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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.1997

Wahrsager und Wolkenkratzer
Tiziano Terzani reist zu den Mysterien des Fernen Ostens

Zu einer Zeit, da Asien und seine Menschen nur noch im Zusammenhang mit Wirtschaftswachstum, Wolkenkratzern und Aktienmärkten genannt werden, hat einer die exotische Seite des Fernen Ostens wiederentdeckt. Der Journalist Tiziano Terzani fand, was wir aufgeklärte Menschen des Westens gern herablassend als "Aberglaube" bezeichnen: Wahrsagerei, die Bestimmung glücks- und unglückbringender Dinge, den Umgang mit Geistern und die Geomantik. Eigentlich ist es erstaunlich, daß es so lange gedauert hat, bis diese Seite Asiens den Europäern wieder ins Gedächtnis gerufen wird. Denn der Glaube an das Schicksal und die Möglichkeiten, es zu beeinflussen, ist in Asien auch heute noch verbreitet und war einstmals Teil der Faszination, die der Ferne Osten auf die Europäer ausübte.

Es gibt kaum einen Staatsmann in Ostasien, der nicht bei wichtigen Entscheidungen einen Wahrsager oder ein Horoskop befragt. Diese Praxis überspringt die Grenzen von Ideologie und Kultur: Mao Tsetung, der birmanische Diktator Ne Win, der thailändische Premier Chatichai - sie alle suchten Rat bei einer höheren Instanz. Im britisch geprägten Hongkong wird bei Neubauten noch immer der Meister des Fengshui, der Geomantik, konsultiert, der berechnen soll, welche Winkel und welche Lage für ein Gebäude glücksverheißend und welche unglückbringend sind. Die Techniken sind in den verschiedenen Ländern Ostasiens unterschiedlich, doch finden kann man sie überall, wie Terzani bei seinen Reisen von Bangkok nach Burma, von Jakarta nach Peking festgestellt hat.

Terzani ist dabei selbst anfällig für die esoterischen Künste Asiens. Nachdem ihn ein Wahrsager vorm Fliegen gewarnt hatte, da ihm ein Unfall drohe, nahm der Journalist dies zum Anlaß, ein Jahr auf Flugzeuge zu verzichten und auf nur langsamere Fortbewegungsmittel wie Bahnen, Wagen und Schiffe auszuweichen. Auf jeder Station seiner Reise suchte Terzani geflissentlich einen Wahrsager auf oder ließ sich über die örtlichen Geister informieren.

Das Buch ist keine esoterische Seelenreise geworden, weil Terzani seine Erlebnisse mit selbstironischer Distanz berichtet. Es sei auch ein Vorwand gewesen, etwas Poesie in das eigene Leben zu bringen, erklärt er sein flugloses Reisejahr. Und seine Reflexionen über die skurrilen Wahrsager und ihre Einsichten sind durchaus vergnüglich zu lesen. Nebenbei vermittelt Terzani Eindrücke und Stimmungen aus jenen Winkeln Ostasiens, die sonst in der allgemeinen Berichterstattung nicht vorkommen. Gelegentlich schlägt allerdings der romantische Weltschmerz des westlichen Journalisten durch, der die Modernisierung des exotischen Asien beklagt und den Materialismus, der angeblich alle seine Bewohner ergriffen hat. Asien ist ein Kontinent, der fröhlich Selbstmord verübt, schreibt Terzani. Er müßte es eigentlich besser wissen. PETRA KOLONKO

Tiziano Terzani: "Fliegen ohne Flügel". Eine Reise zu Asiens Mysterien. Aus dem Italienischen von Elisabeth Liebl und Rita Seuß. Spiegel-Buchverlag, Hamburg 1996. 477 S., geb., 48,- DM.

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