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Produktdetails
  • Italien in der Moderne Bd.2
  • Verlag: SH-Verlag
  • 1998.
  • Seitenzahl: 333
  • Deutsch
  • Abmessung: 235mm
  • Gewicht: 610g
  • ISBN-13: 9783894980214
  • ISBN-10: 3894980214
  • Artikelnr.: 06681583
Autorenporträt
Dr. Jens Petersen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut Rom.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.11.1998

Totalitäre Nähe
Ein erhellender Sammelband über den Faschismus und seine Beziehung zum Nationalsozialismus

Jens Petersen, Wolfgang Schieder (Herausgeber): Faschismus und Gesellschaft in Italien. Staat, Wirtschaft, Kultur. SH-Verlag, Köln 1998, 333 Seiten, 2 Grafiken, 68,- Mark.

Als der dreißigjährige Benito Mussolini auf dem sozialistischen Parteitag von Ancona im Mai 1914 den Ausschluß der Freimaurer betrieb, zitierte er Goethes letzte Worte: "Mehr Licht!" Der damalige radikale Sozialist und spätere "Duce" sah das Bild seiner Partei in der italienischen Öffentlichkeit durch die im verborgenen wirkenden Freimaurerlogen beeinträchtigt. Der etwa gleichaltrige Giacomo Matteotti soll in Ancona vor der Aufstellung von Proskriptionslisten gewarnt und Mussolini zugerufen haben: "Wo immer du hingehen wirst, du wirst nur Unheil anrichten!"

Die Episode kann einem einfallen, liest man Andrea Hoffends Beitrag "Verteidigung des Humanismus?" im hier anzuzeigenden Band. Hoffend, Verfasserin einer kürzlich erschienenen Dissertation über die deutsch-italienischen Kulturbeziehungen zur Zeit der faschistisch-nationalsozialistischen Herrschaften, berichtet, Mussolini habe noch 1942 angeregt, eine aufwendig bebilderte Ausgabe von Goethes "Italienischer Reise" als deutsch-italienische Gemeinschaftsproduktion herauszugeben. Matteotti war zu diesem Zeitpunkt schon fast achtzehn Jahre tot, Mussolini hatte die volle Verantwortung für die Entführung und Ermordung des sozialistischen Fraktionsführers übernommen.

Auf der Kölner Tagung vom Oktober 1994, deren zum Teil stark erweiterte Diskussionsbeiträge jetzt als Sammelband vorliegen, wurde berechtigte Kritik an der These laut, die italienischen Faschisten hätten in der Auseinandersetzung mit der NS-Kulturpolitik den Humanismus verteidigt. Mehrere Autoren arbeiteten statt dessen die Nähe des Faschismus zum Nationalsozialismus heraus; Giuseppe Galasso (Neapel) etwa betont in seinem Beitrag, für Mussolini sei die Ermordung Matteottis kein Betriebsunfall gewesen, sondern der willkommene Anlaß, das seit längerem geplante diktatorische Regime zu errichten und zu festigen.

Historiographisches Neuland betritt Daniela Liebscher (Tübingen) mit ihrer Untersuchung der Beziehungen zwischen den faschistischen und nationalsozialistischen Freizeitorganisationen "Dopolavoro" und "Kraft durch Freude"; die Zusammenarbeit beider war erstaunlich effizient, was nach Ansicht der Autorin mit der totalitären Herrschaftspraxis der Regime zusammenhing. Die faschistische Kultur- und Schulpolitik, die große Augustus-Ausstellung von 1937/38 und die italienische Kolonialarchäologie stehen im Mittelpunkt der Beiträge von Gabriele Turi (Florenz), Jürgen Charnitzky (Heidelberg), Friedemann Scriba (Leipzig) und Stefan Altekamp (Berlin). In einer akribischen Untersuchung weist Árpád von Klimó (Budapest) nach, daß die faschistische Machtübernahme von 1922 die Bürokratie dreier Schlüsselministerien (Inneres, Justiz, Unterricht) völlig intakt ließ; im Laufe der zwanziger und frühen dreißiger Jahre setzte sich eine zunehmende Professionalisierung der Beamtenschaft fort, die schon in der liberalen Ära begonnen hatte.

Nicht immer Übereinstimmung.

Das Verhältnis der wirtschaftlichen Führungskräfte zum Regime, ihre "Interessen, Wertvorstellungen und Erinnerungsprozesse", untersucht Rolf Petri (Halle). "Konsens" gegenüber dem Regime heiße nicht unbedingt dasselbe wie Übereinstimmung mit den ideologischen Prämissen des Faschismus. Für Unternehmer und Schwarzhemden zählte vor allem die gemeinsame Erinnerung an den Sieg, den man in den beiden "schwarzen Jahren" 1921/22 über die Sozialisten und Kommunisten errungen hatte. Der Verfasser gelangt zu dem Schluß, daß die wirtschaftlichen Eliten mit dem Regime durch ein "System personalisierter Interessen" verbunden waren, sich aber nach der Niederlage von El Alamein (1942) rasch von ihm abwandten.

Anne von Oswald (Berlin) und Brunello Mantelli (Turin) steuern Wissenswertes zum Thema "Wirtschaftsbeziehungen" bei. Während Mantelli den Anteil des ökonomischen Faktors an der Entstehung des deutsch-italienischen Bündnisses zwischen 1933 und 1936 zu gewichten sucht, verfolgt Oswald die Strategien der deutschen Industrie auf dem italienischen Markt vor und nach dem Ersten Weltkrieg. Das überlegene deutsche Kapital zielte bis 1914 auf die Eroberung des italienischen Marktes ab und war in der ersten Hälfte der Zwischenkriegszeit darauf bedacht, die einmal errungene starke Position zu halten. Nach 1933 strebte die deutsche Industrie danach, die italienische Wirtschaft ganz unter ihre Kontrolle zu bringen. NS-Deutschland verdrängte den Bündnispartner sogar aus dem Donau-Adria-Raum, den das faschistische Regime als natürliches Interessengebiet Italiens ansah.

Nach Ansicht von Alexander Nützenadel (Köln) war für die Wirtschaftspolitik des Faschismus weder eine Überbetonung des Ruralismus kennzeichnend, wie etwa die aufwendige "Getreideschlacht"-Propaganda vermuten ließ, noch ordnete das Regime die Landwirtschaft der industriellen Entwicklung unter. In der korporativen Ökonomie blieb vielmehr genügend Raum für die Artikulierung agrarischer Interessen. "Gemischte Wirtschaft" oder "komplementäre Entwicklung" lauteten die entsprechenden Formeln. Aldo Natoli (Cagliari) schließt den Band mit einem Beitrag zum Thema "Antifaschismus und Resistenza in der Geschichte des italienischen Einheitsstaats" ab, der den Bogen bis zu den aktuellen historiographischen Debatten in Italien spannt.

Das in der von Jens Petersen, Wolfgang Schieder und Christof Dipper herausgegebenen Reihe "Italien in der Moderne" erschienene Buch resümiert auf denkbar unkomplizierte Weise den neuesten Stand der deutschen Italienund Faschismusforschung. Auf gut zwei Dutzend schätzen die Herausgeber die Zahl der Dissertationen, die in Deutschland zur Zeit allein über das faschistische Italien entstehen. Und dies, obwohl es hierzulande weder einen Lehrstuhl zur italienischen Geschichte noch eine Forschungseinrichtung gibt, die mit dem Deutschen Historischen Institut in Rom oder mit dem Institut für italienisch-deutsche Geschichtsforschung in Trient vergleichbar wäre.

ROLF WÖRSDÖRFER

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