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Der Band setzt sich mit den revisionistischen Konzepten der New Film History auseinander und diskutiert die Legitimationszwänge, denen sich die deutsche Filmgeschichtsschreibung ausgesetzt sieht. Die Kapitel beschäftigen sich u. a. mit den Technikentwürfen Edisons und der Brüder Lumière, zeichnen den ökonomischen Wandel des Films von einer Varieté- und Jahrmarktsattraktion zu einer kapitalistisch organisierten Industrie nach und widmen sich eingehend der Entstehung narrativer Kontinuität und filmischer Subjektivität. Abschließend wird die Brücke geschlagen zum Medienwandel unserer Tage.

Produktbeschreibung
Der Band setzt sich mit den revisionistischen Konzepten der New Film History auseinander und diskutiert die Legitimationszwänge, denen sich die deutsche Filmgeschichtsschreibung ausgesetzt sieht. Die Kapitel beschäftigen sich u. a. mit den Technikentwürfen Edisons und der Brüder Lumière, zeichnen den ökonomischen Wandel des Films von einer Varieté- und Jahrmarktsattraktion zu einer kapitalistisch organisierten Industrie nach und widmen sich eingehend der Entstehung narrativer Kontinuität und filmischer Subjektivität. Abschließend wird die Brücke geschlagen zum Medienwandel unserer Tage.
Autorenporträt
Thomas Elsaesser, geb. 1943 ist Filmwissenschaftler und em. Professor für Film- und Fernsehwissenschaften an der Universität von Amsterdam.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2002

Henny Porten und der Weltkrieg
Besuch im Atelier: Zwei Studien über den Film der Kaiserzeit

Im Herbst 1990 spielte sich im norditalienischen Pordenone bei dem dortigen Stummfilmfestival Großes ab. Nach siebzig Jahren des Vergessens feierte hier der frühe deutsche Film der Jahre bis 1917 bei einer Retrospektive seine späte Wiederentdeckung. Das Staunen war immens. Denn zuvor hatten offenbar nur wenige am Urteil Siegfried Kracauers gezweifelt, der 1947 sein Buch "Von Caligari zu Hitler" mit den Worten eingeleitet hatte: "Von der Existenz des deutschen Films kann eigentlich erst nach dem Ersten Weltkrieg die Rede sein. Seine Geschichte bis zu diesem Zeitpunkt war Vorgeschichte, eine Frühzeit, der an sich keine Bedeutung beizumessen ist."

Kracauer irrte sich gewaltig, wie das seit 1990 sprunghaft ansteigende Interesse am frühen deutschen Kino zeigt. Bereits 1996 konnten daher der in Amsterdam lehrende Filmwissenschaftler Thomas Elsaesser und sein Schüler Michael Wedel einen Sammelband mit zuvor verstreut publizierten Aufsätzen herausgeben, die einen Panoramablick auf die aktuelle Forschung öffneten. Nun ist endlich der damals auf englisch veröffentlichte Band in erheblich veränderter Form unter dem Titel "Kino der Kaiserzeit" auch auf deutsch erschienen. Zwanzig Filmhistoriker befassen sich hier mit den populären Genres der Zeit wie der Komödie, dem Melodram und dem Detektivfilm, mit Schauspielern und Regisseuren - und gehen Traditionslinien und stilistischen Besonderheiten nach.

Das Niveau der Beiträge schwankt. Nicht recht überzeugend ist beispielsweise Thomas Brandlmeiers Diagnose eines "deutschen Sonderwegs" in der Komik. Dieser stelle den Wortwitz über den grotesken Körperwitz, vermeide den Tabubruch und zeichne sich im Mainstream durch eine "unerschütterliche Systemtreue" aus. Für den frivolen Humor eines Ernst Lubitsch und den anarchischen eines Karl Valentin bleibt da für Brandlmeier folgerichtig nur das doch sehr merkwürdige, als Lob gemeinte Prädikat "undeutsch". Auch in Ramona Currys Aufsatz findet das ideologiekritische Raster Verwendung. Auf spärlicher Materialbasis fußend, vertritt sie die These, der Star Henny Porten habe während des Krieges mit seinem Wirken "nicht unwesentlich zur Unterstützung der Kriegsanstrengungen durch die Filmindustrie beigetragen".

Solchen Beiträgen steht freilich eine Anzahl differenzierter Studien gegenüber, denen die Entdeckerfreude ebenso anzumerken ist wie die Bewunderung der frühen Filmkunst. So geht etwa Michael Wedel mit detektivischem Gespür den Verästelungen in der Dramaturgie eines frühen Titanic-Films nach, hinter der er ein durchaus selbstreflexives "Ereigniskino" ausmacht. Dem alten Vorwurf, das frühe Kino sei im Theaterhaften befangen und habe noch keine filmische Sprache entwickelt, begegnen Kristin Thompson und Yuri Tsivian treffend mit der Frage: Was war denn wann "filmisch"? Am Beispiel von Werken der Regisseure Paul von Worringen und Franz Hofer arbeiten sie heraus, mit welch komplexen Mitteln darin die Blicke der Betrachter gelenkt und wie Spannung erzeugt wird. Nicht durch Montage entstehen hier zeitliche und räumliche Beziehungen, sondern durch Anleihen bei der Malerei: durch vielfältige Achsen, Symmetrien und Spiegelungen und die virtuose Blockierung des Zuschauerblicks. Angesichts solcher Techniken konstatieren die Autoren zu Recht einen originären Charakter der frühen Filmsprache. Damit schulen sie den Blick des heutigen Betrachters für die Andersartigkeit der damaligen ästhetischen Konzepte, wobei zahlreiche Abbildungen die Argumentation stützen. Darüber hinaus verdeutlichen sie aber auch, daß die historische Entwicklung zum klassischen Erzählkino à la Hollywood nicht ohne Alternative war.

