings ihre Schwierigkeiten haben. Denn obgleich ein zentrales Argument dieses Buches lautet, daß Bewußtsein aus gewissen Arrangements innerhalb des Gehirns hervorgeht, so wehren sich seine Autoren doch gegen die Vorstellung, das Gehirn arbeite wie ein Computer. Die Einzigartigkeit jedes einzelnen Geistes, so betonen sie, werden wir mit wissenschaftlichen Mitteln allein nie völlig verstehen können.
Autorenporträt
Gerald M. Edelman, Biochemiker und Mediziner, ist Direktor des Neurosciences Institute und Präsident der Neuroscience Research Foundation (USA). 1972 erhielt er für seine Arbeiten über die Antikörper den Nobelpreis für Medizin. Sein Buch Göttliche Luft, vernichtendes Feuer (1995) machte ihn einem größeren Publikum bekannt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.03.2002

Neuronen einer Liebesnacht
Gerald Edelman und Giulio Tononi fahren die Ernte aus dem Jahrzehnt der Hirnforschung ein
Vor der antiautoritären Erziehung pflegten Väter die Kopfnüsse für ihre Sprösslinge mit dem Spruch zu dekorieren: „Leichte Schläge auf den Hinterkopf fördern das Denkvermögen!” Wen dagegen Mike Tysons Faust am Kinn trifft, der verliert in der Regel dieses Denkvermögen zeitweilig. Der sogenannte gemeine Menschenverstand vermutet von jeher einen Zusammenhang zwischen geistigen Vermögen auf der einen und den Befindlichkeiten des Kopfes auf der anderen Seite. Die Pathologie der Kopfverletzungen seit den Verwundeten des Ersten Weltkriegs und die sehr ins Detail gehenden Forschungen des gerade vergangenen „Jahrzehnts des Gehirns” belegen: Es ist das sogenannte Zentralorgan, das im Inneren des Kopfes schwimmt, auf das es hier ankommt.
Grundvoraussetzung aller geistigen Vermögen ist das Bewusstsein. Dessen Entstehung im Gehirn erklären zu können, behaupten der 1972 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnete Biochemiker Gerald Edelman und der Psychiatrieprofessor Giulio Tononi. Mit ihrem Buch „Gehirn und Geist” reihen sie sich in eine ganze Schar von Publikationen ein, die die Ernte der Hirnforschung der letzten Dekade einfahren möchten.
Zur gleichen Zeit im Nirgendwo
Wissenschaft stützt sich auf objektive Daten und intersubjektiv gültige Argumente und vernachlässigt daher das Private und Subjektive. Deshalb gerät sie beim Thema „Bewusstsein” in Schwierigkeiten. Philosophen wittern hier häufig ein unauflösbares Rätsel. Doch Edelman und Tononi stellen zu Recht fest: „Keine wissenschaftliche Beschreibung oder Erklärung kann das real vorhandene Ding selbst ersetzen”. Was für Dinge gilt, gilt auch für Prozesse: Die biologische, psychologische oder soziologische Beschreibung und Erklärung der Prozesse einer Liebesnacht ersetzen diese nicht. Ihnen fehlt etwas: das Subjektive, wie es ist, so etwas zu erleben. Bewusstsein ist ein sehr grundlegender Lebensprozess, für dessen Auftreten Vorgänge im Gehirn realisiert werden müssen; doch ist es durch die Beschreibung dieser Hirnvorgänge natürlich nicht ersetzbar, auch nicht „phänomenal einholbar”. Wer das erwartet, missversteht wissenschaftliche Unternehmen auf grundlegende Weise.
Die Voraussetzungen von Edelman und Tononi sind in der Hirnforschung mittlerweile Allgemeingut. Erstens: Im Gehirn laufen ausschließlich physikalische Prozesse ab. Zweitens: Das Gehirn ist ein Produkt der biologischen Evolution. Und drittens wollen sie die Art und Weise, wie es ist, Bewusstsein zu haben, nicht mit den Mitteln der Biologie und Physik erklären. Ihr Bekenntnis zu Physik und Biologie hindert sie nicht, das Gehirn eines Menschen als etwas Plastisches anzusehen, das eine individuelle neuronale Struktur hat. Auch eineiige Zwillinge haben verschiedene Hirne. Jede Erfahrung verändert das Gehirn und keine zwei Menschen machen die selben Erfahrungen.
Ins Zentrum ihrer Erklärung des Bewusstseins rücken die Autoren das klassische „Bindungsproblem”: Seit längerem ist bekannt, dass Neuronengruppen spezialisiert sind; die einen sind aktiv, wenn Farben gesehen werden, die anderen, wenn sich etwas bewegt, die dritten, wenn Laute zu hören sind. Nun sind wir uns aber nicht einfach der Farben, Bewegungen und Töne bewusst, sondern wir sehen das ratternde rote Auto auf uns zukommen. Wer oder was verbindet die Aktivitäten der spezialisierten Neuronen zu einem Objektbewusstsein von einem Einzelding mit Eigenschaften unterschiedlicher Sinnesdimensionen? Dualisten wie Popper und Eccles vermuteten hier einen selbstbewussten immateriellen Geist am Werk, der die Muster der Hirnaktivitäten „liest” wie ein Buch und auf die Gegenwart von individuellen Objekten schließt. Diese Nicht-Erklärung verkneifen sich unsere Autoren mit der Maxime: „Dualismus ist nicht erlaubt”.
