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Er ist achtundsiebzig, als er erfährt, dass er für den Rest seines Lebens drei Mal in der Woche ans Dialyse-Gerät muss. In dieser gnadenlosen Abhängigkeit von einer Maschine blickt er auf sein Leben zurück - ein Leben mit einer chronischen Nierenkrankheit, aber auch ein Leben, das bis an seine Grenzen ausgekostet wurde, voller Kunst, voller Literatur, voller erfüllender Schaffensprozesse. Vor allem aber blickt er nach vorn: Was bedeutet diese Maschine für seine Arbeit als Theaterregisseur, der er noch immer wie besessen nachgeht, für seine Beziehung zu seiner Frau, die seit über fünfzig Jahren…mehr

Produktbeschreibung
Er ist achtundsiebzig, als er erfährt, dass er für den Rest seines Lebens drei Mal in der Woche ans Dialyse-Gerät muss. In dieser gnadenlosen Abhängigkeit von einer Maschine blickt er auf sein Leben zurück - ein Leben mit einer chronischen Nierenkrankheit, aber auch ein Leben, das bis an seine Grenzen ausgekostet wurde, voller Kunst, voller Literatur, voller erfüllender Schaffensprozesse. Vor allem aber blickt er nach vorn: Was bedeutet diese Maschine für seine Arbeit als Theaterregisseur, der er noch immer wie besessen nachgeht, für seine Beziehung zu seiner Frau, die seit über fünfzig Jahren an seiner Seite ist, für seinen Sohn und seinen Enkel? Und was erwartet ihn danach?

Hans Neuenfels sorgte mit seinen Arbeiten für stürmische Auseinandersetzungen, die ihn über die Theaterwelt hinaus weit bekannt machten. Mit seinen letzten Texten gibt er einen persönlichen Einblick in sein Leben und Wirken. Ehrlich und schonungslos - vor allem sich selbst gegenüber - beschreibt der provokante Theater- und Opernregisseur, Intendant und Schriftsteller das Leben mit einer chronischen Krankheit. Für das Buch hat seine lebenslange Freundin Elke Heidenreich einen Nachruf verfasst.

Autorenporträt
HANS NEUENFELS war einer der erfolgreichsten und umstrittensten Theater- und Opernregisseure Deutschlands. Geboren 1941 in Krefeld, studierte Neuenfels zunächst Schauspiel und Regie am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. Ein Jahr lang war er Assistent des Malers Max Ernst, mit dem er in Paris lebte, bevor seine Karriere als Regisseur am Theater am Naschmarkt in Wien begann. 1965 wurde er dort Chefdramaturg, in den 1970ern erzeugte er mit seiner Inszenierung von Verdis Aida ein Publikumsecho, das weit über die Theaterwelt hinaus nachhallte. Neuenfels' Inszenierungen waren stets getrieben von dem Anspruch, sich auf der Bühne mit Politik und Gesellschaft auseinanderzusetzen - ein Umstand, der oft für Furore sorgte. Hans Neuenfels galt als künstlerischer Grenzgänger, der neben seiner Arbeit als Theater- und Opernregisseur auch schriftstellerisch tätig war. Seine Texte erschienen in Die Zeitund Theater heute, 1991 veröffentlichte er seinen ersten Roman Isaakaros, 2011 das autobiografische Werk Das Bastardbuch. Hans Neuenfels war mit der österreichischen Schauspielerin Elisabeth Trissenaar verheiratet, ihr gemeinsamer Sohn Benedict Neuenfels ist international als Director of Photography tätig. Das Paar lebte zuletzt gemeinsam in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.04.2022

Gegen die Lebensverdämmerung

Auf der Suche nach dem bereichernden Ausdruck: Ein Band versammelt späte Texte des kürzlich verstorbenen Regisseurs und Schriftstellers Hans Neuenfels.

Man muss schon sehr gut erzählen können, damit es gelingt, einen Sauerbraten zum Zentrum einer Geschichte und dessen Köchin zu einer Heldin des inneren Widerstands und der äußeren Emanzipation zu machen - und dies außerdem so, dass der Leserschaft das Wasser im Munde zusammenläuft und der Spannungsbogen nie einknickt. Aber wer wie Hans Neuenfels Bücher geschrieben und Filme gedreht hat, Werke von Verdi und Wagner, Euripides und Kleist grandios in Szene zu setzen und überdies geistreich wie empathisch darüber zu referieren vermocht hat, kann natürlich selbst den "Rheinischen Sauerbraten" mit Apfelkompott, Rosinen, Mandeln und Kartoffeln zu einem Fest werden lassen.

Der Regisseur und Schriftsteller war immer ein glänzender Formulierer und Fabulierer und ist es auch in seinem Buch "Fast nackt". Es trägt den Untertitel "Letzte Texte", denn der 1941 in Krefeld geborene Neuenfels ist Anfang Februar verstorben. "Fast nackt" versammelt Erzählungen und Gedichte und dazu autobiographische Aufzeichnungen aus späten Jahren, in denen er wegen einer schweren Nierenkrankheit zum Dialyse-Patienten wurde. Wie diese Situation meistern, die ihn einerseits am Leben erhalten, andererseits an drei Tagen pro Woche jeweils vier Stunden ins Krankenhaus zwingen würde, um dort an eine Maschine angeschlossen zu werden, Nach- und Nebenwirkungen nicht genau kalkulierbar? Davor ängstigte er sich und musste sich eine Strategie zur friedlichen Koexistenz überlegen, denn, so empfindet er es, die gefürchtete Maschine "tauschte nicht nur das Blut aus, sie vertauschte auch die Gedanken. (...) Alles blieb da und verschwunden."

