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Das Jahrhundert erinnern! Gedächtniszeiten versammelt wichtige Beiträge Diners zum Thema Geschichte und Erinnerung, Gesellschaft und Gedächtnis, sowie der methodischen Umsetzung hybrider Kulturerfahrung im Prozeß nachholender Säkularisierung. Dabei legen seine Forschungen stets Vergleichs- und Verschmelzungshorizonte von Orient und Okzident gleichermaßen zugrunde. Diners luzide Rekonstruktionen der historischen Diskurse, die um Vorherrschaft im kollektiven Gedächtnis ringen, sind Bausteine einer Gedächtnisgeschichte des 20. Jahrhunderts.
Dan Diner ist wie kaum ein anderer Historiker unserer
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Produktbeschreibung
Das Jahrhundert erinnern!
Gedächtniszeiten versammelt wichtige Beiträge Diners zum Thema Geschichte und Erinnerung, Gesellschaft und Gedächtnis, sowie der methodischen Umsetzung hybrider Kulturerfahrung im Prozeß nachholender Säkularisierung. Dabei legen seine Forschungen stets Vergleichs- und Verschmelzungshorizonte von Orient und Okzident gleichermaßen zugrunde. Diners luzide Rekonstruktionen der historischen Diskurse, die um Vorherrschaft im kollektiven Gedächtnis ringen, sind Bausteine einer Gedächtnisgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Dan Diner ist wie kaum ein anderer Historiker unserer Zeit gleichermaßen mit der jüdischen, der islamischen und der westlich-europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts vertraut. In seinen Arbeiten hat er sich stets besonders für die historischen Erfahrungen in einem Jahrhundert der Gewalt, der Minderheitenerfahrung, der Vertreibungen und des Völkermords befasst. Denn der spezifische politische und kulturelle Umgang mit dem Erbe der Geschichte ist nicht nur ein Schlüssel für das Verstehen des 20. Jahrhunderts, er gibt immer auch Auskunft über unsere eigene Gegenwart.

Autorenporträt
Dan Diner, geboren 1946, lehrt Moderne Geschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem und war bis vor Kurzem Direktor des Simon-Dubnow-Instituts für Jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig. Seit 1999 ist er Direktor des Simon-Dubnow-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur. Als ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig steht er dem in Verbindung mit dem Simon-Dubnow-Institut durchgeführten Forschungsprojekt "Europäische Traditionen Enzyklopädie jüdischer Kulturen" vor.2006 wurde Dan Diner mit dem Ernst Bloch-Preis der Stadt Ludwigshafen am Rhein ausgezeichnet; im Jahr 2007 erhielt er den italienischen Premio Capalbio in der Sektion Internationale Politik. Als Gastprofessor wirkte er an Universitäten und Forschungsinstituten in Kassel, München, Wien, Urbana-Champaign, Luzern, Oxford und Princeton.
Rezensionen
"Hier wie im ganzen Buch fällt auf, daß der Autor zu schreiben versteht, jedes Wort abwägt und seinem Stil die vornehme Gelassenheit gibt, die einen Historiker auszeichnen sollte, auch wenn er unter "der epistemischen Herausforderung des Holocaust" Geschichtsschreibung betreibt. Allen Artikeln ist gemeinsam, daß sie den Raum des Übergangs von Europa in den Vorderen Orient behandeln, sei dieser islamisch, jüdisch oder byzantinisch." (Friedrich Niewöhner, FAZ, 24. März 2003)

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.2003

Als wären es Stücke für heute
Geschichten zum Judentum: Dan Diners historische Miniaturen

Dan Diner, Direktor des Simon-Dubnow-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig, legt mit diesem Buch fünfzehn Aufsätze "Über jüdische und andere Geschichten" vor. Neun dieser bisher nur verstreut zugänglichen Arbeiten behandeln das Judentum und die israelische Geschichtsschreibung, drei sind dem Islam gewidmet und drei der westeuropäischen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Themen, die Diner erörtert, sind zum Teil akademisch-historisch, zum Teil berühren sie aber auch Fragen, die gemeinhin ohne Erregung heute nicht abgehandelt werden. Einer dieser Artikel beschreibt den "Judenrat" der Konzentrationslager als Grenzsituation unter der Überschrift: "Jenseits des Unvorstellbaren." Diner behandelt dieses nach dem Eichmann-Prozeß 1961 besonderes von Hannah Arendt provozierte Thema jedoch ohne Pathos, mit guten Formulierungen und aus einer Distanz heraus, die den Leser geradezu zwingt, seine Gedanken nachzuvollziehen.

