Produktdetails
  • Verlag: Edition Moderne
  • Seitenzahl: 40
  • Abmessung: 320mm
  • Gewicht: 455g
  • ISBN-13: 9783907055199
  • ISBN-10: 3907055195
  • Artikelnr.: 07715657
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.01.1999

Hallo, dort Troja?
Notruf erhört: Bernd Pfarr glänzt gleich mit zwei neuen Bildbänden

In den kleinen Quadraten tanzen die Linien. Keine Mauer steht gerade, keine Straße nimmt den kürzesten Weg. Die Menschen haben lange Nasen, kurze Beine, riesige Münder. Das ist die Welt von Bernd Pfarr, dem originellsten deutschen Comiczeichner. Aber kann man Pfarrs Bildgeschichten überhaupt noch als Comics bezeichnen? Gleich zwei neue Bildbände sind gerade erschienen, an denen man diese Frage überprüfen kann.

Zumindest einer, der dickere, buntere, skurriler betitelte ("Eines Tages war Zeus das Blitzeschleudern leid"), ist wohl eher ein Schaufenster der Pfarrschen Virtuosität als Zeichner. Er verfügt über die unterschiedlichsten Spielarten der Malerei: über Karikatur, Cartoon, Gemälde. Pfarr imitiert Picasso, Matisse, Beckmann, Cézanne, Hopper - um nur einige zu nennen -, er beherrscht alle Kniffe der Kolorierung, des Lichteinfalls, der Perspektive - und was macht er damit? Er zeichnet Witzbilder. Unsagbar komische Witzbilder, die aber nicht aus den Motiven allein ihren Humor ziehen, sondern vor allem aus deren Ergänzung um lakonische Bildunterschriften, die noch dem tristeten Sujet eine heitere Seite abzugewinnen wissen. Da sitzt etwa ein bleicher Mann in einem überdimensionierten Sessel, das ganze Zimmer inklusive Teppichboden ist in den düstersten Blau-, Braun- und Grüntönen gehalten. Und Pfarr untertitelt: "Der Besuch der Gaststätte ,Zur Schwarzen Mamba' hatte Heinz derart euphorisiert, daß er bei seiner Rückkehr zum ersten Male mit vollem Bewußtsein die wilde Schönheit seiner Auslegeware zur Kenntnis nahm." Selten sah man eine gezähmtere Schönheit, die Diskrepanz zwischen Zeichnung und Beschreibung ist atemberaubend.

Der leicht geschraubte Duktus, der penible Verzicht auf jede umgangssprachliche Wendung macht die Alltagsszenen Pfarrs so komisch. Ausrufezeichen gibt es nicht in diesen Unterschriften, alles ist ganz selbstverständlich. Ob von Gott die Rede ist oder vom Minotaurus, vom Krokodil Hektor oder dem Yeti - allen wird dieselbe akribische Sorgfalt der Wortwahl zuteil; alle sprechen ein Idiom, das geradewegs einer Musterfibel zum Erlernen von Deutsch als Fremdsprache entlehnt zu sein scheint. Doch alle Raffinesse der Texte würde ohne die dazugehörigen Bilder wiederum ins Leere laufen. Ihre technische Perfektion und ihr Einfallsreichtum setzen die Ingeniösität der Textzeilen auf anderem Niveau fort.

Entstanden sind die Bildfolgen aus dem "Zeus"-Band für das "Zeit-Magazin", doch Pfarr hat sie im Buch neu arrangiert, hat stilverwandte Zeichnungen nebeneinandergesetzt und auf einer Doppelseite sowohl den fassungslosen Hektor untergebracht als auch dessen menschliches Gegenstück, Herrn Künzler. Beide haben denselben unendlich erstaunten Ausdruck in den Augen, wie überhaupt Pfarrs größtes Können darin besteht, mit einem Minimum an Mimik seiner Figuren den Lesern ein immer größeres Vergnügen an den Variationen zu verschaffen, die ein bekannter Gesichtsausdruck in neuen Konstellationen entfaltet. Tiere und Menschen sind nicht nur im Duktus, sondern auch in ihren Sorgen, ihren Hoffnungen und ihrer Körpersprache gleich. Ihr Chronist erweist sich in seinen Illustrationen als begnadeter Seelen- und Erfahrungskundler.

