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Der dritte Band der Kommentierten Studienausgabe präsentiert erstmals das gesamte lyrische Werk von Emmy Hennings.Das umfangreiche lyrische Werk von Emmy Hennings wird in diesem Band erstmals vollständig publiziert - ihre zu Lebzeiten veröffentlichten Gedichte sowie die unveröffentlichten aus dem Nachlass - und in seiner beeindruckenden stilistischen Spannbreite erschlossen: Auf Kabarettlieder folgt expressionistische und dadaistische Lyrik, die zugleich romantische und religiöse Tendenzen aufweisen. Hennings« Gedichte stehen dem Volkslied, dem Chanson und der Liturgie gleichermaßen nahe und…mehr

Produktbeschreibung
Der dritte Band der Kommentierten Studienausgabe präsentiert erstmals das gesamte lyrische Werk von Emmy Hennings.Das umfangreiche lyrische Werk von Emmy Hennings wird in diesem Band erstmals vollständig publiziert - ihre zu Lebzeiten veröffentlichten Gedichte sowie die unveröffentlichten aus dem Nachlass - und in seiner beeindruckenden stilistischen Spannbreite erschlossen: Auf Kabarettlieder folgt expressionistische und dadaistische Lyrik, die zugleich romantische und religiöse Tendenzen aufweisen. Hennings« Gedichte stehen dem Volkslied, dem Chanson und der Liturgie gleichermaßen nahe und vermitteln existenzielle Grenzerfahrungen wie Liebe, Hunger, Exil, Krieg und Gottsuche mit ergreifender Schlichtheit und Direktheit. Neben einem Verzeichnis der mehr als 900 Varianten und Lesarten der Gedichte enthält der Anhang Sachhinweise und einen detaillierten Kommentar zur Entstehung. Im Nachwort werden der biografische Hintergrund, Bezüge zur modernen Lyrik sowie die zeitgenössische Rezeption aufgezeigt.
Autorenporträt
Emmy Hennings (1885-1948), geb. in Flensburg, war zunächst Schauspielerin und Vortragskünstlerin an Varietés und Kabaretts, später Lyrikerin und Schriftstellerin und nach dem Tod ihres Mannes Hugo Ball dessen Biografin und »lebendiger Nachlass«. Viele ihrer Texte sind verstreut in Zeitungen erschienen oder längst vergriffen. Nun können sie neu entdeckt werden.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.06.2020

Aus der großen Kugel fallen
Eine hervorragend edierte Studienausgabe ihrer Gedichte befreit
Emmy Hennings vom Ruf der Femme fatale und zeigt sie als Mystikerin
VON NICO BLEUTGE
Am 4. Februar 1916 erschien in der Neuen Zürcher Zeitung eine Vorankündigung folgenden Inhalts: „Künstlerkneipe ,Voltaire‘. Am Samstag abends 8 Uhr werden im Saale der ,Meierei‘ (Spiegelgasse 1) aus eigenen Werken lesen: die Herren Rudolf Anders und Hugo Ball sowie Frau Emmy Hennings. Frl. Riesa Helm singt Lieder am Flügel, Frau Hennings Lieder zur Laute.“ Auch wenn sich der Berichterstatter der NZZ in seiner wenige Tage später veröffentlichten Besprechung des Abends vor allem für das „aus sechs russischen Herren bestehende Balalaika-Orchester mit Gitarrenbegleitung“ begeisterte – Emmy Hennings wurde schnell als der leuchtende Stern der Veranstaltung ausgemacht. „Man liebt sie unaussprechlich“, notierte Hugo Ball nur wenige Wochen nach der Premiere.
Aus der „Künstlerkneipe ,Voltaire‘“ sollte das berühmte Cabaret Voltaire werden. Hier wurden nicht nur Gedichte rezitiert und Chansons gesungen, hier wurde auch der Dadaismus aus der Taufe gehoben. Hugo Ball trug seine Lautgedichte vor und Richard Huelsenbeck schlug die Trommel, nicht zuletzt gegen den Krieg und für eine andere Vorstellung von Kunst. Dabei war die Rollenzuschreibung von Beginn an klar. Die Frauen, allen voran Emmy Hennings, wurden hauptsächlich als Sängerinnen und Musen wahrgenommen, die „kleine zärtliche Chansons“ vortragen, die Würdigung als Avantgarde-Dichter blieb den Männern vorbehalten, neben Hugo Ball und Tristan Tzara etwa Hans Arp oder Klabund.