Hier wie im ganzen Buch fällt auf, daß der Autor zu schreiben versteht, jedes Wort abwägt und seinem Stil die vornehme Gelassenheit gibt, die einen Historiker auszeichnen sollte, auch wenn er unter "der epistemischen Herausforderung des Holocaust" Geschichtsschreibung betreibt. Allen Artikeln ist gemeinsam, daß sie den Raum des Übergangs von Europa in den Vorderen Orient behandeln, sei dieser islamisch, jüdisch oder byzantinisch.

Diner macht deutlich, daß gerade der Blick auf die jüdische Geschichte und die Geschichten der verschiedenen Judenheiten eine historische Perspektive erfordert, die über das gängige Paradigma des Nationalstaates hinausweist. Die transnationalen und transterritorialen jüdischen Lebenswelten und Migrationen ziehen "gleichsam notgedrungen eine umfassende Sichtweite auf Geschichte nach sich". Aber gerade wegen der räumlichen und zeitlichen Ubiquität seines Gegenstandes ist der Historiker der jüdischen Geschichte auch gezwungen, das Allgemeine aus der Perspektive des Besonderen und des Einzelnen zu behandeln. So bewegt sich der Historiker Diner immer auf Grenzen, sie verständlich machend, indem er sie überschreitet.

Da die Geschichte Europas heute nicht mehr wie bei der Neubegründung der Geschichtsschreibung im neunzehnten Jahrhundert auf der Basis sich divers etablierender nationaler staatlicher Gemeinwesen gedeutet, sondern eine integrierte europäische Historik angestrebt wird, bekommt die Geschichte der Juden für diese eine geradezu exemplarische Bedeutung: die Erforschung der (vormodernen) jüdischen Bevölkerungen Europas in ihrer Transnationalität und Transterritorialität kann zum Vorbild einer (modernen) Geschichtsschreibung in Europa werden, welche die übernationalen europäischen Gemeinsamkeiten im Blick hat. So gesehen sind Diners historische Miniaturen nicht nur belehrend, sondern in ihrer europäischen Geschichtsschreibung zugleich wegweisend.

Diner ist auch Professor für Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem, und so beschäftigen sich auch zwei Aufsätze mit israelischen Problemen. Vor sieben Jahren hatte ein israelischer Historiker seinem Buch über die "Wende in Israel" den Untertitel "Zwischen Nation und Religion" hinzugefügt - von der Nation ist bei Diner jedoch kaum, von der Religion gar nicht die Rede. Er kontrastiert in sehr dichten geschichtsphilosophischen Reflexionen das zionistische ("yishuvistische") israelische Selbstverständnis mit dem, das sich aus der Vernichtung des europäischen Judentums ableitet, dem "shoazentrischen". Da beide Deutungsmuster eine sinnstiftende Funktion für das kollektive israelische Gedächtnis haben und somit "einer Wahrnehmung falscher Homogenität erliegen", konstatiert Diner, daß "wirkliche Historisierung noch ansteht".

Diner selbst schlägt vor, in diesen Fragen den ostjüdischen "Displaced Persons" im Westen nach 1945 größere Aufmerksamkeit zu widmen, denn er vermutet, daß diese jüdische Wanderungsbewegung "zum eigentlichen Hebel der Errichtung des Staates Israel" wurde. Dem Leser dieser Ausführungen wird deutlich, mit welchen Schwierigkeiten die Geschichtsschreibung in einem Land verbunden ist, das zwar nicht in, aber doch von Europa ist und das sich noch immer auf der Suche nach der eigenen Legitimität befindet. Erst eine friedliche Einigung mit den Palästinensern könnte diese Suche - vielleicht - beenden, denn ein solcher Frieden wäre nicht mehr von Europa, sondern in Palästina.

Von einem Buch, das "jüdische Geschichten" thematisiert, erwartet man eigentlich, in ihm auch etwas über die jüdische Religion zu finden. Doch vermeidet Diner es, von dieser zu sprechen, und das hängt mit seinem eigenen Standpunkt zusammen. Vorbild für ihn ist John Locke und dessen "Brief über die Toleranz" (1685/86), in dem die Konversion der Religion in Konfession thematisiert wird. Diner meint, daß nur eine "Protestantisierung der Religion", das heißt ihre Abspaltung von der Politik, Toleranz ermöglichen könne. Religion wird damit notwendig zu Religiosität und einer Sphäre des Privaten. Toleranz kann nämlich nur dort geübt werden, wo die Bedingungen für Intoleranz aufgehoben sind. Die Vermischung von Religion und Politik ist sicher solch eine Bedingung. Diner hat allein den Islam im Blick, doch die derzeitigen weltpolitischen Konstellationen zeigen, daß John Lockes Überlegungen zur Toleranz auch für den Westen von bleibender Geltung sein können.

FRIEDRICH NIEWÖHNER

Dan Diner: "Gedächtniszeiten". Über jüdische und andere Geschichten. C. H. Beck Verlag, München 2003. 296 S., br., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.04.2003

Die goldene Zeit der Vielvölkerreiche
Aus der Tiefe des Raumes: Dan Diner schaut von Odessa, Istanbul, Israel aus auf die Geschichte Europas
Professoren haben es nicht leicht. Die meiste Zeit verbringen sie damit, Seminare und Vorlesungen vorzubereiten. Dazu kommen Studentenbetreuung und Verwaltungsaufgaben. Da bleibt kaum Zeit für die Forschung. Und noch weniger, schöne Bücher zu schreiben. Angesichts dessen verfallen manche auf eine List. Sie werden zu Meistern des intellektuellen Recyclings. Kleinere Forschungsarbeiten, bereits in Fachzeitschriften oder Sammelbänden veröffentlicht, stellt man geschwind zu einem neuen Buch zusammen. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Nur sind leider die versammelten Beiträge mitunter von bestenfalls mittlerer Qualität, Bedeutung und Sprachkraft. Oft kommt es zu peinlichen Wiederholungen. Nicht alles, was als Fachaufsatz überzeugen konnte, macht sich gut im Buch.
Vor diesem Hintergrund erhebt sich strahlend das neue Buch von Dan Diner. Die meisten Kapitel darin sind Fachleuten bekannt. Dennoch wirkt diese Aufsatzsammlung, als sei sie weitgehend aus einem Guss. Der Leser hält ein veritables Lesebuch zur europäischen Geschichte in der Hand. Diese Geschichte Europas nimmt ihren Gegenstand von seinen östlichen Rändern her in den Blick. Auch das ist Europa, und es ist wichtig, dass einer daran erinnert.
Diners Buch, das sei nicht verschwiegen, ist nicht ohne Makel. Das Einleitungskapitel ist eine sprachliche Zumutung. Von Theoriejargon und Neologismenbildung getrieben, erkundet es die Grenzen des grammatisch Zulässigen. Diner setzt Gedächtnis gegen Gesellschaft und sieht in der Gedächtnisgeschichte das kommende Paradigma der Historiographie. Doch die Gedächtnisgeschichte ist längst en vogue und mag ihren Höhepunkt bereits überschritten haben. Vor allem aber ist das, was Diner mit dem Begriff Gedächtnis zu fassen sucht – „eine simultan wirksame übergreifende Vielfalt von Vergangenheiten” –, weder der Geschichtswissenschaft völlig neu noch ausschließlich mit dem Gedächtnis-Begriff verknüpft.
Urban, mobil und vormodern
Diese kleinen Unebenheiten schmälern jedoch nicht die Bedeutung des von Diner Dargebotenen. In der Mitte des Bandes stehen einige klassische Arbeiten. 1984 erstmals verfasst, vollzieht ein einfühlsamer Beitrag nach, wie Max Horkheimer sich mit Auschwitz auseinander setzte. Diners Aufsatz ist noch immer die wichtigste Untersuchung dazu. Allerdings hätte es dem mehrfach wiederabgedruckten Text gut getan, wäre er endlich einmal auf den neuesten Stand gebracht worden. Diners Studie über die Judenräte ist ein wahrhafter Klassiker. Er liest sich so frisch wie am ersten Tag, packend, ergreifend, die moralischen und historiographischen Dilemmata auslotend.