Statt steile Hypothesen über immaterielle Homunculi zu produzieren, haben sie die zeitlichen Aktivitätsmuster der Neuronengruppen untersucht und, dank neuer Verfahren wie die Positronenemissionstomographie herausgefunden, dass „die Aktivität der Neurone, die auf verschiedene Attribute desselben Objekts ansprechen, im Millisekundenbereich synchron” sind. „Die Aktivität der Neurone in Relation auf unterschiedliche Objekte blieb jedoch asynchron.” Die Bindung der spezialisierten und über den ganzen Cortex verteilten Neuronengruppen, die auf ein einziges Objekt reagieren, erfolgt also nicht durch „Metaneurone”, sondern durch synchrone Aktivität von Zellen auf derselben hierarchischen Ebene in der Anatomie des zentralen Nervensystems: Diese gleichzeitige Aktivität ist das prozessuale „neuronale Korrelat” der Einheit erfahrener Qualitäten unterschiedlicher Sinnesdimensionen an einem individuellen Objekt.
Weil wir uns jedoch nie nur eines einzelnen Gegenstandes bewusst sind, sondern alle bewusste Erfahrung kontrastiv ist, uns immer etwas neben oder vor etwas anderem erscheint, ist der dem Bewusstsein entsprechende Hirnzustand auch immer differenziert: er schließt eine Abfolge von synchronisierten neuronalen Aktivitäten ein. Einer in ihrem elektrischen Erregungsmuster völlig synchronisierten und undifferenzierten Hirnaktivität entspricht kein bewusstes Erleben. Dieser aus der Epilepsie bekannte Krampfzustand führt vielmehr zur Bewusstlosigkeit. Bewusstsein ist für Edelman und Tononi, bemüht man philosophischen Jargon, die Einheit einer Mannigfaltigkeit von Prozessen, die ihre Einheit durch zeitliche Abstimmung vieler neuronaler Ereignisse an vielen Orten des Gehirns erhalten. Es gibt also keinen einzigen Ort und kein Organ des Bewusstseins, sondern spezifische Zuständlichkeiten, die in Schlaf und Ohnmacht, bei Epilepsie und Koma nicht mehr realisiert werden.
Die Genauigkeit und Vielfalt der Einsichten, die Edelman und Tononi in ihrem Buch versammeln, beeindrucken. Trotzdem werden auch Philosophen, die das Phänomen des Bewusstseins nicht als unlösbares Rätsel mystifizieren wollen, nicht ganz zufrieden sein. Wird hier wirklich ein Entstehungsvorgang geschildert? Die Autoren benutzen eine Reihe von Metaphern für das Verhältnis von Bewusstsein und Gehirn, neben der Relation des Entstehens kommt das Hirn als „Sitz”, „Substrat”, „Fundament” und „Voraussetzung” des Bewusstseins vor.
Kuchenbacken ohne Rezept
Ist diese Sprache vereinbar mit der Vorstellung, dass Bewusstsein etwas Privates, Phänomenales ist, die Edelman und Tononi ja zu Beginn ihrer Untersuchung explizit anerkannt hatten? Wird hier die Entstehung des Bewusstseins so erklärt, wie der Bäcker erklären kann, wie Kuchen aus Eiern, Mehl, Milch, Butter und Zucker entsteht? Wird hier so einsichtig gemacht, wie das Bewusstsein auf gewissen Hirnprozessen „aufruht”, wie eine Brücke auf ihren Pfeilern? Sicher nicht. Wer Kuchen backen will, muss wissen, wie Eier, Mehl, Milch, Butter und Zucker zu mischen und zu erhitzen sind. Wer Brücken bauen will, muss etwas über die Statik von Pfeilern und auf ihnen ruhenden Konstruktionen wissen. Doch wer bewusst erleben will, muss nichts über das Hirn wissen.
Zweifellos entsteht privates Erleben in irgendeiner Hinsicht aus Mustern einer öffentlichen Welt. Und wenn wir aufgrund bestimmter Erlebnisse handeln, so wirkt das, was im privaten Bewusstsein entstanden ist, über unsere Körperbewegungen in eine öffentliche Welt. Der Samariter, der den blutenden Menschen auf der Straße sah, empfand in seinem privaten Bewusstsein Mitleid, das aus der Wahrnehmung einer öffentlichen Szene entstand, an der andere vorbeigegangen waren. Und aus seinem Mitleid entstand eine hilfeleistende Handlung. Doch dieses Entstehen des Privaten aus dem Öffentlichen und die Veränderungen in der öffentlichen Welt durch aus privatem Empfinden hervorgehende Handlungen, ist philosophisch problematisch. Eine allein für objektive Prozesse gemachte Sprache scheint nicht geeignet, diesen Übergang zu erfassen. Es handelt sich hier nicht um ein „selbstverständliches” Entstehen, das dem des Kuchens aus seinen Zutaten oder dem eines Eichbaums aus einer Eichel entspräche.
Durch Hirnforschung lernen wir verstehen, warum jemand das Bewusstsein verliert oder warum sein bewusstes Erleben von dem anderer Menschen abweicht. Aber es wird durch diese Wissenschaft nicht klar, warum wir jetzt in einem bestimmten privaten Bewusstseinszustand sind. Die Entstehung des Bewusstseins, individuell im Leben eines einzelnen Menschen, der beispielsweise aus der Ohnmacht, in die ihn Mike Tyson geschickt hat, erwacht, bezieht sich auf einen Erlebensprozess, dem das Hirn verborgen ist und der ganz in der Welt aufgeht, die erfahren wird.
MICHAEL HAMPE
GERALD EDELMAN / GIULIO TONONI: Gehirn und Geist. Wie aus Materie Bewusstsein entsteht. C. H. Beck Verlag, München 2002. 368 Seiten, 26,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2002

