Für die Kämpfer, für die Verrückten
Roman
Daniele, ein junger Lyriker aus Rom, wird für sieben Tage in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen. Er fühlt sich, als gäbe es für seine Gefühle keinen Platz in der Welt und strebt nur nach einem: Normalität. Doch nun teilt Daniele mit fünf anderen »Verrückten« das Zimmer und muss eine Woche lang mit ihnen die heißen, stickigen Räume der Klinik aushalten. Madonnina redet mit der heiligen Madonna, Giorgio klammert sich an das Foto seiner Mutter, Alessandro ist erstarrt, Gianluca euphorisch und Mario fixiert auf einen unsichtbaren Vogel. Im Laufe der sieben Tage fragt sich Daniele: Sind seine Freunde tatsächlich so wahnsinnig, wie die Gesellschaft sagt? Was heißt es, »verrückt« zu sein? Ist es nicht eher verrückt, in dieser Welt normal sein zu wollen?
Für die Kämpfer, für die Verrückten ist ein reflektierter, mit Witz geschriebener Roman, der davon erzählt, wie man Akzeptanz, Freundschaft und Verständnis dort findet, wo man es nicht erwartet. Daniele Mencarellis Geschichte wirft existentielle Fragen auf und berührt durch ihre empathische Schilderung einer Gemeinschaft von Außenseitern, die ihren eigenen Weg suchen. Ein Buch, das zum Nachdenken anregt und Mut macht, sich selbst zu akzeptieren.
Produktdetails
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- Originaltitel: Tutto chiede salvezza
- 1. Auflage
- Seitenzahl: 221
- Erscheinungstermin: 12. Oktober 2022
- Deutsch
- Abmessung: 208mm x 126mm x 27mm
- Gewicht: 344g
- ISBN-13: 9783103970951
- ISBN-10: 3103970951
- Artikelnr.: 63773761
Herstellerkennzeichnung
FISCHER, S.
Hedderichstraße 114
60596 Frankfurt
produktsicherheit@fischerverlage.de
Daniele Mencarellis Psychiatrie-Roman
Romane, die von der Psychiatrie erzählen, wandeln auf einem schmalen Grat: Wie beschreibt man diesen geschlossenen Raum und seine Patienten, ohne dabei in gängige Klischees zu verfallen? In "Für die Kämpfer, für die Verrückten" versucht Daniele Mencarelli, geboren 1974 in Rom, genau das. Es gelingt ihm nicht immer.
Die Handlung des autobiographisch inspirierten Romans spielt während einer Woche im Sommer 1994. Der zwanzigjährige Daniele Mencarelli, der Namen und biographische Eckdaten mit dem Verfasser teilt, wird für sieben Tage zur "obligatorischen therapeutischen Unterbringung" (OTU) in die Psychiatrie eingeliefert,
Der therapeutische Aspekt der OTU kommt während Danieles Aufenthalt eher zu kurz. Mencarelli beschreibt eine Art der Psychiatrie, die hoffentlich auch in den Neunzigerjahren nicht mehr die Norm gewesen ist: Gesprächstherapien gibt es nicht, nur Psychiater, denen das Schicksal ihrer Patienten egal ist, die vergessen, wer vor ihnen sitzt, oder sogar einschlafen.
In der Nachbarabteilung, so wird den Patienten vom Pflegepersonal erzählt, liegen "die Bösen". Natürlich stellt sich im Verlauf der Handlung heraus, dass das nicht stimmt, dass diese Geschichte nur ein Versuch ist, die Patienten dazu zu bringen, in ihrer eigenen Abteilung zu bleiben. Schließlich möchte der Roman genau das Gegenteil vermitteln: dass es die "bösen" psychisch Kranken gar nicht gibt. Mit dem Klischee spielt er trotzdem. Wenn Schreie aus der anderen Abteilung hinüberdringen und Daniele sich fragt, was vor sich geht, greift Mencarelli genau den alten Topos aus Schauerromanen auf, gegen den er ja eigentlich anschreibt.
In "Für die Kämpfer, für die Verrückten" stellt der Autor Fragen, die durchaus relevant sind: Wer gilt in unserer Gesellschaft als gesund, wer als krank? Wie gehen wir mit den Menschen um, die wir als krank bezeichnen? Doch ist seine Art zu fragen wenig subtil: "Diese Verrohung, das ist Wissenschaft?", heißt es dann etwa. Oder: "Inzwischen ist alles Krankheit, habt ihr euch jemals gefragt, warum?" Auch die Schlüsse, die der Erzähler aus den Erkrankungen seiner Mitpatienten zieht, sind oft simpel: Da trägt ein Patient im Sommer einen dicken Morgenmantel, denn: "Dort, wo er jetzt ist, herrscht Eiseskälte."
