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Die Spuren des 'Teufelsbündners' reichen bis ins frühe 16. Jahrhundert zurück, als der leibhaftige Doktor Faustus in schwäbischen Schänken auftauchte, das Volk mit Zauberkünsten ergötzte und die Kirche durch Weissagungen und Wunderheilungen provozierte. Um die historische Wahrheit rankt sich von vornherein die Legende. Als Goethe sich des Faust-Stoffs bemächtigte, waren schon drei Jahrhunderte Erzähl- und Theatertradition vergangen. Doch erst er ließ 'Faust' zum deutschen Gemeinschaftserlebnis werden. Durch ihn wurden Faust und Mephisto zum beherrschenden Männerpaar, das die Spaltung zwischen…mehr

Produktbeschreibung
Die Spuren des 'Teufelsbündners' reichen bis ins frühe 16. Jahrhundert zurück, als der leibhaftige Doktor Faustus in schwäbischen Schänken auftauchte, das Volk mit Zauberkünsten ergötzte und die Kirche durch Weissagungen und Wunderheilungen provozierte. Um die historische Wahrheit rankt sich von vornherein die Legende. Als Goethe sich des Faust-Stoffs bemächtigte, waren schon drei Jahrhunderte Erzähl- und Theatertradition vergangen. Doch erst er ließ 'Faust' zum deutschen Gemeinschaftserlebnis werden. Durch ihn wurden Faust und Mephisto zum beherrschenden Männerpaar, das die Spaltung zwischen Geist und Macht, Realitätssinn und Größenwahn symbolisiert. Willi Jasper schildert den gefährlichen Sog, den das faustische Wesen seit Goethe auf Dichter und Denker, Politiker und Professoren ausgeübt hat. Faust bleibt der Konjunkturritter deutscher Gefühle. So erweist sich die historische Rückschau zugleich als dramatisch-aktueller Bericht über Wahn und Wirklichkeit in diesem Land.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.12.1999

Böses Spiel von deutschen Buben
Willi Jasper wittert das Faustische hinter jedem Buchstaben

Enttäuscht wendet sich Willi Jasper von den heutigen Intellektuellen ab, denn sie stellen ihm nicht die richtigen, kritischen Fragen. Den Grund dafür meint er in einer faustischen Tradition zu finden; sie präge die deutsche Kultur seit jeher. Als "faustisch" gilt ihm der Machtanspruch des Geistes. Die deutsche Bildung sei der Macht erlegen, weil der Machtanspruch zu ihrem Modell gehört. Aber diese Kritik richtet sich unversehens gegen ihren Autor. Denn wenn aus dem Faustischen die ganze deutsche Geschichte entspringen soll, so verwandelt sich das Bildungsgut. Es erhebt einen politischen Anspruch und wird zum Mythos, zu einem Mythos des Bösen mit vielen Gesichtern, in denen Jasper stets aufs Neue den Abgrund der Geschichte sieht.

Ideologiekritik unterscheidet zwischen der Gesellschaft mit ihren ökonomischen Regeln und dem gesellschaftlichen Bewusstsein, das alle Ungerechtigkeiten verdecken will. Die Kultur und mit ihr auch die Literatur gehören daher zu den falschen Produkten, gegen die die Kritik sich wenden muss, weil sie angeblich den klaren Blick auf die gesellschaftlichen Interessen behindern. Das ist die alte Form der Ideologiekritik. In den letzten Jahren wurde die Verantwortung für die Katastrophe des Dritten Reiches neu gewichtet und vom Kapitalismus zur Kultur zurückgeschoben. Doch übertreibt, wer die harten gesellschaftlichen Gesetze missachtet, indem er sie eigentlich in der Kultur am Werk sieht. Jasper sagt über Albert Speer (es könnte jeder andere auch sein): "Hitler schien nicht weniger anziehend als Goethes Mephisto auf den jungen Speer zu wirken."