Über die philosophische Hürde springen
Sehr eigenwillig erklären Gerald M. Edelman und Giulio Tononi das Entstehen des Bewußtseins / Von Ansgar Beckermann

Kaum eine Frage war in den letzten Jahren zwischen Naturwissenschaftlern und Philosophen so umstritten wie die Frage nach der Erklärbarkeit von Bewußtsein. Das hat zwei Gründe: Erstens gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen darüber, was überhaupt erklärt werden muß, und zweitens herrscht auch im Hinblick darauf alles andere als Einigkeit, was hier als akzeptable Erklärung gelten kann. Was den zweiten Punkt angeht, bestehen Philosophen auf einem starken Erklärungsbegriff. Bewußtsein ist - in einem interessanten Sinne - noch nicht erklärt, wenn man lediglich zeigen kann, daß Menschen immer dann bei Bewußtsein sind, wenn bestimmte Neuronen auf bestimmte Weise feuern. Eine adäquate Erklärung liegt vielmehr erst dann vor, wenn sich Bewußtsein auf dieselbe Weise auf das Feuern bestimmter Neuronen zurückführen läßt wie die Härte eines Diamanten auf die spezifische Anordnung seiner Atome oder die elektrische Leitfähigkeit von Metallen auf die leichte Delokalisierbarkeit einiger ihrer Elektronen.

Beim ersten Punkt betonen Philosophen dagegen den mit Bewußtsein aufs engste verbundenen Aspekt des Erlebens. Bewußtsein hat zwar auch etwas mit Wissen und insbesondere mit Selbstkenntnis zu tun. Aber darin erschöpft es sich nicht. Ich kann wissen, wie hoch mein Blutdruck ist, und mir in diesem Sinne meines Blutdrucks durchaus bewußt sein; dennoch erlebe ich ihn nicht. Ganz anders als einen Zahnschmerz, von dem ich nicht nur weiß, daß ich ihn habe, den ich vielmehr auch ganz intensiv spüre. Zahnschmerzen sind ebenso wie Wahrnehmungseindrücke mit einer spezifischen Erlebnisqualität verbunden. Es fühlt sich auf eine ganz bestimmte Weise an, auf eine von der Frühlingssonne beschienene Wiese zu blicken; so wie es sich, wenn auch auf ganz andere Weise, anfühlt, mit der Achterbahn durch eine steile Kurve zu fahren. Bewußtsein ist daher so lange nicht wirklich erklärt, wie eine Erklärung für die Erlebnisqualität bewußter Empfindungen und Wahrnehmungseindrücke fehlt.

