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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.04.2000

Emmas Margarethe
Elke Schmitters Romandebüt · Von Peter Demetz

Unsere Jagd nach dem Glück hat sich in die Sehnsucht nach dem Unwiederholbaren und Einzigartigen verwandelt, und da sich ganze Industriezweige damit beschäftigen, das Einzigartige als Konsumware anzubieten, haben es die romantischen Charaktere und die Autorinnen, die uns eine romantische Figur ohne Ironie vor Augen führen wollen, schwerer denn je. Mit einem Ausflug ins Riedgras und dem Trank aus einem Glas ist es nicht mehr getan. Elke Schmitter, erprobte Journalistin in vielen Medien, Lyrikerin und Krimi-Mitautorin weiß das. In "Frau Sartoris", ihrem ersten Roman, sucht sie den Fallen der Banalität zu entkommen, indem sie zwei Stränge verknüpft, die Geschichte einer ehelichen Untreue und eine von einem Autounfall, der nach den Ermittlungen der Polizei gar keiner war, sondern vorsätzliche Tötung und Fahrerflucht. Wir sind allerdings auf Frau Sartoris allein angewiesen, die uns alles bald widerstrebend, bald allzu bereitwillig erzählt, und da die Autorin darauf besteht, in ihre Romanfigur zu verschwinden, nimmt sie das Risiko auf sich, artistischen Selbstmord zu begehen - zum Glück gelingt ihr das nicht ganz, weil auch sie, wie viele in ihrer Leserschaft, die Geduld mit der Romanfigur verliert. Madame Bovary, das bin ich, behauptete Flaubert, und wollte damit sagen, wie sehr er mit den Motiven seiner Figur vertraut war, und schrieb von ihr aus der Distanz und in seiner Sprache. Madame Bovary, von ihr selbst erzählt, wäre eine Katastrophe, aber gerade auf die hat sich Elke Schmitter eingelassen.

Margarethe Sartoris hat als Mädchen und Frau eher Enttäuschungen als Augenblicke erfüllter Wünsche erlebt, und die Kleinstadt, in der sie in den fünfziger und sechziger Jahren aufwuchs, setzt ihr enge Grenzen, die sie akzeptiert; wenn sie mit einer Freundin in die Konditorei geht, nimmt sie einen Sherry, nie einen Schnaps. Träume von Schauspielschule und der alltägliche Job in der Vertriebsabteilung einer Metallfabrik. Kegelabende, Sängerbruderschaft, Vereinsmeierei, ein Tanzabend in einem gehobenen Kreis, weil eine Partnerin fehlt, und eine Liebesgeschichte mit dem Sohn eines Grundbesitzers namens Rhienäcker (echter Fontane), der ihr dann einen Abschiedsbrief schreibt, weil er standesgemäß heiratet. Sie hält sich dann, "in kalter Rache", an einen pedantischen Sparkassenangestellten und Invaliden, denn ihre Heiratsanzeige soll früher in der Zeitung stehen als die des feudalen Tanzpartners. Sie lebt mit dem Mann und seiner Mutter in einem kleinen Haus, klopft am Abend eine Skatpartie, sitzt vor dem Fernseher und hat eine Tochter, die "ihr zuweilen ganz zuwider ist". Kleinbürgerliche Misere, und dann der Schritt vom Wege, mit Michael (seine Frau eine reiche Bäckersfrau, zwei Kinder), dem neuen Leiter des Kulturamts der Stadt. In der Affäre wird sie die Fordernde und, wie sie glaubt, Entfesselte; neue Unterwäsche, Sekt in Hotelzimmern, in denen sie, die nun Vierzigjährige, die mitgebrachten Kerzen entzündet. Man plant eine Flucht nach Venedig, aber als die Stunde schlägt, lässt er sie auf dem Koffer sitzen, und sie muss nach Hause zurück, wo ihr Mann den Abschiedsbrief gelesen hat. Man wundert sich nur, wie lange es Michael mit dieser erotischen Nervensäge ausgehalten hat.

