gefragt". Dennoch drückt er einem sofort - und selbstverständlich ungefragt - seine Lebensphilosophie auf. Typ zwei wäre der "Raunzer", der hauptsächlich weiß, wie übel ihm die ganze Welt mitspielt: Allein dadurch habe er es nie zu dem gebracht, was seine gottgewollte Stellung im Leben sein sollte. Auch er behelligt, gleichfalls ungefragt, seine gesamte Umgebung, bevorzugt seinesgleichen, mit ebendieser Litanei.
Franz Schuh, promovierter Philosoph, Autor, Lehrbeauftragter an der Wiener Universität für angewandte Kunst und vielgefragter Essayist, besonders im öffentlich-rechtlichen heimischen Kulturradiosender "Österreich 1", wo er unter anderem in einer Sendung des Namens "Magazin des Glücks" allerlei Bedenkenswertes zum Besten gibt, zählt eher zur Kategorie "Grantler". Er schreibt, ebenfalls nicht ganz untypisch wienerisch, auch öfter mal über Tod und Sterben. Und er wird am heutigen Tag siebzig Jahre alt.
In seinem jüngsten Essayband "Fortuna", dem er als Untertitel den Namen seiner Radiosendung gegeben hat, streicht er all das wieder deutlich heraus. Der Verlag hat, vermutlich auf Initiative des Autors, ein zur Abwechslung einmal passendes Zitat auf den Umschlag gehievt: "Hier erfährt also keiner, wie er glücklich wird - das muss ein jeder selber wissen, und wer's nicht weiß, kann es eh vergessen."
Franz Schuh reiht in seinem Buch kurze Anekdote an noch kürzeren Aphorismus, glaubt das Ganze zwischendurch mit Dialektgedichten (zum Beispiel "Stammersdorf", ein Ortsteil von Floridsdorf, dem 21. Wiener Gemeindebezirk, der, wie könnte es auch anders sein, einen großen Friedhof beherbergt, oder "Meiner Söö", etwa zu übersetzen mit: "Bei meiner Seele") auflockern zu müssen und knüpft dabei dennoch interessante Zusammenhänge, zumindest Überleitungen, die eine eklektische Lektüre nicht angeraten erscheinen lassen. Von einem kontinuierlichen Aufbau zu sprechen wäre freilich übertrieben.
Man verfolgt also etwa amüsiert, wie er in einem der ersten Kapitel, gleich mit der programmatischen Überschrift "Ich schreibe über das Glück" versehen, eine Spur von Kants kategorischem Imperativ über Thomas Manns "Buddenbrooks" bis hin zu beiden Weltkriegen zieht und allen dreien (nicht doch eher vieren?) mit nicht geringer Hinterfotzigkeit etwas spezifisch "Preußisches" zuschreibt. Sodann zerpflückt er, selbst eher dem linken Spektrum zuzurechnen, war doch sein Vater ("bis 1956", also bis zur Ungarn-Krise, wie er mehrfach wiederholt) Mitglied der Kommunistischen Partei, in "Last, Lust, List" in schöner Konsequenz Bertolt Brecht, nur um diesen am Ende, als Nihilisten enträtselt, wieder zusammenzusetzen.
Weniger wie ein roter Faden, mehr wie ein munteres Bächlein, das hin und wieder unter die Erde verschwindet, um bei nächster Gelegenheit unerwartet abermals hervorzubrechen, zieht sich Schuhs nur allzu physische Sorge durch: Er ist zu dick ("adipös", auf Wienerisch: "blad", mit langem "a"), weiß das auch, ist deswegen - mehrere Episoden handeln vom Besuch bei Ärzten oder Aufenthalten in Spitälern - aber nicht unbedingt unglücklicher und verbindet sodann ziemlich überraschend Rousseaus und Hegels Sinn- und Naturbegriffe mit Kunst und Fettleibigkeit. Eine hübsche Miszelle ist die Gegenüberstellung oder vielmehr: gegenseitige Ergänzung von Max Goldt und Konfuzius. Das muss man erst einmal zuwege bringen.
Obwohl der Band in leichtem Plauderton gehalten scheint, fordern manche Gedanken doch ein gehöriges Maß an Konzentration und bisweilen auch Vorkenntnissen ein. Als "Grantler" bedient Franz Schuh nicht jede potentielle Wissenslücke seiner Leser, er lässt uns aber auch niemals völlig blamiert im Regen stehen. Wie sollte er auch, wo der Autor doch als Bekenntnis ablegt, großes Vorbild sei ihm, für das Übermaß geschaffen und sowohl Gourmet als auch Gourmand, nicht Hegel, schon gar nicht Kant oder Nietzsche sondern: Oliver Hardy.
MARTIN LHOTZKY
Franz Schuh: "Fortuna". Aus dem Magazin des Glücks.
Paul Zsolnay Verlag Wien, 2017. 254 S., geb., 22,- [Euro].
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