Wenn alles faustisch böse ist, kann man die Existenz des Guten kaum erklären: Wie sind Lessing, Heine, Thomas Mann - und Jasper möglich? Es gab auch vom Mythos Unterdrückte, die anders dachten. Darin liegt eine allgemeine Schwierigkeit der Ideologiekritik: Man gelangt von der Kritik des Falschen logisch nicht notwendig zum Richtigen, zur Utopie, zur wahren Gesellschaft, zu den aufgeklärten Dichtern. Vorerst beharrt auf dem "Richtigen", wer sagt, dass erst dieser Ausblick die Kritik ermögliche. Die Kritik müsse also einen positiven unsichtbaren Ursprung haben, der sich im Moment kritischer Konzentration zeige. In solcher Hoffnung gründet die Esoterik der Revolution, wie sie sich seit 1968 vorstellt: Dem Absoluten steht die vermittelnde Politik gegenüber, die man gern dem Verbrechen (man erinnere sich an Hans Magnus Enzensbergers "Politik und Verbrechen" von 1964) gleichsetzt oder als Kompromiss verachtet. Jaspers Anthologie faustischer Verfehlungen möchte, so die eigentliche stilistische Zuversicht des Buches, einen solchen Moment erzeugen; Jaspers Wut wäre das Medium.

Doch das Buch zeugt von einem Verschleiß. Die unsagbare Positivität, die sich politisch kompromittieren muss, war vor dreißig Jahren eine ästhetische und philosophische Denkfigur, die man von Walter Benjamin her kannte. Jasper glaubt einfach an ein geheimnisvolles Zentrum, das nach dem "faustischen" Takt pulsiert. Ideologie und Ökonomie sind eins geworden. Die Geschichte erscheint wie sekundär, und man kann reale Räume, die die Epochen, Institutionen, Traditionen oder auch einzelne literarische Werke schaffen, nicht mehr voneinander unterscheiden. Vom "Faustischen" fehlt überhaupt der Begriff, wenn man sieht, was alles Jasper ihm rubriziert; das Rubrizieren selbst zerstört den historischen Zusammenhang. Nebeneinander stehen die Fähigkeit Goethes, Spannungen auszugleichen, die Offenbarung des Absoluten in Hegels idealistischer Philosophie, die Spengler'sche Heroik des Untergangs, esoterische Geheimlehren wie bei Rudolf Steiner, männerbündische Abwehrstrategien gegen das Weibliche nach 1900, die unermüdliche Tätigkeit selbst. Schließlich die Verbindung von Forschung und Karrierestreben: jeder Professor ein Faust, und Goethe, Treitschke, Dilthey, Carl Schmitt und Johannes R. Becher sind allesamt Beweise für den Mythos.

Goethes "Faust" ist der Aufhänger, doch die literarische Eigenart des Werkes gilt als unbedeutend. Manches entzieht sich Jaspers durchgreifender Interpretation. Dann entfaltet er sein aufgeregtes Ressentiment, das niemandem etwas gönnt und den Ton des ganzen Buches bestimmt. Der Schluss der "Tragödie zweiter Teil" wird - in rascher Psychoanalyse - als schlecht sublimierte Homoerotik Goethes gelesen; mit dieser Geste der Denunziation wertet er auch die Ermordung von Philemon und Baucis als "ethnische Säuberung" und lastet sie dem Autoren an, als ob sein alter Mann nicht erblindet wäre. "Goethes Faust opferte sogar Menschenleben: mörderische Zivilisationskritik aus dem Geist einer antiintellektuellen Lebensphilosophie."

Wie die Grenzen von Werken werden auch die von Institutionen nicht bedacht. Der Philologe Ludwig Geiger versicherte sich - aufgeklärt - der eigenen jüdischen Tradition; 1880 begründete er das Goethe-Jahrbuch (bald das offizielle Organ der Goethe-Gesellschaft), das ihm auch als eine Zitadelle in antisemitischer Umgebung diente, legitimiert durch philologische Strenge, die ihm die öffentliche Stellungnahme erlaubte (etwa gegen Goethes judenfeindliche Bemerkungen). Jasper aber zeichnet Geiger als Agenten der Nationalpädagogik, einer nur von vielen anderen Philologen, wo er doch gegen deren Werte seine Philologie brauchte. Vieles in dem Buch ist in dieser Weise infam, vieles einfach falsch, und jenes folgt gern aus diesem. Jasper macht es den Feinden der Kritik zu einfach.

CHRISTOPH KÖNIG

Willi Jasper: "Faust und die Deutschen". Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 1998. 304 S., 8 Abb., geb., 42,- DM.

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