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  • Broschiertes Buch

Produktdetails
  • Verlag: Schwarzkopf & Schwarzkopf
  • Seitenzahl: 256
  • Abmessung: 125mm x 190mm
  • Gewicht: 259g
  • ISBN-13: 9783896023780
  • Artikelnr.: 09940991
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.03.1996

"Ich lernte Bauern besser verstehen"
Gregor Gysi legt leidlich freche Frechheiten auf den Büchertisch

Gregor Gysi: Das war's. Noch lange nicht! Autobiographische Notizen.ECON Verlag, Düsseldorf 1995. 320 Seiten, 8 Seiten Abbildungen, 39,80 Mark.

Gregor Gysi: Freche Sprüche. Herausgegeben von Jörg Köhler und Hanno Harnisch. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 1995. 257 Seiten, 50 Abbildungen, 24,80 Mark.

Gregor Gysi möchte sich jetzt auch all denen, die nicht so oft fernsehen, nahebringen. Er hat dazu die Buchform gewählt. Da Gysi nicht nur über eine Identität verfügt, kamen kürzlich zwei Gysi-Bücher heraus. Das eine, "autobiographische Notizen" untertitelt, ist etwas teurer und für den Westen gedacht. Es macht einen ernstgemeinten Eindruck. Das andere enthält gesammelte Worte für das Ostpublikum, es kostet nicht soviel und soll lustig sein. Auf den ersten Blick sieht es aber genau umgekehrt aus. Vom Deckel des Taschenbuches schaut Gregor Gysi etwas erstaunt, aber ernst und treuherzig ins Bild. Den in staatsmännischem schwarz-weiß-rot gehaltenen Einband des ernstgemeinten Buches ziert ein verhalten lächelnder Gregor Gysi. Aus einem etwas zu groß geratenen dunklen Abgeordnetenjackett blickt er ironisch in die Gegend. Seine linke Hand hebt sich beschwichtigend in Richtung des Betrachters, ganz Illustration des Titels: "Das war's. Noch lange nicht!"

Autobiographisches von Endvierzigern bieten Verlage in der Regel nicht so gerne an, es sei denn, es handelt sich um Schauspielerinnen oder Fußballprofis, die wegen ihrer Beine schon in jungen Jahren viel herumkamen und ihren Fans unvergessene Momente geboten haben. Zwar war Gregor Gysi weder Fußballprofi noch kann er schöne Beine vorweisen, aber unvergessene Momente hat er auch zu bieten: "Mit Helmut Kohl hatte ich bisher kein Gespräch" und auch "kein einziges mit dem jeweiligen SPD-Vorsitzenden, und davon habe ich seit 1990 schon drei erlebt: Hans-Jochen Vogel, Björn Engholm, Rudolf Scharping". Mit dem vierten wird es wohl klappen.

Unvergessen bleiben soll jedoch auch, mit welchem bedeutenden Menschen Gregor Gysi schon bedeutsame Gespräche führte: "Natürlich gab es im Laufe der Jahre auch Gespräche mit einigen führenden SPD-Politikern." Oder: "Gespräche hatte ich auch mit Graf Lambsdorff und Hans-Dietrich Genscher von der FDP." Sowie: "Gespräche führte ich auch mit Wolfgang Schäuble als Bundesinnenminister und als Fraktionsvorsitzender, mit Rudolf Seiters als Bundesinnenminister und mit Friedrich Bohl als Kanzleramtschef von der CDU."

Unvergessen für Gregor Gysi auch, mit wem er beim Hungern sprach - im Dezember 1994 anläßlich des unvergeßlichen Protestfastens zugunsten der PDS-Kasse, "Künstlerinnen und Künstler kamen in die Volksbühne" - oder beim Essen - "Willy Brandt bin ich im Januar 1990 bei einem Essen, das der französische Premierminister gab, begegnet". Hungern fürs Volk auf der Bühne und Essen hinter Palastmauern mit den Großen dieser Welt: wie aufregend so ein PDS-Leben ist! Ganz besonders aufregend, erinnert sich Gysi, war der Moment, als die SED sich auf einem Parteitag zur PDS häutete und er für Krenz eingewechselt wurde: "Eine Unmenge Mikrofone und Kameras richteten sich auf mich."