Emmy Hennings war sich dieser Projektionen bewusst. Und sie waren ihr eine vertraute Erfahrung. Schon in den Jahren zuvor, während ihrer Zeit in Berlin und München, hatte man sie vornehmlich als Chansonette gesehen. In ihren Kabarettauftritten oder in Briefen hat sie solche Zuschreibungen genau reflektiert. Heute noch wird sie immer wieder als „Star der Münchener Bohème“ oder der Züricher Szene bezeichnet, gerne mit Verweis auf ihre „erotische Ausstrahlung“ und das Klischee einer unersättlichen Lust auf das Leben. Dahinter steckt nicht selten ein nur lose kaschierter Vorwurf gegenüber Hennings’ Lebensführung: dass sie Drogen nahm und ihren Lebensunterhalt zeitweilig mit Prostitution verdienen musste, dass sie vor der Beziehung mit ihrem späteren Ehemann Hugo Ball jahrelang als Wanderschauspielerin unterwegs war und wegen des Verdachts auf „Beischlafdiebstahl“ und Hilfe zur Desertion mehrere Monate im Gefängnis saß.
Völlig in Vergessenheit gerät über solche Deutungen, wie intensiv sich Emmy Hennings mit den Rollenbildern ihrer Zeit und den Widersprüchen bürgerlicher Moral auseinandergesetzt hat, wie gewollt der Lebensentwurf eines dauernden Unterwegsseins war. Erst recht aber wird verdrängt, was für eine großartige Dichterin sie war. Schon in ihrem Erstling „Die letzte Freude“ von 1913 schreibt sie intensive „Ätherstrophen“, die sich wie ein positiv aufgeladenes Gegenstück zu Jakob van Hoddis’ expressionistischer Phantasmagorie „Weltende“ lesen lassen: „Jetzt muss ich aus der großen Kugel fallen. / Dabei ist in Paris ein schönes Fest. / Die Menschen sammeln sich am Gare de l’est / Und bunte Seidenfahnen wallen.“ Allerdings ist ihren Versen von Beginn an ein Nachdenken über die Zeit eingezogen, über Traumzustände und die Wahrnehmung der Nacht.
Dazu kommt eine mit Verlassenheits- und Einsamkeitsfantasien verknüpfte lebenslange Sehnsucht, die mal der Wunsch nach einer umfassenden Einheit aller Momente ist, mal nichts als eine „Sehnsucht nach der Sehnsucht“. Wolkig wirken die Verse glücklicherweise nie. Hennings schließt romantisches Vokabular mit nüchternen Gegenwartswörtern wie „Möbel“ oder „Krankenhaus“ kurz, sie spielt mit dem Rhythmus und verwendet Einsprengsel von Seemannsliedern, die ihr aus ihren Kabarettprogrammen vertraut sind.
All diesen „verlorenen Paradiesen“ kann man jetzt in einem schön gemachten Band nachgehen. Nicola Behrmann, die schon in einem sehr lesenswerten Buch versucht hat, Hennings aus den Geschlechterklischees und Verdrängungsbewegungen der Rezeption herauszulösen und sie als Dichterin in die Geschichte der Avantgarde einzuschreiben, hat mit ihren Kolleginnen eine Studienausgabe zusammengestellt. Darin sind nicht nur jene Gedichte enthalten, die zu Hennings’ Lebzeiten erschienen sind, sei es in ihren drei Einzelbänden, sei es in Zeitschriften oder Anthologien, sondern auch alle Gedichte aus dem Nachlass und eine Handvoll Prosaskizzen, die sie vermutlich zwischen 1913 und 1917 geschrieben hat. Anhand der aufgelisteten Varianten und kleiner Kommentare kann man die Entstehung der Gedichte nachvollziehen.