Gerald M. Edelman und Giulio Tononi kennen diese Diskussion. Aber sie sind entschiedene Gegner der Meinung mancher Philosophen, daß sich Bewußtsein aufgrund des mit ihm verbundenen Erlebnisaspektes grundsätzlich jeder naturwissenschaftlichen Erklärung entzieht. Sie glauben, daß es durchaus möglich ist, "von philosophischen Hürden unberührt", eine befriedigende wissenschaftliche Erklärung von Bewußtsein vorzulegen. Allerdings wählen sie für ihren eigenen Erklärungsversuch eine eigenwillige Strategie. Sie beschränken sich auf zwei grundlegende Eigenschaften von Bewußtsein: auf seine Einheit oder Unteilbarkeit - "die Tatsache, daß jeder Bewußtseinszustand als einheitliches Ganzes erlebt wird und sich nicht in einzelne, voneinander unabhängige Bestandteile zerlegen läßt" - und auf den hohen Informationsgehalt bewußter Zustände - die Tatsache, daß jeder der vielen Milliarden möglichen Bewußtseinszustände ganz unterschiedliche Folgen für das Verhalten haben kann. Wie lassen sich diese beiden Eigenschaften ihrer Meinung nach erklären?

Zunächst: Bewußtsein kann nach Edelman und Tononi nicht auf lokale neuronale Strukturen zurückgeführt werden. An jedem einzelnen Bewußtseinszustand sind immer weite Bereiche des gesamten Gehirns beteiligt. Dabei sind besonders wichtig: das aus Großhirnrinde und Thalamus bestehende System, das einerseits durch eine starke funktionale Differenzierung und andererseits durch eine Vielzahl von reziproken ("reentranten") Verknüpfungen seiner Subsysteme charakterisiert ist; zweitens das System aus der Großhirnrinde und ihren Anhängen (etwa Kleinhirn, Basalganglien oder Hippocampus), in dem die Teile nicht reziprok, sondern durch eine Reihe parallel, richtungsgleich und in Serie geschalteter Ketten von Neuronen verbunden sind; und schließlich der Hypothalamus und einige Kerne im Hirnstamm, die diffus in alle Bereiche des Gehirns projizieren und die Edelman und Tononi als "Bewertungssysteme" bezeichnen, da sie in Abhängigkeit von der Bedeutung oder Wichtigkeit bestimmter Reize die gesamte Hirnaktivität modulieren.

Alle diese Systeme sind nach Edelman und Tononi an der Entstehung von Bewußtsein beteiligt. Primäres Bewußtsein - das Ausbilden eines phänomenalen Bildes der Welt, das noch kein Empfinden für das eigene Ich und keine sprachlichen Fähigkeiten voraussetzt - setzt in ihren Augen das Zusammenwirken der differenzierten, durch eine Vielzahl reziproker Verbindungen verknüpften Schaltkreise des thalamokortikalen Systems, auf denen die Wahrnehmungskategorisierung beruht, mit jenen älteren Hirnregionen voraus, die für das auf Wertvorgaben basierende Gedächtnis verantwortlich sind. Nur so entsteht, was Edelman schon früher "erinnerte Gegenwart" genannt hat - "ein Szenario, das unmittelbare oder imaginäre Zufallsbegebenheiten mit der zurückliegenden, durch gewisse Randbedingungen mitbestimmten Verhaltenshistorie des Tieres verknüpft".

Entscheidend für die Entstehung der beiden grundlegenden Eigenschaften von Bewußtsein - Einheit und Differenziertheit - ist nach Edelman und Tononi jedoch die Struktur des thalamokortikalen Systems. Denn nur hier haben wir es einerseits mit einer unermeßlichen Zahl spezialisierter neuronaler Schaltkreise zu tun, die andererseits massiv durch reentrante neuronale Verschaltungen miteinander verknüpft sind. "Reentrante Verknüpfung" - das ist, wenn man so will, das Hauptthema ihrer Überlegungen.