Natürlich gibt es bei Gregor Gysi wie bei jedem anständigen Autobiographen auch vergessene Momente. Damit ist es wie mit den Haaren, sind die erst mal ausgegangen, sieht der Kopf ganz anders aus. Die im Klappentext des Buches versprochene "lebendige deutsche Vergangenheitsbewältigung" erledigt Gysi konventionell kurz. 41 Jahre Gysi und 40 Jahre DDR, die haarige und vorrevolutionäre Zeit, werden im ersten Fünftel des Buches abgewickelt. Kindheit und Jugend verbrachte Gregor Gysi als in Watte gepackter Sproß einer Nomenklaturfamilie, kommunistischer Adel sozusagen, SED-Hofschranzen der mittleren Ebene. Mutter Funktionärin (Kultur), Vater Funktionär (Kultur, Kirche, Botschafter), Onkel Funktionär (Botschafter). Zur vorteilhaften Selbstbespiegelung werden hilfsweise auch einige bedeutende, aber sehr ferne westliche Verwandte herangezogen wie Yousif Dadou (südafrikanischer KP-Chef) und Doris Lessing ("Ihre Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt, natürlich auch ins Deutsche"). Ein pfiffiges Kerlchen war Gregor schon als Kind, worüber er manch hübsche Episode vorzuweisen hat. Schon in zartem Alter brachten ihm seine schauspielerischen Fähigkeiten ein DEFA-Engagement ein.

Nach der Schule durfte er wählen, ob er als Diplomat oder Jurist seiner Partei dienen wollte, und obwohl er sich in der Humboldt-Universität 1968 aufmüpfiger als andere verhielt, endete die Angelegenheit nicht wie bei anderen Aufmüpfigen in Gefängnis, Exmatrikulation oder Exil, sondern mit der Wahl in die SED-Parteileitung der Sektion Jura. Bis 1988 brachte er es, nach einem kurzen Intermezzo als Rinderzüchter - "ich lernte Bauern besser verstehen" - zum Vorsitzenden des Rats der Rechtsanwaltskollegien der DDR, bevor ihn das Ende des SED-Regimes auf seine neue Laufbahn warf.

Gregor Gysi redet wie jeder halbwegs normale Berliner recht flüssig, schlagfertig und viel, was ihn als Politiker für bestimmte Fernsehjournalisten anziehend macht. Inzwischen ist er bei diesen Leuten nicht mehr nur als Politiker gefragt, mittlerweile darf er sogar ebenso unpassend wie Antje Vollmer als Zeitzeuge für Lennons musikalisches Genie auf der Bildfläche erscheinen. Die beiden würden aber ebenso gerne für Kirschkuchen, Butterkekse oder japanische Motorräder zeugen, denn selbst in Fernsehsendungen, wo auf Fragen, die niemand stellt, Antworten gegeben werden, die niemanden interessieren, fällt Licht auf das Politikerprofil. Gregor Gysi hat es nicht zuletzt dank solcher Sendungen und seiner Fähigkeit, frech aus der Wäsche zu gucken, zu enormer Medienpotenz gebracht.

Freche Sprüche findet man, obwohl das der Titel verspricht, recht wenige in dem von Gysi-Fan und PDS-Pressesprecher Hanno Hanisch (Diplom-Philosoph) und Gysi-Fan und Krimiautor Jörg Köhler (Wirtschaftskommunikator) herausgegebenen zweiten Gysi-Buch. Spannend soll das "Standardwerk für Gysi-Fans" sein - für den Rest der Menschheit ist es das nicht. So selten gelacht hat der Rezensent jedenfalls lange nicht mehr beim Lesen eines Witzbuches. Am komischsten ist noch das Vorwort. Gregor Gysi, heißt es dort, werde durch dieses Buch "in einem neuen Licht" erscheinen, als "netter Mensch" und als "Politiker mit Ideen, wie sie Deutschland lange nicht mehr gehört hat". Die Sammlung beweise seine "sprachlichen Heldentaten", die Gysi "zur intellektuellen Meßlatte für den modernen Politiker" gemacht hätten.

Erstaunlich immerhin, wie nah man in PDS-Kreisen noch dem Frechheitsempfinden der SED-Greise ist. PDS-Humor ist offenbar, wenn man trotzdem lacht, auf DDR-Kabarettniveau - auch heute noch. Von geringem Unterhaltungswert ist es auch, noch einmal nachzulesen, wie die Talkshowlöwin Rosh im Gespräch mit Gysi zum Kätzchen wird. Die Sprüchesammlung bietet nämlich nicht wenige Fernsehniederschriften, die die öffentlich-rechtliche und private Talkshowkultur auf flachstem Fuß erwischen. Im Reprint wirken solche Shows sogar noch fader als auf der Mattscheibe.

Ohne Gysi frech gucken zu sehen, bietet sein gedrucktes Gerede wenig Amüsement. Helfen könnte der Umschlag des ernstgemeinten Gysi-Buches, auf dem Gysi frech aussieht. Da es eine ordentlich gebundene Hardcover-Ausgabe in bewährter Westqualität ist, bleibt es, wenn man es vor sich hinstellt, auch aufrecht stehen, was von dem PDS-Buch nicht behauptet werden kann. Der Kauf beider Bücher ist kein billiges Vergnügen, doch wer nach der "intellektuellen Meßlatte für den modernen Politiker" sucht, dem kann ruhig tief in die Tasche gegriffen werden. JOCHEN STAADT

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