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In diesem Stück - ein Porträt Goyas aus Motiven seiner Kunst, deren offene Wunden jeder Betrachter als die seinen erkennt, ein Porträt seiner Zeit, in dem unser Jahrhundert sich spiegelt - überdauern seine Bilder als die Kriegsbilder von der Front der Seele gegen ihre Nachtmahre.

Produktbeschreibung
In diesem Stück - ein Porträt Goyas aus Motiven seiner Kunst, deren offene Wunden jeder Betrachter als die seinen erkennt, ein Porträt seiner Zeit, in dem unser Jahrhundert sich spiegelt - überdauern seine Bilder als die Kriegsbilder von der Front der Seele gegen ihre Nachtmahre.
Autorenporträt
John Berger, geb. 1926 in London, gest. am 2. Januar 2017.Er absolvierte ein Kunststudium und war dann Zeichenlehrer und Maler mit mehreren erfolgreichen Ausstellungen. In den fünfziger Jahren beteiligte er sich an der internationalen Kampagne "Artists for Peace". Seine Kunstkritiken erschienen in zahlreichen Zeitschriften. Außerdem arbeitete er für das Fernsehen und schrieb Drehbücher. 1989 erhielt Berger den Österreichischen Staatspreis für Publizistik. Für sein Werk erhielt John Berger 1991 den Petrarca-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.06.1995

Der geplagte Goya
Warum mußte John Berger aus einem Essay ein Stück machen?

Vor vielen Jahren hat John Berger einen Essay über Goya geschrieben. Damals wurde das ein anschauungssatter, präziser Text, der - wie die besten Essays dieses Autors - von einleuchtenden Wahrnehmungen handelt und sich nirgendwo im kunsttheoretischen Jonglieren verliert.

Jetzt aber hat John Berger - zusammen mit Nella Bielski - ein Stück über Goya geschrieben, und man begreift mit keiner Zeile, welcher Teufel ihn dazu verführt hat. Denn in diesem Stück ist Goya der Gegenstand einer raunenden Bewunderung, und all die Tänze, die in den rasch aufeinanderfolgenden Szenen um ihn herum aufgeführt werden, handeln von nichts anderem als einem längst verstaubten Genie- und Titanenglauben.

Das Genie Goya murmelt vor sich hin, es murmelt beiseite, und es murmelt dem Jahrhundert ins Herz. Seine ganze Umgebung gibt Stichworte und versinkt in diesem Gemurmel. Und damit niemand Berger vorwerfen kann, er habe sich zu einem historischen Reigen hergegeben, verwischt er die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart und läßt ein paar Düsenjäger über die Szene brausen.

Daß im Leben unserer Großen sich etwas wiederum sehr Großes verbergen müsse, ist naiver Kunstglaube vergangener Jahrhunderte. Völlig unerträglich wird diese Perspektive, wenn sie unser heutiges Wissen, das sich von der Kunstanschauung genährt hat, zu Lebensweisheiten und Lebensgebärden verdichtet, die die armen Großen mit sich herumschleppen müssen wie einen Rucksack voller schneidender Sentenzen.

Auch bei Berger wird aus Goya daher der Mann, der tiefer schaut, wegwerfender spricht und sich ungebändigter verhält als alle anderen. Es ist eine einzige unfreiwillige Komik mit diesen Titanen, die dauernd vor sich hin stammeln müssen, daß sie ab jetzt nur noch Rosen malen, daß sie ab jetzt nur noch Dreck malen, daß Felsen prophetisch machen oder daß Gott uns mit dem Sichtbaren allein gelassen hat. Man kann sich vorstellen, wie solche Sätze auf der Bühne einfach verdorren, wie sie irgendwohin ins Nichts rollen und wie es die Zuschauer krampft vor Langeweile.

Denn nichts ist schädlicher für ein Stück als solche Serien von Behauptungen, die den Zuschauern zumuten, das gesammelte, enzyklopädische Wissen unserer Zeit auf etwas ganz anderes angewendet zu sehen, etwa auf ein Tableau, wo Spanien nirgends nur Spanien sein darf, wo es zu keinem absichtslos harmlosen Satz kommt, wo alles in einer einzigen Lausch- und Interpretierstimmung versandet und der arme Goya mit all seinem Furien- und Katastrophengehabe gnadenlos dauerhaft in dem landet, was eine diffuse Haltung als das Nichts in seinen Bildern ausgemacht hat.

Wenn es überhaupt sein muß, eine Gestalt mit Namen Goya auf die Bühne zu bringen, dann muß uns diese Gestalt von ihrem eigenen Bühnenleben her beschäftigen, und zwar so, daß man schließlich vergißt, daß es sich um unseren berühmten Goya handeln könnte. Dann freilich entstünden die Bühnenszenen aus genuin dramatischen Spannungen, die Figuren hätten Raum und alle Freiheiten, die sie brauchen, und Goyas Malerei (sowieso ein undankbarer Bühnenbezugspunkt) wäre uns vielleicht am Ende ganz gleichgültig. Dann behielten wir Goya als den Goya von John Berger in Erinnerung, und das wäre eine völlig phantastische, für sich selbst einstehende Bühnengestalt.

So aber hat uns Berger mit einer Theaterpuppe versorgt, die unentwegt meldet, daß sie einem gewissen Goya zu gleichen habe. Ordentlich chaotisch und dunkel ist es um diesen Goya herum, so, wie es unsere gegenwärtigen Bühnen lieben. Die Gesten sind ins Große verzerrt, und Gewichte liegen auf der Szene, als sei der Geist von Heiner Müller all diesen Gestalten einmal begegnet. Letztlich aber gerät auch Bergers Stück dadurch zu einem typischen Dramenbeitrag unserer Tage: posenhaft verquält, wie ein gewaltiger Staubsauger, der die kleinen Gesten aus abgestandenem historischen Wissen absaugt und sie ins Monumentale veredelt.

Irgendwie hat man diese sich ruinös gebende Kraftmeierei inzwischen satt. Die sogenannte "Zeitenwende" hat diffuse Gefühle von Erschütterungen hinterlassen, doch leider haben sich diese Gefühle nicht mit konkreter Anschauung verbunden. So werden wir noch eine Weile zusehen müssen, wie sich die modischen Szenen in Vagheit quälen. Etwas Neues, Bedrohliches wird da von allen Seiten herangewälzt, etwas, das der abgenutzten Negativität einer lauen Moderne aufgemöbelte Bilder liefern soll. Genau in diesem Vakuum ist Bergers Stück angesiedelt. Es deklamiert unscharf, ein schlaffes Zeichen des Secondhand-Expressionismus unserer Tage. HANNS-JOSEF ORTHEIL

John Berger / Nella Bielski: "Francisco Goya - Das letzte Porträt". Aus dem Englischen übersetzt von Hans Jürgen Balmes. Edition Tertium, Ostfildern 1995. 144 S., 25 Abb., br., 34,- DM.

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