Nicht alle Felder der aktuellen Forschung konnten im Sammelband berücksichtigt werden, weshalb etwa Beiträge zum Aktualitätenfilm, zum Werbefilm und zur lokalen Kinogeschichte fehlen. Dennoch beeindruckt die Vielfalt der Themen, zumal ausgefallene Blickwinkel Platz gefunden haben. Dazu zählen Jeanpaul Goergens Anmerkungen zum Genre des "pikanten Films", Jan-Christopher Horaks Spurensuche nach den Anfängen der Filmproduktion in München, dem oft übersehenen Gegenpol Berlins, und Ivo Bloms Untersuchung der Wertschätzung, die Holland als Kulisse in frühen deutschen Filmen genoß.

Wo die Puzzleteile der verschiedenen Aufsätze sich nicht zu einem Gesamtbild fügen, setzt Thomas Elsaessers Studie "Filmgeschichte und frühes Kino" an. Die zehn lose verknüpften Kapitel verstehen sich als "historisch-kritischer Kommentar und methodologischer Begleittext" zu dem Sammelband und bemühen sich darum, die Erforschung des frühen deutschen Films in einen internationalen Rahmen zu stellen. Ausführlich diskutiert Elsaesser daher den Ansatz der angloamerikanischen "New Film History", die seit dem Erweckungserlebnis von Pordenone auch in Deutschland an Bedeutung gewonnen hat. Angelehnt an kulturanthropologische Fragen, rücken nun vermehrt die ökonomischen, kulturellen und sozialen Wechselwirkungen von Produktion und Rezeption ins Zentrum des filmhistorischen Interesses.

Als besonders produktiv hat sich hier die Untersuchung der Vorführbedingungen und Vermarktungsformen erwiesen. Der Ort des Filmerlebnisses übte nämlich über Erwartungshaltungen und Zuschauerreaktionen einen bestimmenden Einfluß auf die Filmform aus. Wendeten sich die Filme zunächst als Teil eines Nummernprogramms im Varieté und in den ersten Kinos an ein heterogenes Zuschauerkollektiv, so zielten später die abendfüllenden Spielfilme in den theaterähnlichen Kinosälen auf den individualisierten Zuschauer, der bereit war, sich in psychologisch motivierte Konflikte einzufühlen. Jenen Prozeß, der zur weitgehenden Verdrängung des anarchischen "Kinos der Attraktionen" und der performativen Tradition durch das langformatige Erzählkino und die Konventionen des Abbildungsrealismus führte, schildert Elsaesser als einen harten Kampf. Es war ein Kampf zwischen den auf Standardisierung pochenden Filmproduzenten und den auf Autonomie bedachten Kinobetreibern, in dem letztere unterlagen. Vollständig ließ sich der Stummfilm freilich nie der industriellen Kontrolle unterwerfen, weil er die Aufführung benötigte, um zum verkaufsträchtigen Erlebnis zu werden. Faktoren dieses Erlebnisses wie die Musikbegleitung, die Vorführgeschwindigkeit, der Kommentar eines Kinoerzählers und die Qualität der Sitzgelegenheit blieben Sache des Kinobetreibers.

Statt jedoch die Filmgeschichte einseitig durch eine Kinogeschichte zu ersetzen, bahnt Elsaesser dem Leser einen Weg durch die verschlungenen Beziehungen zwischen Ökonomie und kultureller Tradition, Filmsprache und Publikum. Wie den Autoren des Sammelbandes ist es Elsaesser ein besonderes Anliegen, die Durchsetzung des klassischen Erzählkinos amerikanischer Prägung nicht als Teleologie erscheinen zu lassen, sondern die historischen Alternativen ins Bewußtsein zu rücken. Wenn Elsaesser am Schluß den Bogen vom "Kino der Attraktionen" zum Spektakel in den Multiplexen schlägt, dann tritt auch unversehens die aktuelle Erklärungskraft seiner "Archäologie eines Medienwandels" zutage. Und wer das Kaiserreich im Lichte seiner Filme betrachtet, wird auch Fragen der Sozial-, Mentalitäts- und Geschlechtergeschichte in veränderter Perspektive sehen.

PHILIPP STIASNY

Thomas Elsaesser/Michael Wedel (Hrsg.): "Kino der Kaiserzeit". Zwischen Tradition und Moderne. Edition text und kritik, München 2002. 429 S., 120 Abb., br., 29,50 [Euro].

Thomas Elsaesser: "Filmgeschichte und frühes Kino". Archäologie eines Medienwandels. Edition text und kritik, München 2002. 346 S., br., 23,50 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Julian Hanich bespricht diesen Band von Thomas Elsaesser, der seiner Ansicht nach einen wichtigen Beitrag dazu leistet, die beklagenswerten Lücken in der deutschen Filmwissenschaft zu füllen, die immer noch der amerikanischen hinterherhinke. Elsaesser, der zu den bedeutendsten Filmwissenschaftlern Europas gehöre, habe sich nun besonders der Welt von Kintopp und Stummfilm gewidmet, und dies im Rahmen einer überaus umfassenden Filmgeschichte. Besonders zeichne sich dieses Werk dadurch aus, dass der Autor deutlich über den Tellerrand schaue, so der Rezensent. Elsaesser zitierend erläutert er, dass "Filmgeschichte mehr sei als die Geschichte der Filme". Dementsprechend widme sich der Autor viel allgemeiner der "Geschichte des Audiovisuellen" und auch dessen Umsetzung in den frühen Kinovorführungen. Daher sei mit diesem Buch ein entscheidender Schritt getan, um auch die deutsche Forschung in diesem Bereich voranzubringen.

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