Margarethe hat leider die unselige Neigung, alle ihr abtrünnigen Männer bis zuletzt entschuldigen zu wollen (Michael hat eben "eine Unrast eher geistiger Natur") anstatt sich selber deutlicher zu sehen und zu hören, ihre Sprache der Romanhefte, ihre endlosen Sorgen, immer eine halbe Seite lang, mit der richtigen Wäsche, "den BH, vorne aufzuknöpfen", die Konfektionskleider, in denen sie sich in Szene setzt, "der weite glockige Rock gab meinem Schritt Schwung und Sicherheit", und ihre kitschige Inszenierung des Vorher und Nachher in den Hotelzimmern; sonst gehört sie noch zur wilhelminischen Schule des Und-dann-vergingen-mir-die-Sinne. Die Autorin selbst kann ihre Art nicht immer ertragen und schlägt eine genauere Tonart an, wenn es um die Gewohnheiten des Gatten geht, der ihr zum ersten Mal in die Bluse griff, "genauso vorsichtig tastend, wie er nach der Serviette gegriffen hatte beim Abendessen zuvor". Ich wünschte mir mehr von dieser zynischen Präzision, wie zum Beispiel die wunderbaren Seiten des Banalitäten-Katalogs (fast Dada), in welchem sich in "Sätzen wie in Ruderschlägen" das Familienleben konstituiert, "oder Sind die Eier noch frisch? oder Ich lese noch ein bisschen, oder Dieser Liegestuhl ist eine Gabe Gottes! oder So jung kommen wir nicht mehr zusammen" und so weiter.

Elke Schmitter bringt es sogar über sich, uns die literarischen Vergnügungen der intelligenten Intertextualität zu gewähren, indem sie, ohne Rücksicht auf die nichtsahnende Margarethe, die zwar "Effi Briest" gelesen hat, aber nicht Flaubert, eine berühmte Szene aus Madame Bovary parodiert. Die ratternde Liebesfahrt in der Kutsche, herabgelassene Vorhänge, und der Mann, der sich unter Madame Bovarys aufgeschlagenen Röcken in ihren Körper drängt. Michael und Margarethe sind ähnlich beisammen, aber die Kutsche ist längst, das ist der Lauf der Welt, zu einem stationären Ausstellungsstück in einem Freilichtmuseum herabgesunken.

Das gespannte Verhältnis zwischen Autorin und Figur wird noch kompliziert durch die zweite Strähne des Erzählten, in dem sich der Verdacht, Frau Sartoris hätte einen Mann mit ihrem Audi niedergestoßen, zur Gewissheit verdichtet. Margarethes Erinnerungsprozesse bewegen sich in zwei Zeitebenen, einer fernen, die bis in die fünfziger Jahre hinabreicht (ihre Lebensgeschichte), und die nahe, so einige Monate her, in welchen sie die Presseberichte über die Ermittlungen der Polizei über den angeblichen Verkehrsunfall, ohne Zeugen, eifrig liest und sich zuletzt selber eingesteht, die Täterin gewesen zu sein. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die beiden Erzählungen einander blockartig zugeordnet sind, aber nicht in chronologischer Folge, und die Leserschaft nicht wissen darf, wer der Mann war, den sie mit Absicht niedergefahren hat - es könnte der feudale Tanzpartner gewesen sein oder Michael, und nur auf den letzten Seiten erfahren wir, dass es ein Herr Willrodt war (aus dem "Rotlichtmilieu"), der sich an Margarethes Tochter Daniela heranmachte (Aktfotos, und nicht nur das, mit Danielas Einverständnis). Die Erzählerin erzeugt nicht so sehr Spannung als Ratlosigkeit und Verwirrung, und so sehr ich die Möglichkeit erwäge, dass Margarethe in der Person Willrodts auch Philip, Michael und den Gatten töten wollte, so wenig überzeugt mich die Autorin davon, diese Margarethe Bovary sei eine talentierte Mrs. Sartoris.

Nicht unmöglich, einen neuen Roman in der Tradition Flauberts und in der Art Patricia Highsmiths zu schreiben, aber das ist er noch nicht. "Frau Sartoris" impliziert - als ob Daniela, die Tochter, den Roman geschrieben hätte - eine elegische Frage nach der Illusion, aus dem einen System der bürgerlichen Banalitäten in ein anderes hinüberwechseln zu wollen, eine Polemik gegen die Generation der Mütter in den Kleinstädten des deutschen Hinterlandes vor dreißig Jahren, und ein Plädoyer für die notwendige Zukunft eines aufgeklärten Feminismus, der den Frauen andere Argumente in die Hände legen sollte als Gift, Dolch oder 100 PS an der Auffahrt zur Autobahn. Ich fühle die Beweggründe der Autorin, diesen Roman zu schreiben, aber er ist so verschachtelt und aufgepfropft, dass er mir den Weg zu ihrem Denken eher verstellt als episch ebnet.

Elke Schmitter: "Frau Sartoris". Roman. Berlin Verlag, Berlin 2000. 159 S., geb., 36,- DM.

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