Mit Comics hat das alles nichts zu tun. Seit seinen zwei fabelhaften "Dulle"-Alben (1985 und 1992) hatte Pfarr keine klassischen Bildgeschichten mehr publiziert. Berühmt wurde er mit seiner Serie "Sondermann" aus dem Satiremagazin "Titanic", die in ihrer Kombination aus Illustrationen und Bildunterschriften die Arbeiten für die "Zeit" vorwegnahm. Allerdings setzte Pfarr bei "Sondermann" auf einen karikaturesken Strich und ein festes Figurenrepertoire, nicht auf Persiflage.

In seinen "Komischen Bildern" (1996), dem Vorläufer des "Zeus"-Albums, fand sich aber neben den ganzseitigen Illustrationen auch ein kleines Lebenszeichen des Comic-Künstlers: eine Serie von Adaptionen berühmter Romane. "Die Blendung", "Bartleby", "Herz der Finsternis" oder "Anton Reiser" wurden dabei jeweils auf eine Seite komprimiert und mit scharfem Blick für zentrale Szenen und respektlosem Witz inszeniert. An diese kleinen Meisterwerke knüpft Pfarr erneut an, nun mit profanerem Hintergrund. Enthalten sind diese Arbeiten in "Gefährlicher Alltag", der dünneren, blasser kolorierten, langweiliger betitelten der beiden Neuerscheinungen. Doch sie ist noch besser als "Zeus", weil Pfarr darin sein graphisches Können und seine sprachliche Begabung noch um sein Talent als Erzähler ergänzt.

Und was ist das für ein Talent! Ausgangspunkt der achtunddreißig Miniaturen ist jeweils eine mehr oder minder skurrile Zeitungsmeldung aus dem "Vermischten": Mißlungene Einbrüche, Heiratsschwindler, Neuigkeiten aus Kirche und Gesellschaft zählen zu den ausgewählten Themen. Pfarr illustriert sie zunächst brav, jedoch auf seine unnachahmliche Art, und schon das ist großartig. Doch dann ergänzt er die Geschehnisse, baut die Meldungen aus, übersteigert sie ins Wahnsinnige oder findet aberwitzige Erklärungen. Seiner Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt: Die segensreiche Wirkung des Telefons wird bis nach Troja zurückverfolgt, der Einsatz von Schafen zur Verkehrsberuhigung beklagt, die Kritik von Tierschützern am Tigerfell im Silvester-Sketch "Dinner for one" konstruktiv umgesetzt (Freddy Frinton ist treffend porträtiert). Dabei gelingt es Pfarr, eine Vielzahl an Selbstzitaten unterzubringen: die gigantischen Sprengkörper aus seinen "Sondermann"-Geschichten zum Beispiel, den Minotaurus oder die nach klassischem Comic-Klischee gezeichneten Schwarzen.

Was den "Gefährlichen Alltag" auszeichnet, ist die Ökonomie der Geschichten, die auf jene Opulenz verzichten können, die viele der Bilder aus dem "Zeus"-Band benötigen, um als Einzelzeichnungen bestehen zu können. Bei aller Lust an der künstlerischen Persiflage zeigt sich erst im "Gefährlichen Alltag" der wahre Pfarr, dessen abstruser Blick auf die Wirklichkeit eine Komik entfaltet, die hierzulande ohne Beispiel ist. Nun steht er auf der Höhe seines Könnens - und das wieder mit einem Comic. Wie aber will man Bernd Pfarr jetzt noch ehren, wo man ihm schon vor der Publikation des "Gefährlichen Alltags" den Titel "Bester deutscher Comiczeichner des Jahres" verliehen hatte? Zu früh gefeiert, das Beste kam noch nach. ANDREAS PLATTHAUS

Bernd Pfarr: "Eines Tages war Zeus das Blitzeschleudern leid". Verlag Zweitausendeins, Frankfurt am Main 1998. 144 S., Abb., geb., 44,- DM.

Bernd Pfarr: "Gefährlicher Alltag". Edition Moderne, Zürich 1998. 40 S., Abb., geb., 29,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr