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Georgina Hammicks Erzählungen erzählen von Demütigung und Tod, von Verrat, Reue und anderen Alltäglichkeiten - im Leben einer Frau. Im Leben von Lettice Pomfrey etwa, die Erfahrungen mit ihrem vierten Gynäkologen und ihrer dritten Spirale macht und damit, wie es ist, ohne Unterhosen inmitten einer Teeparty auf dem Präsentierteller zu liegen. Wir lernen Antonia Penrose kennen, die eines Tages ihren glamourösen Jugendtraum in einem Eimer 1001 ertränkt. Und die betuchte Cecily Bressingham begleiten wir auf dem Heimweg vom Friseur. Dabei erfahren wir, wie die englische Upper Class ihr soziales Rettungsbedürfnis an einem alten Pärchen in die Tat umsetzt.…mehr

Produktbeschreibung
Georgina Hammicks Erzählungen erzählen von Demütigung und Tod, von Verrat, Reue und anderen Alltäglichkeiten - im Leben einer Frau. Im Leben von Lettice Pomfrey etwa, die Erfahrungen mit ihrem vierten Gynäkologen und ihrer dritten Spirale macht und damit, wie es ist, ohne Unterhosen inmitten einer Teeparty auf dem Präsentierteller zu liegen. Wir lernen Antonia Penrose kennen, die eines Tages ihren glamourösen Jugendtraum in einem Eimer 1001 ertränkt. Und die betuchte Cecily Bressingham begleiten wir auf dem Heimweg vom Friseur. Dabei erfahren wir, wie die englische Upper Class ihr soziales Rettungsbedürfnis an einem alten Pärchen in die Tat umsetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.07.1997

Gelassenheit hilft auch nicht weiter
Katastrophen der Mittelklasse: Georgina Hammicks Meistererzählungen · Von Walter Klier

Die 1939 geborene Engländerin Georgina Hammick unternimmt etwas, was so viele Autoren bei ihrer Suche nach dem auffallenden Sujet, der ausgefallenen Manier vergessen: Sie beschreibt ihre (und unsere) Welt, das Europa der neunziger Jahre. Bewohnt wird diese Welt von einer mittleren und in die mittleren Jahre gekommenen Mittelschicht, deren Eltern noch aus einer unteren Mittelschicht kamen. Man hat inzwischen fast erwachsene Kinder, von denen man in Sachen Umweltschutz und Engagement für die Dritte Welt terrorisiert wird, während eigentlich das Geschirr gewaschen und das Brennholz hereingetragen werden sollte. Zu Mittag erwartet man nämlich Gäste, und nichts ist fertig. Das ganze Haus (wie man weiß, wohnen Engländer in Häusern, nicht in Wohnungen) ist ein einziger Sauhaufen. Mrs. Nightingale, die Heldin der Geschichte "Gäste zum Essen", und ihre unmöglichen Kinder sind nämlich erst vor kurzem hier eingezogen, und irgendwie hat sie es noch nicht geschafft, alles auszupacken und einzuräumen.

Den Grund dafür erfahren wir gleich am Anfang der Geschichte: An dem Tag, da die "verfluchten Hendersons" um eins zum Essen kommen werden, ist es zwei Jahre her, daß Mrs. Nightingales Mann Edward mit Schmerzen in der Brust aufgewacht war und keine Luft bekam. "Als sie zum Telefon stolperte, das immer auf der anderen Seite des Bettes, bei Edward, stand, war Panik in ihr aufgestiegen. Wie sollte sie dem Arzt, der sicher noch im Bett lag und schlief, erklären, wie ernst es war, wenn Edward neben ihr lag und mithörte? Das war der Augenblick gewesen, als sie anfing zu zittern, und die Zähne in ihrem Mund klapperten wie Kieselsteine in einem Sack. Sie hatte das Telefonbuch auf den Boden fallen lassen und sich ein halbes dutzendmal verwählt. (Es stimmte nicht, daß ängstliche, zu Panik neigende Naturen in der Gefahr eiskalt wurden.)" Ein paar Stunden später war Edward tot gewesen.