„Die Berge Jütlands und blaue Heide / Und in Vaters Hof fielen manchmal die Sterne“, heißt es in einem Gedicht. Tatsächlich waren die Berge Jütlands die Ostseeküste, und der Vater war im Schiffsbau beschäftigt, als Emmy Hennings 1885 in Flensburg zur Welt kam. Schon mit 16 verließ sie die Familie, heiratete früh, bekam ein Kind, ließ sich bald wieder scheiden und zog mit wechselnden Theatergruppen durch die Lande. Als sie später im Münchener „Simplicissimus“ als Kabarettistin bekannt wird, verdichten sich die inneren und äußeren Spannungen und sie konvertiert zum Katholizismus.
Die Hinwendung zur Religion ist eine einschneidende Erfahrung, die auch in die Gedichte einwandert. Die lebenslange Sehnsucht erscheint nun immer wieder als eine Sehnsucht nach Gott. Hennings liest Texte der mittelalterlichen Mystik, von Meister Eckhart etwa oder Mechthild von Magdeburg, und verwandelt sich deren sprachliche Mittel für ihre Gottsuche an. Ziel der mystischen Bewegung ist die Verschmelzung mit dem Anderen. Es ist eine Erfahrung, die sich, eben weil es um das Aufheben jeder Unterscheidung geht, der vermittelnden Sprache eigentlich entzieht.
Um das Erlebnis der mystischen Unio aber doch teilen zu können, haben die Mystikerinnen und Mystiker nach sprachlichen Wegen gesucht, die Momente dieser Erfahrung in sich tragen. Paradoxien und Fragen sollen etwas von der Widersprüchlichkeit der ekstatischen Bewegung zeigen, Metaphern und Vergleiche ihre Strahlkraft andeuten, Litaneien und andere Arten von Wiederholung den meditativen Charakter der mystischen Erfahrung in die Form des Sprechens einsenken. Bei Emmy Hennings klingt es so: „Ich singe die Unendlichkeit! / O Zeit, bist du so eingeschneit? / So weiß gesungen, rosenrot! / Du Frucht der Liebe, Blut vom Tod! / Hör mein Verschwörerlied zur Nacht! / Tiefe im Tag, nachthell entfacht. / Wie bist du weinend, wie lächelnd erwacht ...“.
Es ist spannend zu beobachten, dass Hennings zwar tief in die religiöse Bildsprache eintaucht, die religiösen Motive aber auch ein ums andere Mal übersteigt. So wird Maria bisweilen weniger als „Mutter mit der Dornenkrone“ oder als Inbegriff einer traditionellen Vorstellung von Weiblichkeit besungen, sondern als Bild für die ersehnte Ganzheit, als „Saum der Allmacht“ oder „Wiege des Lichtes“. Und fast möchte man meinen, die Suche nach Gott sei manchmal mehr noch eine Suche nach dem perfekten Vers: „Wenn du nicht Sehnsucht hast nach mir, / Wie könnt ich sehnen mich nach dir? / Du süßer Gott, o himmlisches Gedicht! / Was denkt dich an? Sieh mein Gesicht!“ Gott erscheint hier als Gedicht, doch scheint nicht zugleich das Gedicht ein Gott zu sein?
Noch länger als ihre mystischen Metamorphosen aber wirken jene Verse nach, in denen sich Hennings von den liedhaften Formen löst und nicht nur funkelnde Bilder entwirft, sondern auch einen Rhythmus mit zahlreichen Wechseln. „Einmal deuteten unsere Prismaaugen den Regenbogen“, setzt ein Ensemble wundersamer Langzeilen ein. So wie in den Prismaaugen die Wahrnehmungen unterschiedlich stark gebrochen werden, spaltet sich die Rede in verschiedene Sprechweisen auf und macht diese Sprechweisen ihrerseits zum Thema: „Wir verstanden das Murmeln der Geister in den Goldquellen / Und erwiderten die Schneeflockensprache, die aus der Höhe sank.“ Es ist ein Gedicht über den Baum der Erkenntnis und den Verlust des Paradieses. In einer großartigen Paradoxie finden die Verse gerade dort zu Metrum und Reim, wo sich Grübelei und „Suchersehnsucht“ ausbreiten. Und nicht von ungefähr reimt sich nun „Wahn“ auf „Sternenbahn.“
Man muss die vielen Traumreisen, Mariengedichte und „kleinen Heimwehlieder“ mögen, die Hennings in ihren späteren Jahren geschrieben hat. Das Gefühl des Anders- und Alleinseins, das sie auch in ihrer Prosa entfaltet, durchzieht nun beinahe jeden Vers. Souveränitätsgesten, wie man sie zur selben Zeit etwa bei Else Lasker-Schüler finden kann, sind ihr fremd. Doch gerade so entsteht eine Dichtung, die in ihrer Brüchigkeit modern ist. Emmy Hennings stirbt 1948. In ihren letzten Gedichten inszeniert sie ein Sprechen der „Sterne und Menschen“, das sich immer schon fremd ist – und das auf die Erinnerung setzt: „O, diese Wechselmelodie / Mein Lied, das rasch der Wind verstreicht, / Das in mir lag, vergess ich nie. / In Kinderschuhen hüpft sichs leicht.“
Emmy Hennings: Gedichte. Herausgegeben und kommentiert von Nicola Behrmann und Simone Sumpf. Unter Mitarbeit von Louanne Burkhardt. Mit einem Nachwort von Nicola Behrmann. Wallstein Verlag, Göttingen 2020. 698 Seiten, 38 Euro.