Das Gehirn verarbeitet einkommende Signale hochgradig parallel und hochgradig spezialisiert. Es gibt Hirnregionen, die nur auf die Form wahrgenommener Dinge reagieren; andere reagieren nur auf Farben; wieder andere nur auf Positionen im Raum. Wenn die Wahrnehmung eines einheitlichen Gegenstandes - sagen wir, eines grünen Kreuzes in der linken oberen Ecke des Sehfeldes - entstehen soll, müssen die Aktivitäten dieser spezialisierten Hirnbereiche zusammengeführt werden. Und genau dies leisten die reentranten Verbindungen, die zwischen den spezifischen Schaltkreisen bestehen. Sie lösen das sogenannte "Bindungs-Problem". Aber sie leisten offenbar noch sehr viel mehr; sie sind auch dafür verantwortlich, daß die Wahrnehmungen der einzelnen Dinge, die in einer Szene vorkommen, in die einheitliche Wahrnehmung einer zusammenhängenden Szene integriert werden. Und sie sorgen darüber hinaus für die Entstehung globaler Karten, in denen sensorische mit motorischen und Gedächtniselementen verknüpft sind.

Auch wenn Edelman und Tononi jeden Versuch kritisieren, Bewußtsein auf lokale neuronale Strukturen zurückzuführen, so sind sie doch keineswegs der Meinung, daß am Entstehen bewußter Erfahrungen jeweils alle Teile des Gehirns beteiligt sind. Zur Entstehung bewußten Erlebens trägt die Aktivität einer Neuronengruppe vielmehr dann bei, wenn sie Teil eines "funktionalen Clusters" ist - einer großen Gruppe neuronaler Schaltkreise, die über einen Zeitraum von einigen hundert Millisekunden in starker Wechselwirkung miteinander stehen, während sie mit anderen Teilen des Gehirns kaum interagieren. Die Mitglieder dieses Clusters bilden, was Edelman und Tononi "dynamischen Kern" nennen - eine Gruppe von wechselnden neuronalen Einheiten, die durch die zentralen Merkmale hoher Komplexität und starker Interaktion charakterisiert sind.

Sind diese beiden Merkmale aber tatsächlich hinreichend, um Bewußtsein zu erklären? Mir scheint, daß die entscheidende Frage nach dem Erlebnisaspekt von Bewußtsein auch hier offenbleibt. Die Prozesse der Integration und Differenzierung, denen Edelman und Tononi mit großer Sorgfalt nachgehen, sind vielleicht notwendig, wenn kognitive Wesen zusammenhängende und differenzierte Repräsentationen der Welt aufbauen. Aber nichts spricht dafür, daß solche Repräsentationen per se einen Erlebnisaspekt besitzen. Letzten Endes begehen Edelman und Tononi einen simplen Fehlschluß. Sie setzen voraus, daß unser bewußtes Erleben einheitlich und differenziert ist. Doch daraus folgt ganz sicher nicht, daß alles, was einheitlich und differenziert ist, erlebt wird. Sonst müßte ja auch die globalisierte Weltwirtschaft einen Erlebnisaspekt besitzen.

Das Problem zeigt sich paradigmatisch daran, wie Edelman und Tononi mit der Frage nach den spezifischen Erlebnisqualitäten (Qualia) von Farbeindrücken umgehen. Wenn eine Photodiode dazu in der Lage ist, rotes von grünem Licht zu unterscheiden, nehmen wir mit Sicherheit nicht an, daß die Diode ihre verschiedenen Zustände als Zustände mit einem bestimmten qualitativen Charakter erlebt. Warum ist das dann aber bei uns so, wo doch auch unsere Farbwahrnehmungen nur darauf beruhen, daß bestimmte Neuronengruppen selektiv auf rotes Licht reagieren? Als Antwort auf diese Frage bieten Edelman und Tononi die Hypothese an, daß nicht die isolierte Aktivität bestimmter Neuronengruppen zu einem Roteindruck führt, sondern die Tatsache, daß diese Aktivität Teil des aktuellen dynamischen Kerns ist, daß sie also Teil eines großen Netzes weit verzweigter Neuronengruppen mit integrierter Aktivität ist, das Milliarden verschiedener Zustände annehmen kann. Jede subjektive Rotempfindung entspricht daher "einer Auswahl oder Entscheidung, die unter all den Milliarden möglichen anderen Zuständen" getroffen wurde. Doch warum soll ein Zustand, der eine Auswahl unter Milliarden Zuständen darstellt, eher mit einer Erlebnisqualität verbunden sein, als einer, der nur der Auswahl zwischen, sagen wir, fünf möglichen Zuständen entspricht? Auf diese Frage bleiben auch Edelman und Tononi die Antwort schuldig.

Gerald M. Edelman, Giulio Tononi: "Gehirn und Geist". Wie aus Materie Bewußtsein entsteht. Aus dem Englischen von Susanne Kuhlmann-Krieg. Verlag C.H. Beck, München 2002. 368 S., 40 Abb., geb., 26,90 .

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