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Neuengland 1972: Ganz Amerika mag in Aufbruchstimmung sein, doch die Farm in NewHampshire, auf der Robert Olmstead aufwächst, hat seit sechs Generationen niemand verlassen, es sei denn durch Tod. Der achtzehnjährige Robert wird mit dieser Tradition brechen und am Ende des Sommers aufs College gehen. Er weiß, daß dieserAbschied mehr ist als ein bloßer Ortswechsel. Robert erlebt jenen traumhaften Sommer mit einer nie gekannten Intensität. Zum letztenmal arbeitet er mit seinen Freunden auf der heimischen Farm. Billy und Tucker, zwei rauhe Burschen mit wenig Geld und reichlich Fernweh, träumen von…mehr

Produktbeschreibung
Neuengland 1972: Ganz Amerika mag in Aufbruchstimmung sein, doch die Farm in NewHampshire, auf der Robert Olmstead aufwächst, hat seit sechs Generationen niemand verlassen, es sei denn durch Tod. Der achtzehnjährige Robert wird mit dieser Tradition brechen und am Ende des Sommers aufs College gehen. Er weiß, daß dieserAbschied mehr ist als ein bloßer Ortswechsel. Robert erlebt jenen traumhaften Sommer mit einer nie gekannten Intensität. Zum letztenmal arbeitet er mit seinen Freunden auf der heimischen Farm. Billy und Tucker, zwei rauhe Burschen mit wenig Geld und reichlich Fernweh, träumen von einer Luftaufnahme seines Hofes. Die Freunde putzen, streichen und reißen einen alten Silo ein, damit das Anwesen perfekt in Erinnerung bleibt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.1997

Kuhauge, sei wachsam!
Hier riecht's ein wenig: Robert Olmstead erzählt vom Landleben

Robert Olmsteads Erinnerungsbuch bewegt sich in Kreisen, Zickzacklinien und kurzen Sprüngen vorwärts wie die Kühe, die der Bauer von der Weide treibt. Die Kühe und der Autor wollen nach Hause, doch unterwegs möchten sie gern noch etwas grasen. Was in der Natur ein Bild würdiger Einfalt abgibt, erscheint in der Literatur als einfältige Würde. In "Geh nicht fort" ruft Olmstead den letzten Sommer seiner Jugend noch einmal herauf, den er mit seinen Eltern auf der Patriarchenfarm des Großvaters verbrachte. Dort nennt man den tyrannischen Greis respektvoll "den Alten". Der Alte gibt gutes Geld für harte Arbeit. Deshalb verbringt der Leser viel Zeit beim Ausmisten und mit der Jauche. Eine Viehausstellung ist schon der Höhepunkt an Kurzweil. Uns wird bei der Gelegenheit eine bunte Liste abenteuerlicher Hühnernamen vorgelesen.

Das Hofpersonal hat sonst wenig zu lachen. Denn der Alte möchte eine Luftaufnahme seiner Güter machen. Um sie ins beste Licht zu setzen, läßt er allen Unrat in großem Stil beiseite schaffen. Im Gegensatz zu seinem Ahnen sucht der Autor im Gedächtnis nicht die blanke Luftaufnahme. Sein Buch widmet sich statt dessen dem häßlichen Silo, den Kotpfützen, Autowracks und Ratten. Schemenhaft huschen menschliche Schicksale durch das von der Zukunft mesmerisierte Bewußtsein des sich erinnernden Helden. Weder sein trinkender Vater noch ein randalierender Exsträfling oder ein von seinem Bruder zusammengeschlagener Kumpel hinterlassen tiefe Spuren im literarischen Gedächtnis.

Alles passiert wie im Augenwinkel. Dieses erzählerische Understatement entspricht Olmsteads Ideal von Realismus. Seine Ästhetik scheint sich an ebender Partisanentechnik auszurichten, die Amerikas Souveränität im Vietnamkrieg unterminierte. Wie die Helikopter der westlichen Weltmacht schwebt der Einzugsbefehl über den jungen Männern in Olmsteads Geschichte. Er trägt in demselben Maß wie des Alten inhumaner Drill zu ihrer Verwilderung bei. Sie lernen zu bluffen, Haken zu schlagen, Camouflage anzuwenden. Und wie Soldaten versuchen sie, die Pflicht vom Leben zu trennen.

Der Erzähler gibt den Preis solcher Selbstbeherrschung zu erkennen. Viel zu lang bleibt er der Bauerntölpel, der sich in freien Minuten vergeblich mit Marcuse und Camus quält. Während er die Farm in seiner ganzen Jugend nie verlassen hat, ist die von ihm verehrte Afton schon als Kind dreizehnmal umgezogen. Sie schreibt ihm Postkarten aus aller Welt und spielt in seiner Gegenwart die mystische Präsenz. So wird sie zur Muse der Erinnerungsarbeit, die Olmstead unternimmt. In Ermangelung anderer Beispiele versucht der sich zurückversetzende Protagonist, den Farmalltag nach Aftons Vorbild zu poetisieren. Das führt zu lyrischen Passagen, etwa, wenn er sich überlegt, was wohl hinter den "riesigen, dunklen, flüssigen Augen" der Kühe liegt, und beschließt, "daß ihr Geist wie Honig sein muß, zähflüssig und süß, schwarz wie Melasse". Oder wenn der Autor seine Jugendfreundin "wie Licht" dahingehen sieht, "zart wie geschälte Birnen".

Doch nicht immer gelingt ihm das Hohelied der Liebe. Der Tonfall pendelt sich irgendwo zwischen Bob Dylans Aussteigerpathos und Hemingways maskuliner Einstiegshymnik ein: "Ich bin mit Männern aufgewachsen, die arbeiteten, in einer merkwürdigen, fremden Sprache redeten und die Namen von allen möglichen Dingen kannten." Mehr als einmal werden wir daran gemahnt, "was es bedeutete, jung und unsterblich zu sein". Auf jeden Fall bedeutete es nicht, daß man nicht trotzdem reifer wurde: "Dieser Ruck in meinen Eingeweiden ließ mich ein wenig älter werden, ein wenig erwachsener", sagt der Erzähler in Erinnerung an das Ekelgefühl, das der Trinkergestank seines Vaters in ihm auslösen konnte. Folkloristische Details wie das Plakat im Stall, das über besonnene Schritte beim Fall der Atombombe belehrt, trösten nur notdürftig über andere Stellen hinweg, wo die jugendlichen Worte des Helden wie prätentiöse Leuchtpistolen abgefeuert werden. "Tucker und Billy tauchten auf, als ich gerade mit dem Frühstück fertig war und meiner Großmutter sagte, wie gut es geschmeckt hatte und wie sehr ich ihren Apple-pie mochte."

Einmal, als Afton und der Erzähler Zeit zu einem kleinen Ausflug finden, stoßen sie im Wald auf mehrere Kisten. In ihnen verbirgt sich die Gesamtauflage eines Gedichtbands mit dem Titel "My Life". Sie beginnen zu lesen. "Die Gedichte erschienen mir okay", erklärt Olmstead. "Sie waren aufrichtig und voller Träume und Wünsche und Bedauern und Eingeständnisse von Fehlern." Vielleicht ist "okay" nicht genug für ein Buch, das vom eigenen Leben erzählt. Vielleicht sollte es weniger aufrichtig sein und sich statt dessen stilistische Verfehlungen ohne Bedauern eingestehen. INGEBORG HARMS

Robert Olmstead: "Geh nicht fort". Eine Erinnerung. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Edith Nerke und Jürgen Bauer. Rowohlt Verlag, Reinbek 1997. 255 S., geb., 39,80 DM.

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