Produktdetails
  • Verlag: Hoffmann und Campe
  • Seitenzahl: 267
  • Abmessung: 215mm x 143mm x 28mm
  • Gewicht: 444g
  • ISBN-13: 9783455028058
  • ISBN-10: 3455028055
  • Artikelnr.: 23944312
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.10.1999

Freudlose Übernahme
Mehr Angebot als Nachfrage: Wolfgang Herles' Roman einer Fusion

Jacqueline Gruber-Beretti ist Beraterin bei McKinley & Co. Robert Sulzer ist Chief Executive Officer bei der Union Bank in Frankfurt. Die beiden kennen sich von gemeinsamen Studienzeiten an der Harvard Business School. Sie treffen sich wieder im Schnee von Davos beim World Economic Forum, wo sie sich Vorträge anhören zu Themen wie "Revitalizing global institutions" oder "Responding successfully to globalization".

Wer nach dieser Eröffnung den neuen Roman von Wolfgang Herles wieder zuschlägt, hat eine Entscheidung getroffen, die er nicht bereuen muss. Ein Allgemeinplatz jagt den nächsten, gehalten in einem deutsch-englischen Kauderwelsch zwischen Burn-out oder Branding the Future. Es sind Bilder, in denen viele Zeitgenossen sich die Welt der Hochfinanz und ihrer Akteure vorstellen, und es sind Mutmaßungen darüber, welche charakterlichen Deformationen ein solches Leben zur Folge habe.

Falsch muss das freilich nicht sein. Wer sich deshalb von der Davos-Episode nicht abschrecken lässt, wird auf den übrigen Seiten des Buches immerhin einigermaßen gut unterhalten, noch dazu in einem raschen Erzähltempo. Sulzer, der Held, verschwindet nach der Davos-Episode zunächst von der Bildfläche, und Jacqueline, die früher nicht nur mit ihm studiert, sondern ihn auch irgendwie begehrt hat, darf ihn suchen. Sie findet heraus, dass der Banker den Auftrag hatte, über die Fusion seines Kreditinstituts mit einer britischen Bank zu verhandeln, dass diese Verhandlungen schon fast zum Erfolg gekommen waren, plötzlich aber ein unfreundliches Gegenangebot einer anderen Bank auftauchte, das die ganze Geschichte durcheinander brachte. Aus dieser Verwicklung kann die Union Bank sich schließlich nur durch "weißen Ritter" retten: Sie nähert sich einem Schweizer Versicherungskonzern an und schließt sich mit diesem zu einem Allfinanzkonzern zusammen.

Wolfgang Herles ist ein Hansdampf in vielen Medien-Gassen. Er war erfolgreicher Korrespondent beim ZDF und hat wenig erfolgreich die eine Talkshow moderiert. Zugleich hat er sich als essayistischer Autor und als Filmemacher ordentlicher Unternehmerporträts hervorgetan. Zu all diesen Neigungen hat Herles jetzt seine Berufung zum Schriftsteller entdeckt: Vor drei Jahren hat er mit "Eine blendende Gesellschaft" die Bonner Welt der politischen Eliten in eine kurzweilige Melange gegossen. Das Personal von " Fusion" tummelt sich jetzt in den Kapitalen des Kapitals, in Frankfurt und London, mitunter auch in den Höhen der Schweizer Berge oder in den Niederungen der Toskana und gibt Einblick in die Machtspiele geld- und karrierewilder Männer. Das mag oberflächlich geschildert sein; ganz daneben ist es nicht.

"Fusion" ist eine Unternehmensgeschichte, eine Kriminalgeschichte und eine erotische Geschichte. Das ist ein bisschen viel, hat aber den Vorteil, dass unterschiedliche Leserinteressen befriedigt werden. Einen Nachteil hat die Sache freilich doch: Herles hat sich übernommen, die drei Genres vermögen in ihrer Addition nicht zu überzeugen. Am plausibelsten sind die Unternehmensgeschichten. Tatsächlich verläuft die Dynamik vieler Fusionen, die seit einiger Zeit die Wirtschaftwelt fast täglich erregen, so ähnlich, ähnlich irrational, und zuweilen fast noch spannender, als Herles' Roman-Szenario sie zeichnet. Das Management von Telecom Italia suchte in einem der großen realen Unternehmensdramen dieses Frühjahrs gegen die unfreundlichen Annäherungen von Olivetti Hilfe beim deutschen "Ritter" Ron Sommer, was freilich die Aktionäre des italienischen Telekommunikationsunternehmens wenig überzeugte: Olivetti kam zum Zug und feuerte - häufig erste Fusionskonsequenz - das gesamte Top-Management der Telecom Italia.

Der Interessen- und Rollenkonflikt zwischen Anteilseignern, Management und Belegschaft gehört zur Natur der Unternehmensverfassung. Bei Fusionen kommt er zur Darstellung: Herles hat Aspekte davon dramatisiert. Selbst wenn er dies reduziert auf die Frage, wer nach Abschluss der Fusion die Nummer eins als Vorstandsvorsitzender wird - gänzlich falsch ist diese Engführung auf den Wettbewerb der Männer um die Macht nicht. Daimler-Chrysler, Deutsche Bank und Bankers Trust oder die Fusion der Schweizer Großbanken vor ein paar Jahren schreiben die Wirklichkeit zum Roman. Herles nutzt das zunehmende Wirtschaftsinteresse der Menschen für seine Erzählung.

Von minderer Überzeugungskraft ist die Kriminalgeschichte. Mehrere Erpresserbriefe sollen den Anschein erwecken, der Protagonist sei entführt worden. Als schließlich auch noch in einem Briefumschlag vermeintlich der kleine Finger Sulzers auftaucht, scheint kein Zweifel mehr möglich an dieser Vermutung. Jacqueline wird in einige atemberaubende Lösegeldübergaben verwickelt, die freilich doppelt enttäuschend und erfolglos verlaufen: sie bringen den Verschwundenen nicht zurück und tragen auch zur Romanhandlung nichts bei.

Diese nämlich entwickelt sich immer mehr weg von Krimi und Bankendrama zu einer erotischen Biographie mit existentzialistischem Anspruch. Denn der Held, eine wahre Doppelbegabung, hätte das Zeug zu einem großen Pianisten gehabt. Weil der Vater die künstlerische Karriere unterband, kam es nur zu Initiationsaffäre mit der Klavierlehrerin, bei welcher Gelegenheit der verhinderte Pianist einen Sohn zeugte. Die Krise der Bank treibt den Helden in die Lebenskrise, damit zunächst in die Arme einer antikapitalistisch gestimmten Schönen, sodann abermals an den Busen der gealterten Klavierlehrerin, um schließlich auch mit Jacqueline, der Beraterin, im toskanischen Bett jene Erfüllung zu finden, deren Aufschub seine Karriere bislang befohlen hatte. Für Leser, die es selbst nicht bemerkt haben, spricht der Text es aus: "Aber war die einzige Fusion, auf die es hier ankam, nicht die Fusion zwischen den beiden Genies in dem einen Mann?"

Fusion der Banken, Fusion der beiden Seelen und Fusion der Geschlechter. Herles schreckt vor nichts zurück und hat doch alles nur konstruiert. Der Aufsteiger als Aussteiger oder der Widerspruch zwischen Kunst und Leben, das sind abgegriffenere Formeln als die Bilder aus der Hochfinanz. Weniger wäre mehr gewesen. Eine guter Roman aus der globalen Wirtschaftswelt der neuen Ökonomie hätte es getan.

RAINER HANK

Wolfgang Herles: "Fusion". Roman. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1999, 272 S., geb., 39,90 DM.

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