Ihr Lebensentwurf war gewollt,
mit den Rollenbildern ihrer Zeit
hat sie sich intensiv beschäftigt
„Und erwiderten die
Schneeflockensprache, die aus
der Höhe sank“
Vom Star des „Cabaret Voltaire“, dieser Wiege des Dada,
zur ernsten Dichterin, der Souveränitätsgesten fremd blieben: Emmy Hennings.
Foto: Otto Umbehr/ullstein bild via Getty Images
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Martin Oehlen feiert gleich die gesamte Studienausgabe mit den Werken von Emmy Hennings. In dem nun vorliegenden dritten Band mit den Gedichten begegnet der Rezensent sowohl Hennings' katholischer Prägung wie auch einer grundsätzlichen Abgründigkeit. Deutlich wird für ihn allemal, dass Hennings viel mehr war als nur die bekannte Dada-Muse. Die Ausgabe hält Oehlen für eine "Fundgrube", mit Sorgfalt ediert und kommentiert, reich an Quellen zur Wirkungsgeschichte und an Bilddokumenten, wie er schreibt. Zur besseren Orientierung hätte sich Oehlen eine Tabelle mit den Lebensdaten der Dichterin gewünscht.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Eine hervorragend editierte Studienausgabe ihrer Gedichte befreit Emmy Hennings vom Ruf der Femme fatale und zeigt sie als Mystikerin.« (Nico Bleutge, Süddeutsche Zeitung, 15.06.2020) »Es ist höchste Zeit, (Emmy Hennings) als eigenständige Lyrikerin wahrzunehmen.« (Florian Bissig, NZZ Bücher am Sonntag, 31.05.2020) »Das Werk Emmy Hennings' ist noch immer zu entdecken.« (Michael Braun, Neue Zürcher Zeitung, 22.04.2020) »Erstmals liegen nun Hennings sylphidenhafte Gedichte in gesammelter Fassung vor. Endlich!« (Björn Hayer, Berliner Zeitung, 25./26.04.2020) »Solche Gedichte, die (man darf und muss es ganz unironisch festellen) vor allem zu Herzen gehen, die braucht es auch heute, vielleicht mehr denn je.« (Timo Brandt, Fixpoetry, 31.03.2020) »Die Studienausgabe - besonders der vorliegende Gedichtband - ist der ernsthafte und gelungene Versuch, Emmy Hennings der Vergessenheit zu entreißen und ihr wieder ein Publikum zu verschaffen.« (Manfred Orlick, literaturkritik.de, 14.05.2020) »erst die kürzlich erschienene, akribisch kommentierte Studienausgabe ihrer Gedichte hat nun Texte und Materialien bereitgestellt, die das Bild der in 'Vielfachheiten' zerrissenen Poetin genauer beleuchten« (Michael Braun, Deutschlandfunk Büchermarkt, 09.07.2020) »Gut, dass man (...) Sprachfunken in Hennings' lyrischem Werk mit dieser Ausgabe nun aufspüren kann.« (Mirjam Springer, Arbitrium, Dezember 2021)