Daniele kann dieses Leid kaum ertragen. Er wünscht sich "Erlösung", für sich und für die anderen. Der italienische Titel des Romans und auch der Serie, die im Oktober auf Netflix erschienen ist, lautet: "Tutto chiede salvezza" - "Alles bittet um Erlösung". Es ist ein religiöser Wunsch, den er, der in einem religionsfernen Haushalt aufgewachsen ist, hegt. Dazu passen sein Bettnachbar, der ständig die Madonna anruft, Danieles Verehrung der eigenen Mutter und auch sein Nachdenken über Gut und Böse.
Gut sind bei Mencarelli eigentlich alle Patienten. Gibt es am Anfang noch Konflikte, so sind die zum Ende der Woche weitestgehend ausgeräumt. Nun überwiegt die Barmherzigkeit - durchaus dick aufgetragen: "Da sind sie, jeder in seiner Zimmerecke, jeder seinem Zustand wehrlos ausgeliefert, den Elementen ausgesetzt, nackt ans Leben geklammert, erdrückt von einem Leiden, das ihnen gegeben wurde. Meine Brüder."
Dass eine psychische Erkrankung einen zu einem guten Menschen macht und zu irgendeiner Form von Erleuchtung führt, wie das Buch es nahelegt, ist aber ebenfalls ein, wenn auch wohlwollendes Klischee, das der Komplexität der Realität kaum gerecht wird. Das gilt besonders für die Beschreibung von Mario, einem der Mitpatienten. Über ihn heißt es am Ende des Romans: "Er und sein Schatz an Menschlichkeit, den er für alle Welt bereithält." Nun ist Mario in der Psychiatrie, weil er versucht hat, Frau und Tochter umzubringen. Zumindest dieser Teil der Welt scheint von seinem Schatz an Menschlichkeit eher weniger profitiert zu haben. Das heißt zwar nicht, dass Mario nicht gute Seiten haben und seine Taten bereuen kann. Zu dem Heiligen, den der Roman aus ihm macht, wird er dadurch aber nicht.
Zwar lässt Daniele Mencarelli Widersprüche in seinen Figuren in Ansätzen zu - dass Mario ein Gewalttäter ist, würde sonst nicht erwähnt werden. Doch im Großen und Ganzen ist die Aufteilung recht eindeutig: Kälte auf Seiten der Ärzte, Menschlichkeit unter den Patienten. Das ist schon erzählerisch langweilig, vermittelt aber auch eine problematische Botschaft: Menschen mit psychischen Erkrankungen sollten wir nicht deshalb mit mehr Mitgefühl begegnen, weil sie besonders herzensgut oder klug sind. Sondern ganz einfach, weil eine solche Behandlung jedem zusteht, der sie benötigt - unabhängig vom Charakter.
Interessant wird der Roman immer dann, wenn er den seltsamen Mikrokosmos eines Sechsbettzimmers in der Psychiatrie beschreibt: Wie man dort mit fünf Unbekannten zusammenlebt, die mitunter schnarchen und stinken, mit denen man aber in kürzester Zeit Intimstes teilt, sich so entblößt, wie man es vielleicht vor Freunden nicht tun würde.
Nur um sich dann, nach dem Aufenthalt, nie wieder zu sehen. Allein die Beschreibung dieser Momente, dieses Zusammenlebens würde vermutlich reichen, um genau das Mitgefühl zu erzielen, das der Erzähler und sein Autor (in der Widmung, in der Danksagung) so explizit einfordern. So viel darf man seinen Lesern schon zutrauen. ANNA VOLLMER
Daniele Mencarelli: "Für die Kämpfer, für die Verrückten". Roman.
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2022. 224 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Daniele Mencarellis Psychiatrie-Roman
Romane, die von der Psychiatrie erzählen, wandeln auf einem schmalen Grat: Wie beschreibt man diesen geschlossenen Raum und seine Patienten, ohne dabei in gängige Klischees zu verfallen? In "Für die Kämpfer, für die Verrückten" versucht Daniele Mencarelli, geboren 1974 in Rom, genau das. Es gelingt ihm nicht immer.