Längere Reisen waren kaum mehr möglich, seine Theaterarbeit organisatorisch umständlich, er musste eine komplizierte Diät befolgen und überhaupt zusehen, wie er mit seiner bereits als Kind entwickelten "Aversion gegen die Wirklichkeit" ebendiese Wirklichkeit bewältigen konnte. Offen und sachlich wägt Neuenfels die Vorteile ("Die Maschine verhindert den augenblicklichen Tod") und Nachteile ("Die Dialyse ist brutal in ihrer Enge und Ausschließlichkeit") ab. Treu liebte er bisher seine Freiheit des Denkens, Fühlens und Handelns. Mittlerweile ist er ein alter, von der Medizintechnik abhängiger Mann und fragt sich: "Wie verhindert man, dass ein Lebensabend eine Lebensverdämmerung wird, wenn man noch nicht dement ist?"

Als Erstes distanziert er sich von seinem Schicksal, indem er vom "Ich" zum "Er" wechselt und ab nun sein Alter Ego Johannes sprechen lässt. Die Gattin freilich heißt wie in der Realität Elisabeth, war Neuenfels doch über fünfzig Jahre mit der Schauspielerin Elisabeth Trissenaar verheiratet, für die er die Zeilen schrieb: "Du warst mir niemals angetraut / du bist mir angeboren." Mit Daseinsfreude und Todesangst und mit dem Mut der Verzweiflung wendet er sich schließlich wieder dem Terrain zu, das für ihn und für das er geschaffen war, der Kunst. Wie er es seinem Enkel erklärt: "Ich wollte bis zum Zerplatzen immer nur eins: mich durch Werke von Dichtern oder Komponisten bereichernd auszudrücken."

Ganz auf sich zurückgeworfen, ist ihm die Kunst jetzt erst recht, was sie ihm von jeher war, Stütze und Stärke, Rat und Tat: "Sie ist die Krone der Freiheit des Menschen in diesem Diesseits." Das hatte er schon als frühreifer Hochbegabter erfahren, der die Normen der Bürgerlichkeit schnell überwand und sich seit der Pubertät wünschte, "bei sich selbst zu sein". Hans Neuenfels denkt genau und poetisch zurück, erinnert sich an die Kindheit und Jugend, etwa - verkleidet als Odysseus - an einen Ausflug mit dem Großvater am Niederrhein oder an ein Abenteuer 1959 in Wien, wo er am Max-Reinhardt-Seminar das Regieführen erlernte und sich einmal auf dem abendlichen Heimweg dank seines Regenschirms zu seiner eigenen Überraschung gegen einen üblen Schlägertrupp behaupten konnte.

Ohne Sentimentalität und Larmoyanz, dafür formsicher und humorvoll tagträumt und phantasiert der Schwarmgeist Neuenfels, lässt eine ältliche Witwe in der Erzählung "Sieg" mit besagtem Sauerbraten das Glück finden und in "Duisburg in New York" einen therapiegestählten Ruhrpott-Stromer die Liebe verlieren. Ein von seiner Frau verlassener chinesischer Rikscha-Fahrer wird in "Solitude" einem Fisch hörig, ein pensionierter Diplomingenieur erstickt in Griechenland in der mittäglichen "Zeit des Pan" fast an den Knochen einer gebratenen Taube.

Hans Neuenfels zeichnet die Protagonisten seiner Geschichten als unstete Grenzgänger, denen man wegen ihrer alltäglichen Anmutung nicht sofort anmerkt, dass sie im Bodenständigen höchstens flüchtig zu Gast sind, weil sie das Fremde und Ferne viel stärker interessiert, ja betört. "Geh nicht aus dem Haus / geh über die Wolken", heißt es denn auch in einem der knapp zwei Dutzend eingestreuten Gedichte, die mit ihrer klugen Lakonie glänzen. Diese begnadeten Luftgestalten sind Seelen- und Geistesverwandte, in denen sich der Autor spiegelt und überhöht und mehr von sich preisgibt, als es in der direkten Rede möglich wäre. Mutig und ungeschützt zeigt sich Hans Neuenfels hier, nicht indiskret, und stets souverän kunstvoll. Zahlreiche schön ausgewählte Schwarz-Weiß-Fotografien aus jüngeren Jahren ergänzen die bei aller Traurigkeit ungemein hellen, wachen, anrührenden Texte, mit denen sich der Regisseur, der bis zum Tod an ihnen gearbeitet hat, von der Welt verabschiedete - um für immer in ihr zu bleiben. IRENE BAZINGER

Hans Neuenfels: "Fast nackt". Letzte Texte. Mit einem Nachwort von Elke Heidenreich.

Eisele Verlag, München 2022. 272 S., Abb., geb.,

24,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Rezensent Claus-Jürgen Göpfert erinnert sich wehmütig an den Regisseur Hans Neuenfels. Dessen letzte Texte übers Theater, die Beziehung zu Elisabeth Trissenaar, das Trinken, seine Prosa über den plötzlichen Tod beim Essen u. a. lassen Göpfert noch einmal die großen Inszenierungen Revue passieren, unterstützt durch die Fotos im Band, aber leider nicht durch "einordnende Erläuterungen", wie Göpfert bedauert.

© Perlentaucher Medien GmbH
'Fast nackt', die letzten Texte des Regisseurs Hans Neuenfels, sind in vielfältiger Weise bewegend. (...) Sie zeigen in Prosatexten den Erzähler Neuenfels, der unglaublich verdichten, beschleunigen kann. Und in Gedichten den Poeten, dessen Sprachbilder nachwirken. Claus-Jürgen Göpfert Frankfurter Rundschau 20220706