Und so kämpft sich Mrs. Nightingale durch den Vormittag, um sich das Chaos, das, zumindest hat es den Anschein, die Kinder nicht nur nicht lindern helfen, sondern jedes auf seine altgewohnte Weise noch vermehren, und in sich die fotografisch genaue und minutenweise vorrückende Erinnerung an den Todeskampf ihres Mannes. Die Kinder scheinen an den schrecklichen Jahrestag keinen Gedanken zu verschwenden und behandeln die Mutter als ein etwas begriffsstutziges und, weil hinter der Zeit zurückgeblieben, schwer zu handhabendes Maskottchen. Doch dann, während Dave, der ungeschlachte und nutzlose Sohn, ihr aus dem sonntäglichen "Observer" von Mrs. Thatchers Schandtaten vorliest, merkt er plötzlich, welches Datum man schreibt.

Der Band "Verrückt nach dem Knaben" in der brillanten Übersetzung von Thomas Piltz enthält neun "Meistererzählungen", wie man früher auf das Titelblatt von Prosaanthologien geschrieben hat. Bloß untergründig, durch das Erzähltemperament und die Herkunft der Figuren zusammengehalten, entwirft jede dieser Short stories (kontinentaleuropäisch gesagt, Novellen) in klassischer Manier und von der kunstvollsten Sorte eine so geräumige Erzählwelt, daß sparsamere Autoren daraus einen ganzen Roman gestrickt hätten.

Das außergewöhnliche Ereignis, um das herum die jeweilige Geschichte gebaut ist, besteht manchmal aus dem Ausbleiben dessen, was die Hauptfigur (und mit ihr der Leser) erwartet, etwa der Autounfall der Tochter, die zum Geburtstagsessen zu spät kommt. In "Das Rollstuhl-Tennismatch" bietet dies den Anlaß für eine umwerfende Studie über Ängste, die Ängste der Frau um ihre Lieben, gegen die es kein Mittel gibt. Ohne Zweifel: "Tragödien geschehen. Angst ist keine Versicherung, und Gelassenheit ist kein Schutz." Im geballten Ansturm dieser Ängste - die sich zum tausendstenmal als unbegründet erweisen - geht das zweite "Ereignis" unter, nämlich das Ergebnis eines Arztbesuches ihres Mannes, so daß die Novelle in diesem Fall um zwei Negativa, zwei Leerstellen herum konstruiert ist, von denen die eine den Spannungsbogen liefert, die andere den Schluß, der dann aber ohne Erklärung abbricht und den Leser stehenläßt oder hinausstößt wie auf eine dunkle, kalte Straße.

"I'll teach you differences", heißt es in "King Lear", und nicht die geringste von Mrs. Hammicks vielfältigen Künsten besteht darin, die Fülle der feinen und weniger feinen Unterschiede, mit deren Hilfe die Gesellschaft sich formiert, darzustellen - als Quell von Komik und Grauen gleichermaßen. Drastischer als sonst geschieht das im Fall der sehr wohlhabenden Mrs. Bressingham, die ein Rentnerpaar nicht nur nötigt, ihr Picknick statt in der Ausweiche am Straßenrand im Park des Bressinghamschen Landsitzes zu halten, sondern auch, mit ihrer Familie den Tee zu nehmen, was eine kaum überbietbare Folge an Peinlichkeiten nach sich zieht.

Sollte bisher der Eindruck entstanden sein, daß hier der Schrecken herausgearbeitet wird, der im Alltäglichen, im zunächst Unauffälligen wohnt, dann soll dieser Eindruck nicht korrigiert, sondern dahin gehend ergänzt werden, daß die Unterschiede (von denen die eingangs erwähnte Mittelschicht und ihre Schriftsteller gerne behaupten, sie seien "heutzutage geschwunden") auch ein unerschöpfliches Reservoir von Komik bereithalten.

Da spricht eine Amerikanerin zwei britische Kinder an: "Meine Güte, ist das entzückend! Ich liebe euren Akzent. Er klingt so was von süß", worauf der Junge sagt: "Wir sind Engländer. Wir haben keinen Akzent." Mit staunenswerter Leichtigkeit führt Georgina Hammick das Kunststück vor, wie Leben sich in Kunst verwandeln kann und wie es, fast beiläufig, gelingt, das Anekdotische mit dem Allgemeingültigen zu verbinden. Sie entwickelt diese Kunst vor den Augen des Publikums auf hellerleuchteter Bühne, unter völligem Verzicht auf das ästhetisierende Brimborium, das sonst den Mangel an solcher Klarheit verdecken hilft.

Georgina Hammick: "Ganz wild auf den Knaben". Erzählungen. Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Piltz. Steidl Verlag, Göttingen 1997. 310 Seiten, geb., 44,- DM.

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