Die Handlung des autobiographisch inspirierten Romans spielt während einer Woche im Sommer 1994. Der zwanzigjährige Daniele Mencarelli, der Namen und biographische Eckdaten mit dem Verfasser teilt, wird für sieben Tage zur "obligatorischen therapeutischen Unterbringung" (OTU) in die Psychiatrie eingeliefert,
Der therapeutische Aspekt der OTU kommt während Danieles Aufenthalt eher zu kurz. Mencarelli beschreibt eine Art der Psychiatrie, die hoffentlich auch in den Neunzigerjahren nicht mehr die Norm gewesen ist: Gesprächstherapien gibt es nicht, nur Psychiater, denen das Schicksal ihrer Patienten egal ist, die vergessen, wer vor ihnen sitzt, oder sogar einschlafen.
In der Nachbarabteilung, so wird den Patienten vom Pflegepersonal erzählt, liegen "die Bösen". Natürlich stellt sich im Verlauf der Handlung heraus, dass das nicht stimmt, dass diese Geschichte nur ein Versuch ist, die Patienten dazu zu bringen, in ihrer eigenen Abteilung zu bleiben. Schließlich möchte der Roman genau das Gegenteil vermitteln: dass es die "bösen" psychisch Kranken gar nicht gibt. Mit dem Klischee spielt er trotzdem. Wenn Schreie aus der anderen Abteilung hinüberdringen und Daniele sich fragt, was vor sich geht, greift Mencarelli genau den alten Topos aus Schauerromanen auf, gegen den er ja eigentlich anschreibt.
In "Für die Kämpfer, für die Verrückten" stellt der Autor Fragen, die durchaus relevant sind: Wer gilt in unserer Gesellschaft als gesund, wer als krank? Wie gehen wir mit den Menschen um, die wir als krank bezeichnen? Doch ist seine Art zu fragen wenig subtil: "Diese Verrohung, das ist Wissenschaft?", heißt es dann etwa. Oder: "Inzwischen ist alles Krankheit, habt ihr euch jemals gefragt, warum?" Auch die Schlüsse, die der Erzähler aus den Erkrankungen seiner Mitpatienten zieht, sind oft simpel: Da trägt ein Patient im Sommer einen dicken Morgenmantel, denn: "Dort, wo er jetzt ist, herrscht Eiseskälte."
Daniele kann dieses Leid kaum ertragen. Er wünscht sich "Erlösung", für sich und für die anderen. Der italienische Titel des Romans und auch der Serie, die im Oktober auf Netflix erschienen ist, lautet: "Tutto chiede salvezza" - "Alles bittet um Erlösung". Es ist ein religiöser Wunsch, den er, der in einem religionsfernen Haushalt aufgewachsen ist, hegt. Dazu passen sein Bettnachbar, der ständig die Madonna anruft, Danieles Verehrung der eigenen Mutter und auch sein Nachdenken über Gut und Böse.
Gut sind bei Mencarelli eigentlich alle Patienten. Gibt es am Anfang noch Konflikte, so sind die zum Ende der Woche weitestgehend ausgeräumt. Nun überwiegt die Barmherzigkeit - durchaus dick aufgetragen: "Da sind sie, jeder in seiner Zimmerecke, jeder seinem Zustand wehrlos ausgeliefert, den Elementen ausgesetzt, nackt ans Leben geklammert, erdrückt von einem Leiden, das ihnen gegeben wurde. Meine Brüder."
Dass eine psychische Erkrankung einen zu einem guten Menschen macht und zu irgendeiner Form von Erleuchtung führt, wie das Buch es nahelegt, ist aber ebenfalls ein, wenn auch wohlwollendes Klischee, das der Komplexität der Realität kaum gerecht wird. Das gilt besonders für die Beschreibung von Mario, einem der Mitpatienten. Über ihn heißt es am Ende des Romans: "Er und sein Schatz an Menschlichkeit, den er für alle Welt bereithält." Nun ist Mario in der Psychiatrie, weil er versucht hat, Frau und Tochter umzubringen. Zumindest dieser Teil der Welt scheint von seinem Schatz an Menschlichkeit eher weniger profitiert zu haben. Das heißt zwar nicht, dass Mario nicht gute Seiten haben und seine Taten bereuen kann. Zu dem Heiligen, den der Roman aus ihm macht, wird er dadurch aber nicht.
Zwar lässt Daniele Mencarelli Widersprüche in seinen Figuren in Ansätzen zu - dass Mario ein Gewalttäter ist, würde sonst nicht erwähnt werden. Doch im Großen und Ganzen ist die Aufteilung recht eindeutig: Kälte auf Seiten der Ärzte, Menschlichkeit unter den Patienten. Das ist schon erzählerisch langweilig, vermittelt aber auch eine problematische Botschaft: Menschen mit psychischen Erkrankungen sollten wir nicht deshalb mit mehr Mitgefühl begegnen, weil sie besonders herzensgut oder klug sind. Sondern ganz einfach, weil eine solche Behandlung jedem zusteht, der sie benötigt - unabhängig vom Charakter.