Diese und andere Texte fügen sich ein in eine größere Leitlinie, die Diners Buch durchzieht. Es handelt sich um die Geschichte eines Raumes – Europa. Statt komparativ die Geschichten europäischer Nationen zu bearbeiten, meint es Diner ernst mit der Herausforderung einer integrierten europäischen Geschichte. Diese Geschichte tritt aus dem Raum hervor. Indem Diner die Geschichte Europas von der Peripherie, von Odessa, Istanbul oder Israel aus erzählt, gewinnt er einen neuen Blick auf vertraute Phänomene. Ob es sich um die Orientalische Frage des 19. Jahrhunderts, die Minderheitenpolitik nach dem Ersten Weltkrieg oder um die Erinnerungskultur in Deutschland oder Israel handelt: Es kommt darauf an, von wo aus man darauf blickt.
Diners naheliegender Kunstgriff ist es, diese Fallstudien einer integrierten europäischen Geschichte als Geschichte der Juden vorzutragen. Juden lebten nun einmal sowohl im Orient wie im Osten und Westen Europas. Diner zieht aus seinen Untersuchungen folgenden Schluss: Angesichts der Besonderheiten jüdischer Geschichte „mag es nicht verwundern, wenn durch eine verlängerte Geltung vormoderner Traditionsbestände und mittels langzeitlicher Einkerbungen ein von Textualität, Urbanität, Mobilität und Transterritorialität durchwirkter Habitus sich einstellt, der sich von den durch Homogenisierungsschübe im 19. und 20. Jahrhundert sich ethnisch verfestigenden und territorial verhärtenden Strukturen etatistisch verfasster Bevölkerungen unterschied. Dabei weisen seine vormodernen Anteile zu postmodernen Formen ein hohes Maß an Affinität auf.”
Diner kann an der jüdischen Geschichte drei Hauptlinien europäischer Geschichte herausarbeiten: Erstens die Konfessionalisierung im Westen, die das Judentum wie die christlichen Religionen auch in einen privaten Glauben verwandelte, was die Bildung des modernen, individualistischen und toleranten Verfassungsstaates ermöglichte. In Osteuropa dagegen führte die Säkularisierung zu einem ethnisch-nationalen Verständnis des Judentums. Dieser Gegensatz prägt noch heute das israelische Selbstverständnis. Zweitens die innerjüdische Diplomatie, die bereits im 19. Jahrhundert humanitäre Interventionen zugunsten unterdrückter jüdischer Minderheiten herbeiführte. Drittens die Migrationsbewegungen von Osten nach Westen und schließlich nach Übersee.
Umklammert werden diese Ergebnisse von der Einsicht, dass die europäische Geschichte nach dem Ende des nationalen Homogenisierungwahns wieder an vormoderne, transnationale Traditionen anknüpfen kann. Daher kommt Diners sympathische Vorliebe für die Vielvölkerreiche. Besonders das Osmanische Reich hat es ihm angetan. Wen wundert es: Wenn sie sich an gewisse Regeln hielten, konnten alle Minderheiten unter diesem imperialen Dach glücklich werden.
TIM B. MÜLLER
DAN DINER: Gedächtniszeiten. Über jüdische und andere Geschichten. C. H. Beck Verlag, München 2003. 290 Seiten, 26,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Friedrich Niewöhner lobt dieses Buch, das 15 Aufsätze über jüdische, islamische und westeuropäische Geschichte des 20. Jahrhunderts enthält, sehr. Die sorgfältige "jedes Wort abwägende" Sprache des Autors gefällt ihm gut, was besonders bei dem Aufsatz über den von den Nazis eingesetzten "Judenrat" der Konzentrationslager hilfreich ist, weil er durch sprachliche Distanz die Leser zum Nachvollziehen der Gedankengänge "geradezu zwingt", wie der Rezensent angetan bemerkt. Er betont, dass Diners Art der Geschichtsschreibung "wegweisend" sei, weil die Darstellung von "Transnationalität und Transterritorialität" der jüdischen Bevölkerung Europas für die "europäische Historik" exemplarisch sei. Bei den Beiträgen zur israelischen Geschichtsschreibung werde für den Leser zudem "deutlich", wie schwierig dieses Unterfangen bei einem Land sei, das immer noch im Prozess der "Suche nach der eigenen Legitimität" stecke, so der Rezensent zustimmend.

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