Interessant wird der Roman immer dann, wenn er den seltsamen Mikrokosmos eines Sechsbettzimmers in der Psychiatrie beschreibt: Wie man dort mit fünf Unbekannten zusammenlebt, die mitunter schnarchen und stinken, mit denen man aber in kürzester Zeit Intimstes teilt, sich so entblößt, wie man es vielleicht vor Freunden nicht tun würde.
Nur um sich dann, nach dem Aufenthalt, nie wieder zu sehen. Allein die Beschreibung dieser Momente, dieses Zusammenlebens würde vermutlich reichen, um genau das Mitgefühl zu erzielen, das der Erzähler und sein Autor (in der Widmung, in der Danksagung) so explizit einfordern. So viel darf man seinen Lesern schon zutrauen. ANNA VOLLMER
Daniele Mencarelli: "Für die Kämpfer, für die Verrückten". Roman.
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2022. 224 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es gibt das Buch nun als Serie auf Netflix. Leider habe ich die Serie vor dem Buch entdeckt aber ich möchte es nun lesen. Die Serie finde ich fantastisch und empfehlenswert. Besonders die Aussagen: (beim Essen) "Mit Fantasie, das einzige was Sie uns hier noch lassen" und die Aussage ( hab sie nicht mehr ganz im Kopf) "Das Leben eines Menschen ist wie eine Feder". Der Einblick der in diese Welt gegeben wird berührt mich sehr. Ich habe mich zu Anfang unwohl mit den Charakteren gefühlt, die ich Danieles Zimmer mit ihm Leben. Umso mehr sie sich geöffnet haben umso lieber hatte ich sie und umso mehr verstand ich sie. Das wir in unserer Gesellschaft so gern an dem "Normal" hängen (wo Begriff Norm beinhaltet wird) liegt denke ich am Kapitalismus, ganz profan verkürzt. Abnormal scheint uns alles, was wir nicht einordnen können oder was unbekannt, vielleicht auffälliger ist. Da wir nicht besonders gut in Inklusion und Exklusion sind, ist es für uns nicht normal solch verlorenen & suchenden Seelen zu erleben. Umso schöner der Einblick in diese Welt. Jeder ist mal traurig, jeder kann in diese Zustände kommen, Zustände dieser Art können temporär auftauchen und vor allem, Zustände die auf den ersten Blick befremdlich sind, uns vielleicht Angst machen, können sich als Transportmittel für eine Begegnung mit uns selbst raus kristallisieren. Ich würde Ihnen gern erklären was normal ist, aber ich kann es nicht und ich denke das kann keiner. Normal ist subjektiv und dadurch abweichend von jedem Menschen. Für mich ist es normal jeden Tag Angst zu haben, für einen blinden ist es normal nicht zu sehen. Oder für Sie, vielleicht ist es für Sie normal morgens aufzustehen und einen Café zu trinken. Aber nichts ist selbstverständlich. Das ist ja auch Danieles Krise. Die Sinnlosigkeit und die Banalität der omnipräsenten Veränderung. Ich glaube jeder Mensch muss für sich selbst entscheiden was normal ist für ihn, aber wir sollten Andersartigkeit nicht bewerten oder uns dessen schämen. Leben als das was wir sind und mit all dem was in uns ist. Jeder von uns kann verrückt sein. Ver-Rückt. Bedeutet die Wahrnehmung ist verrückt. Wohin sie gerückt ist? Vielleicht geht es nicht um die Frage nach dem was ist normal sondern was lassen wir zu. Für die Kämpfer. Die, die Schicksalsschläge gelähmt haben. Aber sie wollen es schaffen, sie wollen so gern das Gefühl Normal zu sein. Warum geben wir ihnen überhaupt das Gefühl es nicht zu sein. Wieso ist es nicht auch normal in solche Zustände zu kommen? Kennen wir nicht alle das Gefühl von Ablehnung? Verlust? Ich wünsche den Menschen dieser Welt, das sie sich lernen gesund zu lieben. Das jeder Raum hat zu Leben. Das es um andere Werte geht als um die Frage Normal. Vielleicht ja sogar um die Frage wer will ich sein? Ganz gleich ob ich über eine Straße laufe und stehen bleibe nur weil es mir gefällt. Nehmt euch doch das Recht zu Leben.